Tichys Einblick
Vorräte reichen allenfalls bis April

Es wird eng mit Anti-Corona-Desinfektionsmitteln

Für Krankenhäuser und Arztpraxen deutet sich ein Silberstreif an: Südkorea ist bereit, Isopropylalkohol nach Deutschland zu liefern.

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Coronaviren infizieren hauptsächlich Säugetiere, zum Beispiel Fledermäuse, und Vögel, einige freilich auch den Menschen. Gefährlich wird es, wenn Viren von Tieren auf Menschen „überspringen“, was Mediziner als Zoonose bezeichnen. Ebola, Hanta, SARS und Co. sind solche. Denn damit wird das menschliche Immunsystem überrascht, Antikörper kann der Organismus nicht auf die Schnelle produzieren.

Hinzu kommt, dass Viren wie SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) oder das neue SARS-CoV-2 bzw. Covid-19 über den Nasen-Rachenraum in die Lunge geraten, eine Lungenentzündung bis hin zur Kurzatmigkeit erzeugen und schließlich eine Sauerstoffunterversorgung provozieren. Im Extremfall droht ein Ersticken, weshalb die Kliniken eifrig Intensivbetten und Beatmungsgeräte beschaffen müssen. Betroffen sind nach Angaben der WHO und Lungenärzte im Netz immerhin bis zu fünf Prozent aller Infizierten mit geschwächtem Immunsystem, also nicht nur Alte.

Nach den gleichen Quellen ist es völlig ungeklärt, wie lange solche Viren auf Oberflächen außerhalb des Körpers überleben. Die Angaben reichen von einigen Stunden bis zu Tagen. Deshalb ist es unerlässlich, dass gerade in Arztpraxen und Kliniken sowohl Oberflächen, mit denen Infizierte in Kontakt gekommen sein könnten, als auch die Hände des medizinischen Personals ausreichend desinfiziert werden, um auf diese Weise eine Schmierinfektion zu unterbinden.

Woher sollen die Millionen Liter an Desinfektionsmitteln kommen?

Wirksame Desinfektionsmittel gegen Viren sind Lösungen von Ethyl- und Isopropylalkohol, beide sind als so genannte Standardzulassungen vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Gemische mit Wasser (70 oder 80 Volumenprozent Ethylalkohol – nur 80% sind viruzid!- bzw. 70 Vol-% Isopropylalkohol) zugelassen. Das ist eine Besonderheit in Deutschland, denn in der übrigen EU müssen nach der in Brüssel kreierten Biozidrichtlinie (Verordnung EU Nr. 528/2012) auch solche Mischungen als Biozide zuerst ein aufwändiges und überaus teures Zulassungsverfahren überstehen, bevor sie das Etikett „Desinfektionsmittel“ tragen dürfen. Wen wundert es, wenn europaweit kaum Hersteller dazu bereit sind.

Hurra, wird also mancher in Deutschland denken, desinfizieren wir also fleißig, vor allem in Kliniken und Arztpraxen, dann schließen wir schon mal diesen Übertragungsweg aus und können vielleicht unseren partiellen Hausarrest abkürzen.

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Aber schauen wir uns mal an, welche Mengen derzeit benötigt würden und welche Mengen an diesen Alkoholen derzeit zur Verfügung stehen. Natürlich kann das nur überschlagsweise geschehen mangels detaillierter Zahlen. In Deutschland gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 1.950 Kliniken mit insgesamt zirka 500.000 Betten – darunter 28.000 Intensivbetten – bei einer Auslastung von knapp 78 Prozent über das Jahr gesehen. Nach der gleichen Quelle sind dort etwa 160.000 Ärzte und 730.00 Personen an Pflegepersonal, umgerechnet in Vollzeit, beschäftigt.

