Tichys Einblick
Maas untergräbt den Rechtsstaat

Heiko Maas‘ Zensurgesetz: Wenn Anzeige und Verurteilung eins werden

Roland Tichy: "Es ist eine chinesische Lösung für das Netz: Zugelassen wird nur, was den Kontrolleuren gefällt." Norbert Häring: "Leute, die an Richters Statt selbst entscheiden wollen, wer ein Straftäter ist, verteidigen nicht den Rechtsstaat, sie untergraben ihn."

© Adam Berry/Getty Images

Heute soll es ganz schnell gehen. Ratz-Fatz unter weitestgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit soll die Meinungsfreiheit im Internet beerdigt und der Zensurkrieg gegen alle regierungskritischen Stimmen im Netz geführt werden. Die 26 Seiten Gesetzentwurf in Juristenchinesisch haben die Abgeordneten heute (!) gekriegt. Aber sie sollen ja auch nicht lesen, sondern durchwinken. Alternativlose Demokratie. Norbert Häring kommentiert:

In einer ganzseitigen Verteidigung seines Internet-Zensurgesetzes in der Zeit geht Heiko Maas mit keinem Wort auf den wichtigsten Punkt seiner Kritiker ein: dass letztlich nur Richter entscheiden können, was rechtswidrig ist. Durchgängig tut er so, als sei die Rechtswidrigkeit eines Inhalts dadurch bewiesen, dass jemand sich darüber beschwert. Ausgerechnet der Justizminister missachtet den elementaren Rechtsgrundsatz: Bis bewiesen ist, dass eine Straftat vorliegt, und dass die Beschuldigte sie begangen hat, gilt sie als unschuldig.

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Heiko Maas ist Volljurist. Trotzdem will er einem Konzern in Silicon Valley die Aufgabe zuweisen, zu entscheiden, was nach deutschem Recht unter Meinungsfreiheit fällt, und was eine Verleumdung oder andere strafbare Äußerung ist. Nicht nur das: er erwähnt mit keinem Satz die Möglichkeit, dass Anschuldigungen falsch sein könnten oder die sich daraus ergebende Gefahr dass vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen zu Unrecht zensiert werden könnten. Obwohl ihm diese Möglichkeit nach einem Jurastudium durchaus bekannt sein müsste, schreibt er ohne weitere Erläuterungen Sätze wie: „Weil Apelle nicht ausreichen, will ich Unternehmen wie Facebook dazu zwingen, rechtswidrige Inhalte schneller zu löschen.“ Dass das nötig ist, schließt er daraus, dass die Unternehmen bisher nicht genug „strafbare“ Inhalte gelöscht haben. Das mag stimmen, aber Sätze, wie er sie formuliert, darf ein Jurist, der das Recht achtet, einfach nicht schreiben und schon gar nicht in ein Gesetz gießen.

Gelöscht werden soll, wenn „sprachlich und juristisch qualifizierte Teams“ beanstandete Äußerungen geprüft haben, und diese „rechtswidrig sind“. Nicht „diese für offenkundig rechtswidrig halten“, sondern „rechtswidrig sind“. Und dann kommt der Knaller:

Meldeten normale Nutzer strafbare Inhalte, dann löschte oder sperrte Facebook davon nur 46 Prozent. Bei Youtube führte nur eine von zehn Meldungen zur Löschung und Twitter handelte sogar nur bei einer von hundert Meldungen.

Hier entscheidet also nicht einmal Facebook sondern schon der Nutzer, was rechtswidrig ist. Es mag in der Tat unwahrscheinlich sein, dass nur eine von 100 Youtube gemeldeten Veröffentlichungen so offenkundig rechtswidrig ist, dass sie sofort gelöscht werden müsste. Aber wie kann ein Jurist nur Sätze schreiben, die davon ausgehen, dass Anklage und Feststellung der Schuld ein und dasselbe sind, dass jede Beschwerde berechtigt ist und zur Verurteilung führen muss. Mit der gleichen Berechtigung könnte Maas aus der Tatsache, dass nur ein relativ kleiner Teil der Vergewaltigungsanzeigen zu einer Verurteilung führt, die Notwendigkeit für ein Gesetz herleiten, das Staatsanwälten vorschreibt, Vergewaltiger (definiert als Angezeigte) sofort zu verhaften und ins Gefängnis zu werfen.

Gerade hat ein Gericht entschieden, dass ein Kabarettist die Spitzenkandidatin der AfD in einem ganz bestimmten satirischen Kontext eine „Nazi-Schlampe“ nennen durfte. Wie hätte wohl Facebook entschieden?

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Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: manchmal sind Rechtsbrüche offensichtlich und müssen nach Möglichkeit unterbunden werden. Wer etwas sieht, was er für eine Vergewaltigung hält, darf oder muss sogar eingreifen und dem vermeintlichen Vergewaltiger notfalls eins über die Rübe ziehen, auch ohne vorher einen Gerichtsbeschluss oder das Eintreffen der Polizei abzuwarten. Ebenso kann man von Facebook erwarten, einen offenkundig rechtswidrigen Inhalt, auf den das Unternehmen von einem Geschädigten hingewiesen wird, in vertretbarer Zeit zu löschen.

Daraus ergeben sich schwierige Abwägungen. Aber ein Justizminister, der sich entscheidet, die eine Seite der Abwägung einfach zu ignorieren, der davon ausgeht, dass man grundsätzlich keine Richter braucht, um im konkreten Fall zu entscheiden, wo die Meinungsfreiheit aufhört, der ist für sein Amt denkbar ungeeignet.

Allein schon das Zitat, das die Kollegen von der Zeit in den Untertitel hoben, sagt alles:

Wer sich für die Geltung von Recht und Gesetz im Internet einsetzt, betreibt keine Zensur, sondern verteidigt unseren Rechtsstaat gegen Gesetzesbrecher.

Doch, Herr Maas. Leute, die an Richters Statt selbst entscheiden wollen, wer ein Straftäter ist, verteidigen nicht den Rechtsstaat, sie untergraben ihn.

Quelle: „Die schweigende Mehrheit darf nicht länger schweigen“, von Heiko Maas, Die Zeit, Nr. 21, S.6.

Der Beitrag von Norbert Häring ist zuerst hier erschienen.

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