Tichys Einblick
Als strategischer Partner umworben

Kasachstan: zwischen Bär und Drache

Die Annäherung von Kasachstan und EU wird von Putin toleriert. Das Land jongliert zwischen Moskau und Peking.

Fotolia

Das Steppenland Kasachstan meistert seine politische und ökonomische Stabilität mit einer pragmatischen Politik. Seine „Sandwich-Position“ zwischen den Riesenreichen Russland und China zwingt das neuntgrößte Land der Erde zu einem steten Balanceakt zwischen Bär und Drache. Der russische Bär gilt den Kasachen als traditioneller, unvermeidlicher Partner. Der chinesische Drachen mit seinen Expansionsgelüsten über die „neue Seidenstraße“ erscheint vielen als Bedrohung.

Mit seinen reichen Ressourcen an Öl, Gas und Rohstoffen, darunter „seltenen Erden“ hat das bedeutendste Transformationsland in Zentralasien ein mit Polen vergleichbares BIP von 13.000 US-Dollar erreicht. Doch die globalen wirtschaftlichen Verwerfungen haben auch in der autoritär regierten früheren Sowjetrepublik ihre Spuren hinterlassen. Der Verfall des Ölpreises, das schwächere Wachstum in wichtigen Abnehmerländern und die Verzögerung bei der Inbetriebnahme des Ölfeldes Kaschagan im Kaspischen Meer lasten auf der Wirtschaft. Infolgedessen schwächelt auch der private Konsum, sind Löhne und Gehälter gekürzt worden. Mit Konjunkturspritzen sucht die Regierung neue Impulse zu setzen – in der Hoffnung auf ein zwei-prozentiges Wachstum in 2016.

Vor allem der Absturz des Rubels seit der zweiten Jahreshälfte 2014 hat die Wettbewerbsfähigkeit kasachischer Unternehmen geschwächt. Denn Russland, Kasachstans wichtigster (Handels)Partner in der seit 2015 in Kraft getretenen „Eurasischen Union“ überschwemmte den Nachbarn mit Billigprodukten. Damit verpuffte der positive Effekt der Abwertung der Landeswährung Tenge um 19 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Insofern werden die Wirkungen der von Russland dominierten Wirtschaftsunion voller Skepsis beurteilt. Zugute kommt Kasachstan die geringe Staatsverschuldung und seine Reserven im Nationalfonds, in den der größte Teil der staatlichen Rohstoffeinnahmen fließt. So werden im Rahmen des ambitionierten Wirtschaftsprogramms „Nurly Shol“ zwischen 2015 und 2017 zusätzlich rund 9 Milliarden US-Dollar für die Infrastruktur und den sozialen  Wohnungsbau bereitgestellt.

Trotz der engen Beziehungen zu Russland und China blickt Kasachstan mit wachsendem Interesse nach Europa und sucht sich so aus der engen Verklammerung mit dem übermächtigen Nachbarn ein wenig zu lösen. Schon jetzt liegt das Handelsvolumen mit der EU vor dem mit Russland. Vor allem Deutschland, das jede vierte Tonne seiner Ölimporte aus Kasachstan bezieht, gilt „als unser strategischer Partner in Europa“, sagt Vizeaußenminister Alexej Volkov. 2012 schloss Deutschland mit Kasachstan ein Rohstoffabkommen ab, um sich vor allem „seltene Erden“ wie etwa Lithium zu sichern.

Am 21. Dezember wird in der seit 1994 inmitten der der Steppe errichteten Retorten-Hauptstadt Astana das „Rahmenabkommen über die erweiterte Partnerschaft und Kooperation“ mit der EU unterzeichnet. Zur Unterschrift reist eigens die für die EU-Außenbeziehungen zuständige Federica Mogherini an. Das Abkommen entspricht zwar in seiner Wirkung keiner Assoziierung, geht aber weit über die Abkommen der  EU mit früheren Sowjetrepubliken hinaus. Angeglichen werden die Finanz- und Zollsysteme, vereinbart ist ein Dialog über Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Mit Russland habe es „keinerlei Konsultationen“ über das Partnerschaftsabkommen gegeben, versichert Vizeaußenminister Volkov, Moskau habe sich – im Unterschied zur Ukraine – auch „nicht eingemischt.“  Dennoch sitzt der Schock über die illegitime Landnahme der Krim durch Russland tief.

Das russische Gewährenlassen beim Übereinkommen mit der EU liegt wohl an Wladimir Putins Wertschätzung für Kasachstans 75-jährigen Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Der einstige KP-Chef hat Kasachstan 1991 in die Unabhängigkeit geführt und herrscht nach seiner dritten Wiederwahl scheinbar unangefochten in seinem monumentalen Präsidentenpalast. Nasarbajew habe, so Putin anerkennend, zwischen dem Kaspischen Meer im Westen und dem Altai-Gebirge im Osten „einen Staat aufgebaut, wo es vorher nie einen gab.“ Das klang zunächst nach einem Affront: Kasachstan ohne eigene Staatlichkeit? Um den übermächtigen russischen Einfluss abzuwehren, ließ Nasarbajew 1994 im Norden, mitten in der Steppe, den Grundstein für die Retortenhauptstadt Astana legen – mitten in ein Gebiet, wo eine stattliche russische Minderheit lebte. Jetzt leben in der Glitzer-Metropole vom Zuschnitt Dubais mehr als 800.000 Menschen, überwiegend Kasachen. Tausende von Russen haben das Land verlassen, ihre 30-Prozent-Minderheit ist zusammengeschmolzen.

Hinter dem ehrgeizigen Ziel, Kasachstan bis 2020  unter die 30 meist entwickelten Nationen der Welt zu bringen, verblassen weitgehend die vermeintlichen Zankäpfel mit der früheren sowjetischen Kolonialmacht. Nasarbajew hat den florierenden autokratisch regierten Stadtstaat Singapur zu seinem Vorbild erkoren. Mit der Förderung der Wirtschaft als erster Priorität soll der Aufbau einer starken Mittelklasse  einhergehen. Danach will man sich in der stärksten Regionalmacht der Demokratisierung der Gesellschaft widmen  – behauptet der Präsident.

„Noch ist unser Land eine staatskapitalistische Wirtschaft“, prophezeit ein maßgeblicher kasachischer Unternehmer aus der jungen, in den USA ausgebildeten kasachischen Elite, „aber das System wird sich wandeln.“ Und nach einer Pause fügt er hinzu: „Wir brauchen Demokratie.“ Ob er darunter das Gleiche versteht wie sein Präsident?

Gastautor Richard Kiessler ist Publizist, war Chefredakteur in der WAZ-Mediengruppe und Sonderkorrespondent Außenpolitik.

Die mobile Version verlassen