Vor jedem Patientenkontakt ist die Händedesinfektion zwingend, das heißt pro Desinfektionsvorgang vorschriftsmäßig wenigstens zwei Milliliter Desinfektionsflüssigkeit auf die Hand. Das sind, hypothetisch und niedrig angesetzt, bei 20 Patientenkontakten pro Tag und Person bundesweit 35.600 Liter pro Tag; also monatlich etwas mehr als eine Million Liter allein für den Krankenhausbereich. Das ergibt pro Monat einen Bedarf von etwa 830.000 Liter Ethyl- bzw. 810.000 Liter Isopropylalkohol. Notwendige Flächendesinfektion sind dabei noch gar nicht gerechnet.

Dazu kommen nach Statista rund 72.000 Arzt- und 41.000 Zahnarztpraxen mit insgesamt 160.000 ambulant tätigen Ärzten. Berechnet man sehr sparsam mit vier Arzthelferinnen bzw. Medizinisch-Technischen Assistentinnen unter gleicher Betrachtungsweise wie oben den Bedarf an Desinfektionsmitteln, so kommen 32.000 Liter pro Tag oder 960.000 Liter pro Monat hinzu. Entsprechend in der Summe umgerechnet also insgesamt etwas unter 1.300 Tonnen Ethylalkohol (Ethanol) bzw. knapp unter 1.000 Tonnen Isopropylalkohol (2-Propanol).

Gehen wir realistisch davon aus, dass in der Zeit vor Corona alle in Kliniken und Arztpraxen Beschäftigten es mit der Desinfektion nicht ganz so genau nahmen, aber jetzt der Bedarf tatsächlich so hoch ist, schon aus Eigeninteresse. Hinzu kommt eine Unzahl von Privatpersonen, die nicht nur Toilettenpapier hamstern, sondern auch Desinfektionsmittel. Diesem Nachfrageschub sind die Hersteller in Deutschland auch bei Dreischichtbetrieb und 7-Tage-Woche nicht gewachsen.

Weltweit wurden 2019 nach Internetchemie.info etwas mehr als zwei Millionen Tonnen Isopropylalkohol hergestellt. Davon hatte ein Bruchteil die erforderliche Reinheit, wie es das Arzneimittelgesetz fordert. Ähnliches gilt für Ethylalkohol, auch als Bioalkohol bekannt. Von dem wurden 2018 in Deutschland nach Daten des Bundesverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft 610.000 Tonnen erzeugt, 2019 dürfte es kaum mehr gewesen sein. Der synthetische Industriesprit kommt in etwa in der gleichen Menge hinzu. Rein von der Jahresproduktion her gesehen müssten sowohl Isopropylalkohol als auch Ethanol für den Desinfektionsbedarf in Deutschland ausreichen. Aber das produzierte Ethanol wanderte in das Superbenzin und in andere Produkte ebenso wie Isopropylalkohol in eine Unmenge anderer Erzeugnisse. Die Pandemie war im Januar kaum zu erahnen, sonst hätte man spekulativ umschichten können. Außerdem waren beide Stoffe bereits vor der Coronakrise globales Spekulationsobjekt, was auf dem europäischen Markt zeitweise zur Verknappung führte.

Die Vorräte reichen bis April

Hinzu kommt, dass reines Ethanol entweder vergällt oder mit einer Branntweinsteuer von 13,- Euro pro Liter reinem Alkohol belegt wird. Das ist das mehr als Zehnfache des Erzeugerpreises. Seit Januar wurden gewaltige Mengen dieser Produkte aufgrund der Pandemie global vermarktet, seit spätestens Anfang März war für die deutschen Hersteller die Beschaffung prekär, derzeit reichen die Vorräte allenfalls noch bis Anfang April. Und die Bezugspreise haben sich inzwischen verfünffacht, derzeit bekommt man selbst für den zehnfachen Preis nichts mehr.

