Tichys Einblick
Der neue Gesslerhut (Teil 1)

Gendersprache – die Ablehnung wächst

Gendern verbreitet sich im Bildungswesen, in Verwaltungen und Medien. Gegen die queere Sprach-Umerziehung formiert sich Widerstand, in Hamburg startet jetzt eine Volksinitiative. Von Sabine Mertens

IMAGO / Martin Müller

Seit Jahren lässt sich beobachten, wie die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema geschlechtergerechte Sprache oder auch Gendersprache von Seiten der Politik künstlich hoch gehalten wird. Diese Sprechweisen werden dem Freiheitsdiskurs der westlichen Welt zugeschlagen, untrennbar verknüpft mit Forderungen nach mehr (Geschlechter-)Gerechtigkeit, nach Vielfalt, nach Sensibilität gegenüber Menschen „außerhalb der hetero-sexuellen und zweigeschlechtlichen Norm“, und der Forderung nach Inklusion.

Zugleich wird jegliche Kritik am Gendern als illiberal gebrandmarkt und jeder, der die Standardsprache und seine Muttersprache verteidigt, in die Nähe des Extremismusverdachts gerückt. Skandalisierung als Methode, politische Gegner auszuschalten, Polarisierung in einer ohnehin über die Maßen polarisierten, dauererregten Gesellschaft.

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Politik und Verwaltungen führen in Deutschland seit Jahren einen verbissenen Kampf gegen den Volksmund, flankiert von (öffentlich-rechtlichen) Leitmedien. Man möchte dem Sprachvolk eine in der deutschen Grammatik fest verankerte Grundform austreiben, das generische Maskulinum (genus commune). Die Politik hat die ursprünglich feministische Sprachkritik unkritisch übernommen – und damit das radikale gender-queer-feministische Weltbild, nach dem auch die Frau lediglich eine jenseits der primären körperlichen Geschlechtsmerkmale selbst wählbare Konstruktion ist.

Nach der ursprünglichen feministischen Lesart ist die deutsche Sprache eine Männersprache, da sie Frauen unsichtbar mache, und das grammatische Geschlecht (Genus) sei mit dem biologischen Geschlecht (Sexus) in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb müsse man nun, ein halbes Jahrhundert später, allerlei sexuelle Ausrichtungen per Buchstabenfolge und Sonderzeichen in Wörtern ebenfalls sichtbar machen (LGBTQI+; Bürger*innen, Zuschauer:innen, Lehrer_innen).

Was als feministische Sprachkritik begann, hat sich zu einem Kulturkampf um Deutungshoheit und Macht entwickelt, der von Amts wegen immer weiter eskaliert wird, seit vor ein paar Jahren die Stadt Hannover mit ihren Gendervorgaben und einem Sprachleitfaden eine Nachahmungswelle lostrat. Der Staat ist gut aufgestellt gegen das Staatsvolk, mit der Tendenz, sich zu verbarrikadieren.

Sprache und Kulturkampf

Sprache ist aber nur die am meisten sicht- und spürbare Spitze des Gender-Eisbergs. Geht man der Frage nach, wie es überhaupt zu der Dauerpräsenz dieser Sondersprache kommen konnte – wo doch die überwiegende Mehrheit deutschsprachiger Bürger Gendersprache und die mit ihr verbundene (de-)konstruktivistische Weltanschauung nachweislich ablehnt – erkennt man weitverzweigte Funktionssysteme und infrastrukturelle Lebensadern, mit deren Hilfe es Politik gelungen ist, das eigene Handeln, den Bildungs- und Informationsauftrag von öffentlich-rechtlichen Medien und die Schul- und Hochschulbildung in zunehmendem Maße in den Dienst eines Lenkungs- bzw. Erziehungsauftrags zu stellen. Dadurch ließ sich das gender-queer-feministische Weltbild – die Mutter der Gendersprache – in den Tiefenstrukturen des Systems verankern.

Der Mitte des letzten Jahrhunderts noch auf den Straßen ausgefochtene Kulturkampf gegen Normen, Normalität und den gesellschaftlichen Standard wird heute nicht mehr „von unten“ gegen ein punktuell unterdrückerisches System geführt. Der Staat selbst mit seinen Verwaltungen maßt sich die Rolle des Kulturkämpfers an – ein praktischer Etikettenschwindel auf dem Weg zu besserer Lenkbarkeit von Menschen in der Massengesellschaft. Mit allerlei Propaganda tritt der Staat seinen Bürgern in grotesk verzerrender Weise wahlweise als Vielfaltsapostel, Schutzherr von Minderheiten und Hüter einer besseren, gar übermenschlichen Moral entgegen.

