Tichys Einblick
Alexander Lambsdorff

Intrigen, Eigennutz und politische Orientierungslosigkeit eines Liberalen mit großem Namen

Seit die FDP sich in Umfragen wieder der Todeszone nähert, wächst die Kritik an Christian Lindner. Einer, der ihn gerne beerben würde, ist Alexander Lambsdorff - kein ernstzunehmender Herausforderer, sondern nur der linke Schatten seines Onkels Otto.

imago Images/Future Image

Eloquent wirkt er, jovial und bedeutsam. Er trägt einen großen Namen. Die Rede ist von Alexander Graf Lambsdorff, einem der sechs stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion und Neffe des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers, des „Marktgrafen” Otto Graf Lambsdorff. Gerade wurde eine Vorlage von ihm zur Israelpolitik in der Fraktion einstimmig abgebürstet, sie kam zu israelfeindlich daher. Ein peinlicher Vorgang. Vor allem für einen Namenserben, für den die fernen und nahen Vorfahren das einzige Kapital darstellen.

Wladimir Nikolajewitsch Lamsdorf (sic), den Alexander gerne bemüht, um die Bedeutsamkeit seiner Herkunft herauszustellen, war von 1900 bis 1906 Außenminister aller Reußen. Große Fußstapfen sollte man meinen. Aber Wladimir gehört gar nicht zu Alexanders Ahnen. Er war der Neffe seines Ururgroßvaters. Schaut man hinter die Fassade, steht Alexander in der Tat mehr im politischen Schatten des glücklos agierenden, von Zar Nikolaus II. im Jahr 1906 geschassten Wladimir, als im Licht des fachkundigen Otto. Warum gerade er immer wieder auf Wladimir verweist, der im Russland seiner Zeit wie kein anderer für den moralischen und materiellen Bankrott russischer Europäisierungspolitik stand, bleibt ein Rätsel. Vermutlich ist es sein Unvermögen, Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Er liebt die prachtvolle Selbsttäuschung. Dabei gäbe es in der Familiengeschichte viel bedeutendere Persönlichkeiten, auf die sein oftmals knorrig wirkender, aber sehr respektierter Onkel Otto sich lieber berief – vor allem auf Gustav Matthias Lambsdorff, den Erzieher des späteren, äußerst autoritär regierenden Zaren Nikolaus I., für dessen preußisch-militärischen Schliff die Familie Lambsdorff mit dem russischen Adelstitel (1817) belohnt wurde. Aber wer einen Namen erbt ohne den dazu passenden Verstand, muss sich abgrenzen. Einem Vergleich hielte er nicht stand.

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In Ungnade dürfte der im Denken des Kalten Krieges gefangene Panzeraufklärer Alexander Graf Lambsdorff auch beim heutigen russischen Machthaber gefallen sein. Er gilt als liberaler Mastermind hinter einer desperaten und unreflektierten Sanktionspolitik gegen Russland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Immer wieder muss die Parteiführung den sprunghaften, von der Midlife Krise geplagten 53-jährigen FDP-Abgeordneten einfangen und ihn von einer Militarisierung liberaler Außenpolitik abbringen. Lambsdorff neigt er dazu, die Fehler der 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu wiederholen, die lange überwunden schienen. Politisch Andersdenkende sehen sich von diesem Lambsdorff, der hinter allem Intrigen oder die Macht des Bösen wittert, schnell in das Eck eines russischen FSB-Agenten gestellt.

Seinem parteiinternen Widersacher Wolfgang Kubicki, der von einer Politik des maximalen Schadens gegenüber Russland abrät und Dialogbereitschaft einfordert, soll dieser Vorwurf in einem von Lambsdorff erbetenen Sechs-Augen-Gespräch ein müdes Lächeln abgerungen haben.

Lambsdorffs Schwäche zeigt sich besonders in seiner ausgeprägten Empfindlichkeit gegen Zurückweisung. Vor allem seine Reaktion auf Widerspruch offenbart ein kindhaft-trotziges und naives Verhalten. Er steht gerne im Mittelpunkt, erwartet Anerkennung und würde gerne mitspielen. Wenn etwas schiefläuft, wäscht er seine Hände regelmäßig in Unschuld. Wie beispielsweise bei der Europawahl 2014, bei der er als Spitzenkandidat katastrophale 3,4 Prozent zu verantworten hatte. Keiner will mit ihm spielen.

Sichtbare Schwierigkeiten bereitet es dem typischen Vertreter der erstarrten und desinteressierten „Lost Generation X“, wie die Kinder seiner Zeit von den Medien gerne kategorisiert werden, wenn jemand in seine Komfortzone eindringt. Es sind solche Situationen, die er als respektlos empfindet, nach den Worten des irischen Schriftstellers Oscar Wilde formuliert:

„Egoismus besteht nicht darin, dass man sein Leben nach seinen Wünschen lebt, sondern darin, dass man von anderen verlangt, dass sie so leben, wie man es wünscht.“

Im tiefsten Inneren seiner Welt der Aristokratie sieht er seinen erblichen Führungsanspruch in Frage gestellt. Otto Graf Lambsdorffs Neffe ist ein selbstgerechter Eigenbrötler, der sich ungern in seine politischen Karten schauen lässt, und sich niemandem, auch nicht seiner eigenen Bonner Parteibasis gegenüber rechenschaftspflichtig glaubt. Während andere Abgeordnete auf Facebook umfangreich und regelmäßig über ihre Arbeit im Bundestag berichten und sich der Diskussion stellen, gibt er gelegentlich seine Communiqués zur Kenntnis, bittet um Likes und ums Teilen. Eine Kommentierung ist nicht erwünscht, sie wird eher als störend empfunden.

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Auch seine Anwesenheit im Wahlkreis beschränkt sich außerhalb von Zeiten der Kandidatenwahl weitgehend auf die Moderation von Veranstaltungen. Durch Hinterzimmergeschacher und Trickserei mit der Geschäftsordnung erstickt er jegliche politische Debatte im Keim. Parteiinternen Wahlen auf Bundesebene geht er aus dem Weg. Er bevorzugt seit Beginn seiner politischen Laufbahn, zunächst mit der Gründung des nicht gerade durch politisches Engagement aufgefallenen virtuellen Landesverbands LV Net, in den Bundesvorstand kooptiert zu werden. Die letzten auf der Homepage der FDP-Vorfeldorganisation veröffentlichten Beschlüsse der Vollversammlung stammen aus dem Jahr 2013.

