Die griechische Regierung hat einmal wieder einen Etappensieg errungen. Griechenland soll mittel- bis langfristig entlastet werden – beim Schuldendienst. Derzeit wird zwar ein viertes Griechenland-Rettungspaket noch nicht öffentlich ins Spiel gebracht, das braucht es zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht, denn vom aktuellen (dritten) Rettungspaket sind erst 21,4 von 86 Milliarden Euro ausgezahlt. Die aktuellen Winkelzüge Athens dienen lediglich dazu, dass die Geldgeber die nächste (Teil-)Tranche zahlen.
Immer neue Geld-Pakete
Ich erinnere mich an eine Sondersitzung im Haushaltsausschuss vom 25. Februar 2011. Wir Haushälter sollten an diesem Freitagnachmittag der anstehenden Auszahlung der vierten Kredittranche in Höhe von 10,9 Milliarden Euro an Griechenland (aus dem ersten Paket) zustimmen. Am Tag zuvor hatten wir den ernüchternden Bericht der Troika zur Umsetzung des vereinbarten Reformprogramms erhalten. Das Programmziel wurde deutlich verfehlt. Nach Anlaufen des Rettungsprogramms hatte die griechische Regierung ihren Reformeifer verloren. Das wurde auch klar und deutlich im Bericht benannt.
Damals brodelten bereits die Gerüchte über ein zweites Griechenlandpaket. Das Bundesfinanzministerium dementierte – wie stets – derartige Pläne gegenüber den Parlamentariern und wies sie als wilde Spekulationen zurück. Es werde nicht über ein zweites Programm, sondern lediglich über die Verlängerung der Programmlaufzeit und Zinssenkungen gesprochen. Auf die Beine kam Griechenland dennoch nicht. Sobald Druck von Athen genommen wird, setzt dies neue Fehlanreize. Am 27. Februar 2012 stimmte der Bundestag dem zweiten Griechenland-Rettungspaket zu. Diesmal gab es auch einen Schuldenschnitt. Griechenland war auf einen Schlag etwa 107 Milliarden Euro Schulden bei seinen privaten Gläubigern los. Der deutsche Steuerzahler verlor dabei mittelbar 7,613 Milliarden Euro. Die Bundesbank musste im gleichen Jahr die IWF-Mittel um 41,5 Milliarden Euro aufstocken. Gleichzeitig bildete die Bundesbank Risikorückstellungen in Höhe von 14,380 Milliarden Euro (Stand 31. Dezember 2014). Die Gewinnausschüttungen der Bundesbank an den Bundeshaushalt sanken dadurch deutlich.
Doch schon im November 2012 tat sich in Griechenland eine neue Finanzlücke von 14 Milliarden Euro auf. Am 20. und 26. November trafen sich die Finanzminister der Eurogruppe zu Krisensitzungen. Dort wurde eine Reihe von Maßnahmen vereinbart, die die Schuldentragfähigkeit wiederherstellen sollten. Die Zinsen für das erste Griechenlandpaket wurden um einen Prozentpunkt gesenkt, was für den Bundeshaushalt Mindereinnahmen von etwa 130 Millionen Euro nach sich zog. Die Garantiegebühr von 0,1 Prozent aus dem zweiten Hilfspaket für die EFSF-Darlehen wurde gestrichen. Zusätzlich verpflichteten sich die Euro-Mitgliedstaaten, die anfallenden Buchgewinne aus den Sekundärmarktkäufen der EZB über die nationalen Zentralbanken an Athen weiterzureichen.
Neue Verzögerungen
Herzstück der Ende November 2012 vereinbarten Maßnahmen war ein Schuldenrückkauf, der aus dem laufenden Griechenland-2-Programm finanziert wurde. Für 10,3 Milliarden Euro kaufte die griechische Regierung Staatsanleihen mit einem ursprünglichen Ausgabewert von 31,9 Milliarden Euro zurück. Die damalige Prognose sah für 2020 einen Schuldenstand von 128 Prozent vor. Auch damals versicherte die griechische Regierung, zusätzlich zu den im Februar mit der Troika getroffenen Vereinbarungen noch weitere Maßnahmen zu ergreifen, von denen 72 als ganz besonders wichtige prior actions sofort umgesetzt werden sollten. Der Auszahlung der nächsten beiden Tranchen in Höhe von insgesamt 52,4 Milliarden Euro stand nichts mehr im Weg – außer vielleicht der begründete Zweifel, dass wir in unseren Büchern nur eine Milchmädchenrechnung stehen hatten.
