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Nicht nach einem Panikregime das nächste

Grüne „Herausforderung“: Kinder an die Macht

„Kinder an die Macht“, mit dem Argument „…sie berechnen nicht, was sie tun“. Das trifft es ziemlich exakt, denn Zahlen und Fakten stehen für die Grünen heute auch nur ärgerlich der Ideologie und dem Wunschdenken im Weg. Kinder an die Macht: Näher daran waren wir nie.

Angela Merkel und Annalena Baerbock im Januar 2020

picture alliance/dpa

Als ich das las, konnte ich mein Glück kaum fassen. Das sagt Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, im Interview mit dem „Spiegel“ zur Baerbock-Buch-Blamage: „…gemessen an den Herausforderungen unserer Zeit sind das Kleinigkeiten…“ Diese klare Selbstauskunft ist ein Glücksfall, weil sie in konzentrierter Weise verdeutlicht, warum die Grünen als Regierungspartei gerade jetzt, gerade mit dem aktuellen Personal eine gefährliche Fehlbesetzung wären. „Glück“ verstanden wie in der Aussage eines Arztes: „Sie haben Glück im Unglück. Wir haben Ihr Problem rechtzeitig entdeckt und können alles Schlimmere noch verhindern.“

Unglaublich, auf wie vielen Ebenen diese wenigen Worte des obersten Grünen-Verwalters falsch, verlogen und entlarvend sind. Das offensichtlichste ist die Vokabel „Kleinigkeiten“ für die Plagiats-Vorwürfe gegen den Wahlkampf-Selbstbelobhudelungs-Schinken von Frau Baerbock: in der Tat ein Missgriff sondergleichen aus Sicht rationalen Krisenmanagements.

Viel bedeutender ist aber die Argumentation mit den „Herausforderungen unserer Zeit“, von denen die Buch-Diskussion ablenke. Dass die Grünen sich das völlig unnötig selbst eingebrockt haben, versteht sich von selbst. Aber was versteckt sich denn hinter den „Herausforderungen“? Im Klartext heißt das wohl: Wir müssen jetzt die Welt vor der Klimakatastrophe retten, das überstrahlt alles andere.

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Das ist schon in der grundlegenden Sach-Analyse falsch, würde man als Konservativer sagen, denn in Wirklichkeit ist die zentrale große Herausforderung, dass gewisse global agierende Kreise – ein sehr merkwürdiges Konglomerat, eine Koalition sich eigentlich ausschließender Kräfte – alles in ihren Möglichkeiten liegende tun, um die westlichen Nationalstaaten zugunsten eines weltweiten Funktionärs-Netzwerks zu entmachten, um die demokratische Meinungsfreiheit mit Hilfe von „BigTech“ einzuschränken, um den materiellen Wohlstand der Industrienationen zugunsten weltfremd-utopischer Visionen aufzugeben, mindestens aufs Spiel zu setzen. In dieser Perspektive ist die eigentliche Hauptaufgabe von vornherein, grüne und andere links-transformatorisch eingestellte Kreise von der politischen Macht fernzuhalten.

Dann ist es auch spezifischer auf der Sachebene ignorant und strategisch falsch, die Klimafrage (nicht nur) von grüner Seite so in den Mittelpunkt zu rücken, denn die Menschheit ist in rationaler Betrachtung von ganz anderen Problemen viel stärker bedroht, darunter nach wie vor letztlich vor allem durch materielle Armut in allen Facetten. Das bringt sehr viele Menschen um und lässt noch viel mehr Menschen unnötig leiden. Die Projekte von Björn Lomborg, der noch nicht einmal ein Klimaskeptiker ist, sondern analytisch weitgehend dem IPCC folgt, liefern dazu reichlich Anschauungsmaterial. (Randbemerkung: Man kann auch das kommunistisch-faschistische China für eine zentrale Bedrohung halten und für viel bedrohlicher aus der Sicht unveräußerlicher Menschenrechte weltweit.)

Aber selbst wenn man im Prinzip die grüne Ansicht teilt, dass es sich beim Klima um ein echtes und bedeutendes Problem handelt, sogar das zentrale, ist das Argument ignorant und irreführend. Schon weil es in einer Situation ohne große Probleme tatsächlich relativ egal wäre, wer das Land politisch führt: Schönwetter-Kapitän kann jeder; da könnte man auch Sascha Hehn zum Kanzler machen. Hingegen gerade auf stürmischer See mit Tornado-Prognose hätte man schon gern einen erfahrenen, mit allen Wassern gewaschenen Haudegen am Ruder – und nicht eine Nachwuchs-Seglerin im Trainee-Durchlauf.

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Nun sind die Grünen der Meinung, auf altmodische Sachkompetenz komme es nicht an, sondern auf Innovationsfreude und Metakompetenzen. Auch das ist argumentativ aber kein Ausweg, denn die Diskussionen über Lebensläufe und „Nicht-Sachbücher“ zeigen ja gerade, dass Frau B. und ihre Entourage schon mit dem Organisieren des „Intensiv-über-alles-Redens“ überfordert sind. Wenn uns vermeintlich Aktivismus und Kommunikation retten, also quasi Gesprächstherapeuten statt Ingenieure, dann muss man wenigstens das können. Es ist eben nicht nur mit der Sachkompetenz nicht weit her (freundlich gesagt!), sondern auch mit der sozialen, Kommunikations- und Management-Kompetenz. Oder ist das auch nur eine „Kleinigkeit“?

