„Es geht nicht darum, Großbritannien zu bestrafen.“ So großmütig äußerte sich der Interims-Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Sigmar „Sigi Pop“ Gabriel neulich bei seinem Besuch in London. Da hat das perfide Albion ja gerade noch mal Glück gehabt. Nur zu bedauerlich, dass dieser Satz so ganz und gar von der Realität entfremdet ist. Aber wer braucht schon Realität, wenn er seine ideologische Virtual Reality Brille aufgesetzt hat?
Die sich seit dem Brexit-Votum vor neun Monaten herauskristallisierende Haltung der Europäischen Union und ihrer Institutionen und Amtsträger ist weder von Lernwilligkeit, noch von Ausgleich oder gar Demut gegenüber dem Wählerwillen im Vereinigten Königreich gekennzeichnet. Anstatt in sich zu gehen und sich zu fragen, wie das passieren konnte und was die Motivation der Briten war, diesen drastischen Schritt mehrheitlich gehen zu wollen, hat man sich darauf versteift, erst die Wähler zu beschimpfen („Sie sind Lügnern gefolgt“), um anschließend aus den Verhandlungen ein vermeintliches spieltheoretisches Problem zu machen, das der Komplexität der Situation in keiner Weise gerecht wird und das den Intellekt seiner Proponenten sichtlich übersteigt. Dass dieser Vorwurf, die Briten seien Lügen aufgesessen, ausgerechnet aus der EU-Kommission kommt, deren weinseliger Präsident in einem schwachen Moment immerhin das unsterbliche Bonmot geprägt hat „Wenn es ernst wird, muss man lügen!“ ist an Ironie, Heuchelei und unfreiwilliger Komik eigentlich kaum noch zu überbieten.
Daraus leitet man die Entwicklung einer Verhandlungslinie ab, die zum Ziel hat, diese kleinen warmbiersaufenden und auf der falschen Straßenseite der Geschichte geisterfahrenden Insulaner ihre Unbotmäßigkeit und politische Ketzerei spüren zu lassen: „Kehrt um, bevor es zu spät ist und tuet Buße, ihr englischen Narren!“ Johan Tetzel hätte seine reine Freude an dem Schauspiel gehabt.
Die Begründung für dieses Verhalten sagt viel über das Selbstverständnis von Europas „Elite“ aus: Kein anderer soll Anreize bekommen, den Club zu verlassen oder auch nur denken, dass er das ungestraft könnte. Diese Haltung schließt es per definitionem aus, ein wirtschaftlich erfolgreiches Vereinigtes Königreich außerhalb der Brüsseler Hegemonialsphäre ertragen zu können. Denn sollte Großbritannien erfolgreich sein, ökonomisch, politisch und sozial, dann ist der Beweis angetreten, dass es auch anders geht. Dann stehen Europas viele Präsidenten von Schulz (jetzt ja ex-Präsident) und Juncker über Draghi bis Tusk plötzlich nackt da. Die Kaiser ohne Kleider.
Diese Haltung wird deshalb öffentlich mit allerlei verbalen Plattitüden verteidigt, um sie medienwirksam unters Volk zu bringen. Ich möchte mir erlauben, hier die am häufigsten hervorgewürgten politischen Halsfrösche aufzuzählen:
Plattitüde Nr. 1: „Wir dürfen keine Rosinenpickerei zulassen.“
Der Satz unterstellt, dass es ein Gnadenerweis für andere ist, die eigenen Grenzen für den Freihandel zu öffnen. Die Europäische Union, die sich, wenn es gegen den neuen amerikanischen Präsidenten geht, als Vorkämpfer des Freihandels geriert und permanent von „Win-Win“ durch Handel redet, findet nichts dabei, Nicht-EU-Mitgliedern Zahlungen für den Zugang zum Binnenmarkt abzuverlangen, gewissermaßen Eintrittsgeld dafür, dass sie den ungehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen nicht mit Zöllen behindert. Das heißt natürlich nicht, dass sie es mit nicht-tarifären Handelshemmnissen nicht trotzdem tut. Sie nennt das nur anders. Bei ihr heißt es „Regulierung“,
„Normierung“ und „Verbot“. Fast müßig zu erwähnen, dass die kleinen Länder in ihrer Peripherie alle diese Kröten schlucken und in ihr „nationales Recht“ übernehmen müssen. Bruxella locuta, causa finita. Handelsimperialismus pur.