Auf seinen Wechsel von Brüssel nach Berlin angesprochen, fühlt sich der violett-weiß-rote Burschenschafter der Bonner Palatia ganz in der Tradition der Ordensritter zur Zeit der deutschen Ostkolonisation – „missionarisch berufen“. Es muss für ihn ein Schock gewesen sein, als Christian Lindner – den er, wie auch Philipp Rösler und Guido Westerwelle zuvor, angesichts seiner selbstgewählten Abhängigkeit nur notgedrungen als Parteivorsitzenden ertragen kann – ihn wegen seiner europapolitischen Äußerungen in einer der ersten Fraktionssitzungen im Herbst 2017 vor versammelter Mannschaft so ganz und gar nicht standesgemäß in die Schranken wies. Lambsdorff selbst hält sich im Falle eines Scheiterns von Parteichef Lindner für den geeigneten Nachfolger, berichten Bundestagsabgeordnete aus Berlin.

Einem tiefsitzenden Instinkt folgend, ruft Ala, wie ihn Vertraute nennen dürfen, außenpolitisch gerne an die Waffen. Sein gesamtes Denken reduziert sich fast zwanghaft auf überhebliche Bestrafungsphantasien. Dort, wo eigentlich verantwortliches Handeln gefordert wäre, reagiert er mit rigorosen Schuldzuweisungen. Er schürt gern den Konflikt.

Mehr unbewusst als bewusst wendet sich der ausgebildete Diplomat Lambsdorff, der vor seinem Wechsel in die Politik Referent im Russlandreferat des Auswärtigen Amts war, von den Idealen deutscher Außenpolitik ab. Dabei wurde sie maßgeblich von Liberalen geprägt. Für sie erwuchs Friede nicht aus Angst oder Konfrontation, sondern nur aus Demut und Offenheit. Angst hatte für sie die Tendenz, sich zu verselbständigen. Sie wäre nur der Nährboden für Fanatismus und politische Manipulation.

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Zum Beispiel stellte sich Lambsdorff, in der Hoffnung seinen Parteifreund stürzen zu können, demonstrativ gegen den damaligen Außenminister Guido Westerwelle, der sich bei den Vereinten Nationen in der Abstimmung über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen der Stimme enthalten hatte. Lambsdorff aber hätte lieber Kampfjets der Bundesluftwaffe am Himmel Libyens und später auch über Syrien gesehen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte sich die Bundesregierung in einem Bürgerkrieg auf die Seite rivalisierender islamistischer Milizen geschlagen. Außerdem wären eine Handvoll europäischer Länder mit Sanktionen belegt worden.

Kanzlerin Angela Merkel müsste jede Woche weltweit irgendwelche Krisen- und Sondergipfel besuchen, deren Erkenntnisgewinn, wie sein Onkel Otto stets zu sagen pflegte, „bekanntermaßen gegen Null tendiert“. Sehr erfreulich, dass Guido Westerwelle nach neun Jahren späte Genugtuung widerfährt und seine Entscheidung, außenpolitisch nicht auf Sicht zu fahren, sich als richtig erwies. Ganz im Gegensatz zum größten „mistake“ von US-Präsident Barack Obama in seiner Amtszeit. Auf die Frage, was sein schlimmster Fehler gewesen sei, antwortete Obama dem Sender Fox News: „Wahrscheinlich, dass ich nicht für den Tag nach der Intervention in Libyen geplant habe, die mir damals als richtige Entscheidung erschien.“

Ohne die Auswirkungen auf eine Politik der Subsidiarität, der Eigenverantwortung, des Handels und des Wettbewerbs in Europa zu bedenken, hinterließ Lambsdorff mit seiner unbedachten Äußerung in der Brexitkampagne – der Austritt der Briten aus der Europäischen Union sei kein Horrorszenario – genauso Kopfschütteln wie mit seiner Feststellung, die Einwanderung aus einem Drittstaat in die sozialen Sicherungssysteme der EU-Mitgliedsländer gehöre zum unabdingbaren Bestandteil der garantierten Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Also zu den vier Grundfreiheiten, die der Vollendung des Binnenmarktes dienen sollen. Schon Jahre zuvor hielt er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, dass es ein Fehler war, das Mutterland des geistigen Liberalismus in die EU aufgenommen zu haben.

Die Verwendung von öffentlichen Mitteln, die er für die Ausstattung seines Büros vom Europaparlament erhielt, blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Denn er zahlte stattdessen lieber in einen privaten, in Luxemburg ansässigen Fonds ein, um seine Rente aufzubessern. Während die Grünen Cem Özdemir und Claudia Roth erklärten, die Zahlungen eingestellt zu haben, ging Graf L. auf Tauchstation. Eine Erklärung von ihm steht bis heute aus. Nicht nur dieses Beispiel offenbart eine Selbstbedienungsmentalität sowie entspannten Umgang mit öffentlichen Mitteln, die ihresgleichen sucht. So erhält er als stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion neben seinen Bezügen als Abgeordneter eine rechtlich höchst umstrittene zusätzliche Funktionszulage in Höhe einer halben Diät, also etwas über 5.000 Euro im Monat, ohne ordentliches Mitglied in einem der Fachausschüsse des Deutschen Bundestags zu sein.

Vor diesem Hintergrund dürfte die Zahlung der Zulage, die nach ständiger Rechtsprechung gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten verstößt, vor den obersten Verfassungsrichtern keinen Bestand haben. So hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung vom 21. Juli 2000 – 2 BvH 3/91 – damit begründet, dass „innerparlamentarische Einkommenshierarchien es erstrebenswert erscheinen lassen, parlamentarische Funktionen aus ökonomischen Gründen, unabhängig von individuellen politischen Intentionen und Kompetenzen zu übernehmen, auszuüben und gegenüber Konkurrenten zu behaupten.“

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Seine Mitgliedsbeiträge an die Gliederungen der Partei zahlte Lambsdorff erst nach mehrfacher Aufforderung. Mandatsträgerabgaben, die Abgeordnete normalerweise freiwillig an die Partei abführen, verspricht er durch das Einwerben von Spenden zu kompensieren. Auch abgeordnetenwatch.de weiß Anfang November 2018 zu berichten, dass er seit Verabschiedung der Transparenzregeln des Deutschen Bundestags der einzige Abgeordnete sei, der die Herkunft seiner nicht unerheblichen Honorare für Vorträge unter Verschluss halte. Erst Wochen später beugte er sich dem öffentlichen Druck und veröffentlichte die Namen der Geldgeber, mit denen er angeblich Verschwiegenheit vereinbart hatte. Warum er sich bei seiner Zusage zu den Vorträgen auf die Bedingung der Verschwiegenheit einließ, bleibt offen. Die Geldgeber bestritten mit Hinweis auf andere Vorträge von Gregor Gysi, Christian Lindner und Sahra Wagenknecht, jemals Stillschweigen über die Herkunft der Nebeneinkünfte gefordert zu haben. Honi soit qui mal y pense.

