Tichys Einblick
Wem gehört die Demokratie?

Hambacher Fest: Feiern gegen die bleierne Merkel-Zeit

In linksgerichteten Medien und dem Merkel-Lager war die Sorge groß: Würde das privat organisierte Hambacher Fest zum Aufstand führen? Es zeigt, wie verunsichert die Politik regiert und reagiert. Merkel-Gegner kämpfen um Symbole der Demokratie.

© Getty Images

Die Sonne jedenfalls lachte über dem Neuen Hambacher Fest, auf dem sich mehr als 1.500 Teilnehmer am Samstag auf Schloss Hambach in der Pfalz versammelt hatten. Als Augenzeuge muss man berichten: Es herrschte eine begeisterte, fröhliche Atmosphäre. Aber ist es der Anstoß, um die bleierne Merkel-Zeit zu beenden, wie Organisation Max Otte hofft? So wie das Fest von 1832 ein Meilenstein auf dem Weg zur 1848er Revolution wurde?

Protest, der sich selbst entlarvt

Natürlich stieß das Fest am Wochenende auf Gegenwind.

Auf dem Weg zum Schloss hatten Gegner Parolen auf den Asphalt gesprüht: „FCK NZS“ (soll heißen „Fuck Nazis“) und „Ihr Mis-braut Demokra-ti“ (exakt so). Im Ort Neustadt, durch das die Teilnehmer des Festes morgens wanderten, hatte sich ein Gegner etwas Besonderes einfallen lassen: Er hatte großflächig stinkende Jauche auf die Straße geschüttet. Weiter oben hing ein Plakat: „Deutschland verrecke!“ Dass sie damit dieses Fest erst rechtfertigen, war den Gegendemonstranten wohl nicht in den Sinn gekommen. Es sieht aus wie bestellt.

Denn Deutschland soll gerade nicht verrecken, wenn es nach den Teilnehmern geht. „Wir sind hier, um zu zeigen, dass unser Vaterland lebt“, sagte Finanzprofessor Max Otte zur Begrüßung. Dann zog er sogar eine Gitarre hervor und spielte und sang das Lied von 1832 „Hinauf, Patrioten, zum Schloss.“

Die Situation vor fast zweihundert Jahren war eine grundsätzlich andere, teils gibt es aber erstaunlich-erschreckende Parallelen: Die Protestler des Hambacher Festes von 1832 begehrten gegen die Fürsten-Herrschaft in den deutschen Kleinstaaten, die Zensur und die freiheitsfeindliche Obrigkeit auf. Es war ein bürgerliches Aufbegehren für einen geeinten, demokratischen und freiheitlichen Nationalstaat.

Und heute? Otte und Sarrazin und Lengsfeld zitierten die Reden des Organisators von 1832, Jakob Philipp Siebenpfeiffer. Der hatte beklagt, dass es als „Verbrechen“ gelte, wer sich für sein „Vaterland“ engagiere – die heutigen Organisatoren sagen, dass Antifa und Parteien das heute genauso sähen, weil sie Kritik und Kritiker in die „rechte Ecke“ drücken und damit zum Verstummen bringen wollen.

„Unser oftmals selbstreferentielles politisches System ist gar nicht mehr so weit weg von der Fürstenherrschaft, welche die Bürger auf dem Hambacher Fest beklagten“, so Otte. „Wir haben wieder zensurähnliche Zustände in unserem Land, die denen von 1832 zumindest teilweise ähneln, wenn auch die Mechanismen andere sind.“

Heute gebe es keine direkte Zensur, aber wer sich unbotmäßig äußert, oder vielleicht in einer nicht-genehmen Partei engagiert, der wird eingeschüchtert oder bedroht. Otte, der CDU-Mitglied ist, aber 2017 für die AfD gestimmt hat, sprach auch von „ökonomischem Druck und Diffamierungen“. Auch Vera Lengsfeld sprach in ihrer Rede die gar nicht so subtilen Methoden und Kampagnen an, mit denen heute ihrer Meinung nach die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird und Teilnehmer durch Jauche gehen müssen, wenn sie abweichende Meinung äußern wollen.