Die nächste Runde wurde Ende 2014 eröffnet. Das zweite Griechenland-Rettungspaket lief zum 31. Dezember 2014 aus. Athen wollte die letzte Finanztranche in Höhe von 1,8 Milliarden aber unabhängig von der Erfüllung der Auflagen erhalten und hoffte auf die Umwidmung von Programmgeldern in Höhe von 10,9 Milliarden Euro, die ursprünglich für die indirekte Rekapitalisierung der griechischen Banken vorgesehen waren. Danach sollte sich die Troika auf Nimmerwiedersehen aus dem Land verabschieden. Die Geldgeber gewährten Athen daraufhin zwei Fristverlängerungen. Griechenland nutzte die zusätzliche Zeit erwartungsgemäß nicht, um das Programm erfolgreich abzuschließen, sondern versank in einer innenpolitischen Krise. Die linksextreme Syriza-Partei wurde bei Neuwahlen Anfang 2015 stärkste Partei und bildete mit einer rechtsradikalen Kleinpartei eine Koalition. Der Hauptschwerpunkt der neuen Regierung lag auf dem Zurücknehmen von Reformmaßnahmen und dem Schüren von Gläubigerhass. Der spätere griechische Finanzminister Varoufakis war noch gar nicht im Amt, da hatte er schon in einem Interview mit der französischen Zeitung La Tribune gesagt: »Quoi que fasse ou dise l’Allemagne, elle paie, de toute façon.«
Paket Nummer 3
Und er sollte recht behalten. Am 19. August 2015 stimmte der Deutsche Bundestag einem dritten Griechenlandpaket zu. 86 Milliarden Euro sollten an Athen fließen. Neun Monate später stehen wir erneut an einem Punkt, an dem wir schon mehrfach waren. Wieder sollen Zinslaufzeiten verlängert und Kredittilgungen gedeckelt werden, um irgendwie eine positive Prognose zu errechnen. Die Geschichte der Euro-Rettung hat gezeigt, dass es fatal ist, immer vom best case auszugehen. Griechenland wird niemals auf die Beine kommen, wenn es nicht erkennt, dass die Lösung seiner Misere im eigenen Land liegt.
Im August letzten Jahres haben sich die griechische Regierung und die „drei Institutionen“ (Troika dürfen sie sich nach der Propagandaschlacht nicht mehr nennen) auf insgesamt 58 Maßnahmen in einem Memorandum of Understanding geeinigt. Die Maßnahmen waren alle dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zum Griechenland-3-Paket beigefügt (Drucksache 18/5780, Anlage 3). Der Großteil der Maßnahmen wurde bereits im August 2015 als „erledigt“ gekennzeichnet. Vor wenigen Tagen sagte ein nicht namentlich genannter EU-Diplomat gegenüber der BILD: „Athen hat 95% geliefert – wenn auch mit Verspätung.“ Die Süddeutsche Zeitung berichtete hingegen:
„Doch schon beim ersten Ziel, der Verabschiedung der Spar- und Reformauflagen, sind alle Beteiligten seit zehn Monaten nicht weitergekommen. Maximal 20 Prozent der im Sommer 2015 vereinbarten Auflagen habe die griechische Regierung umgesetzt, haben die Experten des IWF herausgefunden.“
Noch einmal zum Mitschreiben: Maximal 20 Prozent der gegenüber dem Deutschen Bundestag aufgeführten, größtenteils als erledigt gekennzeichneten Auflagen wurden laut IWF umgesetzt! Eine klare Täuschung. Betrogen fühle ich mich dennoch nicht, denn das Spiel war durchschaubar. So wird zum Beispiel an einer Stelle von der griechischen Regierung verlangt:
„Klarstellung, dass die Mehrwertsteuerrabatte für Inseln bis Ende 2016 vollständig abgeschafft werden, und Festlegung der Übergangsregelungen“
Die Maßnahme wurde im BMF-Antrag als „erledigt“ gekennzeichnet. In einem internen Vermerk, den die Bundestagsverwaltung erstellt hat, heißt es jedoch noch Stand 12. April 2016:
„Das bislang unübersichtliche griechische Mehrwertsteuersystem sollte ursprünglich bis März 2016 vereinfacht werden. Bereits am 10. Juli 2015 wurden die Mehrwertsteuersätze auf drei reduziert, doch diverse Vergünstigungen, beispielsweise für einige Inseln, verkomplizieren die Steuererhebung weiterhin.“
