Tichys Einblick
Erste Elemente einer „Untergrundkirche“

Gottesdienstverbot bleibt bestehen – aber Karlsruhe mahnt Gesetzgeber

Der Eilantrag gegen das Gottesdienstverbot in Hessen war zwar erfolglos. Aber im Hauptsacheverfahren könnte sich herausstellen, dass das Verbot nicht verhältnismäßig war. Ein anderer Fall in Nordrhein-Westfalen offenbart, dass sich Gläubige und Pfarrer den Bischöfen widersetzen. Von Michael Feldkamp.

imago Images/Steinach

Noch am Karfreitag, den 10. April 2020, hat das Bundesverfassungsgericht zugunsten des Gottesdienstverbotes entschieden: Dem Eilantrag gegen die Corona-Verordnung des Landes Hessen wurde nicht stattgegeben. Denn: Dem Antragsteller fehlte noch in der Vorinstanz das Rechtsschutzinteresse! Das heißt: Selbst wenn die umstrittene Corona-Verordnung gekippt worden wäre, hätte er nämlich keine Messe feiern können, da der Bischof von Limburg Messfeiern untersagt hatte.

Vor dem Bundesverfassungsgericht benannte der Antragsteller nun einen Priester, der sich ungeachtet des bischöflichen Verbots bereiterklärt habe, Gottesdienst zu feiern, sobald das staatliche Gebot aufgehoben werden würde. Das genügte dem Bundesverfassungsgericht, sich mit der Sache zu befassen.

Keine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit im Eilverfahren

Entscheidend ist in einem Eilverfahren nicht die Erfolgsaussicht wie im Hauptsacheverfahren, sondern eine reine Folgenabwägung.

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Das Bundesverfassungsgericht sah nun in dem Gottesdienstverbot der Corona-Verordnung des Landes Hessen einen „überaus schwerwiegenden Eingriff“ in die Glaubensfreiheit. Doppelt schwer wiege auf Seiten des Antragstellers, dass das höchste Fest der Christenheit, Ostern, davon betroffen sei. Die Folgen des Gottesdienstverbotes seien insofern irreversibel.

Bemerkenswerterweise und dankenswerterweise räumte das Bundesverfassungsgericht mit dem von Kirchenkreisen verwendeten Narrativ auf, dass „alternative Formen der Glaubensbetätigung“ wie Fernsehgottesdienste oder individuelles Gebet das Gottesdienstverbot irgendwie kompensieren könnten. Jedenfalls nicht im Lichte des Grundgesetzes.

Diesen Aspekten stellte das Bundesverfassungsgericht die Folgen einer vorläufigen Außerkraftsetzung des Gottesdienstverbotes gegenüber. Der unkontrollierte Strom gerade osterbedingt zahlreicher Gläubiger in die Kirchen berge ein erhebliches Ansteckungsrisiko. Das könne eine Überlastung medizinischer Einrichtungen und schlimmstenfalls den Tod von Menschen zur Folge haben.

Die vom Antragsteller geltend gemachten Interessen seien gewichtig, erschienen dem Bundesverfassungsgericht aber nach dem hier anzuwendenden Maßstab nicht derart schwerwiegend, dass es ihm unzumutbar erschien, sie einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, der dem Staat durch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG aufgegeben ist. Hinzu kommt, dass eine geltende Regelung nur ganz ausnahmsweise im vorläufigen Verfahren aufgehoben werden kann.

Schonfrist für die Verordnungsgeber

Damit hätte es das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren bewenden lassen können. Stattdessen agiert es ähnlich wie in Hauptverfahren bei solchen Gesetzen, die zwar der Verfassung nicht entsprechen, bei denen aber die sofortige Aufhebung ebenfalls nicht tunlich ist.

Auf Wiedersehen beim Bundesverfassungsgericht
Eingriff in das Recht auf freie Religionsausübung
Das Bundesverfassungsgericht mahnt nämlich über die Ablehnung des Antrags hinaus den Verordnungsgeber, peinlich genau darauf zu achten, stets eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen. Dabei kommt dem Bundesverfassungsgericht entgegen, dass die Verbots-Regelung bis zum 19. April 2020 befristet ist. Bei einer etwaigen Verlängerung sei eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen und zu untersuchen, ob es verantwortet werden könne, das Verbot von Gottesdiensten unter gegebenenfalls strengen Auflagen und möglicherweise auch regional zu lockern.
Das Hauptsacheverfahren hat Erfolgsaussicht

Das lässt auf das Hauptsacheverfahren hoffen: Denn über die Kernfrage, ob die geltende Regelung nämlich verfassungsgemäß ist, war im Eilverfahren gar nicht zu entscheiden.