Was er als Pragmatismus bezeichnet, dürfte sich in Wirklichkeit eher zwischen einer impulsiven Beliebigkeit und einer perfiden Strategie der Eigennützigkeit bzw. Bereicherung bewegen. Schließlich musste EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den unbelehrbaren Grafen noch kurz vor seiner Wahl zum Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments ermahnen, seine Lobbytätigkeit für die von ihm mit ins Leben gerufene Organisation GESA, die vor allem von deutschen und europäischen Unternehmen aus dem Sicherheits- und Rüstungsbereich finanziert wurde, im Transparenzregister des Parlaments anzuzeigen. Sämtliche Webseiten von GESA sind mittlerweile nicht mehr abrufbar. Die Links wurden automatisch als defekt markiert.

Besonders bemerkenswert ist die Zielstrebigkeit und Dreistigkeit, mit der Alexander Graf Lambsdorff sich zum Handlanger der Interessen seiner eigenen Lobbyorganisation im EU-Parlament machte. So hat er gemeinsam mit Erika Mann (SPD) und Christian Ehler (CDU), beide ebenfalls Vorstandsmitglieder von GESA, bereits 2008 in einer schriftlichen Anfrage an die EU-Kommission wissen wollen, aus welchen Programmen Mittel für die Sicherheitsforschung bereit gestellt werden und welche Kooperationen mit Drittstaaten bestehen. Danach haben sich die Protagonisten der Sicherheitsfähigkeit der Europäischen Union, unter ihnen auch der geschäftstüchtige Graf Lambsdorff, im EU-Parlament aktiv für eine drastische Erhöhung der Mittel für das EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ und für den erleichterten Zugang der erwähnten Industrien zu Forschungssubventionen der EU eingesetzt.

Bei der Formulierung des FDP-Europawahlprogramms gelang es dem nebenberuflichen Sicherheitslobbyisten und Parlamentarier, seiner Partei einen Beschluss abzuringen, nach dem auch nach dem Brexit eine weitere Beteiligung des Vereinigten Königreichs an „Horizon 2020“ begrüßt wird. Bereits auf dem 68. ordentlichen Bundesparteitag der Freien Demokraten im April 2017 hatte er die Delegierten überfallartig damit überrascht, einem Änderungsantrag zuzustimmen, der forderte, die Ausgaben für Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik bis zum Jahr 2024 auf drei Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag mehr als die NATO-Staaten auf ihrem Gipfel in Wales 2014 beschlossen hatten.

Oder er warnt nach der Wahl seines Parteifreundes Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten davor, sich von „Faschisten“ wählen zu lassen. Das ist klassischer Jargon besonders linientreuer SED- und DKP-Funktionäre, für die er umgehend Applaus von linken und grünen Ausgrenzungsrhetorikern bekommt. Also ein Liberaler, der sich auf die Seite derjenigen schlägt, die sich à la Norbert Walter-Borjans und Saskia Eskens in der Tradition des Bundes der Antifaschisten (VVN/BdA) der 1970er Jahre sehen und den revolutionären Widerstand gegen das gesellschaftliche und wirtschaftliche System propagieren!

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Der deutsche Historiker Heinrich August Winkler warnt aus historischen Gründen ausdrücklich davor, den Begriff des Faschismus zu verwenden. Den erratisch handelnden Politiker Lambsdorff kümmert es wenig, dass der Begriff kontaminiert ist. Denn er lässt sich nicht auf die unmittelbare Nachkriegszeit begrenzen, in der sich auch Liberale, wie zum Beispiel der resolute Antikommunist Thomas Dehler, in antifaschistischen Bürgerkomitees engagierten. Die Entwicklungsphasen des Antifaschismus vor 1933 und nach Ende der 1960er Jahre können nicht einfach ausgeblendet werden. Er hat seinen Ursprung in der stalinistischen Diktatur und diente sozialistischen Regimen zur herrschaftspolitischen Legitimation. Dehler würde im Grab rotieren, würde man ihn in die Ecke der heutigen Antifaschisten stellen.

Einerseits biedert Lambsdorff sich verbal bei extremen Sozialdemagogen an, die den liberalen Rechtsstaat herausfordern, den antifaschistischen Kampf führen und behaupten, dass nur Linke, Grüne und die SPD auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Was konkret hat er als stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion unternommen, nachdem er bereits in der Fraktionssitzung acht Tage vor Kemmerichs Wahl von der Absicht erfuhr, dass dieser sich im thüringischen Landtag der Wahl stellen werde? Antwort: nichts. Noch nicht einmal zu Wort meldete er sich in der Sitzung nach Bekunden von Teilnehmern.

Warum auch, im EU-Parlament hatte er bereits vorexerziert, wie man hinter verschlossenen Türen mit Rechten paktiert. Andererseits nimmt er für sich selbst in Anspruch, gemeinsame Sache mit den Konservativen und Reformern (EKR) machen zu dürfen, in deren Reihen sich britische Brexit-Tories sowie die nationalkonservative und EU-skeptische PiS-Partei Polens befinden. Da ist es natürlich etwas völlig anderes, den ehemaligen Pressesprecher der rechtspopulistischen Forza Italia, Antonio Tajani, der auch gerne mal das Hohe Lied auf Benito Mussolini singt, zum Präsidenten des EU-Parlaments zu wählen, um sich seine eigene Vizepräsidentschaft zu sichern. Nur knapp entging Lambsdorff dabei einer schweren Niederlage. Erst im dritten Wahlgang wurde er mit relativer Mehrheit, dem viertschlechtesten Ergebnis aller 14 Vizepräsidenten und mit Unterstützung der extremen Rechten gewählt. Zweieinhalb Jahre später war es ihm der Kritik Wert, dass sich das „unbeschriebene Blatt“ Ursula von der Leyen von denselben Parteien zur Präsidentin der EU-Kommission wählen ließ, die Lambsdorff bei seiner Wahl unterstützten. Was dem Herrn geziemt, geziemt eben noch lange nicht der Dame.