Neulich konnte man eine deutsche Ministerin allen Ernstes darüber schwadronieren hören, dass die Vereinheitlichung von Steckdosen in der gesamten EU eine riesengroße Leistung unserer Brüsseler Kommissare war und dass man das ohne die tolle EU nicht hinbekommen hätte. Frau Stahlhelm kommt noch nicht mal darauf, dass das erstens in Wahrheit ein nicht-tarifäres Handelshemmnis ist, dass es zweitens volkswirtschaftlich wahrscheinlich billiger gewesen wäre, die Entscheidung über die beste Norm dem Markt zu überlassen und dass drittens die Bürokratie der EU diese Vollmacht zur Regulierung in unzähligen Fällen in einer Weise missbraucht, die zum Schaden von Europas Industrie und Bürgern ist. Angefangen vom Verbot der Glühbirne (nach deren Schwarzimporten man an Europas Außengrenzen schon fahndet wie nach Kokain) über die Leistungsbegrenzung von Staubsaugern bis zur Festlegung der Krümmung von Bananen und Gurken.
Das sind alles Beispiele für die Behinderung des freien Marktes und des freien Handels und noch nicht mal die schlimmsten.
Plattitüde Nr. 2: „Die vier Freiheiten des Binnenmarktes sind unteilbar.“
Diese Fiktion soll insbesondere die Forderung ungehinderter Zuwanderung untermauern und es den Ländern der EU wie auch Großbritannien unmöglich machen, den Sturm unqualifizierter Immigranten in ihre Sozialsysteme abzuwehren. Dass diese „vier Freiheiten“ wirklich unteilbar sind, ist natürlich blanker Unsinn. Kein Freihandelsabkommen, das die EU mit Drittländern unter der Flagge von TTIP bis CETA verhandelt hat, enthielt eine solche Regelung. Offensichtlich geht Freihandel doch ohne Migration und die Sache ist teilbar. Der Grund ist ganz einfach: Andere Staaten würden der EU was husten, wenn sie mit dieser Idee um die Ecke käme.
Plattitüde Nr. 3: Die Brexit-Rechnung beträgt 60 Mrd. Euro.
Das möchte man gerne als finalen Schluck aus der Nettozahlerpulle des Vereinigten Königreiches zugunsten der subventionshungrigen Brüsseler Bürokratie und ihrer Sykophanten beanspruchen. Das ist gewissermaßen der Ablasszettel für diese schwarzen Seelchen von der Themse. Selten so gelacht! Dass sich ein gestandener Politiker wie Michel Barnier für so eine Übung zur Verfügung gestellt hat, überrascht selbst hartgesottene Kenner des Brüsseler Kafkaeskenstadels.
Allein schon die Vorstellung Großbritannien könnte über viele Jahre einfach die Transfers weiterleisten, die einer der Gründe dafür waren, den Club zu verlassen, hat etwas Bizarres. Aber bizarr und Brüssel ist ja kompatibel. In England toleriert man sowas bisweilen großzügig unter dem Stichwort exzentrisch oder neudeutsch: Mehrere Standardabweichungen weit weg von der geistigen Norm.
Man kann ja über die Eigenheiten des britischen Rechtssystems philosophieren, so lange man will, aber es verfügt über gesunden Menschenverstand. Und den haben die obersten Richter des Landes schon eingesetzt und festgestellt, dass diese Forderungen jeder Rechtsgrundlage entbehren. Eine britische Regierung kann sie also gar nicht mehr akkommodieren, ohne den Tatbestand der Untreue zu erfüllen und die EU-Justiz ist zum Glück nicht mehr zuständig, weil ihrer Majestät Regierung auch dort die Mitgliedschaft aufgekündigt hat. Das sollte das Bundesverfassungsgericht beim nächsten Prozess um die illegale Staatsfinanzierung der EZB vielleicht im Hinterkopf haben.
Plattitüde Nr. 4: Großbritannien braucht die EU mehr als die EU Großbritannien.