Basis-Widerstand ist angesagt
In Hamburg bahnt sich ein Volksentscheid gegen die Gendersprache an
Vielfalt ist ein schillernder Kampfbegriff geworden, an dem sich inzwischen Weltsichten scheiden und nicht nur der Gender-Gap, sondern auch große Bildungslücken auftun. Gendersprache will „alle Geschlechter abbilden“ und spricht deshalb von Islamist*innen oder Verbraucher:innen, als gebe es mehr als zwei Geschlechter. Zum Grundbestand des Allgemeinwissens gehört allerdings die Evolutionstheorie, und dass die meisten Menschen eine Sexualpräferenz für das jeweils andere Geschlecht haben, namentlich Mann oder Frau. Das weiß jedes Kind. Auch, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.

Vertreter der Gendersprache und ihrer Theorien akzeptieren die biologischen Geschlechter Mann und Frau – Cis-Gender in ihrem Jargon – nicht als evolutionäre Grundgegebenheit und Normalität. Sie wollen durch die mutwillige Umformung der Standardsprache erreichen, dass die verschiedenen sexuellen Ausprägungen und Neigungen (LGBTQI+) eigenständig sprachlich sichtbar werden. Und sie wollen nicht mehr als Ausnahme von der Regel wahrgenommen werden, sondern eigens eine neue Normalität generieren, für alle. So utopisch den meisten Menschen diese Sicht vielleicht vorkommen mag, so konkret stellt sich doch unter diesen Voraussetzungen die Frage nach neuen Reproduktionsweisen des Menschengeschlechts, vom Retortenbaby bis zum künstlichen Uterus.

Gender Mainstreaming bis Queer-Theorie

Ich bezweifle, dass jeder einzelne Politiker, der mitentschieden hat, ernsthaft so weit gehen wollte, als die erste rot-grüne Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss vom 23. Juni 1999 „die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip ihres Handelns im Sinne von Gender Mainstreaming“ anerkannte. Vielleicht hat man auch einfach die Bedeutung des englischen Wortes nicht verstanden, nämlich alles, wirklich alles, durch den Filter des Geschlechts zu betrachten – ganz zu schweigen von der Möglichkeit der Bedeutungsverschiebung des Begriffs Gender bis hin zu seiner radikalfeministischen Auslegung, die das Geschlecht als soziales Konstrukt annimmt.

Es heißt in dem Dokument, die „Verpflichtung der Bundesregierung zur Umsetzung einer effektiven Gleichstellungspolitik“ ergebe sich aus Art. 3 Abs. 2 GG. Dort taucht allerdings der Begriff Gleichstellung nicht auf, es ist von Gleichberechtigung die Rede. Den Begriff Gleichberechtigung durch Gleichstellung zu ersetzen ist schon eine fundamentale Diskursverschiebung, denn Gleichstellung setzt a priori Ergebnisgleichheit voraus, und die kann es zu Beginn eines jeglichen Spiels nicht geben, es sei denn, man setzt alle Spielregeln außer Kraft oder bestimmt die Augen des Würfels vor dem Wurf. Dann gibt es aber kein Spiel mehr.

Inzwischen haben alle Ressorts der Bundesregierung „nach § 2 GGO [Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien] das Leitprinzip der Geschlechtergerechtigkeit bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung zu berücksichtigen“. Allein den Begriff Geschlechtergerechtigkeit gesetzestext-tauglich zu definieren ist ein unmögliches Ding, und vielleicht ist das Projekt Gender Mainstreaming einfach über die Jahre aus dem Ruder gelaufen.

