Wie kommt Deutschland aus der Corona-Krise heraus? Das Thema dominiert derzeit wie kein zweites die Tagespresse. Aus nachvollziehbaren Gründen plädieren Vertreter der Wirtschaft dafür, möglichst schnell wieder die Arbeit aufzunehmen. Dies liegt auch im staatlichen Interesse, da die Möglichkeiten der Regierung, mit Hilfsmaßnahmen die negativen Folgen der Epidemie abzufedern, früher oder später an finanzielle Grenzen stoßen werden. Eine Exit-Strategie zur Durchbrechung der derzeitigen Schockstarre braucht allerdings einen Referenzpunkt, an dem sie ansetzen kann. Seine Umschreibung könnte in einigen Monaten einer Zwangslage geschuldet sein: Sollten das politische System und die Wirtschaft zu kollabieren drohen, wird sich die Regierung zugunsten der Ökonomie entscheiden müssen – und zwangsläufig eine höhere Mortalitätsrate in Kauf nehmen.
Die zweite Voraussetzung kann schnell abgearbeitet werden. Früher oder später werden auch in Deutschland Atemschutzmasken breitflächig zur Verfügung stehen, was sich schlicht über die Gesetze des Marktes ableiten lässt: Wo es eine hohe Nachfrage gibt, werden auch bald Anbieter bereit stehen. Da die Corona-Krise nicht die letzte dieser Art sein wird, wäre dann vorgesorgt. Die Umsetzung der ersten Voraussetzung ist weit schwieriger, was vornehmlich mit der Sorglosigkeit und zugleich Arroganz vieler Menschen zusammenhängt, die den „unsichtbaren Feind“ nicht sehen und deshalb nicht ernst nehmen – allen Nachrichten über eine bald vierstellige Opferzahl in Deutschland zum Trotz. Abgestützt wird eine solche fahrlässige Positionierung auch vom Verhalten vieler Mitglieder der Bundesregierung und verschiedener Landesregierungen: Wenn die politische Elite nicht sichtbar – wie etwa in Südkorea – selbst Atemschutzmasken trägt, sendet sie auch nicht die notwendigen Signale in die Bevölkerung.
Eine solche Argumentation wird schnell mit dem Hinweis gekontert, dass die weit verbreiteten OP-Masken (auch: chirurgische Gesichtsmasken) nur begrenzt schützen und keinen FFP3-Standard hätten, der allein Viren abhalten kann. Das stimmt, aber es ist dennoch kein überzeugendes Gegenargument. Wer OP-Masken trägt, schützt zuvörderst nicht sich selbst, sondern seine Mitmenschen, da er die eigene, ausgeatmete Luft in der Schleuderwirkung ausbremst. Je mehr Bürger dabei mitmachen, desto größer wird die gegenseitige Schutzwirkung. Dabei wäre es abwegig zu behaupten, es könnte auf diesem Wege absolute Sicherheit garantiert werden. Es geht um etwas Anderes: die Verlangsamung der Ausbreitung eines Virus, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Der Virologe Alexander Kekulé sagte dazu jüngst in einem Interview: „Wenn Sie sich die Daten in Hongkong ansehen, sind Masken wahrscheinlich die wichtigste Maßnahme bei der Infektionskontrolle.“
Wissenschaftliche Studien zeigen zudem, dass OP-Masken deutlich besser als ihr Ruf sind. In der Online-Ausgabe des Ärzteblatts vom 4. September 2019 werden die Ergebnisse einer Untersuchung wie folgt zusammengefasst: „Viren wurden in einer Testserie in Clinical Infectious Diseases [medizinische Fachzeitschrift, BL/MW] (…) zu 94,5 % [bei OP-Masken, BL/MW] zurückgehalten. Der Unterschied zur N95-Atemschutzmaske, die 99,8 % der Viren zurückhielt, war nicht sehr groß. Wenn die Masken nur ‘locker’ angelegt wurden, hielten sie weniger als 70 % der Viren zurück. Auch die N95-Atemschutzmaske war nicht effektiver, wenn sie nicht sachgerecht angelegt wurde.“