Ja, der Markt für Waren und Dienstleistungen in Kontinentaleuropa ist größer. Na und? Wer einen Handelsbilanzüberschuss von 120 Mrd. Euro hat, der möchte den doch nicht verspielen – sollte man meinen. Diesen Überschuss hat die EU aber mit dem Inselreich. Wer bei der Sicherheit und der Verteidigung seine Infrastruktur seit Jahrzehnten vernachlässigt hat, möchte sich in diesen unsicheren Zeiten vielleicht gut mit jemandem stellen, der das nicht getan hat. Wieder muss Brüssel auf die Insel schauen. Wer mit 3,6 Mio. ca. drei mal so viele eigene Staatsbürger hat, die in Brexitland ihr Brot verdienen, wie er selbst von dort in seinen Arbeitsmarkt aufgenommen hat, sollte vielleicht ein Interesse daran haben, dass nicht jeder nach Hause und seiner Wege geht. Wer braucht hier wen? Ist das wirklich so klar? Das ist es mitnichten!
Der Satz ist Ausdruck einer nicht von den Fakten getragenen Arroganz und zugleich ein Warnsignal: Dass die EU-Politik es nicht wirklich verstanden hat, dass Freihandel eben kein Nullsummenspiel ist, sondern dass man ein Machtspiel daraus machen möchte. Das ist blöderweise genau das, was man der Trump-Administration vorwirft, wenn der neue US-Präsident protektionistische Reden schwingt. Bei uns Zuhause nennt man so etwas Doppelmoral. Das englische Wort Hypocrite trifft es aber noch besser, weil es die Heuchelei beim Namen nennt.
Plattitüde Nr. 5: 30.000 Vorschriften müssen neu verhandelt werden
Gerne wird mit Süffisanz darauf verwiesen, dass 30.000 EU-Gesetze und Verordnungen zwischen Großbritannien und der Rest-EU verhandelt werden müssen, dass das 40 pro Tag für die Dauer der zweijährigen Austrittsverhandlungen sind und dass es schon von daher für die Regierung May unmöglich sei, die Verhandlungen erfolgreich durchzuführen. Darin steckt ein Missverständnis und ein unfreiwilliges Geständnis: Das Missverständnis ist, dass sich die Briten überhaupt mit den Eurokraten über ihre Verordnungsflut einigen müssten. Vielmehr ist es eine souveräne Entscheidung des Königreichs, diese Vorschriften ganz, teilweise, temporär oder gar nicht zu übernehmen oder fortzuschreiben. Wenn die EU einige davon als Voraussetzung für ein Freihandelsabkommen ansieht, soll sie eine Liste machen und sich dabei an CETA und TTIP orientieren. Ob London diese Liste akzeptiert, steht noch auf einem anderen Blatt.
Das Geständnis ist aber der interessantere Aspekt: Wir überfluten den Kontinent mit so vielen Vorschriften, Verordnungen, Gesetzen, Ausführungsbestimmungen und Dekreten, dass es nicht mehr möglich ist, den Überblick darüber zu behalten und sich mit normaler menschlicher Kapazität gesetzestreu zu verhalten. Winston Churchill hatte dazu einen Kommentar: „Wenn man 10.000 Vorschriften erlässt, untergräbt man jeden Respekt für das Gesetz“. Ganz genau! Junckers Schergen haben das noch um das Dreifache übertroffen. Kein Mensch braucht diese 30.000 Normen, Regeln und Bevormundungen. Das ist genau einer der Gründe, warum der Laden so unbeliebt ist, dass einige ihn nun verlassen wollen. Daher hier ein Vorschlag zur Abkürzung: Nicht über jedes einzelne Duodez-Paragräphchen verhandeln, sondern großflächig einstampfen – und zwar auf beiden Seiten des Kanals. Diese Überregulierung ist nur ein Machtinstrument zur Entmündigung der Bürger Europas. Das braucht kein Mensch außer den Nutznießern der Papierflut im Berlaymont. Schon der Klimaschutz erfordert, dass man diese methanige Vorschriftenflatulenz einstellt.
Die politische Stoßrichtung dieser Nebelgranaten ist leicht zu verstehen und man könnte noch eine gewisse Toleranz dafür haben, wenn es nur darum ginge, eine rationale und vernünftige Verhandlungsposition aufzubauen. Das Problem ist: Europas Politiker haben sich das solange eingeredet, dass sie es jetzt selbst glauben. Sie sind auf die eigene Propaganda hereingefallen.
