Am 21. September 2023 verkündete die Große Strafkammer des Landgerichtes Bochum ihr abschließendes Urteil über den Recklinghausener Arzt Heinrich Habig, dem vorgeworfen wird, falsche Covid-19-„Impf“-Bescheinigungen ausgestellt zu haben.
Bei der Durchsuchung seiner Praxisräume im Januar 2022 wurden rund 6.800 Fälle, einschließlich Booster-Impfungen, festgestellt, von denen jedoch Ende 2022 lediglich rund 600 Einzeltaten zur Anklage kamen. Heinrich Habig war bereits im Mai 2022 in Untersuchungshaft genommen worden, was die Staatsanwaltschaft und später das Gericht unter Zugzwang setzte. Dieser Zugzwang führte zu einer Reihe von Rechtsverstößen durch das Gericht, die nun Gegenstand der Revision sein werden.
Zunächst erging ein – prozessual unzulässiges – Teilurteil über rund 200 der angeklagten Fälle, am 21. September 2023 erging nun das Urteil über die übrigen 400 angeklagten Fälle.
Aufgrund einer tatsächlichen Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatte Heinrich Habig zugegeben, dass in rund 200 Fällen, in denen die Patienten bei ihrer Vernehmung im Ermittlungsverfahren ausgesagt hatten, die „Impf“-Bescheinigung ohne tatsächliche Impfung erhalten zu haben, dies so zugetroffen haben werde. Diese Fälle wurden im Schlussurteill nun mitverurteilt. Die übrigen rund 200 Fälle wurden gemäß § 154a StPO wegen relativer Geringfügigkeit eingestellt.
Das Gesamtstrafmaß lautet nun auf zwei Jahre und drei Monate Haft ohne Bewährung. Seine als Beihelferin mitangeklagte Ehefrau und ehemalige Sprechstundenhilfe wurde zu sechs Monaten auf Bewährung und 150 Sozialstunden verurteilt.
Am selben Tage wurden vor der Urteilsverkündung noch die Plädoyers gehalten. Das Plädoyer der Staatsanwältin beschränkte sich neben ausladenden Formalien lediglich auf den Vorwurf an Heinrich Habig, dass dieser eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt habe und nun zur „Galionsfigur der Querdenkerszene“ geworden sei. Er gefalle sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft in der Rolle eines „Messias“.
Insbesondere dieser letzte Anwurf war Anlass für die Verteidigung, die Staatsanwaltschaft darauf hinzuweisen, dass die Unterstützung Heinrich Habigs durch die Öffentlichkeit bitter nötig war und weiter bleiben wird und dass umgekehrt die Staatsanwaltschaft derart massive Rechtsverstöße bei der Verfolgung Habigs und seiner Patienten an den Tag gelegt habe, dass sie gut daran täte, ihr eigenes Handeln zu hinterfragen.
Die Plädoyers sämtlicher Verteidiger waren sehr bewegend. Immerhin hörte die vorsitzende Richterin im Gegensatz zu früheren Verhandlungstagen aufmerksam zu, so dass die Hoffnung bestehen kann, dass sie wenigstens im Nachgang zu diesem Verfahren einmal beginnt, über den Unwert der hier zur Schau gestellten Strafverfolgung nachzudenken. An Hinweisen aller Verteidiger auf die moralische, geschichtliche und verfassungsmäßige Bedeutung dieses Unwertes fehlte es nicht. Die Historiker der Zukunft werden in den Archiven zu diesem Verfahren ein Kaleidoskop des Verlustes der Menschlichkeit in dieser Zeit vorfinden.
Immerhin war mit dem Urteil, das wie schon das Teilurteil mit der Revision angefochten werden wird, auch die Außervollzugsetzung des Haftbefehles verbunden, so dass Heinrich Habig direkt nach der Urteilsverkündung in die Freiheit entlassen wurde. Er wurde noch auf der Straße vor dem Gericht von seinen Unterstützern freudig begrüßt.
Es dauerte aber nicht lange, da fuhren fünf Streifenwagen vor, die ihn festsetzten mit dem Vorwurf, eine unangemeldete Versammlung veranlasst zu haben. Zum Glück ließ sich der Einsatzleiter davon überzeugen, dass es sich um eine anmeldungsfreie Spontanversammlung handelte, und Heinrich Habig konnte sodann nach nun 16 Monaten das erste Mal wieder ungehindert nach Hause fahren.