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Oder er fingiert, an der Georgetown Universität zwei Arbeiten zur Erlangung seines Masters geschrieben zu haben. Auf Anfrage bestätigt die Universität, dass ihr keine Masterarbeit vorliege, sondern lediglich eine von Lambsdorff verfasste Zusammenfassung eines Vortrags des damaligen Leiters des Referats für die Beziehungen zu den USA der EU-Kommission, den dieser zum Thema „Barriers to Trade and Investment in the US“ am 25. Januar 1994 beim Institut für Europarecht in Saarbrücken gehalten habe. Eine schriftliche Arbeit sei zur Erlangung eines Master Degrees nicht erforderlich. Neuerdings spricht der Fulbright Stipendiat, dem jeglicher Leistungswille fremd ist, in seinem Lebenslauf nur noch ganz allgemein von zwei Masterarbeiten in Neuerer Geschichte und Foreign Service, ohne die Themen zu erwähnen. Beide Arbeiten liegen der Fulbright-Kommission nicht vor. In seiner Biographie auf der Webseite des Deutschen Bundestags findet sich neben seinem Geburtstag nur sein politischer, nicht aber sein schulischer und akademischer Werdegang. Kein Wunder also, dass er, auf seine Ausbildung angesprochen, mimikryartig die nicht geschützte Berufsbezeichnung Historiker verwendet, die keinerlei anerkannten Hochschulabschluss erfordert.

Auch mit seiner Ahnenforschung nimmt es der edle Möchtegern-Ritter nicht so genau – immer die in der Familie gepflegte Erinnerung an die vernichtende Schlacht gegen Saladin bei den Hörnern von Hattin (1187) im Hinterkopf. Den Mythos der Kreuzritter beschwörend, bezeichnet er sich selbst in der Debatte des Bundestags zum Migrationspakt als Sprössling von Migranten, da seine Vorfahren 1248 nach Tallinn ausgewandert seien. Fakt ist, dass Tallinn bis 1346 zur dänischen Krone gehörte. Deutsche Einwanderer durften nur als dänische Vasallen auf dem Land siedeln und mussten dem dänischen König absolute Loyalität zusichern. Die Ahnen des Grafen, die er selbstgefällig in der Gefolgschaft des 7. Hochmeisters des geistlichen Deutschen Ordens um Heinrich von Hohenlohe wähnt, zog es urkundlich nachweisbar erst über hundert Jahre später nach Juuru/Livland (Anmerkung: das Otto Graf Lambsdorff mit dem Autor dieses Beitrags ge- und besucht hat) und nicht nach Estland.

Verärgerung über ihren Vorsitzenden Lambsdorff macht sich auch bei Mitgliedern der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe breit. Des Grafen Vorgänger, Volker Beck von den Grünen, zeigte bei jedem antisemitischen Zwischenfall Flagge. Lambsdorff aber, der den Gaza Streifen im Süden Israels vermutet, erscheint in der Nahost-Politik eher überfordert, inflationär phrasenhaft und konzeptionslos. Meistens schweigt er. Auch am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz wirkt sein Gedenken ritualhaft, tausendfach plagiiert, copy and paste.

Im lebhaften gesellschaftlichen Diskurs über den politischen Philosophen Achill Mbembe, der sich gerne antisemitischer Stereotype bedient, zur internationalen Isolierung Israels aufruft und die Eröffnungsrede bei der Ruhrtriennale halten sollte, bezieht er keine Position und hält sich geflissentlich zurück. Man müsse Mbembes Äußerungen kritisch hinterfragen. Klartext spricht dagegen sein FDP-Kollege Benjamin Strasser, der unmissverständlich feststellt, dass eine Ausladung Mbembes bei der Ruhrtriennale dringend geboten gewesen wäre. Deutsche Staatsgelder dürften nicht dafür genutzt werden, um über Kunstfestivals Antisemitismus zu finanzieren. Der Auschwitz-Überlebende Marian Turski, einer der Redner bei der polnischen Gedenkveranstaltung, bringt es auf den Punkt: „Schweigen ist der Diener der Gewalt“. Prägnanter kann man es nicht formulieren. Wer Gedenktage als Pflichtübung ansieht, aus der keine Handlungsaufforderung erwächst, tut der Sache einen Bärendienst. Mehr als ein pflichtgemäßes „fürchterlich“ und, dass seine „Gedanken bei den Hinterbliebenen“ seien, kam dem Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe Lambsdorff nicht über die Lippen. Ernstgemeinte Anteilnahme sieht anders aus.

Lindner und Kemmerich
Mit zweierlei Maß
War Anfang April 2019 noch Israel wichtigstes Partnerland Deutschlands in der Region, so war es Anfang Juni 2019 für Lambsdorff auf einmal Jordanien. Was diesen Sinneswandel verursacht haben könnte, bleibt sein Geheimnis. Die Teilnehmer einer Veranstaltung über Lösungsmöglichkeiten des Nahostkonflikts, die einen Tag nach dem rechtsextremen Terrorakt in Halle stattfand, lässt er irritiert zurück, als er die Schaffung eines bi-kantonalen Staats in die Diskussion einbrachte. Ein Vorschlag, der wegen der demographischen Entwicklung auch gerne von führenden Vertretern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in den 80er Jahren, also in der Vor-Oslozeit diskutiert wurde. Dabei war er sich ganz offensichtlich nicht der Konsequenzen auf das Existenzrecht Israels im Klaren. Kein Wunder, dass die Teilnehmer sich noch lange nach der Veranstaltung über den „Schmonzes“ unterhielten und sich die Frage stellten, ob die FDP zuverlässig für die Zweistaatenlösung und das Existenzrecht Israels stehe.

Vor allem die Anträge gegen die antisemitische Boykott-Bewegung und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung in den Vereinten Nationen sind ihm nach eigenem Bekunden ein Dorn im Auge. „Ich sehe dunkle Wolken auf die FDP zuziehen“, sagt Lambsdorff wegen eines negativen Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum BDS-Beschluss des Deutschen Bundestags bei einem Treffen der NRW-Abgeordneten auf der privaten Terrasse von FDP-Chef Lindner.
Vollkommen aus der Luft gegriffen war seine trügerische Warnung, Israel dürfe nicht zum Gegenstand eines „parteipolitischen Wettlaufs“ im Bundestag werden. In hellseherischer Weise verdunkelte sich der Himmel noch in Monatsfrist. Ausgerechnet ein befreundeter Spiegel-Journalist aus gemeinsamen Brüsseler Tagen bringt Alas Orakel zu Papier und wirft zwei pro-israelischen Vereinen vor, mit fragwürdigen Methoden Einfluss auf Parlamentarier genommen zu haben. Wer der Abgeordnete ist, der von einer „systematischen Einflussnahme“ spricht, lässt der Autor offen.

