Tichys Einblick
Eine Ehrung wie ein zweites Todesurteil

Dresdner Friedenspreis für Alexej Nawalny

Der populäre frühere sächsische Staatsminister und Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz protestiert, dass ausgerechnet erklärte Anhänger Putins die Lobreden halten. Vaatz rechnet insbesondere mit dem CDU-Ministerprsäidenten Kretschmer ab. TE dokumentiert die Stellungnahme von Vaatz.

Alexej Nawalny, Moskau, 02.02.2021

picture alliance/dpa/TASS | Moscow City Court Press Service

Der in Putins Verantwortung ermordete Alexej Nawalny erhält posthum den diesjährigen Dresdner Friedenspreis. Julia Nawalnaja, die Witwe Nawalnys, wird persönlich anwesend sein und die Dankesrede halten. Eine starke Geste der Solidarität mit den wenigen Menschen in Russland, die sich dem Diktator, Landräuber, Kindesentführer und Massenmörder Putin entgegenstemmen. Sollte man meinen.

Als Ehrengast wird erwartet: der Vorsitzende des Bundesratsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Ministerpräsident von Sachsen Michael Kretschmer (CDU). Dieser Mann hat seine Nähe zu Putin durch Besuche, Telefonate und inzwischen zahllose Stellungnahmen dokumentiert, in denen er dazu beigetragen hat, die Narratio putinensis in den politischen Raum der Bundesrepublik einzupflanzen. Er will den russischen Sieg in der Ukraine erzwingen, indem er Waffenlieferungen in die Ukraine strikt ablehnt, das Land wehrlos machen und die Menschen vor die Wahl zu Lagerhaft, Deportation, Gleichschaltung einerseits oder Flucht andererseits stellen will. Dem überfallenen Land rät er deshalb zur Kapitulation („Der Papst hat recht“). Bei der Nawalny-Ehrung wird er vermutlich die Grüße Putins übermitteln.

Journalist nennt es "Mord":
Kreml- und Putin-Kritiker Nawalny stirbt nach jahrelanger Haft in Strafkolonie
Als Rednerin wünschen sich die Veranstalter die Dresdner Kulturbürgermeisterin Klepsch (Linke), die eine Partei repräsentiert, die seit Beginn des Ukrainekrieges im Jahr 2014 mit Begriffen wie „kein neues Wettrüsten“ beharrlich an einer Täter-Opfer-Umkehr arbeitet, wie sie die Älteren unter uns aus dem Überfall auf Ungarn 1956 und der Invasion in der Tschechoslowakei 1968 kennen.

Gut. Der Kretschmer’schen wie der Linkspartei-Meinung kann man sein. Wir leben noch immer – zwar zunehmend weniger, und bestimmt auch nicht mehr lange – in einem freien Staat. In Sachsen sind die Putin-Sympathien (beginnend bei Pegida, den Wählern der AfD, den Sympathisanten der Stalinistin Wagenknecht und der Linken über die der CDU bis hin zur SPD) seit dem Überfall Putins auf die Ukraine stark gewachsen. Ich persönlich wünschte auch Allen, die sich Sozialismus und die 20.000 Soldaten der siegreichen Rote Armee in der Albertstadt in Dresden zurückwünschen, von Herzen die Erfüllung dieser Sehnsucht, wenn alle meine Landsleute, welche diese Sehnsucht nicht teilen, inklusive ich selbst und meine Familie, rechtzeitig in Sicherheit wären; denn ein zweites Mal Kampf – und dann lebenslang – wäre mir einfach zu viel.

Aber Michael Kretschmer will die Wahlen gewinnen und braucht die Stimmen der Putinisten, das mag bei ihm, so fatal dies ist, einiges erklären. Nur hätte ich von einem sächsischen Ministerpräsidenten erwartet, dass er die Ursachen dieser Hinwendung zu Putin bei seinen Landsleuten erkennt und abstellt. Diese liegen in der Verzweiflung der Menschen über die Unfähigkeit der Demokratie, den Scherbenhaufen auch nur zu erkennen, geschweige denn zu beseitigen, den die Merkel- und Ampeljahre hinterlassen haben; und stattdessen – als wolle man von diesem Versagen ablenken – vermittels einer servilen Presselandschaft, das ganze Land in ein großes Umerziehungslager bis hin zum Sprachgebrauch und den privatesten Lebensgewohnheiten zu verwandeln. Aber dazu schweigt der Ministerpräsident und Ausschussvorsitzende.

Für Nawalny ist diese Ehrung ein zweites Todesurteil. Die Seriosität seiner Witwe wird für Selbstdarstellungszwecke missbraucht. Für die Veranstalter ist das Ereignis ein Beweis – wenn es eines solchen bedurft hätte –, dass aus Herzen und Hirnen auch das letzte Fünkchen Anstand entwichen ist.

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