Deutschland schafft sich schon länger ab

Thilo Sarrazin war der Stargast des Festes. Der ehemalige SPD-Finanzsenator und kurzzeitige Bundesbank-Vorstand hat mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ein Millionenpublikum erreicht. Er hatte damit vor den Folgen einer verfehlten Zuwanderungspolitik schon gewarnt, lange bevor Angela Merkel mit ihrer Grenzöffnung und der dadurch ermöglichten schubhaften Masseneinwanderung die Situation nochmals radikal verschlimmert hat.

Sarrazin warnte auf dem Hambacher Schloss vor dem extremen Bevölkerungswachstum in den arabischen und afrikanischen Ländern. Jedes Jahr steige dort die Bevölkerung um 45 Millionen Menschen. Wenn man nur einen kleinen Teil dieses Geburtenüberschusses nach Deutschland lasse, würde Deutschland in relativ kurzer Zeit kulturell und politisch kippen. Sarrazin  sarkastisch: „Ich weiß nicht, warum ich mich dafür interessieren soll, ob es in hundert Jahren in Deutschland noch Bienenvölker gibt, wenn es dieses Land dann gar nicht mehr gibt.“

Nach Sarrazin hielt Joachim Starbatty, der VWL-Professor und EU-Abgeordnete, eine kämpferische Rede. Starbatty war vor fünf Jahren ein Mitgründer der AfD, trat dann aber im Streit aus. Starbatty war schon vor zwanzig Jahren ein Kämpfer gegen den Euro. Der Ausbruch der Euro-Krise, die großen Hilfspakete zur Rettung Griechenlands, die er überwiegend als „Bankenrettungspakete“ bezeichnet, die Schritte in Richtung einer Transfer- und Haftungsunion – all das hat seine Warnungen bestätigt. „Raus aus dem Euro“ rief Starbatty unter großem Jubel.

Mindestens so viel Jubel und Applaus erhielt Vera Lengsfeld, frühere DDR-Bürgerrechtlerin und langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete, inzwischen ein Star der regierungskritischen Szene. Lengsfeld zeigte im Detail auf, dass die angeblich herrschenden Freiheiten – Demokratie, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, ein Grundgesetz, freie und geheime Wahlen und Wohlstand für alle – dass dies alles teils nur noch auf dem Papier bestehe. Die Meinungsfreiheit werde aufgehoben, wenn Druck etwa gegen die Unterzeichner der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ gegen illegale Einwanderung ausgeübt wird. Es bilde sich aber zunehmend eine Gegenöffentlichkeit, eine neue Opposition, die Druck auf die Regierung ausübt. Ihre Petition „Erklärung 2018“ haben inzwischen über 150.000 Bürger unterzeichnet.

Wem gehört das Hambacher Schloss?

Am Nachmittag bekannte sich der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen zu einem Staat, der schlank, aber effizient sein soll. Heute sei es umgekehrt. Man erlebe ein „Staatsversagen in höchster Vollendung“. Der Staat schröpfe die Bürger durch Rekordsteuer-Einnahmen, bringe aber keine guten Leistungen und erfülle seine Kernaufgaben nicht zufriedenstellend. „Ein funktionierender Staat muss ein schlanker, auf seine Kernaufgaben konzentrierter Staat sein, der innere und äußere Sicherheit, Netz- und Bildungsinfrastruktur, Rechtsordnung, sozialer Schutz eines Existenzminimums für diejenigen, die sich nicht selbst helfen können“, sagte Meuthen. „Unser Staat ist ein fetter, alle möglichen Aufgaben an sich ziehender Staat, der aber in den Kernaufgaben versagt“, sagte der frühere VWL-Professor.