Versprechungen gelten als Taten
Die Klarstellung war also ein Lippenbekenntnis, dessen Abgabe als Erfüllung der Maßnahme angesehen wurde. Die meisten Punkte sind für Außenstehende schlichtweg nicht überprüfbar. Es ist auch nicht meine Aufgabe, als Abgeordneter des Deutschen Bundestages ständig Reformmaßnahmen und deren Umsetzung in anderen Ländern zu überprüfen. Ich erachte es aber als meine Pflicht, keine Steuergelder in ein Fass ohne Boden zu kippen. Und es ist auch für den Laien ein Leichtes, die Versprechungen der griechischen Regierung als Luftschlösser zu enttarnen. So legte man uns im Haushaltsausschuss bereits 2011 einen Privatisierungsplan vor. Der Privatisierungsplan sah für die Jahre 2011, 2012 und 2013 Einnahmen in Höhe von fünf, zehn und sieben Milliarden Euro vor. Insgesamt sollten sich die Einnahmen auf 50 Milliarden Euro belaufen. Im Troika-Bericht war quartalsweise aufgeführt, welches staatliche Unternehmen wann und zu welchem Erlös privatisiert und was dabei eingenommen werden sollte. In ihrem Bericht vom April 2014 musste die Troika eingestehen, dass sich die Privatisierungserlöse 2011 auf 1,6 Milliarden Euro, 2012 auf null Milliarden Euro und 2013 auf gerade einmal eine Milliarde Euro beliefen. Im Juli 2015 versprach die griechische Regierung erneut Privatisierungen in Höhe von 50 Milliarden Euro. Im aktuellen Vermerk der Bundestagsexperten heißt es nun nüchtern: „Zuletzt sprachen Vertreter der griechischen Regierung davon, dass statt 50 wohl eher 15 Mrd. Euro an Erlösen realistisch seien; vielleicht würden es auch nur sechs bis sieben Mrd. Euro.“ Auch den von Athen versprochene Privatisierungsfonds unter Kontrolle der europäischen Institutionen gibt es immer noch nicht.
Die griechische Regierung ist im siebten Jahr der Daueralimentierung darin geübt, Dinge zu beschließen und dann versanden zu lassen. Griechenland liefert immer nur dann – und dann auch nur auf dem Papier – , wenn ihm das Wasser bis an die Unterkante der Oberlippe reicht. So war es auch kürzlich, als es zwei größere Gesetzespakete zu Steuer- und Sozialreformen beschloss, die Einsparungen in Höhe von bis zu 5,4 Milliarden Euro einbringen sollen. Jetzt sind die Geldgeber wieder zu Kompromissen bereit. Die durchschnittliche Laufzeit der EFSF-Kredite aus dem zweiten Griechenlandpaket soll um fünf Jahre verlängert werden. Diese Kredite werden ohnehin erst ab 2023 fällig und wurden schon bis ins Jahr 2057 gestreckt.
Nur das Ausscheiden Griechenlands kann der Weg sein
Jeder weitere Kompromiss wird nur dem griechischen Schlendrian Auftrieb geben. Das muss der griechischen Regierung endlich mit aller Entschiedenheit entgegnet werden. Der meines Erachtens beste Weg ist weiterhin das geordnete Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Gegen Ende des Jahrzehnts sollte eine Schuldenkonferenz einberufen werden, auf der die öffentlichen Gläubiger über einen Schuldenschnitt verhandeln. Wenn die Zeit bis dahin sinnvoll genutzt wird, hat Griechenland eine echte (Wachstums-)Perspektive. Allein das Gefühl, wieder seines eigenen Glückes Schmied zu sein, wird dem Land Auftrieb geben. Griechenland kann außerhalb der Eurozone weiterhin auf die Solidarität seiner europäischen Partnerstaaten setzen. Neben den Mitteln des Struktur- und des Kohäsionsfonds sollten die europäischen Institutionen vor allem technische und personelle Unterstützung leisten – zum Beispiel beim Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen und der Stabilisierung der neuen Währung. Es müssen endlich Auswege gesucht und nicht weiter Irrwege beschritten werden.