„Es gilt (…), alle Kräfte darauf zu konzentrieren, eine Inflation zu verhüten und jedes schuldhafte Verhalten, das zu einer inflationistischen Entwicklung führen könnte, vor der gesamten Öffentlichkeit zu brandmarken und dadurch zu verhindern. Die Inflation kommt nicht über uns als Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ Das Zitat stammt von Ludwig Erhard (1897–1977), von 1949 bis 1963 Wirtschaftsminister und von 1963 bis 1966 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
War die Inflation für die Menschen in den Jahren vor der aktuellen Krise noch eher abstrakter Natur und „nur“ in den sogenannten Vermögensgüterpreisen (Aktien, Immobilien, Edelmetalle, Ackerland usw.) spürbar, so sehen wir nun auf breiter Front ein signifikantes Ansteigen der Preise.
Das einzige Mandat der Europäischen Zentralbank ist formal gesehen weder die monetäre Staatsfinanzierung noch sind es klimapolitische Themen, sondern nach wie vor die Geldwertstabilität. Selbige ist geknüpft an eine Zielinflationsrate von jährlich 2 Prozent, gemessen in Konsumgüterpreisen, ohne jedoch jemals empirisch einwandfrei belegt zu haben, wie diese Rate durch eine zentralistische Geldpolitik exakt erreichbar wäre.
Als Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie widerstrebt es mir, genaue Prognosen abzugeben. Die endgültige Inflation zum Jahresende 2022 hängt von vielen handelnden Menschen, Millionen von agierenden Wirtschaftssubjekten, insbesondere der Geldproduktion, der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und vielen weiteren Faktoren ab. Insofern mahne ich an der Stelle zur Vorsicht, was die Treffgenauigkeit von Prognosen angeht. Ein wenig mehr Bescheidenheit würde vielen Prognostizierenden gut zu Gesicht stehen.
Dennoch möchte ich mein wahrscheinlichstes Szenario in Bezug auf die Inflationserwartung darstellen und dieses auch begründen. Per Dezember 2021 wurde vom Statistischen Bundesamt eine Konsumgüterpreisinflation von 5,3 Prozent im Vergleich zum Dezember 2020 angegeben. Dieses Niveau ist eher die untere Bandbreite dessen, was ich als Basisszenario für 2022 erwarte. Auf breiter Front sehen wir steigende Preise für Rohstoffe, Verpackungsmaterialien, für Vorprodukte, für Importware und so weiter. Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind im Dezember 2021 im Vergleich zum Vorjahr laut Statistischem Bundesamt um 22,1 Prozent im Preis gestiegen. Diese Steigerungsraten werden auf die Verkaufspreise im Einzelhandel aufgeschlagen.
Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von schrittweise steigenden Inflationsraten ausgehen können, weil die Inflationsraten früher oder später der Geldproduktion folgen, und selbige gleicht immer mehr einer Exponentialfunktion. Der ehemalige Bundesbankpräsident Ottmar Emminger sagte einst, „wer mit der Inflation flirtet, wird von ihr geheiratet“. Wenn man die Thematik rückblickend betrachtet, so fand die Eheschließung mit der Inflation wohl schon einige Jahre vor der Eurokrise statt.
Geld entsteht im heutigen Geldsystem durch Kreditvergabe, welche sowohl durch die Geschäftsbanken als auch durch die Zentralbanken vollzogen wird. Die Geldmenge in der Eurozone, bezogen auf das Geldmengenaggregat M3, stieg seit Jahresbeginn 2020 gemäß offizieller Zahlen um etwa 18 bis 19 Prozent. Das Wachstum der Geldmenge M3 wäre nach meiner Definition wesentlich besser als Gradmesser für die Inflation geeignet als der mehr oder minder subjektiv zusammengestellte Warenkorb des Konsumgüterpreisindex.
Die gestiegene Geldmenge wird früher oder später in verschiedenen Märkten nachfragewirksam und führt zu einer Verknappung des Angebots an Gütern, die Preise steigen. Die Befürworter des aktuellen Geldsystems vertreten die Ansicht, dass die Geldmenge parallel zur Wirtschaftsleistung wachsen sollte, damit die Wirtschaft mit ausreichend Liquidität versorgt ist. Durch die Maßnahmen um die Eurokrise hat sich das Wachstum der Geldmenge M3 nun mittlerweile signifikant von dem Wachstum der Wirtschaftsleistung entkoppelt (siehe nachfolgende Grafik).
Durch die aktuelle Krise und die durch die Lockdown-Politik bedingte Lieferkettenproblematik geht das Angebot von Waren, Gütern und Dienstleistungen, also somit die Wirtschaftsleistung zurück. Die wachsende Geldmenge kann folglich nicht mehr durch die parallel steigende Wirtschaftsleistung absorbiert werden, sondern durch steigende Preise.
Der Zusammenhang zwischen Geldmengenausweitungen und Preissteigerungen in nahezu allen Märkten liegt auf der Hand und sollte deutlich geworden sein. Die Kommunikationspolitik der zentralbanknahen und staatsnahen Ökonomen mit Verweis auf vorübergehende Entwicklungen soll die Bürger beruhigen. Die Tatsachen und die empirische Datenlage stehen diesen Aussagen jedoch diametral entgegen.
Die aktuelle Lage um das Virus und die Finanzmittel, die notwendig sind, um die Auswirkungen der politischen Maßnahmen zu bezahlen, werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Staatschulden und damit die Geldmenge weiterhin sehr dynamisch steigen lassen. Mit jedem Euro neuer Staatsverschuldung steigt die Geldmenge und die Kaufkraft der Einkommen und Geldwerte auf den Konten der Menschen wird sukzessive bzw. mittlerweile sehr dynamisch herabgesetzt.