Bedenkenlos und frei von jeglicher Rationalität, benennt ausgerechnet Lambsdorff als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe einen Fraktionskollegen in den Beirat der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, die sich selbst als die zentrale palästinensische Organisation in Deutschland bezeichnet, die gemeinsam mit linken Solidaritätsgruppen nicht nur den Boykott Israels fördert und fordert, sondern auch grundsätzlich den Dialog mit Israel verweigert. Die CDU will sich nicht ohne Grund von dieser Organisation vereinnahmen lassen und hat deshalb auch keinen Vertreter in den Beirat entsandt.

Wenn es seiner persönlichen Karriere dient, unterstützt Lambsdorff auch schon einmal eine mit einem Einreiseverbot nach Israel belegte Aktivistin des Kuratoriums des Council for European Palestinian Relations – eine der terroristischen Hamas und der Muslimbruderschaft nahestehende Organisation. Über die Wahl der in Somalia geborenen amerikanischen Kongressabgeordneten Ilhan Omar, die immer wieder wegen ihres ausgeprägten Antisemitismus für Schlagzeilen sorgt, freut er sich und teilt seinen Followern auf Twitter mit, wie frei, mutig, tolerant und inspirierend ihre Wahl doch sei.

Das Atom-Abkommen mit dem Iran assoziierte er in einem vollkommen misslungenen Versuch des von ihm allzu gerne geübten politischen Framings mit „mehr Sicherheit im Mittleren Osten, ja sogar in der ganzen Welt“. Wider besseres Wissen behauptete er, der Iran habe sich mit seiner Unterschrift zu einer umfassenden Unterwerfung unter das Inspektionsregime der IAEO bereit erklärt. Dabei war ihm von einem Vertrauten bekannt, dass den Inspekteuren, wie dies bei Überprüfungsmechanismen grundsätzlich der Fall ist, nicht jederzeit und allerorts der Zutritt zu nuklearen Einrichtungen zugebilligt wurde. Keine Rückfragen zu den atomaren Aktivitäten im militärischen Komplex Parchin, keine Rückfragen zum geheimen Zusatzabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, keine Rückfragen zur Proliferation von Trägersystemen aus Nordkorea!

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In der FDP-Bundestagsfraktion konnte er sich mit seiner bedingungslosen Unterstützung des Mullah-Regimes in Teheran nicht durchsetzen und musste letztlich eingestehen, dass weitreichendere Inspektionen der Internationalen Atomenergie Organisation notwendig sind. Nach der Aufkündigung des Abkommens durch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump sucht Lambsdorff orientierungslos „eine klare und nüchterne Distanz zu beiden Seiten“, also dem Verbündeten USA einerseits und dem iranischen Terrorregime andererseits!

Im Grunde ungeheuerlich, die beiden Länder nur wegen einer billigen Schlagzeile auf eine Stufe zu stellen. Den fundamentalen Unterschied sollte er als Liberaler nicht leichtfertig ignorieren. Den durch eine amerikanische Drohne in der irakischen Hauptstadt getöteten iranischen Topterroristen Qasem Soleimani bezeichnet Lambsdorff pauschalisierend als „eine Art Popstar des Terrors im Iran“, was zweifellos für die Mitglieder der Pasdaran vor allem der Al Quds Brigade gelten mag, aber keinesfalls für die weit überwältigende Mehrheit der Bevölkerung. Für die Titulierung des weltweit aktiven Terroristen als „diplomatische und politische Figur“ erntete er massiven Widerspruch von seinen Kollegen der Bundestagsfraktion. Einen Tag später musste er nach einem Rüffel der Fraktionsführung schließlich einlenken und nannte fortan den tausendfachen Mörder Soleimani einen „Terrorist in Uniform“.

Von einem Bundestagsabgeordneten, der seit mehr als sechzehn Jahren in politischer Verantwortung steht, könnte man eigentlich erwarten, dass er sich vor einer Stellungnahme über die innenpolitische Lage, vor allem über die kulturellen Hintergründe eines Landes kundig macht. Zumindest müsste er nach so langer Zeit gelernt haben, dass schon der Versuch, einer von archaischen Traditionen und patriarchalischen Clan-Strukturen durchdrungenen Welt sein eigenes Verständnis von Politik aufzuoktroyieren, ohne ein eindeutiges Bekenntnis der politischen und religiösen Elite des Landes, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muss. Realitäten lassen sich nicht ausblenden, gerade Liberale sollten sich ihnen stellen. Dazu zählt dann auch das Eingeständnis, dass die EU-Clearingstelle zur Unterstützung der Handelsbeziehungen mit dem Iran (Instex) nicht die gewünschte Wirkung gezeigt und bisher kein einziges europäisches Unternehmen auf die Hilfe der Zahlungssystems zurückgegriffen hat.

Nach der Ermordung des saudisch-arabischen Journalisten Jamal Ahmad Khashoggi mahnt Lambsdorff zur Zurückhaltung gegenüber dem Staat der Wahhabisten, der auch deutsche Rüstungstechnologie für See-, Land- und Luftoperationen im Jemen-Krieg einsetzt. Im EU-Parlament stimmte er 2013 der Einstufung des militärischen Arms der libanesischen Hisbollah als Terrororganisation zu, die Seite an Seite mit den iranischen Revolutionsgarden in Syrien kämpfen und den Staat Israel in seiner Existenz zunehmend bedrohen. Sein Kollege, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Bijan Djir-Sarai, hat dagegen die aufkommende Gefahr erkannt und stellt fest, dass die Unterscheidung in einen militärischen und einen politischen Arm falsch sei, da es nur eine Organisation Hisbollah gebe. In der Tat hat sich die ursprüngliche Miliz, Anfang der 80er Jahre von den iranischen Revolutionsgraden gegründet, schon längst zu einer der höchstgerüsteten Armeen der Welt entwickelt. Folgerichtig haben die USA, Kanada, die Niederlande und sogar die Arabische Liga entschieden, Hisbollah in ihrer Gesamtheit als Terrororganisation einzustufen.

Lambsdorff aber zeigt sich guten Argumenten nicht zugänglich. Von seinen außenpolitischen Freiheitsfreunden in der Fraktion fordert er nur eins: Gehorsam. Dabei blendet der auf seine Art grandiose, wenig empathische und machtbesessene Darth Sidious der FDP vollkommen aus, dass er selbst es ist, der mit seinem unkooperativen und sprunghaften Führungsstil nur eins bewirkt: Zweifel an seiner Redlichkeit.