Was Wunder also, dass die deutschen Behörden so manche Regulierung hinsichtlich pharmazeutischer Herstellungsvorschriften vorübergehend außer Kraft setzen, nur um die Versorgung mit Desinfektionsmitteln wenigstens in den Krankenhäusern annähernd aufrecht zu erhalten. Der Aufruf an die Schnapsbrennereien ist so ein verzweifelter Versuch mit mäßiger Erfolgsaussicht. Denn der Gärungsprozess bei der alkoholischen Gärung dauert in der Regel wenigstens vier Tage, dann kommen Filtration und Destillation des maximal 16-prozentigen Ansatzes. Auf diese Weise kann man selbst mit einem Gärungsbehälter von 8.000 Liter Nettoinhalt innerhalb optimal einer Woche lediglich umgerechnet 1.800 Liter Desinfektionslösung gewinnen. Und wieviel Behälter bräuchte man für eine Wochenproduktion, um den notwendigen Tagesbedarf zu decken? Siehe oben.

Auswege in Sicht? Wird aus Südkorea ein Schiff kommen?

Mangels Ethanol und Isopropylalkohol kann man auf Propanol (1-Propanol) ausweichen, das – noch – in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Es wirkt ebenfalls bakterizid und bedingt viruzid. Aber dann müsste das Produkt als Biozid deklariert und, siehe oben, zeitaufwändig zugelassen werden. Die angesprochene Aufsichtsbehörde zumindest in Bayern hat dazu signalisiert, dass aufgrund der Situation eine Ausnahmegenehmigung erteilt würde. Aber es müsste, auch ein Gruß aus Brüssel (Verordnung EG Nr. 1272/2008 CLP), mit dem Gefahrstoffzeichen „Ätzend“ versehen werden. Denn es könnte, auf die Augen gebracht, die Bindehaut angreifen. Isopropylalkohol und Ethanol bewirken das zwar auch, aber diese brauchen das Zeichen nicht. Ob das medizinische Personal das akzeptiert?

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Menschen außerhalb dieses Tätigkeitsbereiches müssen trotzdem nicht in Sorge sein, es genügt mehrmaliges intensives Händewaschen, und man soll nicht im Gesicht fummeln. Ein Stück Seife oder ein Tropfen Spülmittel aus der Küche reicht; Coronaviren mögen nämlich keine Tenside, das bringt ihre Fettmembran zum Platzen. Desinfektionsmittel im Privatbereich sind deshalb nicht erforderlich.

Für Krankenhäuser und Arztpraxen deutet sich indes ein Silberstreif an: Südkorea ist bereit, Isopropylalkohol nach Deutschland zu liefern. Das wird zwar dreißig Tage dauern und im Mai in Rotterdam anlegen, aber ein Schiff wird kommen … Hoffentlich werden es mehr.

Apropos „Corona“: Corona war einmal ein unschuldiges lateinisches Wort. Es bedeutete Krone, Ehren- und Siegeskranz oder Diadem. So ganz unschuldig war es zwar nicht, denn im alten Rom hieß corona vendere auch Sklaven verkaufen. Die Unschuldsvermutung galt, bis sich die Virologen des Wortes bemächtigten, und damit eine „Familie“ der bislang identifizierten 3.000 Virenarten klassifizierten, die im elektronenmikroskopischen Bild einen Kranz oder eine Krone um ihren Körper zeigten.

Und zum Schluss ein aufmunterndes Wort! Ein altes ungarisches Sprichwort sagt: „Je dunkler die Nacht, desto näher der Morgen.“ Deshalb werden wir auch diese Situation überstehen und am Ende feststellen können: Hurra, wir leben noch. Wir sollten auch daran denken, dass es eine Generation vor uns gegeben hat, die aktiv zwei Weltkriege und zwei Währungsreformen erleben und erleiden musste, alles verlor und trotzdem zweimal die Ärmel hochkrempelte, um unverdrossen weiterzumachen. Bleiben Sie gesund und optimistisch!


Autor: Dr. rer. nat. Heinrich Zettler ist promovierter Chemiker. Als Unternehmer ist er eng mit der Problematik vertraut, da er in diesem Pharmabereich tätig ist.

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