Als Beobachter dieses Prozesses bleibt man nachdenklich zurück. Der Prozess wird in der nächsten Instanz noch weitergehen, aber nun ist das Schauspiel vor dem Landgericht in der ersten Instanz zu Ende. Es hinterlässt den Eindruck, dass die Grundwerte der juristischen Ausbildung im Maßnahmenstaate tatsächlich nicht mehr gelten.
Ernst Fraenkel unterschied in seinem Werk „Der Doppelstaat“ zwischen dem Normenstaat und dem Maßnahmenstaat. In dem Moment, in dem eine Regierung totalitäre Züge annimmt, indem sie bestimmte Maßnahmen ohne Rücksicht auf Kritik durchsetzen will, bildet sich in allen Angelegenheiten, die diese Maßnahmen betreffen, ein staatliches Handeln heraus, das jedes Hinterfragen der angeordneten Maßnahmen unterbindet, der sogenannte Maßnahmenstaat.
Sind die betreffenden Maßnahmen von einer Sache nicht betroffen, so bleibt der übliche Normenstaat als Rechtsstaat parallel erhalten. In meinen angestammten Rechtsbereichen, insbesondere Steuerrecht und Wirtschaftsrecht, trifft man nach wie vor auf den Normenstaat und auf in der Regel gut ausgebildete und über das Recht selbst hinaus kompetente Richter.
Im krassen Gegensatz hierzu steht nahezu die gesamte Rechtsprechung Deutschlands in Bezug auf die Corona-Maßnahmen – mit seltenen Ausnahmen wie dem Weimarer Richter Christian Dettmar, der aufgrund seiner Rechtstreue seinerseits mit Maßnahmen belegt wurde, immer getreu der heute so verdrehten Werte ausgerechnet mit dem Vorwurfe der Rechtsbeugung. Der Verteidiger der Frau Habigs, Rechtsanwalt Stefan Schlüter, wies in seinem ergreifenden Plädoyer auf den Fall Christian Dettmar hin. Hoffentlich nimmt die Vorsitzende Richterin Breywisch-Lepping den Blick auf ihren Kollegen zum Anlass, darüber nachzudenken, welcher Sache sie dient.
Jedenfalls treibt es einen Schauer über den Rücken, im Gerichtssaal die letzten Vertreter des Normenstaates gegen den erzwungenen Maßnahmenstaat anrennen zu sehen. Obwohl die Gesichter des Gerichtes, ja selbst der Staatsanwältin, etwas anderes hätten vermuten lassen können, prallte mit der Urteilsverkündung jeder Appell an das Gewissen an der Mauer des Maßnahmenstaates ab. Aus seiner Sicht kann eben nicht sein, was nicht sein darf, mag es noch so einleuchtend sein, mag es noch so zu Herzen gehen.
Das Herz ist der Sitz des Gewissens. Der Mensch ist die Einheit aus Seele, Herz und Verstand. Die Vertreter der Justiz werden in den von der Regierung durchgepeitschten Maßnahmen dazu gezwungen, ihren Verstand zu betrügen und ihn vom Rest ihres Seins abzuspalten. Das schadet nicht nur ihrer Seele, es bringt unsere Gesellschaft an den Rand des Abgrundes.
Was soll am Ende dieser Entwicklung stehen? Gewiss wird es nicht der Friede von oben sein, es wird die Verbitterung der unterdrückten Menschen sein, ein immer schwelender innerer Unfriede, der sich zuletzt Bahn brechen muss, wenn der Staat wie alle totalitären Systeme am Ende versagen wird. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt!
Man kann nur hoffen, dass die Erlebnisse des Verfahrens gegen Heinrich Habig, nachdem nun der Entscheidungsdruck von jenen Richtern abgefallen ist, wenigstens im Nachhinein auch ihre Vernunft berühren und ihren Mut wecken wird, sich daran zu erinnern, dass alle staatliche Gewalt der Menschlichkeit zu dienen hat, denn sie steht dem Grundgesetze voran.
Christian Moser ist Rechtsanwalt und Steuerberater.