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Den beiden Anträgen, die von Fraktionskollegen zur Hisbollah und zur palästinensischen Flüchtlingsorganisation UNRWA schon vor Monaten erarbeitet wurden, verweigerte er uneinsichtig seine Zustimmung mit dem Hinweis, in nächster Zeit keine weiteren pro-israelischen Anträge zuzulassen. Den Initiatoren unterstellte er, Handlanger des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu zu sein, die Parteipolitik auf dem Rücken Israels machen wollten. Verschweigen tut er aber dabei, dass sich auch die Oppositionsparteien in Israel kritisch zu UNRWA und Hisbollah positioniert haben. Wie aus Fraktionskreisen zu vernehmen ist, gab es in einer Anhörung der Fraktion zum Thema Hisbollah nur einen einzigen Experten, und zwar den von Lambsdorff benannten, der sich gegen ein generelles Verbot von Hisbollah aussprach. Dank der Jungen Liberalen gelang es schließlich, einen Beschluss des FDP-Bundesvorstands herbeizuführen und Lambsdorffs unstimmiger Verhinderungspolitik ein Ende zu bereiten. Als der Spiegel mit der Falschmeldung aufwartete, die Bundesregierung beabsichtige, die Hisbollah insgesamt als Terrororganisation einzustufen, stellte er sich dann, ohne den Wahrheitsgehalt der Meldung geprüft zu haben, an die Spitze der Bewegung und merkte süffisant an, der Druck des Bundestags habe Wirkung gezeigt. Peinlich, dass ausgerechnet er nicht zu denjenigen gehörte, die Druck ausübten und die Bundesregierung zum Zeitpunkt seiner Stellungnahme die Meldung bereits dementiert hatte.

Genauso dilettantisch und unentschlossen zeigte sich Gewohnheitsumfaller Lambsdorff auch in seinen Stellungnahmen zum Syrienkonflikt nach der türkischen Invasion im Norden des umkämpften Landes. In mehreren Kehrtwenden sprach er sich zunächst gegen eine Schutzzone aus, zeigte sich dann für eine international kontrollierte Schutzzone offen. Fiel dann in seiner typischen Weitschweifigkeit und diplomatischen Unverbindlichkeit wieder umgehend in die Oppositionsrolle und bezeichnete wenige Tage später die inhaltsgleiche Forderung der Bundesverteidigungsministerin als unausgegoren. Nicht verwunderlich also, dass er in seiner Rede zum Antrag der FDP-Bundestagsfraktion „Missbilligung von Äußerungen und Amtsführung des Bundesministers des Auswärtigen“ nicht etwa inhaltliche, sondern lediglich zeitliche und handwerkliche Verfehlungen am Vorstoß der Verteidigungsministerin vorbringen konnte. Zeichnete sich sein Onkel Otto durch Prägnanz, Standhaftigkeit und Weitblick aus, so zeigt sich sein Neffe als das genaue Gegenstück: impulsartig, widersprüchlich, vage und kurzsichtig.

Spricht die ganze Welt davon, den INF-Vertrag nach seiner Kündigung auch um andere Länder zu erweitern, die im Besitz landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen sind und nunmehr auch see- und luftgestützte Waffen in einen neuen Vertrag aufzunehmen, wartet der redegewandte, aber bei komplexen Zusammenhängen oftmals kleinmütig und uninformiert wirkende Lambsdorff mit einem unkonventionellen Vorschlag auf. Er fordert „regionale Rüstungskontrollvereinbarungen, wie beispielsweise ein Stationierungsverbot von landgestützten Mittelstreckenraketen in einer bestimmten Entfernung von europäischen Zielen“. Was versteht er unter regionalen Rüstungskontrollvereinbarungen, wer soll sie schließen, wer soll sie kontrollieren, welche Ziele sind gemeint (Bonn, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Berlin, München, Stuttgart, Rostock, Dresden, Hannover)? Das alles scheint wenig durchdacht, wird den Herausforderungen und den Bedrohungen nicht gerecht, lässt die NATO vollkommen außen vor und berücksichtigt in keiner Weise technologische Entwicklungen. Es ist ausgesprochen wohltuend, wesentlich fundiertere Stellungnahmen von anderen FDP-Außenpolitikern zu lesen.

Jeglicher Grundlage entbehrte auch seine Wahrnehmung in der Flüchtlingskrise 2015. Obwohl es bereits 2015 Hinweise der Sicherheitsdienste gab, stellte er in einem Beitrag im Handelsblatt die Frage auf, ob sich IS-Kämpfer unter Flüchtlinge mischten, grundsätzlich fest, dies sei „populistische Angstmache“. Heute wissen wir, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den letzten fünf Jahren rund 5.000 Hinweise auf Straftaten nach dem Völkerstrafrecht an das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt weitergab. Die Dunkelziffer wird noch viel höher sein.

Mitfühlender Liberalismus ist für Lambsdorff ein Fremdwort. Einer alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern, die jeden Monat Angst hat, mit ihrem Geld nicht auszukommen, rät er im Frühstücksfernsehen, ohne jegliches Einfühlungsvermögen in weniger begüterte Lebenswelten, eine Eigentumswohnung zu kaufen. Die FDP wolle Immobilienerwerber von der Grunderwerbssteuer befreien und den Spitzensteuersatz senken. Von einem gewählten Mandatsträger kann man erwarten, dass er die Wirklichkeit nicht verdrängt und weiß, wie schlecht die finanzielle Situation von Alleinerziehenden in Deutschland ist. Denn ein Drittel von ihnen lebt armutsgefährdet.

In einem Wahlkampfauftritt in Bruchsal will er einen fragenden Journalisten allen Ernstes glauben machen, dass in nordrhein-westfälischen Schulen kein Putz mehr von den Wänden falle und die Toiletten funktionierten, weil die FDP die Schulministerin stelle, die gerade einmal neun Monate im Amt war. Während andere Politiker schon über Rettungspakete für Griechenland verhandeln, fordert er deutsche Touristen auf, zur Rettung des Landes häufiger dort Urlaub zu machen. Griechenland brauche Wirtschaftswachstum, die Finanzkrise sei, wie er in einem Interview des Deutschlandfunks sagte, nicht etwa auf die Verschuldungspolitik der griechischen Regierung, sondern „auf Marktversagen“ zurückzuführen. Damit bewegt er sich argumentativ verdächtig nahe an der dogmatischen Linken um Gesine Lötzsch, die freiheitliche Politik gerne als neoliberale Ideologie bezeichnet und die griechische Finanzkrise als Beispiel nimmt, dass wir uns „den Kapitalismus nicht leisten können.“

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Blaues Auge statt Befreiungsschlag
Bedenken seiner Partei zum Trotz verteidigt er die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Auch bei der Verabschiedung des zwischen den damaligen Koalitionären umstrittenen ACTA-Abkommens zum Schutz von Urheberrechten, das von der FDP-Führung wegen Einschränkung der Informationsfreiheit im Internet abgelehnt wurde, fiel Lambsdorff seiner Partei in schwierigen Zeiten in den Rücken. Er enthielt sich im EU-Parlament der Stimme.
Während sich seine Partei in Berlin in der Folge der griechischen Finanzkrise vehement gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden der Mitgliedsländer aussprach, unterstützte er, uneingeschränkt und ohne die verfassungsrechtlich gebotene haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags zu bedenken, den Vorschlag der ALDE-Fraktion im EU-Parlament zur Einführung von Eurobonds. Von der Zustimmung zur EU-Richtlinie zur Verwendung von Fluggastdaten konnte er nur durch hartnäckigen Protest der Jungen Liberalen abgebracht werden. Seine persönliche Koalitionsaussage im Bundestagswahlkampf, nach der „die Herausforderungen der Zukunft nur sozialliberal gelöst werden können“, wurde in der Partei hinter vorgehaltener Hand als Ausdruck akuter Überforderung bewertet.

Dem Alltag entrückt flieht Lambsdorff als Inbegriff eines engstirnigen Bürokraten in eine andere, utopische Welt, in der nicht zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem unterschieden wird – wie ein Wandler zwischen zwei unvereinbaren Welten. Dabei blendet er vollkommen aus, dass die Zeiten des Herrschaftswissens schon lange vorbei sind. Instinktiv auf die Kommentierung von Tagesereignissen fixiert, geht der Blick auf die großen politischen Themen verloren. Besonders gerne arbeitet er sich an Personen ab. Um einen politischen Wettbewerber in Misskredit zu bringen, fordert er ihn reflexhaft zu einem Tun oder Unterlassen auf, ohne selbst Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Seine beliebte Methode ist es, Kritik zu üben, um dann im selben Interview seine eigene Kritik ad absurdum zu führen.

Schauen wir uns ein konkretes Beispiel seiner oftmals ambivalenten Argumentation an. In der Auseinandersetzung um die von der EU-Kommission angekündigten Auflagen für genehmigungspflichtige Lufthansa-Staatshilfen infolge der Corona-Pandemie fordert er zurecht, dass die Fluggesellschaft nicht noch zusätzlich geschwächt werden dürfe. Im nächsten Satz rechtfertigt er aber dann die EU-Auflagen und bezeichnet diese als „vollkommen normal, wenn der Staat bei einem Unternehmen einsteigt“. Wie soll ein geneigter FDP-Wähler auf solche wunderlichen Wirrungen und Widersprüche reagieren? Der eine oder andere wird sich im Wiederholungsfall abwenden. Besonders Wohlwollende stellen sich bestenfalls die Frage, ob diese Auflagen wirklich normal sind, wie von ihm behauptet. Nein, für Air France/KLM, für die Staatshilfen in derselben Höhe genehmigt wurden, gab es keinerlei Auflagen. Jeder kritische Liberale hätte sofort die nächste Frage angefügt. Warum misst die EU-Kommission mit zweierlei Maß? Schon wäre er einer freiheitlichen Antwort einen Schritt näher. Wer einen innovativen Plan für eine Fluggesellschaft der Zukunft präsentiert, der braucht keine Auflagen der EU-Kommission zu fürchten. Also: Modernisierung der Flotte, Reduzierung des CO2 Ausstoßes, zügiger Neubau von Schnellzugstrecken mit getrennten Trassen von Personen- und Güterverkehren.

Genau diese Antworten bleibt Lambsdorff aber dauerhaft schuldig. Eindringlich muss der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten, Christian Lindner, ihn immer wieder ermahnen, in Interviews zu erwähnen, welche „Position wir als Freie Demokraten“ vertreten. Wo aber sind die parlamentarischen Initiativen des Außenpolitikers Lambsdorff? Bis auf 19 individuelle schriftliche Anfragen an die EU-Kommission in seiner dreizehnjährigen Zugehörigkeit zum EU-Parlament ist wenig zu vermerken.

Wo bleiben seine Zukunftspläne für eine gemeinsame Sicherheitsordnung von Lissabon bis Wladiwostok und darüber hinaus? Wo bleibt sein Verständnis dafür, dass die Welt sich in den letzten zwanzig Jahren gravierend verändert hat und sein eindimensionales Weltbild schon längst von multipolaren Entwicklungen abgelöst wurde? Wo bleiben seine Vorschläge zur Überwindung einer in die Tage gekommenen Nachkriegsordnung, in die neue Player eingebunden werden können, in der sich die Vereinten Nationen mehr mit Krisenprävention und weniger mit Krisenmanagement beschäftigen? Wie will er als Liberaler nach der Corona-Pandemie zunehmenden isolationistischen, protektionistischen und autoritären Tendenzen begegnen? Welche Maßnahmen will er gegen die Fliehkräfte innerhalb der Europäischen Union ergreifen?

Illiberal
Die FDP hat ein Problem mit der Pressefreiheit
Seine Floskel vom Europa der zwei Geschwindigkeiten wird diese Entwicklung eher begünstigen, statt sie einzudämmen. Sich nahezu uneingeschränkt, mit Ausnahme der Schaffung eines zusätzlichen Eurozonen-Budgets, hinter Emmanuel Macrons EU-Vision zu verstecken, wird nicht reichen. Wie kann eine neue Finanzarchitektur der Europäischen Union aussehen? Wie stellt er sich die parlamentarische Kontrolle einer europäischen Armee vor? Was hält er von Präsident Macrons Vorschlag zur weitgehenden Konvergenz der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik? Zum Beispiel von der Einführung eines europäischen Kurzarbeitergelds, das durch die Ausgabe einer europäischen Anleihe den Weg in eine europäische Schuldenunion öffnet und auf dem Verordnungsweg ohne Ratifizierung durch nationale Parlamente eingeführt werden soll?

Seine bisherigen Einlassungen lassen den Schluss zu, dass er als Liberaler bereit ist, die fortschreitende Selbstermächtigung des Europäischen Gerichtshofs zu dulden, vielmehr noch Sekundärrecht uneingeschränkten Anwendungsvorrang vor nationalem Verfassungsrecht einzuräumen, trotz des in den EU-Verträgen normierten Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung. Dabei interessiert es ihn weder, ob Gemeinschaftsorgane ihren Kompetenzrahmen überschritten haben, noch dass auch nach den EU-Verträgen Transferleistungen nur in Notfällen, unter klar definierten Voraussetzungen, aber keinesfalls dauerhaft gewährt werden dürfen. Kein Wunder also, dass er sich bei der weitreichenden Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) einen Seitenhieb nicht verkneifen kann und an das Gericht appelliert, einmal kritisch zu hinterfragen, wie sinnvoll es ist, die Rechtsgemeinschaft der Europäischen Union in Frage zu stellen, was das Gericht in keiner Weise gemacht hat. Der von ihm unterstellte absolute Vorrang von Gemeinschaftsrecht hat aus gutem Grund nie Einzug in das Vertragswerk der Europäischen Union gefunden. Im Gegenteil, der Vertrag von Lissabon stellt ausdrücklich fest, dass die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben und alle der Union in den Verträgen nicht übertragenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben.