Diesen spieltheoretischen Sondermüll hört man sogar von Professoren aus dem engsten Beraterkreis der Bundesregierung. Dabei sollte man denken, dass der nicht all zulange zurückliegende Fall eines Professors mit gescheiterten spieltheoretischen Verhandlungsansätzen, die im Beispiel Griechenland schon nicht zum Ziel geführt haben, zum Nachdenken angeregt hätte. Denn es ist ziemlich klar, dass die Frage, in was für einem Spiel wir uns hier überhaupt befinden, mehr als nur strittig sein dürfte. Dieses Chicken-game ist nämlich gar kein „Ich-gewinne-Du-verlierst“-Spiel. Das ist es nur in der schwachbrüstigen intellektuellen Grobmotorik von Akteuren, die sich lieber mal mit den Annahmen und Grenzen dieser Theorie auseinandersetzen sollten, statt sie im Überschwang ihres Halbwissens zur Richtschnur ihres politischen Handelns zu machen.
Kein Chicken-game, sondern Gefangenendilemma
Angesichts der ökonomischen und technologischen Realitäten wird dieses Spiel nämlich in Wahrheit ein Gefangenendilemma sein, bei dem auf beiden Seiten die Anreize zur Kooperation ausgeschaltet werden, weil man sich nicht mehr vertraut. Das ist angesichts des Verhaltens der Imperialisten in dieser Situation ja auch kein Wunder. Das erzeugt eine Lage, die am Ende nur Verlierer kennt. Wenn beide nur Ihren Vorteil oder ihre vermeintliche Staatsraison im Blick haben, verlieren am Ende eben auch beide.
Die britische Regierung hat das im Gegensatz zu den Rechthabern von Brüssel erkannt und schlägt in ihren Äußerungen sowohl schriftlich wie auch mündlich einen Ton der Freundschaft und Kooperation an. Die Premierministerin wird nicht müde zu betonen, dass sie die Freundschaft, Zusammenarbeit und Kooperation mit Europa zum wechselseitigen Vorteil in allen Bereichen pflegen will. Zitat: „Wir wollen die besten Freunde Europas bleiben!“ Nur Untertan will man halt nicht mehr sein. Die Unterhändler auf der Südseite des Kanals legen das als Schwäche aus, formulieren Forderungen, die die britische Justiz schon kassiert hat, bevor sie an den Kalkfelsen von Dover überhaupt angelandet sind und reden sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Köpfe darüber heiß, dass die Briten angeblich einen historischen Fehler begehen.
Die Fähigkeit zur selbstkritischen Reflexion ist dabei soweit degeneriert, dass man bewährte und eherne Prinzipien des zwischenstaatlichen Umgangs fröhlich, frech und frei über Bord wirft. Das gilt insbesondere für den Respekt vor der territorialen Integrität und Souveränität des Vereinigten Königreichs. Da redet man bezüglich der Abspaltung Schottlands, Nordirlands und Wales`, ja sogar Londons fröhlich der Sezession das Wort und ermuntert den gemeinsamen NATO-Bündnispartner Spanien, die Brexit-Gelegenheit für eine Gibraltar-Debatte zu missbrauchen, indem man ihm zu dieser Frage ein Veto einräumt, nach dem er gar nicht gefragt hatte. Und dann tut man überrascht, dass prominente Vertreter der politischen Elite Londons daran erinnern, dass es eine alte Tradition des Empire ist, seine territoriale Integrität notfalls auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen, nicht ohne die Schuld für die verbale Eskalation dem Mobbingopfer in Whitehall in die Schuhe zu schieben.
Man fühlt sich berufen, sich in einer nachgerade ungeheuerlichen Weise in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einzumischen. Warum? Weil man die Mitglieder gar nicht als souveräne Staaten wahrnimmt und ihre Völker nicht als Träger der Souveränität akzeptiert. Man sieht sie als Provinzen an, die es zum eigenen Vorteil zu verwalten gilt und deren Bevölkerung (nicht: Volk!) gelegentlich akklamatorisch dankbar zu applaudieren hat.
