Tichys Einblick
"Einsicht in die Notwendigkeit des Gitters"

Freiheit – ein rechter Diskurs

Ein ARD-Beitrag zeigt exemplarisch die Begriffspolitik der Öffentlich-Rechtlichen: Freiheit ist, dem zuzustimmen, was die Regierenden für notwendig halten. Wer das nicht einsieht, gefährdet die Gesellschaft. Der MDR kehrt damit wieder zu seinen Wurzeln zurück. Von Jürgen Schmid

© Getty Images

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland wehrt sich gegen den Vorwurf der politischen Einseitigkeit und Ideologisierung. Die schönsten Belege dafür liefert er regelmäßig selbst.

Fast zeitgleich mit dem Plan der ARD, für die nächste Gebührenperiode ab 2025 eine Beitragserhöhung auf bis zu 25,19 Euro zu fordern, veröffentlichte die ARD-Anstalt MDR einen Beitrag zum Thema Freiheit. Beziehungsweise, wie es in der Überschrift heißt, „Freiheit“ in Anführungszeichen.

Schon die Unterzeile weist die Richtung: „Verbrenner-Aus, Fleisch oder generisches Maskulinum – wenn bisher Gewohntes in Frage gestellt wird, argumentieren Bewahrer gern mit ihrer Freiheit. Das erscheint nicht nur als finales Totschlag-Argument. Tatsächlich findet hier eine Umdeutung des Freiheitsbegriffs statt, die an den Kern gesellschaftlicher Solidarität geht – und Anschluss an extrem rechte Diskurse herstellt.“

Wer also das Gendern ablehnt, Fleisch isst oder gern weiter einen Verbrenner fahren möchte, deutet nicht nur den Freiheitsbegriff um, wie die MDR-Redakteurin ihn verstanden wissen will. Er verlässt damit auch die politisch noch legitime Sphäre und schließt an „extrem rechte Diskurse“ an. Kurzum: Eine solche Person verliert ihre Satisfaktionsfähigkeit.

Der als Meinung gekennzeichnete MDR AKTUELL-Beitrag von Rebecca Nordin Mencke steht symptomatisch für eine freiheitserodierende Tendenz in einer ganzen Reihe von Medien, nicht nur den Öffentlich-Rechtlichen. Und er enthält gleich zwei konforme Meinungen – die der Redakteurin und die einer hinzugezogenen Politikwissenschaftlerin, die alles, was die MDR-Verantwortliche meint, noch einmal bestätigt. Die Überschrift „Wie ‚Freiheit’ zulasten des Klimaschutzes instrumentalisiert wird“ wirft faktisch allen, die den als Klimaschutzmaßnahmen von den Grünen und anderen vorgegebenen Bestimmungen nicht vorbehaltlos zustimmen, die illegitime Benutzung des Freiheitsbegriffs vor. Damit stellt der MDR die Kausalität auf den Kopf: Denn es verhält sich ja so, dass die politisch und medial Wohlmeinenden den Begriff ‚Klimaschutz‘ benutzen, um ihre Gesellschaftsvorstellungen durchzusetzen. In komprimierter Form enthält Menckes Meinung alle Ingredienzien, mit denen zurzeit an der Entkernung und Neujustierung des Freiheitsbegriffs gearbeitet wird. Drei herausgehobene Punkte im Text stecken das Umfeld ab, aus dem die Meinung entstammt:

„Freiheit wird zum Erhalt von Privilegien umgedeutet.
Bundesverfassungsgericht stärkte Klimaschutz zugunsten der Freiheiten künftiger Generationen.

Politikwissenschaftlerin: Wer dringliche politische Maßnahmen als Politik der Unfreiheit darstellt, bedient rechte Feindbilder.“

„Verbrenner-Aus, Fleisch oder generisches Maskulinum“, „Privilegien“, „Klimaschutz“, „rechte Feindbilder“ sind die Narrativfelder aller polit-medialen Akteure, die sich selbst als Progressive, wahlweise Linksliberale bezeichnen, kurz: Es ist das Umfeld der Grünen, dem sich momentan alles anschließt, was nicht als ewiggestrig und rückständig wahrgenommen werden will.