Erst im Hauptsacheverfahren wird auch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG auszuleuchten sein. Nicht nur die Bild-Zeitung titelte: „Warum soll das richtig sein? Schlangen vorm Baumarkt, aber leere Kirchen an Ostern!“ Und das ist nur eines von zahlreichen Beispielen weiter statthafter Zusammenkünfte, die nicht dringlicher scheinen als der immerhin von der Verfassung geschützte Osterkirchgang der Gläubigen.

Innerkirchliche Verfahren chancenlos

Ein Kölner Katholik hatte an den Erzbischof von Köln den Antrag gerichtet, das kirchliche Gottesdienstverbot aufzuheben, wie Die Tagespost berichtete.

Die Corona-Schutzverordnung für Nordrhein-Westfalen spricht nämlich selbst kein Verbot von Gottesdiensten aus. Sie stellt in § 11 Abs. 4 lediglich fest, dass Gottesdienste der verschiedenen Religionsgemeinschaften aufgrund deren eigener Erklärung unterbleiben. Das ist klug ersonnen, denn es wirft Kölner Katholiken weit hinter den Rechtsschutz zurück, den sie andernfalls aufgrund der grundgesetzlich garantierten freien Religionsausübung vor den staatlichen Gerichten hätten. 

Besagter Kölner Katholik hat aufgrund dieser Konstruktion keine Antragsbefugnis vor staatlichen Gerichten, weil diese ihm in Nordrhein-Westfalen – anders als in allen anderen Bundesländern – nichts verbieten. Er kann sich nur an den Erzbischof wenden, der nach Can. 391 § 1 Codex Iuris Canonici (CIC) alleine die gesetzgebende, die ausführende und die richterliche Gewalt in seiner Hand vereint. Das heißt: Er ordnet das Gottesdienstverbot an, er sorgt für dessen Beachtung und er entscheidet über Beschwerden gegen sein Verbot.

Der Erzbischof teilte dem Antragsteller zunächst mit, dass dem Kirchenrecht kein „Recht, zu bestimmten Zeiten überhaupt Gottesdienste zu feiern“, zu entnehmen sei. Weiter zeigt sich: Die Kirche spendet zwar traditionell im Februar den Blasiussegen gegen Halskrankheiten, verfügt aber nicht über eigene Kompetenz in Sachen Corona. Deswegen schließt sich der Erzbischof voll und ganz der Risiko-Einschätzung und den Maßnahmen der Landesregierung an; er verantwortet lediglich die Umsetzung staatlicher Maßnahmen. Die selbst auferlegten Beschränkungen erfolgten laut dem Erzbischof „aufgrund eines dem Staat-Kirche-Verhältnis in Nordrhein-Westfalen entsprechenden Zusammenwirkens zwischen Kirche und Staat.“

Der Kirchenhistoriker nennt dererlei in einer anderen Epoche der Weltgeschichte „Caesaropapismus“. Die Unterordnung der Kirche unter staatliche Vorgaben kann nicht ohne Folgen bleiben. Die Corona-Krise hat nicht nur den Virus aus China gebracht. Angesichts des Doppelpassspiels von Kirche und Staat breiten sich auch an China erinnernde erste Elemente einer „Untergrundkirche“ aus. Der von dem hessischen Antragsteller angeführte Priester dürfte nur die Spitze des Eisberges von Geistlichen sein, die sich nicht nach den Gottesdienstverboten richten. Corona hat die Kerze der bischöflichen Autorität nun auch am anderen Ende angezündet.


Michael F. Feldkamp (Berlin) studierte in Rom (Gregoriana) und in Bonn. Er ist promovierter Historiker und Autor zahlreicher Bücher zur Verfassungsgeschichte, Zeitgeschichte und kirchlichen Rechtsgeschichte.

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