Tichys Einblick
Betriebslaizismus

EuGH: Kündigung wegen Glaubenskonflikts

Das EuGH-Urteil bedeutet das Ende des deutschen Sonderwegs bei religiösen Symbolen und Riten und ist (unbeabsichtigt) eine Entscheidung für die Steigerung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen KMU.

© Sean Gallup / Getty Images

Vor einer Woche verkündete das EuGH zwei Urteile zum Kopftuch, die mittlerweile in den Medien weltweit diskutiert werden. Insbesondere das Urteil Achbita hat die Seelen aufgewühlt. Muslime, Juden, Sikhs – sie sind jetzt außer Kopfbedeckungsträger auch noch Bedenkenträger.

Der EuGH hatte in dem, am 14. März veröffentlichten Urteil C 157/15 entschieden, dass es dem Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Freiheit (unter Beachtung von Regeln) freigestellt sei zu entschieden, ob eine Muslima am Arbeitsplatz das Kopftuch tragen und Riten ihrer Religion ausüben kann.

Die SZ schrieb: „Der Spruch aus Luxemburg stellt die bisherige Rechtslage deutscher Gerichte auf den Kopf. Seit einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2002 war klar, dass religiöse Symbole am Arbeitsplatz nicht untersagt werden dürfen … Das BAG wird das Urteil aus Luxemburg eins zu eins übernehmen, prognostiziert Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht in Bonn. Deutsche Unternehmen können damit eine Art Betriebslaizismus einführen, jedenfalls vorne an der Kundenfront.“ Die Sorge, die die SZ umtreibt. „Das führt zu einer Ausgrenzung streng muslimischer Frauen aus dem Arbeitsmarkt.“

In den deutschsprachigen Medien herrschte sonst nach ein paar Tagen wieder die übliche Ruhe, die wir bei kontroversen – aber regierungsamtlich als missliebig eingestuften Themen – seit langem kennen.

Hatten sich einige Medien noch schockiert geäußert und SPON auch eine Anwältin beigebracht, die erklärte, dass deutsche Firmen jetzt nicht sofort etwas ändern können, da das dann als Diskriminierung zu sehen sei, so fielen Unternehmerverbände, Wirtschaftsministerien (Länder und Bund) sowie die von den Firmen alimentierten Handwerkskammern und IHKs durch dröhnendes Schweigen auf.

Beachten Sie dabei aber diesen „kleinen“ Aspekt, der in den deutschen Medien keine Rolle spielte – man konzentrierte sich dort auf das Wesentliche, die nun erfolgende mögliche Diskriminierung muslimischer Frauen. Dieser „kleine“ Aspekt ist das Gleichziehen der deutschen Betriebe mit den Unternehmen in der EU und die damit wiedererlangte Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Gebiet.

Kostenfaktor bezahlte Riten

Was von den deutschen Medien bisher nicht thematisiert wurde, ist die – nur für Deutschland wichtige Frage – wie es mit den Riten am Arbeitsplatz aussieht. Denn die vom EuGH akzeptierte, interne Regel des Arbeitgebers lautete: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“ Damit sind u.a. auch das Gebet und das Fasten mit seinen Auswirkungen während der Arbeitszeit erfasst. In den anderen EU-Ländern hat das keine Bedeutung, da es dort dem Arbeitgeber obliegt, das zu gestatten.

In Deutschland – als einzigem EU-Land – ist es aber gesetzlich geregelt und der Arbeitgeber musste bisher das bezahlte Gebet am Arbeitsplatz gestatten, ebenso die Minderleistung während des Ramadan aus seiner Tasche bezahlen. Das summierte sich bei religiösen Muslimen auf bis zu 8 Wochen im Jahr. Nach dem Wortlaut der o.g. internen Regel, die vom EuGH so akzeptiert wurde, umfasst sie aber auch die Riten. Deshalb wird alsbald ein Streit darüber ausbrechen (sofern der Arbeitgeber die Neutralitätsregel implementiert), denn muslimische Mitarbeiter mit Kundenkontakt dürfen dann nicht mehr beten während der Arbeitszeit, müssen Alkohol oder Schweinefleisch transportieren und bekommen die Minderleistung im Ramadan nicht bezahlt – der muslimische Kollege im Lager (ohne Kundenkontakt) dürfte aber weiterhin bezahlt beten, den Transport der verbotenen Lebensmittel verweigern und die Minderleistung im Ramadan bezahlt bekommen.