In der inneren Sicherheit versage der Staat zunehmend, die Gewaltkriminalität sei im Zuge der Masseneinwanderung stark gestiegen. Die Bundeswehr sei nicht mehr in der Lage, die Landesverteidigung zu gewährleisten. Sie verzettele sich in fernen Abenteuern und scheitere in Afghanistan. Auch in der Bildung versage der Staat. An Schulen und Universitäten gebe es zunehmend ideologische Experimente („Diversity“, „Gender“ und „sexuelle Vielfalt“) statt notwendiger Bildung. So weit war Meuthen im liberalen Mainstream, wie ihn auch Vertreter der FDP und des Wirtschaftsrats der CDU formulieren könnten. Die Teilnahme Meuthens hatte Vertreter von CDU und FDP veranlasst, ihre Teilnahme abzusagen. Der Versuch, eine Brücke von der AfD zu den beiden Parteien zu bauen, war damit gescheitert. Gestritten wurde außerhalb der Rednerbühnen über die Frage, ob die AfD die Veranstaltung gekapert oder FDP/CDU ihr ängstlich das Schloss überlassen habe. Bei vielen Teilnehmern changierte die Parteienpräferenz von CDU zu AfD und zeigte die Überlappung der Wählersympathien.

CDU und FDP zogen sich zurück

Meuthen zog seinerseits die Brücke hoch, indem er die Verteidigung des demokratischen Nationalstaats gegen multikulturelle Experimente forderte, gegen die unkontrollierte Massenzuwanderung und gegen alle Tendenzen einer schleichenden Islamisierung wetterte. Dies alles beschädige die deutsche demokratische Kultur, die Heimat und das deutsche Volk. „Und wenn ich sage deutsches Volk, dann meine ich damit das deutsche Volk, zu dem gehören selbstverständlich auch einige Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die bestens integriert sind in Deutschland, die die Gesetze achten, die zur Wertschöpfung und Wirtschaft beitragen“, so der AfD-Vorsitzende. Auch für diese Aussage gab es langen Applaus. Auf CDU-Veranstaltungen wäre das nicht mehr möglich.

Der deutsch-libanesische Filmemacher Imad Karim warnte eindringlich davor, die Gefahren einer islamischen Massenzuwanderung zu verkennen. Karim, der in den siebziger Jahren nach Deutschland kam und dann in Berlin studierte, sagte über seine damaligen Post-68er-Studienkollegen: „Viele haben ihr Land gehasst oder zumindest abgelehnt – aus einer falschen Fixierung auf die Nazizeit. Ich aber liebe Deutschland.“ Deutschland sei ein großartiges Land, man müsse aber dieses Land, seine Demokratie und Freiheit gegen die Gefahren des politischen Islams verteidigen.

Kampf um Symbole

Damit war das Hambacher Fest des Jahres 2018 sicherlich keine Nazi-Veranstaltung, von der die Antifa phantasierte. Das mediale Echo war beachtlich, auch wenn der SWR  „1.000 Polizisten“ und die Gegendemonstranten in den Mittelpunkt stellte, die Reden im Schloss dagegen unter den Tisch fallen ließ.

Es bleibt ein Kampf um Symbole. Die Teilnehmer wollten sich als fröhliche Mut-Bürger präsentieren, während Kritiker der Merkel-Politik sonst meist als ängstliche Wut-Bürger stigmatisiert wurden. Die preußischen Kritiker des historischen Hambacher Festes in Berlin hatten sich über die wein- und bierselige Feierfreude der damaligen Protestierer lustig gemacht, die viel redeten, die Humpen stemmten, aber ansonsten kaum politisch aktiv geworden waren. Die demokratische Revolution von 1848 war kein Erfolg. Symbolisch knüpfte Vera Lengsfeld an der friedlichen Revolution in der DDR an – auch ein Kampf um Symbole, die sie der Wiedervereinigungspartei CDU zu entreißen versucht.

„Die Friedliche Revolution von 1989 hat es gezeigt“, sagte Lengsfeld: „Wenn sich genügend viele Menschen finden, die den Herrschenden die Legitimation absprechen und die Gefolgschaft verweigern, bricht auch ein bis an die Zähne atomar bewaffnetes System zusammen. Damals verschwand fast über Nacht eine ganze politische Klasse. Die Furcht davor steckt den Herrschsüchtigen bis heute in den Knochen.“


Robert Mühlbauer

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