Als Aufhänger für seinen Meinungsbeitrag nimmt der MDR eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Die CDU/CSU-Fraktion hatte sie beantragt, und zwar mit der wahlplakattauglichen Überschrift „Freiheit statt Verbote“. Etwas staatstragender hieß es in einem Zusatz: „Den mündigen Bürger stärken“.

Die MDR-Journalistin Rebecca Nordin Mencke moniert schon, dass die oppositionelle Unionsfraktion überhaupt unter diesem Motto debattiert. „Tatsächlich“, behauptet sie, „diskutieren die Abgeordneten an diesem Nachmittag über Wärme- und Verkehrswende und wie Deutschland seine selbst gesteckten Klimaziele erreichen kann.“ Darauf folgt die Bestätigung der herbeizitierten Expertin Janine Patz: „Wenn die Erzählung ‚Freiheit statt Verbote‘ eine Debatte zu Klimaschutzmaßnahmen präge, sei das eine klare Instrumentalisierung des Begriffs, sagt Patz im Gespräch mit MDR AKTUELL. Zugleich werde ‚Freiheit‘ damit ad absurdum geführt.“

Analyse
Das Fernsehen ist tot
Allerdings hatte die Union die Aktuelle Stunde beantragt. Sie besitzt damit auch das Recht, deren Thema zu wählen. Es gab also keine Debatte, die „tatsächlich“ stattfand, bis die Opposition diese irgendwie zu Unrecht mit ihren instrumentalisierten Vorstellungen von Freiheit „prägte“. Sondern es fand eine Debatte statt, in der die Regierungsparteien das Thema der Aktuellen Stunde weitgehend ignorierten. Für den MDR scheint es ein Skandalon darzustellen, dass die Opposition im Bundestag überhaupt ein Thema setzen darf, statt die Regierungsdeutung so geschmeidig zu übernehmen wie ein öffentlich-rechtlicher Mitarbeiter. In dem gesamten MDR-Text, in dem es zu großen Teilen um eine von der CDU/CSU beantragte Debatte geht, kommen zwei Stimmen aus dem Regierungslager vor, dazu die Meinung der Redakteurin und die der Politikwissenschaftlerin – aber nicht einmal ein kleiner Soundschnipsel der Union.

Für MDR-Redakteurin Mencke scheint es generell unterschiedliche Kategorien von Freiheitswerten zu geben. Sie kennt die „vermeintlichen“ Freiheiten, worunter sie das Fahren „mit einem Verbrenner-Auto“ und den Betrieb einer Gasheizung zählt. Im Gegensatz dazu hält sie den Erwerb eines 9-Euro-Tickets – also eines staatlich subventionierten Fahrscheins – für echte Freiheit, die weder einen abwertenden Zusatz noch Gänsefüßchen braucht. Sie scheint es grundsätzlich problematisch zu finden, wenn Bürger sich nach ihren eigenen Interessen für oder gegen etwas entscheiden.

Mit der negativen Einfärbung, die Union habe mit der Wahl ihres Themas „polarisiert“, schließt die MDR-Frau passgenau an ihren Freiheitsbegriff an. Polarisierende Parlamentsdebatten, die unterschiedliche Ansichten in der Gesellschaft zum Ausdruck bringen, scheinen ihr offenbar ungehörig.
Wenn ein Journalist bestätigt werden will, dann zieht er einen Meinungsbestätiger seines Vertrauens hinzu – einen Experten.

Diese meinungsstabilisierende Figur hat wahlweise die Aufgabe, etwas ‚richtig‘ zu finden, was die Regierung sagt, oder als ‚problematisch‘ zu markieren, was die Opposition vorbringt. Die MDR-Mitarbeiterin hatte jedenfalls zielsicher einen passenden Namen aus dem großen Expertenpool für alle Fälle gegriffen: die schon oben zitierte Expertin für das Engagement gegen rechts, deren eigentlicher Part nach dem Zwischentitel „Kampf um Privilegien statt für Freiheit“ beginnt. Und der beginnt mit ihrer Grundsatzdefinition, was Freiheit alles nicht sei, und in welche gefährliche Richtung die „Umdeutung der Freiheit“ führe:
„‘Denn Freiheit meint selbstverständlich nicht das Recht, durch das eigene Verhalten wissentlich andere in ihrer Würde, Unversehrtheit oder in ihren Rechten verletzen zu dürfen‘, betont sie.“

Abgesehen davon, dass sie Unversehrtheit oder Rechte offenbar für zwei verschiedene Kategorien hält, verquirlt sie auch kodifizierte Rechte und subjektives Würdeempfinden. Jemand kann eine Karikatur, eine Kritik oder eben eine politische Themensetzung, die ihm nicht passt, durchaus als Anschlag auf seine Würde empfinden. Trotzdem besitzt jeder die grundsätzliche Freiheit dazu, zu kritisieren und zu karikieren. Freiheit meint ja gerade nicht das Recht, frei von Störungen der eigenen Weltsicht zu leben.

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Für die MDR-Expertin folgt aus ihrer Freiheitsdeutung gleich die politische Nutzanwendung: „Wenn sich Politiker gegen Klimaschutzmaßnahmen stellten, gehe es tatsächlich weniger um Freiheit als um die Verteidigung von Privilegien und von bestimmten Formen des Konsumverhaltens. Eine solche Umdeutung von Freiheit richte sich aber gegen den Grundgedanken gesellschaftlicher Solidarität und Verantwortung und gefährde letztlich den demokratischen Zusammenhalt.“
Ein selbstgewähltes Konsumverhalten ist für sie also schon eine „Umdeutung von Freiheit“ und gefährdet die gesellschaftlichen Grundfesten, die für sie nicht in Abwehrrechten des Bürgers gegen den Staat bestehen, sondern in „Solidarität und Verantwortung“. Demokratisch zusammenhalten können Bürger nach dieser Deutung nur mit den Grünen und deren Unterstützern. Denn: „Wer dringliche politische Maßnahmen als Politik der Unfreiheit darstellt, bedient rechte Feindbilder.“

Übrigens, da das Stichwort gerade fiel: „Würde, Unversehrtheit und Rechte“, also das, was Patz aufzählt, wurde vor nicht allzu langer Zeit in Deutschland durch teils rechtswidrige Corona-Maßnahmen bekanntlich massiv verletzt. Und zwar von der Regierung – erst unter Unionsführung, dann von den Ampelkoalitionären. Auch darauf geht die Expertin in dem MDR-Beitrag ein. Selbstverständlich gab es auch hier wieder eine unstatthafte Umdeutung der Freiheit … und zwar durch Bürger, die gegen diese Maßnahmen demonstrierten. In dem Beitrag des ARD-Senders heißt es dazu:

„Eine besondere Gefahr sieht die Politikwissenschaftlerin in der hohen Anschlussfähigkeit solcher Diskurse. Die Grünen als Verbotspartei darzustellen, erscheint zwar als alter Hut. Doch bereits in der Corona-Pandemie gewannen rechte Umdeutungsversuche von Freiheit erheblich an Aufwind. Patz verweist auf Schlagworte wie ‚Freiheit statt Corona-Diktatur‘ oder ‚Freiheit statt Angst‘, die häufig reproduziert worden seien. ‚Die Maske wurde zum Symbol der Unfreiheit, obwohl sie doch gewisse Freiheiten für alle ermöglichen sollte.‘”

Die Ansicht, dass es sich bei Freiheit immer um die Freiheit der Regierenden handelt, die bloß nicht durch Kritik oder Polarisierung gestört werden dürfen, vertritt die Politikwissenschaftlerin schon länger. Hauptaufgabe des Experten sei stets das Framing. Den Rahmen von Demokratiefeindlichkeit und Rechtsextremismus spannt die Expertin in diesem Fall auch um eine Partei, der sie beim besten Willen beides nicht direkt anhängen kann. Auf einem kleinen Umweg aber schon: Sie sieht „demokratiefeindliche Argumentationen und Deutungsmuster auch bei parteipolitisch Verantwortlichen jenseits des extrem rechten Spektrums“. Als öffentlich-rechtliche Expertin kritisiert sie, was die öffentlich-rechtliche Redaktion zuvor auch schon kritisierte: „Wer die über Jahrzehnte ausgebremsten, verschleppten und nun dringlichen Klimaschutzmaßnahmen als Politik der Unfreiheit und Verbote und sozial-ökologische Politik als unsachlich verblendet beziehungsweise ‚ohne Menschenverstand’ darstellt, schürt Hand in Hand mit (extrem) rechten Akteur:innen das Feindbild ‘Grüne Politik’“. „Kritisiert Patz“, setzt MDR-Redakteurin Mencke dazu. Ein perfektes Duo.

Rundfunkgebühren
Schafft das ZDF ab
Janine Patz befasst sich seit zehn Jahren mit wenig anderem als Rechtsextremismus. Sie koordinierte das Jenaer Stadtprogramm gegen Rechtsextremismus, war Mitarbeiterin am Zentrum für Rechtsextremismusforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und untersuchte in einem von Campact und der Amadeu-Antonio-Stiftung geförderten Projekt die staatlichen Maßnahmen gegen Hate Speech im Internet. Momentan gehört sie zu den Protagonisten des FGZ-Forschungsprojekts „Internationaler Rechtspopulismus im Kontext globaler ökologischer Krisen“. Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, für das Patz arbeitet, befindet sich in Trägerschaft der Amadeu-Antonio-Stiftung und wird durch das Thüringer „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ gefördert; zudem gehört es zu einem Verbund – dem „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (FGZ) –, der seit fast drei Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Gegründet wurde die Amadeu-Antonio-Stiftung übrigens von Anetta Kahane, einer früheren Zuträgerin der Staatssicherheit, also einer Fachkraft, die auch jederzeit Auskunft über den richtigen und falschen Gebrauch von Freiheit geben könnte.

Der MDR bemüht nicht nur Experten für die passende Rahmung. Er tut auch selbst sehr viel dafür, die Debatte um Freiheitseinschränkungen für das Notwendige in die richtigen Bahnen zu lenken. Drei Hinweise auf weitere MDR-Beiträge ziehen sich durch den Text von Mencke. Dreimal heißt das Thema „Klimawandel“.
In der ersten Variante: „Klimawandel: Jede(r) Zweite würde Fleischkonsum reduzieren – bei richtigen Anreizen“. Derselbe Text wäre auch denkbar mit ganz anderen Aufhängern – Tierschutz etwa. Oder: Gesunde Ernährung. Aber das Mono-Thema „Klima“ beherrscht alles.

Zweite Variante: „Umweltbundesamt: Treibhausgas-Ausstoß sinkt zu langsam“. Im Bild: Eine Industrielandschaft mit Kühltürmen, die Wasserdampf ausstoßen. Ehemals eine Chiffre für wirtschaftliche Prosperität, jetzt ein Menetekel für den Weltuntergang.

Drittens: „Die Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle fordert die Bundespolitik zu mehr Engagement im Kampf gegen den Klimawandel auf.“

Wer statt „Klimawandel“ in diesen Satz „Corona“ einsetzt, erkennt leicht, wie die Aufforderungen der Leopoldina einander im Laufe der Jahre ähneln. Wer dann noch abgleicht, wie genau diese Experteninstitution die Bedürfnisse der Regierung in der Corona-Pandemie mit ihrer dringenden Aufforderung zu möglichst rigorosen Schulschließungen traf, die inzwischen von allen Beteiligten inklusive Evaluationsgremium und Gesundheitsminister als schwerer Fehler bewertet werden, der ahnt um die Expertise der Leopoldinisten. Sie besteht in der punktgenauen Affirmation dessen, was Zeitgeist und Regierung wünschen. Dem rahmenden MDR soll es recht sein.

Dieser Rahmen, den der MDR zusammen mit anderen zieht, enthält weder Abwägung noch Realitätsprüfung. Dafür aber in der Klage, von vielen würden „politische Notwendigkeiten unter Verweis auf die eigene ‚Freiheit’ abgelehnt“, sinngemäß einen Klassikersatz: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.“ Er stammt von Friedrich Engels; in der DDR benutzten ihn Funktionäre und Journalisten allenthalben, um deutlich zu machen, dass Einschränkungen für die größere Sache eben stattfinden müssen. Wer das einsieht, macht es sich leichter. Der passende DDR-Volksspott lautete: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit des Gitters.“
Im Mitteldeutschen Rundfunk, einst entstanden aus den Resten des DDR-Funks, lebt diese Denktradition auch nach mehr als 30 Jahren noch. Und zwar bestens. Demnächst kostet die Zusammenhaltsverteidigung eben etwas mehr als 20 Euro im Monat.

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