Die Katze ist aus dem Sack: Bundeskanzler Scholz möchte sich für eine sukzessive Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips innerhalb der europäischen Institutionen einsetzen, ein Vorschlag, der ganz in dieselbe Richtung zielt wie die angeblich durch spontane Konsultation der Bürger entstandenen „Empfehlungen“ der „Konferenz zur Zukunft Europas“. Erstaunlich ist das für einen SPD-Politiker nicht; pikant ist allerdings das Timing jener Aussage inmitten eines sich hinziehenden europäischen Krieges, einer hoffnungslos entzweiten EU und einer sich abzeichnenden gewaltigen Wirtschaftskrise, welche allesamt nicht zuletzt der ideologischen Verantwortung eben jener Parteien entsprungen sind, die gegenwärtig an der Macht sind.
Nun ist sie halt da, die Mutter aller Krisen, und wie üblich ist die Flucht nach vorne das beste Instrument des Politikers, von der eigenen Verantwortung abzulenken. „Europa ist die Antwort“, schallt es seit Jahren von ungezählten Wahlplakaten auf den Bürger hinab – die dazugehörige Frage ist jetzt gefunden, ja eigentlich erst provoziert worden. Dabei ist der Gedanke, Europa gerade in lebenswichtigen Belangen dynamischer und entscheidungsfreudiger zu gestalten, gar keine so schlechte Idee: Die amerikanische, russische oder chinesische Außen- und Wirtschaftspolitik sähe sicherlich anders aus, wäre sie auf der Notwendigkeit gegründet, zunächst einmal die einstimmige Zustimmung sämtlicher Bundesstaaten, Föderationskreise oder Provinzen einzuholen. Vielleicht wäre eine solche Verpflichtung nicht einmal unbedingt das Schlechteste für den Weltfrieden, aber da es schwierig scheint, in diesen drei Großreichen nunmehr ein föderalisiertes Umdenken herbeizuführen, muß die EU sich wohl oder übel den machpolitischen Gegebenheiten anpassen, wenn sie überleben will.
Dies ist allerdings in der real existierenden EU weniger denn je der Fall, seit es in den meisten Mitgliedstaaten zu einer fast ungebrochenen Monopolstellung der linksliberalen Ideologie in Medien, Bildung, Verwaltung und Politik gekommen ist; ein Monopol, welches mit einer immer unverhohleneren Hexenjagd auf all das einhergeht, was selbst von ferne „konservativ“ wirkt und dann unisono als „rechtsradikal“ verschrien und marginalisiert wird. Gerade Deutschland stand unter Angela Merkel an der Speerspitze jener zunehmenden Verengung des politischen Korridors und ist mehr als alle anderen Mitgliedsstaaten verantwortlich für die Polarisierung des öffentlichen Diskurses, so daß Scholz’ Prager Beteuerung, „Brücken zu bauen, statt Gräben aufzureißen“, wie blanker Hohn wirkt: Eine Abschaffung des Vetoprinzips ist nichts anderes als der letzte Sargnagel auf dem Weg zur ideologischen Gleichschaltung der EU und ihrer Unterstellung unter die machtpolitische Achse Berlin–Paris – bzw. der Frankreich und Deutschland regierenden Eliten, deren Interessen immer weniger mit denen der Bürger übereinstimmen.
Die Zeichen stehen also auf Sturm, zumal die anstehenden polnischen Parlamentswahlen vom Jahr 2023 den westlichen Regierungen einen idealen Anlaß bieten werden, durch Sanktionen und mediale Stimmungsmache endlich die polnische Bevölkerung zum „regime change“ zu zwingen und jene verhaßte christlich-konservative Regierung loszuwerden, welche in all den Jahren der Isolation trotzdem weiterhin den Gedanken eines alternativen, subsidiären und kulturpatriotischen Europa hochgehalten hat. Doch auch in Polen rüstet man sich für einen harten Kampf, bei dem Berlin als die treibende Kraft hinter Brüssel wahrgenommen wird, wie die Erneuerung der Reparationsforderungen für die nie abgegoltene, fast vollständige Zerstörung der polnischen Infrastruktur im Zweiten Weltkrieg und die weit fortgeschrittene genozidäre Ausrottung des polnischen Volkes (seit dem ersten Tag der Auseinandersetzung) zeigt.
Diese vor allem innenpolitisch motivierte Forderung ist sicherlich wenig aussichtsreich und stößt auf Seiten der europäischen Konservativen nicht nur in Deutschland eher auf Unverständnis; sie beweist aber immerhin den polnischen Kampfgeist angesichts des neuesten, diesmal linksliberalen Expansionsversuchs nach Osten sowie den Willen, die moralische Überheblichkeit der beständig ihr angebliches „historisches Verantwortungsgefühl“ bemühenden Bundesregierung als das zu entlarven, was sie wirklich ist: blanke Hypokrisie.
Bis dahin dürften sich auch die wirtschaftlichen und politischen Gewichte auf dem Kontinent verschoben haben und der polnische wie europäische Konservatismus – wenn sie bis dahin durchhalten – nicht mehr als das Schmuddelkind der EU gelten, sondern als ein politischer Faktor, den es zu respektieren gilt. Dahin ist es freilich noch ein weiter Weg, den Olaf Scholz mit seinem Reformvorstoß in einem entscheidenden Moment zu blockieren versucht …