Sein Fraktionskollege, der Finanzpolitiker Florian Toncar, dagegen setzt genau da an, wo man als Liberaler ansetzen muss. Er ergeht sich nicht in Richterschelte, sondern begrüßt das Urteil ausdrücklich, da es eine stabilitätsorientierte Geldpolitik stärke. Man müsse das Bundesverfassungsgericht nicht nur in Schutz nehmen vor Vereinnahmungsversuchen von rechts außen, sondern auch vor falschen Unterstellungen, dass da eine antieuropäische Agenda verfolgt werde. Toncar weiß die weit überwiegende Mehrheit der FDP-Bundestagsfraktion hinter sich.

Geradezu impertinent und aufgeblasen hingegen muteten bereits Lambsdorffs öffentliche Einlassungen zum dritten Rettungspaket für Griechenland an. Er erklärte es lautstark, die Urteilsfähigkeit der obersten deutschen Richter bezweifelnd, für „rechtswidrig und unwirksam“, obwohl er sich bei der Abstimmung im EU-Parlament der Stimme enthielt. Eine fundamentale Neuausrichtung der Politik in Stil und Substanz, die für das 21. Jahrhundert nur von den Liberalen formuliert werden kann, ist von ihm, der sich vollkommen von der Politik seines Onkels Otto abwendet, nicht zu erwarten.

Der faktenfreie Rabulist Lambsdorff, der Deutschland in seiner Rede zum Bundeshaushalt 2019 zehn Jahre nach Verlust des Titels immer noch als Exportweltmeister sieht – und dabei Leistungsbilanz und Exporte verwechselt – hat den Bezug zur Realität, zum verfassungsrechtlichen Rahmen und zum Bürgerwillen längst verloren. Den Politikstil von vorgestern pflegend ist er ein typischer Vertreter einer zur Hybris neigenden Generation von Politikern, die sich an liebgewordene Gewohnheiten klammern und nicht am politischen Dialog interessiert sind. Sie wollen wie Klinkenputzer mantrahaft ihre politischen Vorstellungen an den Mann bringen. Im Denken der 90er Jahre behaftet, weigert er sich mit allen Mitteln zur Kenntnis zu nehmen, dass im Zeitalter der Digitalisierung die Mechanismen der Bonner politischen Klasse auf Dauer nicht mehr funktionieren. Dabei scheut er nicht, Wähler wie Parteifreunde auf eine falsche Fährte zu setzen.

Immer häufiger müssen sich politisch Andersdenkende herablassend als „politische Amateure“ oder der „intellektuellen Faulheit“ bezichtigen lassen, wie bei seinem gescheiterten Versuch, eine Mehrheit für die Wiederwahl seines Klassenkameraden und CDU-Amtsinhabers für das Bürgermeisteramt der Stadt Bonn zu organisieren, obwohl dessen Bilanz allgemein als äußerst dürftig bewertet wird und sich gegen ihn noch vor der Kommunalwahl eine rechtliche Auseinandersetzung mit möglicher Haftung in Millionenhöhe am Horizont abzeichnet.

Wer nicht steht – fällt
FDP-Krise: Jetzt sind beide Augen blau
Eine immer wieder bewährte Methode ist es, über die Regelungswut europäischer Institutionen zu schimpfen. Das tut der Europazentralist Lambsdorff auch gerne, vor allem in Wahlkampfzeiten. „Noch ein Glühbirnenverbot möchte ich in meiner Zeit im Europäischen Parlament nicht haben“, sagte er zu Ende seiner Amtszeit in Brüssel noch schnell ins Mikrophon eines Fernsehsenders, verabschiedete sich ins Parlament und ließ den Beschluss zum Röstungsgrad des Kaffees und Bräunungsgrad der Fritten unwidersprochen passieren. Dem Glühbirnenverbot hatte die liberale ALDE-Fraktion, was er verschweigt, zugestimmt. Seit seiner Zustimmung zur Verordnung 509/2006 wissen wir, dass der Bäcker einer Pizza Napoletana die belegte Pizza mit Hilfe von etwas Mehl mit einer Drehbewegung auf einen Holz- oder Aluminiumschieber schiebt und sie dann mit einer meisterlichen Bewegung des Handgelenks auf den Ofenboden gleiten lässt, ohne dass der Belag überschwappt.

Wenn er heute in öffentlichen Vorträgen über das „von den Grünen verursachte absehbare Chaos“ bei der Verabschiedung der Dieselgrenzwerte im EU-Parlament oder das „Bürokratiemonster“ der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) lästert, setzt er auf die Vergesslichkeit seiner Zuhörer, denkt aber nicht daran, dass im Zeitalter elektronischer Medien nur ein Mausklick genügt, sein eigenes Abstimmungsverhalten in Sekundenschnelle zu überprüfen. Natürlich hatte er sowohl der DSGVO als auch den willkürlichen Dieselgrenzwerten zugestimmt.

Auch wenn ein großer Name verpflichtet, so ist er alleine eben doch nicht immer Programm. Nicht verwunderlich, dass ihn bei der letzten Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion im Oktober 2019 lediglich 60,56 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen im Amt bestätigten, mit dem weitaus schlechtesten Ergebnis aller Bewerber für eine Funktion im Vorstand. „Vielen Abgeordneten“, schreibt der ehemalige Korrespondent der FOCUS-Parlamentsredaktion Olaf Opitz in Tichys Einblick, „erscheint Alexander nur noch als linker Schatten seines Onkels Otto.“ So sehr Eloquenz und Jovialität in der Politik zu schätzen sind, sie sind auf Dauer kein Ersatz für politische Virtuosität, Substanz, Aufrichtigkeit und Redlichkeit. Wie sein Wahlergebnis zeigt, ist er mittlerweile, jedenfalls in der Bundestagsfraktion, durchschaut und weitgehend isoliert. Lambsdorff zu heißen ist kein Privileg, sondern vielmehr eine Verpflichtung. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis das auch von seiner Parteibasis in Bonn erkannt wird.


Walter Klitz war Leiter der Auslandsbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Tallinn, Washington D.C., Seoul und Jerusalem sowie langjähriger enger Mitarbeiter von Otto Graf Lambsdorff.

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