Deutschland dieser Tage ist ein Land mit ständig nach oben ausschlagender Erregungskurve. Einer hysterischen „Hetzjagd“ folgt die nächste. Dem Land ist der emotionale Puffer abhanden gekommen, der seine demokratischen Institutionen davor schützt, auf Verschleiß gefahren zu werden. Wir gehen damit amerikanischen Verhältnissen und ihrer politischen Unversöhnlichkeit entgegen. Chemnitz und jetzt Köthen haben uns – wenig überraschend – vor Augen geführt: Ja, extremistische Ränder gibt es.
Das ist schlimm, wenn es auch Aufgabe verantwortungsvoller Medien und Politiker wäre, genau hinzuschauen und zu gewichten: Nicht jeder hässliche Aufmarsch von Rechtsextremisten rechtfertigt schon Weimar-Weimar-Rufe. Mindestens genauso beunruhigend ist es, wenn die staatstragende Mitte in der Wahl ihrer Mittel nicht mehr zimperlich ist. Dass der deutsche Bundespräsident ein Konzert „gegen rechts“ unterstützt, in dem singende Linksextremisten zu Gewalt gegen Staat und Mitmenschen aufrufen, ist die Austreibung des Teufels durch den Beelzebub. Und dass die Kanzlerin und ihr Sprecher, ohne Beweise zu haben, von „Hetzjagden“ sprechen, wird dadurch nicht besser, dass der sie angreifende Chef des Verfassungsschutzes offenbar selber keine Pfeile im Köcher hat.
Leider trägt die Kirche nicht zur Entspannung bei. Wo die Kirche als politischer Akteur wahrgenommen wird, als Teil der Etablierten, wird sie nicht die zusammenführende gesellschaftliche Kraft sein können, die sie sein will und die es in Ost wie West bräuchte. Zu rigoristisch trägt die Kirche ihre migrationspolitischen Positionen vor, zu viele Antworten bleibt sie auf offensichtliche Probleme in Fragen von Migration und Integration schuldig, zu viele Monologe über anstatt Dialoge mit echten und angeblichen Populisten werden in kirchlichen Bildungshäusern geführt. Damit ist nicht gesagt, die Kirche dürfe nicht unbedingten Respekt vor der Menschenwürde anmahnen – sei es die von In-, sei es die von Ausländern. Sie muss es tun. Aber sie muss dies im Blick auf ein polarisiertes Land tun, wo die moralischen Gewichte keineswegs so einseitig verteilt sind, wie sich dies viele Funktionäre bei Caritas und Co. in ihren humanitaristischen Filterblasen vorstellen. Fragen von Asyl, Einwanderung und Eingliederung sind moralische und politische Abwägungsfragen. Kirchenvertreter diskutieren sie aber immer im Imperativ. Politischer Streit wird so verunmöglicht und die Kirche zur Partei. Rufen Bischöfe dann nach Bluttaten wie in Chemnitz und Köthen zu „Besonnenheit“ auf, hören viele nur: Ruhe ist erste Bürgerpflicht, Probleme benennen wir nicht, sie könnten ja instrumentalisiert werden.
Öl ins Feuer aber gießen heißt sich äußern, wie ZdK-Präsident Thomas Sternberg es jetzt getan hat. Seinem Selbstbild nach vertritt er ja 25 Millionen Katholiken in Deutschland. Mit genauso viel Selbstbewusstsein hat er jetzt leichterhand Parallelen zwischen AfD und NSDAP festgestellt. Es ist exakt diese Art von leichtsinnigem Griff in die Geschichtskiste, die weitaus mehr Schaden anrichtet, als sie Gutes bewirkt. Wem bei der AfD nur NSDAP einfällt, der hat nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Und wer Verfassungsschutz ruft, anstatt sich die Mühe echter sachbezogener Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu machen, der handelt vielleicht partei-, aber sicher nicht staatspolitisch verantwortlich. Wo beim CDU-Mann Sternberg übrigens die Sorge ums Ganze aufhört und machtpolitisches Interesse anfängt, ist wie bei anderen Mandatsträgern seines Gremiums nicht unbedingt immer leicht zu sagen. Derartige Grüße aus der Welt der Funktionäre jedenfalls machen die Kirche nicht glaubwürdiger.
Dieser Beitrag erschien zuerst als Leitartikel des Chefredakteurs Oliver Maksan in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur mit deren freundlicher Genehmigung.