Stellt jetzt ein Unternehmer die im Falle Achbita beschriebene interne Neutralitätsregel auf und sorgt dafür, dass sie von allen Mitarbeitern mit Kundenkontakt eingehalten wird (also keine betriebliche Weihnachtsfeier mit Kunden, keine T-Shirts mit politischen Statements, kein sichtbares Kreuz an der Halskette, kein Kreuz in Räumen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind und kein Sticker mit politischen Inhalten am Revers) so kann er bereits im Einstellungsgespräch auf diese Regel verweisen und mitteilen, dass islamische Kleidung und Riten während der Arbeitszeit nicht opportun sind. Insgesamt dürfte das eine Wirkung auf religiöse muslimische Bewerber haben, da es – wie bisher – nicht nachträglich eingeklagt werden kann.

EU-Musterknabe Deutschland
Streng religiöse Muslime am Arbeitsplatz in Deutschland
Auch ist jetzt der Unternehmer nicht mehr der „böse Bube“ denn er hat Argumente, die vom EuGH als Recht gesetzt wurden. Für das Aufstellen der internen Regeln und die Beschreibung, was alles dazu gehört zu politischen, philosophischen und religiösen Zeichen und Riten wird er einen Anwalt einschalten müssen. Sicher wird es in den nächsten Monaten dazu auch Mitteilungen von Arbeitsrechts-Anwälten geben, die das Thema umfassend behandeln werden, da sie bei Tichys Einblick zum Urteil zu allen Aspekten informiert wurden. Die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland (KMU) beschäftigen 60% aller Arbeitnehmer und stellen 98% aller Unternehmen.

Kleinstunternehmen – bis zu 9 Mitarbeitern – 80% aller Unternehmen in Detuschland – dürften die Hauptzielgruppe der Anwälte werden. Denn diese Unternehmen litten bisher am meisten unter dem Primat der Religionsfreiheit, was an einem aktuellen Beispiel weiter unten gezeigt wird.

Hat ein Kleinstbetrieb mit 8 Mitarbeitern 2 religiöse Muslime die die, im deutschen Recht möglichen Forderungen durchsetzen, so sind das 25% der Belegschaft, die diese erhöhten Kosten verursachen können.

Wären bei ALDI Nord mit etwa 26.000 Mitarbeitern (überwiegend mit Kundenkontakt) 25% der Mitarbeiter religiöse Muslime, die diese Rechte einfordern, dann wären das 6.500 Mitarbeiter. In der Praxis dürften es gegenwärtig keine 500 (2%) sein. Steigt allerdings der Anteil und verweigern einige religiöse Mitarbeiter den Kontakt mit den verbotenten Lebensmitteln (Alkohol, Schweinefleisch und Produkten daraus), dürfte die Geschäftsführung ihre Position überdenken.

Daran wird die unterschiedliche Bedeutung des EuGH-Urteils für KMU und Großbetriebe sichtbar. Das EuGH-Urteil ist (unbeabsichtigt) eine Entscheidung für die Steigerung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen KMU.

Aufatmen bei den KMU

Es ist zu vermuten und zu wünschen, dass diese Betriebe jetzt auch wieder Muslime einstellen, denn sie können die Spielregeln nun bestimmen und müssen keine Angst haben, dass die Muslima, die heute ohne Kopftuch kommt, nach dem Ende der Probezeit den Forderungskatalog aufmacht und dann noch in Vollverschleierung (die ja in Deutschland nicht verboten ist). Vorausgesetzt, sie haben die Neutralitätsregel im Betrieb und halten sich daran.

Die bisherige Problematik der Auswirkungen der Religionsfreiheit am Arbeitsplatz können Sie hier ersehen. Eine Woche nach Verkündung des EuGH-Urteils zum Kopftuch informierte die Rhein-Neckar-Zeitung über einen Arbeitsgerichtsprozess. Eine Muslima, die als Pflegekraft arbeitete, hatte sich geweigert, Männer zu waschen. Grund: Die Geschlechtertrennung im Islam. Nun war die Dame noch in der Probezeit und außerdem wusste sie ja, als sie den Job antrat, dass sie auch Männer waschen muss. Alles nicht sehr aussichtsreich, eine Abfindung zu kassieren.

Ein kleiner Hinweis für die Verteidiger der Religionsfreiheit: Selbst im sehr konservativen Saudi-Arabien gilt die Geschlechtertrennung nicht im Krankenhaus. Vermutlich hatte der Anwalt der Muslima gehofft, sich auf das Alkohol-Urteil aus dem Jahre 2011 stützen zu können. Denn da hatte das BAG einem Muslim, der vorher im Technik-Lager des Kaufhauses beschäftigt war und nun in das Lebensmittel-Lager versetzt wurde, zugesprochen, dass er aus Glaubensgründen keinen Alkohol transportieren muss.

Michael Wolski schrieb das Buch: „Gebetspausen am Arbeitsplatz – Erwartungen geflüchteter Muslime. Basiswissen für Arbeitgeber“. Erschienen 2016 bei Amazon.

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