Sind Sie für das Grundgesetz? Okay ich gebe zu, das ist eine rhetorische Frage. Dennoch … Vielen ist gar nicht bewusst, dass das aktuelle Anti-Doping-Regime grundgesetzwidrig ist: Sportlerinnen und Sportlern werden Grundrechte verweigert, die essentieller Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Das darf so nicht weitergehen: Dopingbekämpfung mag ein legitimes Ziel sein, doch eine auf liberalen Prinzipien gegründete Gesellschaft kann nicht alles dulden. Es gibt gewisse Grenzen – und diese sind derzeit weit überschritten. Das soll im Folgenden erläutert werden.
Häufig heißt es, Doping sei zu verbieten, weil es die Gesundheit gefährde. Das allein kann aber kein Grund für ein Verbot sein. Warum? Weil Artikel 2 des Grundgesetzes lautet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […].“ Dieses Grundrecht schützt jede freie Handlung des Einzelnen, sofern niemand Drittes geschädigt wird – und somit auch die Selbstschädigung. Das gilt auch für Sportler: Sie dürfen ihren eigenen Körper schädigen, das kann ihnen niemand verbieten, solange wir davon ausgehen können, dass sie eigenverantwortlich handeln.
Sportler wollen in ihrem Sport der Beste sein und sind bereit, dafür sehr weit zu gehen. Das kann natürlich nicht gesund sein: Sie müssen ihren Körper immer wieder an die Grenze bringen, im Training, im Wettkampf. „Ich hatte eine Serie von Verletzungen, zwei Kreuzbandrisse, Bandscheibenvorfälle, am Ende eine chronische Entzündung an der Ferse“, sagt z.B. Johannes Herber, ehemaliger Basketball-Profi. Gelenkprobleme sind auch direkt im Anschluss an die sportliche Karriere die Regel: „In dieser Zeit habe ich meinen Körper ganz schön gespürt: Knie, Ellenbogen, Wirbelsäule – und du fragst dich morgens: Was ist denn jetzt bitte schön los?“, so Oliver Kahn, der frühere Welt-Torhüter des FC Bayern München.
„Sporttreiben ist gesundheitsschädigend, mit oder ohne Doping-Mittel.“
Es mag traurig stimmen. Aber es ist wie es ist: Sporttreiben ist gesundheitsschädigend, mit oder ohne Doping-Mittel. Entscheidend ist somit auch nicht die Gesundheitsgefährdung, sondern die Eigenverantwortung, da sie den grundrechtlichen Schutz begründet. Sportler müssen durch die Trainer und Ärzte umfassend informiert werden: Welche gesundheitsrelevanten negativen Wirkungen sind durch die Einnahme eines bestimmten Doping-Mittels zu erwarten? Nur so können sie in Kenntnis der Tragweite ihrer Entscheidung handeln. Eine Doping-Freigabe könnte hier förderlich sein: Erstmals wäre es möglich, offen zu forschen. Mit dem neu geschaffenen Wissen könnte die Beratung sicherlich verbessert werden.
Ein weiterer Aspekt spricht gegen das aktuelle Doping-Regularium: Es wurde ein quasi-totalitäres Überwachungsregime installiert. Die Sportler müssen 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr für die Doping-Kontrolle zur Verfügung stehen. Sie sind verpflichtet, gegenüber den Kontrolleuren ihren Aufenthaltsort zu spezifizieren – und das für drei Monate im Voraus, auch im Urlaub. Diese Regelung ist mit der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Dort heißt es nämlich in Artikel 8 zum „Recht auf Privatheit“: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“
Das aktuelle Doping-Kontrollverfahren verstößt gegen das Recht auf Privatheit aus drei Gründen: Das Grundgesetz schränkt die Unverletzlichkeit der Wohnung nur unter bestimmten Bedingungen ein, eine Doping-Kontrolle gehört nicht dazu. Sportler müssen aber zu jeder Uhrzeit Kontrolleure in ihre Wohnung lassen, auch mitten in der Nacht. Eine Verweigerung würde zu einer Sperre von vier Jahren führen. Sportler bestimmen zudem nicht frei über die Preisgabe und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten. Durch die obligatorische Meldung des Aufenthaltsortes an die Nationale Anti-Doping Agentur ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht verletzt. Des Weiteren ähnelt die Entnahme der Dopingprobe bei einer Frau einer gynäkologischen Untersuchung – ein sehr weitgehender Eingriff in den privaten Bereich einer Person. Und auch ein Mann hat sich von der Brustwarze bis zu den Knien freizumachen. Denn der Kontrolleur ist verpflichtet, ihm beim Urinieren direkt auf den Penis zu schauen.