Selbst wenn „von der Sache der Klimaschutz-Herausforderung her“ alles unstreitig wäre und es käme „nur noch“ auf das Umsetzen in ein konkretes Maßnahmen-Regime und seine gesellschaftliche Vermittlung an: Was denken die Grünen denn, wie die unvorstellbaren Kosten, die super-massiven Auswirkungen der von ihnen für nötig gehaltenen Decarbonisierung auf Wirtschaft und Privatleben politisch „ausverhandelt“ werden können, ohne dass der ganze Laden in kürzester Zeit implodiert? Doch wohl nur, wenn die politischen Spitzen als Personen glaub- und vertrauenswürdig sind. (Das wäre jedenfalls eine unaufgebbare Mindestbedingung.) Und, Überraschung: Genau diese Eignung, die entsprechende charakterliche Disposition, fehlt offensichtlich bei der grünen Spitzenfrau, und bei ihren täglich verzweifelter agierenden Apologeten. Genau darum geht es ja bei Larifari-Lebenslauf und Buchplagiaten.

Letztlich reduziert sich das Argumentieren mit der großen Herausforderung, angesichts derer so altmodische Zweifel an Charakter und persönlicher Eignung unzulässig sind, auf eine Art Notstands-Denken. So wie der Kaiser alle Differenzen der Innenpolitik generös vom Tisch gewischt hat, weil er jetzt „nur noch Deutsche“ erkannte, erklären die Grünen alles andere für unbedeutend, weil es jetzt nur noch auf den bedingungslosen Kampf gegen die Klimakatastrophe ankomme. Wenn allerdings dazu nach grüner Meinung weder wirkliche Sach- noch Managementkompetenz noch individuelle Charakter-Eignung erforderlich sind bzw. es sich dabei nur um vernachlässigbare „Kleinigkeiten“ handelt … was dann? Es bleibt offenbar nur noch ein Wettbewerb, wer am lautesten schreit, wer am aufgeregtesten mit den Armen wedelt, wer die schrillsten Panikparolen anbietet.
Nun besteht kein Zweifel daran, dass Frau B. in diesen Disziplinen allerdings ganz vorn marschiert und springt, auf olympischem Niveau. Aber das ist eben auch das einzige noch funktionierende Argument, sie in der Bundesregierung sehen zu wollen.

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Panikregime hatten wir aber in den letzten anderthalb Jahren schon genug mit der „Pandemie“, und wie gut das funktioniert und was das mit Deutschland macht, kann jeder erkennen „with half a brain“, wie die Amerikaner sagen. Die Grünen denken „Jetzt geht’s erst richtig los“ und erwarten dafür lebhaften Zuspruch, aber die Menschen wünschen sich längst wieder Normalität, Berechenbarkeit, sogar Langeweile. Ihnen reicht es schon, selbst den gutmütigen Bürgern, die immer noch Politfernsehen gucken.

Die Grünen sind damals unter ihrem Spitzentaxifahrer und Weltaußenpolitiker Joschka Fischer ans Regieren gekommen, weil sie sich so weit entwickelt, zum Teil auch nur in Szene gesetzt haben, endlich auch an den Erwachsenen-Tisch gelassen zu werden. An den sie zuerst in Hessen durften, unter dem strengen Dachlatten-Vater Holger Börner. Das Verhaltensprofil der aktuellen Spitzengrünen ist zurück im infantilen Bereich. Es ist intellektuell und psychologisch auf dem Niveau von Greta und Luisa. Die zwei Jahrzehnte mehr „Lebenserfahrung“, wenn davon bei Frau B. überhaupt wirklich gesprochen werden kann, scheinen keinen Unterschied zu machen.

Das Argument mit den „Herausforderungen“, angesichts derer man doch gefälligst nicht so pingelig sein solle: auch das ist nur eine weitere Trotzreaktion. Geäußert wird sie – typisch grün – von oben herab, im Ton des zurechtweisenden Lehrers, der es reichlich unverschämt findet, dass man ihm gerade eine falsch formulierte Textaufgabe in der Klassenarbeit nachgewiesen hat. Aber es ist im Grunde doch nur altkluges Geschwätz von Halbstarken, dahinter stehen weder wirkliche Lebenserfahrung noch „common sense“. Vielleicht ist es ungefähr das, was ein gewisser H. Grönemeyer meinte damals, als er singend forderte: „Kinder an die Macht“, mit dem Argument „…sie berechnen nicht, was sie tun“. Das trifft es ziemlich exakt, denn Zahlen und Fakten stehen für die Grünen heute auch nur ärgerlich der Ideologie und dem Wunschdenken im Weg. Kinder an die Macht: Näher daran waren wir nie. Womöglich ist das die eigentliche Herausforderung bei der Wahl, und keine Kleinigkeit. Aber zum Glück machen die Grünen genau das gerade gründlicher klar, als man es je zu hoffen gewagt hätte.


Michael W. Alberts

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