Von 1999 bis 2020 ist laut Daten von Tradingeconomics die Geldmenge M3 in der Eurozone um ca. 211 Prozent (von 4.667 Milliarden Euro auf 14.521 Milliarden Euro) gestiegen. Die durchschnittlichen Jahresnettolöhne (ledig und kinderlos) sind gemäß Berechnungen von Statista im identischen Zeitraum um knapp 56 Prozent (von 15.400 Euro auf 24.000 Euro) gestiegen. Die Wirkungsgrade der Arbeitseinkommen wurden, wie an dem Beispiel deutlich geworden ist, durch die Ausweitung der Geldmenge massiv reduziert, was eine soziale Ungerechtigkeit sondergleichen darstellt.
Die eigene Bildung und auch die Bildung der eigenen Kinder stellt ebenfalls eine elementare Säule zum Schutz gegen Inflation und in Richtung persönlicher und finanzieller Unabhängigkeit dar. Der Sachwert Bildung ist zudem sehr gut geschützt und sicher vor Finanzrepressionen und anderen staatsinterventionistischen Maßnahmen.
Unternehmer sehen sich, anders als Privatpersonen, in einer deutlich undurchsichtigeren Lage. Gerade die steigenden Energiepreise treiben in den Produktionsbetrieben die Kosten in die Höhe. Auch stetig steigende Preise für Rohstoffe, für Vorprodukte, unfertige Erzeugnisse und Importware stellen Kostentreiber dar.
Die Preisdurchsetzungsmacht der kleinen und mittelständischen Unternehmen ist nicht vorhanden. Die gestiegenen Kosten können also nicht unmittelbar auf die Verkaufspreise aufgeschlagen werden und somit schwindet die Gewinnmarge, oder die Unternehmen landen gar in defizitärem Bereich. Viele Vor- und Importprodukte sind aufgrund der Lieferkettenproblematik gar nicht verfügbar, und die Preisschwankungen haben eine seriöse Kalkulationsgrundlage unmöglich gemacht. Die Rechenfunktion des Geldes ist nicht mehr gegeben, eine nicht widerlegbare Folge der Geldplanwirtschaft.
Der Mittelstand ist besonders in seiner Existenz bedroht. Viele Arbeitsplätze sind in Gefahr. Die Schutzmaßnahmen sind begrenzt. Viele Unternehmen können auf Effizienzsteigerungen durch die Digitalisierung setzen, neue Nischenprodukte entwickeln oder aber verfügbare Rohstoffe und Vorprodukte in großen Mengen und bei entsprechender Lagerkapazität und verfügbarer Liquidität kaufen. Die Vernetzung mit Unternehmern ähnlicher Größe und auch in verschiedenen Professionen ergibt in dem aktuellen Umfeld Sinn, um gemeinsam kreative Lösungen zu erarbeiten. Nie zuvor in der Nachkriegszeit sahen sich die Unternehmer einer derartigen Situation ausgesetzt.
Unter dem Strich lässt sich Folgendes konstatieren:
Sämtliche Aktionen der Vorbereitung sind lediglich eine Reaktion auf die Probleme, welche das Geldsystem an sich verursacht. Insofern sollten wir die Problematik ganz dringend bei der Wurzel fassen und den Dingen auf den Grund gehen. Wir haben es aktuell mit den größten Schuldenlawinen der Menschheitsgeschichte zu tun. Kredite bedeuten nichts anderes, als dass man sich Geld aus der eigenen Zukunft leiht und zum großen Teil vorkonsumiert. Und das, was ganze Volkswirtschaften vorher konsumieren, werden sie später ganz bitter via Inflation, Finanzrepressionen und Währungsreformen nachhungern müssen. Exakt an dem Punkt stehen wir, und in dem aktuellen System bekommt man den Geist der Geldschwemme nicht mehr zurück in die Flasche.
Der Rechtsgelehrte Franz Böhm hat einmal vom Wettbewerb als dem „genialsten Entmachtungsinstrument der Weltgeschichte“ gesprochen. Die Lösung ist also für mich die von Friedrich August von Hayek beschriebene „Entnationalisierung des Geldes“ und der freie Wettbewerb (Free Banking System) um das beste Geld. Nach meiner Definition ist Geld ein Produkt, also sollten die Halter des Geldes auch eine Wahlmöglichkeit in einem freien Markt bei fairem Wettbewerb haben.
Geld hat sich als das marktgängigste Gut über die Jahrtausende entwickelt und wir setzen es im Tausch gegen andere Güter und zur Erreichung unserer Ziele ein. Ein freier Wettbewerb mit Wahlmöglichkeit hätte die Folge, dass die Menschen sich lieber mit gutem als mit schlechtem Geld bezahlen lassen würden. In der Folge würden auf die Dauer nur die überzeugenden und werthaltigen Geldsysteme den Wettbewerb überstehen.
Der zunehmende Leidensdruck, der sich in weiten Teilen der Bevölkerung durch die Inflation breit macht, sollte hoffentlich eine tiefgreifende Debatte rund um das Thema Geld ermöglichen. In dem aktuellen System wird es keinen ausreichenden Schutz geben, die Enteignung der Mittelschicht wird weitergehen. Wir benötigen ein grundlegendes Umdenken und eine grundlegende Reform.
Benjamin Mudlack, Vorstand der Atlas Initiative und Autor des Buchs:
„GeldZeitenwende – Vom Enteignungsgeld zurück zum gedeckten Geld“