Man fragt sich: Sind Sportler denn keine Bürger? Darf man mit ihnen alles machen? Ist jedes Mittel erlaubt, nur um das hehre Ziel „dopingfreier Sport“ zu erreichen? Damit muss Schluss sein! Eine auf freiheitlichen Prinzipien gegründete Gesellschaft kann ein solches Regularium nicht akzeptieren. Sportler sollten ihr Recht auf Privatheit einfordern, und jeder von uns sollte sich solidarisch zeigen.
„Eine Doping-Freigabe wäre nicht der Untergang des Sports.“
Doper werden hart bestraft: Sie sind in der Regel für zwei oder mehr Jahre gesperrt. In diesem Zeitraum darf der gesperrte Sportler an keinem Wettbewerb und Training teilnehmen. Er darf damit in dieser Zeit seinen Beruf nicht ausüben. Ein Berufsausübungsverbot muss aber laut Grundgesetz Artikel 12 besonders begründet werden. Ein Doping-Verstoß ist dafür nicht ausreichend: Doping ist ein vorsätzlicher Regelbruch – wie die „Notbremse“ im Fußball. Der Sportler will sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, der verboten ist. Wieso muss Doping so hart bestraft werden? Das ist unverhältnismäßig. In der Fußballbundesliga z.B. betrug die längste Sperre für rohes Spiel, eines der schlimmsten Vergehen, acht Wochen. Roh spielt, „wer rücksichtslos im Kampf um den Ball den Gegner verletzt oder gefährdet.“
Das Berufsausübungsverbot geht damit zu weit. Ein Sportler wird existenziell vernichtet, da er während der Sperre kein Geld verdienen kann. Es würde stattdessen ausreichen, das Ergebnis des Wettkampfs zu annullieren, in dessen Rahmen der Sportler positiv getestet wurde. Das Preisgeld müsste er zurückzahlen. Die Annullierung wäre zugleich die Kompensation für die Mitbewerber, die regelkonform agierten: Sie würden entsprechend ihrer im Wettkampf ermittelten Platzierung aufrücken.
Wir halten fest: Das aktuelle Dopingkontrollsystem ist nicht vereinbar mit den Prinzipien einer Gesellschaft wie der unsrigen, die auf einer freiheitlich-demokratischen Ordnung fußt. Fundamentale Grundrechte werden mit Füßen getreten. So wie bisher kann es daher nicht weitergehen. Kurzfristig könnte die Situation verbessert werden, indem man auf Trainingskontrollen verzichtet und die Sanktionen auf ein angemessenes Maß zurückführt. Mittel- bis langfristig ist die Sinnhaftigkeit eines Doping-Verbots generell in Frage zu stellen. Denn es gibt noch viele weitere Probleme, wie z.B. die schwammige Definition von Doping, die nicht klar regelt, was illegal ist. Ich habe das an anderer Stelle ausführlich erläutert.
Eine Doping-Freigabe wäre im Übrigen nicht der Untergang des Sports, wenn wir unterstellen, dass die neu gewonnenen Freiheitsräume sinnvoll genutzt würden. Dafür gibt es sicherlich keine Garantie, aber auf einen Versuch käme es an. Immerhin würde die Doping-Freigabe es den Sportlerinnen und Sportlern erlauben, selbst zu entscheiden, was sie aus ihrer Situation machen. Diese Veränderung wäre für sie auf jeden Fall von Vorteil, denn damit wären sie deutlich weniger fremdbestimmt als zuvor: Befreit vom anti-liberalen Regelwerk der Welt Anti-Doping Agentur könnten die Sportlerinnen und Sportler nun – unter Anleitung der Trainer und Ärzte – eigenverantwortlich über ihren Körper verfügen. Wäre das nicht auch im Sinne unserer Gesellschaft?
Stefan Chatrath ist Professor an der University of Applied Sciences Europe. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind u.a. Sportmarketing, Ticketing und Ethik im Sportmanagement. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Landessportbundes Berlin.
Dieser Beitrag ist bei Novo erschienen.