Für jeden Mitarbeiter ein Pronomen?
Berlin gendert: Good bye „Max Mustermann“ – Guten Tag „Manu Musterperson“
Wenngleich es einen organisierten „Langen Marsch durch die Institutionen“ nicht gegeben haben mag, wie der Extremismusforscher Rudolf van Hüllen meint, so sind doch die Institutionen unserer bürgerlichen Demokratie, inklusive der Parteien, heute durchsetzt mit Aktivisten, die die Weltsicht und den Jargon der antikapitalistischen, antiliberalen, kommunistisch sozialisierten K-Gruppen-Generation weiterführen und nun das demokratische System von innen heraus angreifen. „Antikapitalismus und Ablehnung auf persönlicher Handlungsautonomie und Freiheit wirtschaftlicher Betätigung beruhender westlicher Gesellschaften bildet naturgemäß den Kern einer Bewegung, die sich dezidiert als neomarxistisch betrachtet. […] Welche Wirtschaftsmodelle auch immer als Alternative angeboten wurden, alle waren kollektivistisch bestimmt, mehr oder weniger zentralistisch gesteuert […]. In allen spielen lenkende und leitende Strukturen, die selber nichts produzieren, eine wichtige Rolle.“

Von Akteuren innerhalb dieser lenkenden und leitenden Strukturen kommen dieser Tage Interventionen, mit denen vollendete Sprachtatsachen und gesetzliche Fakten geschaffen werden: unter Umgehung demokratischer Prozesse, unter Auslassung von Prozessen der Wissensgenerierung, durch Unterwanderung (undoing-gender), und gegen den Bürgerwillen. Das Selbstverständnis der von van Hüllen beschriebenen Protestgeneration lässt sich leicht an ihrer betonharten Ignoranz gegenüber dem Bürgerwillen ablesen: „Sie war absolut staatsfixiert, dachte nie in Kategorien von Effizienz, Produktivität, Konkurrenz und Wettbewerb, sondern stets in solchen von Administration, Bürokratie, Verteilung und Versorgung.“ Und da sie noch nicht ausgestorben ist, denkt sie immer noch so.

Die Geschlechterdifferenz, die in der doppelten Orientierung von Frauen als Mutter und Arbeitskraft ein Problem darstellt, das selbst der Feminismus nicht befriedigend lösen konnte, wird in der Gender-Theorie durch die Behauptung aufgelöst, das Geschlecht sei eine entgegen biologischen Grundgegebenheiten frei wählbare Konstruktion. Die Soziologin und Hochschullehrerin Nina Degele, die Soziologie und Gender Studies als „paradigmatische Verunsicherungswissenschaften“ sieht, spricht in ihrem Aufsatz „Heteronormativität entselbstverständlichen“ offen das zerstörerische Ziel der Queer-Studies aus („systematisch aus den Angeln heben“, „umstürzen“).

Zugleich wird deutlich, auf welchen Fehlschlüssen die Gender-Ideologie beruht: „Heteronormativität beschreibt in erster Annäherung ein binäres Geschlechtersystem, in welchem lediglich genau zwei Geschlechter akzeptiert sind, und das Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung gleichsetzt: Die Basiseinheiten sind Männer und Frauen, die sich in ihrer Sexualität aufeinander beziehen. Heteronormativität basiert damit auf zwei Annahmen: Menschsein sei natürlicherweise zweigeschlechtlich organisiert und Heterosexualität die ausschließliche und essenzielle Grundlage.“

Mit dem Begriff Heteronormativität als zentralem Kampfbegriff der Queer-Theorie ist auch die feindliche Übernahme des Feminismus durch die Queer-Theorie perfekt: „[Judith] Butler zufolge – das ist die Begründung für queere Anti-Identitätspolitik – arbeitet der Feminismus gegen seine eigenen Ziele, wenn er von ,Frauen‘ als unhinterfragter Grundlage ausgeht.“ (ebenda)

Gegenwehr

Unter den Attacken aus dem Inneren des demokratischen Versorgungssystems, verstärkt durch Globalisierungsdruck und weltweite Krisen, hat die Integrationskraft demokratischer Institutionen, Werte und Verfahren stark nachgelassen. Vor diesem Hintergrund verstört mich eine Aussage von Olaf Scholz. Auf die Frage, ob er sich als intersektioneller Feminist sehe, antwortete er: „Ja. Und genau darum treten wir für eine Gesellschaft des Respekts ein. Denn verschiedene Formen der Diskriminierung verstärken einander. Wir sagen allen den Kampf an.“ Politik reklamiert Deutungshoheit über Begriffe, spekuliert vielleicht auf den Gewöhnungseffekt, und dass das Sprachvolk die zahlreichen falschen Voraussetzungen, die der Gender-Weltanschauung zugrunde liegen, bald nicht mehr hinterfragen würde. Ganz im Gegenteil reagieren die Bürger aber zunehmend genervt und entfremdet. Anstatt dass sich Abstumpfung einstellt, wächst die Gegenwehr, auch mit den juristischen Mitteln des Rechtsstaates.

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Vernunftbasierte, faktenbezogene Einordnungen und sachlichen Widerspruch gegen die radikalfeministische Sprachdoktrin gibt es zuhauf. Zuletzt forderten Wissenschaftler und Ärzte mit einem vielbeachteten Aufruf „den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf, biologische Tatsachen und wissenschaftliche Erkenntnisse wahrheitsgemäß darzustellen“. Sie verlangten „eine Abkehr von der ideologischen Betrachtungsweise zum Thema Transsexualität und eine faktenbasierte Darstellung biologischer Sachverhalte nach dem Stand von Forschung und Wissenschaft.“ Auch den Aufruf „Linguistik vs Gendern“ haben inzwischen über 400 Linguisten bzw. Literaturwissenschaftler unterschrieben. Zu guter Letzt hatten (Stand: Anfang Februar 2023) an die 60.000 Bürger die von Frauen initiierte Petition für die Abkehr von der Gendersprache in Politik, Verwaltungen, Bildung, Medien und Gesetzgebung unterzeichnet.

Trotz besserer Argumente und massenhafter Gegenwehr mit allen Mitteln einer streitbaren Demokratie ist der obrigkeitsstaatliche Gestus, der Mutwille, mit dem die sprachliche Untertänigkeit des Souveräns durch Nötigung und Gewöhnung erzwungen werden soll, immer noch ungebrochen. Das zeitigt langfristig nicht nur immateriellen Schaden am Kulturgut Sprache und am aufrechten Gang der Bürger, sondern es verschlingt auch immens viel Geld, das an anderen Stellen dringend benötigt würde. Aktuell will die neue, grüne IT-Leiterin der Stadt München, die ihren Doktorgrad in Gender-Studies erwarb, 4 Millionen Euro für die „gendergerechte“ Anpassung städtischer Formulare ausgeben. Dabei beruft sie sich auf das Bundesverfassungsgericht, das mit seinem Urteil zur dritten Option beim Geschlechtseintrag die öffentlichen Verwaltungen angeblich dazu verpflichtet habe, „alle Menschen korrekt anzusprechen“… Dass man seit jeher alle Bürger mit der Standardsprache angemessen und kostenlos adressieren kann, ist ihr wohl nicht geläufig.

Immer wieder bekommen wir zu hören, Gendersprache sei eine Frage des Respekts, und wer an der Standardsprache festhält, sich nicht dem Zeitgeist beugt, wird als respektlos erachtet. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Gendersprache ist die ultimative Form der Respektlosigkeit gegenüber dem Kulturgut Sprache und allen, die der Sprachgemeinschaft angehören. Genderverfechter sind mutwillig aus der Sprachgemeinschaft ausgestiegen und haben geltende Regeln einseitig aufgekündigt. Die Genderdoktrin ist auf Umsturz und Zerstörung aus und lebt vom Chaos, das sie selbst immer wieder anfacht.

Weil das Maß an täglichen Dosen der Herabwürdigung durch ignorante und lebensferne Volksvertreter mit ihrer totalitären Propagandasprache voll ist, haben wir in Hamburg eine Volksinitiative auf den Weg gebracht: Schluss mit Gendern in Verwaltung und Bildung. Allein die Ankündigung zeitigte ein gewaltiges Medieninteresse, brachte uns begeisterte Zustimmung aus der ganzen Republik ein, und die Hamburger CDU stellte sich geschlossen hinter die Initiative.

Die Unterschriftensammlung der Hamburger Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ hat Anfang Februar begonnen.


Sabine Mertens ist Kunsttherapeut und Coach in eigener Praxis in Hamburg. Sie ist Autor von Fachbüchern (Beltz) und Texten zum Genderthema und leitet die AG Gendersprache im Verein deutsche Sprache (VDS e.V.), dessen Bundesvorstand sie angehört. Mehr von Sabine Mertens lesen sie in dem aktuellen Buch „Cancel Culture und Meinungsfreiheit: Über Zensur und Selbstzensur“.

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