Im klaren Widerspruch zu den Fakten wird postuliert, für Schottland sei mit dem Brexit eine neue Situation entstanden, die ein neues Referendum rechtfertige. Mit Verlaub, die Damen und Herren: Das ist mitnichten der Fall. Als die Schotten vor nicht allzu langer Zeit abstimmten, war die Brexit- Abstimmung bereits angesetzt. Jedem war klar, dass sie so oder so ausgehen konnte. Die Schotten haben in voller Kenntnis der Möglichkeit eines Brexits für die Union mit England gestimmt. Was soll also bitte daran neu sein? Wäre ein anderer Ausgang der Wahl auch ein Grund gewesen, neu abzustimmen? Wollen wir in Zukunft jede große politische Entscheidung zum Argument der Spaltung historisch in Jahrhunderten gewachsener Nationen machen? Dann wäre auch Merkels Einwanderungspolitik ein Grund für die Abspaltung Bayerns, denn sie ändert ja die Dinge ganz dramatisch, oder etwa nicht? Die ganze Debatte ist leider Zeuge für die abgrundtiefe Verachtung der Brüsseler Bürokratie und ihrer Satrapen für den Willen der Wähler und die Willensäußerungen des Volkes und der Völker.
28-Klassenwahlrecht beim europäischen Parlament
Abstimmungsergebnisse werden nur akzeptiert, wenn sie einem in den Kram passen. Das hatten wir gerade bei europarelevanten Fragestellungen schon mehr als einmal, dass man solange abstimmen lässt, bis das Ergebnis passt. Es findet seinen Ausdruck auch in der Apartheid oder dem 28-Klassenwahlrecht beim europäischen Parlament. Dort zählt eine Wählerstimme aus Zypern fast 65-mal so viel wie eine aus Deutschland und keiner findet etwas dabei. Genauso verhält es sich mit der vollkommen windschiefen Repräsentanz der Wähler im mächtigsten Gremium Europas, dem EZB-Rat. Dort zählt eine maltesische Stimme so viel wie 204 deutsche Wählerstimmen. Es hat einen Grund, warum der Begriff „one man one vote“ aus dem Englischen kommt. Dieser Grund heißt historisch gewachsene demokratische Tradition. Und das ist der gleiche Grund, warum das sympathische Volk von der Insel eine tiefsitzende Abneigung gegen undemokratisch agierende, bürokratische Eliten hat. Und es dürfte zum Glück auch schwer sein, ihm das auszutreiben.
Wie also soll es weitergehen? Innehalten, nachdenken, Demut vor dem Wählerwillen eines freien Volkes haben und sich vor allem eine Frage stellen: Was wollen wir sein in Resteuropa? Ein Völkergefängnis, das seine Insassen durch die Androhung von Sanktionen zu Botmäßigkeit anhält? Oder eine Gemeinschaft freier Völker, die ihre Mitglieder dadurch bindet, dass sie attraktiv ist und die dieses Versprechen täglich erneuert und durch demokratische Governance, Transparenz, Leistung und Fairness permanent darum kämpft, wirbt und ermöglicht, dass jeder bleiben will?
Aktuell verhalten wir uns, als wären wir auf dem Kontinent zur Variante 2 unfähig und wüssten das auch. So werden wir niemanden im Club halten. Europa muss uns lieb und teuer sein. Die Brüsseler Sanguisugae brauchen es aber nicht zu sein. Das hat die Mehrheit der Briten erkannt und fordert deshalb jetzt ihr Geburtsrecht als Nation und das Europa der Vaterländer de Gaulles, das ohnehin die bessere Variante eines einigen Europa sein wird.
Unseren britischen Freunden aber rufe ich nur einen Satz zu: Rule Britannia, Britannia rule the waves, Britons never will be slaves! Dazu den Glückwunsch eines anglophilen Herzenseuropäers.
Markus Krall ist promovierter Diplom-Volkswirt und arbeitete während seiner Dissertation als Inhaber des Monbusho Stipendiums der japanischen Regierung an der Kaiserlichen Universität in Nagoya. Er ist Managing Director im Frankfurter Büro von goetzpartners, Head of Financial Institutions und verantwortet den Bereich Risk Management.