Vor diesem Hintergrund ist ein Ausweg aus der Krise denkbar. Sobald für jeden Deutschen Atemschutzmasken wieder zur Verfügung stehen, muss die Bundesregierung über die Möglichkeit verfügen, im Epidemie- bzw. Pandemie-Fall das Tragen solcher Vorrichtungen landesweit zur Pflicht zu erheben. Wer seine eigene Wohnung verlassen möchte, darf dies nur noch unter der Maßgabe, eine Atemschutzmaske aufzusetzen. Zuwiderhandlungen werden mit 200 € Bußgeld und deutlich mehr im Wiederholungsfall geahndet. Um eine solche Maßnahme durchzusetzen, müssen Polizei, Ordnungsamt und bei Bedarf die Bundeswehr mittels Kontrollen Präsenz in der Fläche zeigen. Nur so werden die Menschen im Notfall zügig zu sensibilisieren sein. Allein mit guten Worten wird die Politik nicht weiterkommen, was derzeit beim täglichen Einkauf zu erleben ist: Viel zu viele Menschen halten sich nicht an die Abstandsregeln, und ohne die Androhung von Zwangsmaßnahmen werden zumindest die renitenten Krisenverweigerer auch nicht zur Solidarität beim Tragen von Atemschutzmasken zu bewegen sein.
Kann die Maßnahme in der Breite durchgesetzt werden, so könnte dies ein wichtiger Beitrag zum Management der Pandemie werden und ihre Auswirkungen auf einem erträglichen Niveau halten. Vor allem wäre es möglich, das Wirtschaftsleben fortzusetzen. Der besondere Schutz würde sich auf die Risikogruppen konzentrieren; alle anderen versuchen, durch das Tragen von Atemschutzmasken, die Beachtung von Abstandsregeln und weiterer Hygienevorgaben zu helfen, der Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken. Zeichnet sich ab, dass das Gesundheitssystem doch überlastet werden könnte, werden die Maßnahmen wieder verschärft – bis hin zur Ausrufung der Ausgangssperre. Ist einige Zeit später erkennbar, dass die Eindämmung der Epidemie erneut gelungen ist, nehmen die Menschen wieder ihre Arbeit auf. Die jeweilige Dosierung ist mit ausgewiesenen Virologen abzustimmen. Genau so könnte eine Exit-Strategie aus dieser und folgenden Krisen aussehen: die Wahl eines Mittelweges zwischen einem verantwortungslosen, ungeschützten „Weiter so!“ und einem fast vollständigen Herunterfahren der Ökonomie. Beides ist langfristig Gift für die Demokratie.
Die Bundesrepublik ist in Sachen Krisenprävention durch das Tragen von Atemschutzmasken im Alltag leider nicht an der europäischen Spitze zu verorten. Andere Staaten haben dagegen die Zeichen der Zeit längst erkannt. In Bulgarien ist das Tragen einer Atemschutzmaske in der Öffentlichkeit seit kurzem Pflicht. Österreich will eine solche Maßnahme vorschreiben, wenn Menschen zum Einkaufen gehen. Und in Deutschland plant die Stadt Jena, in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens – vom Supermarkt bis zu den Verkehrsmitteln – das Tragen von Atemschutzmasken anzuordnen. Immerhin! Dies reicht jedoch nicht. Die Bundesregierung muss nun offensiver das Offensichtliche angehen und eine landesweite Tragepflicht von Atemschutzmasken einführen, sobald sie für alle verfügbar sind. Jüngste Äußerungen von Spitzenpolitikern wie Jens Spahn, Armin Laschet und Horst Seehofer zeigen dagegen, dass wir Gefahr laufen, eine zentrale Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie viel zu spät zu ergreifen.
Björn Lakenmacher, MdL, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender und innenpolitischer Sprecher der CDU im Landtag von Brandenburg.
Prof. Dr. Martin Wagener unterrichtet Internationale Politik mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik am Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin.