Tichys Einblick
Wirtschaftsgeschichte

Drei aktuelle Lehren aus der Zeit der Hyperinflation 1923

Inflation ist kein Schicksal, sondern ein politisches Ziel, um Regierenden Handlungsspielraum zu schaffen. Der Weg in die Hyperinflation von 1923 und ihre fatalen Folgen war gepflastert mit opportunen politischen Entscheidungen, die uns heute allzu vertraut vorkommen. Von Marius Kleinheyer

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Die deutsche Hyperinflation von 1923 hat das Bewusstsein in Deutschland für eine unabhängige und stabile Währung lange geprägt. Der Euro sollte mit Blick auf die erfolgreiche Stabilitätskultur nach dem Vorbild der Deutschen Mark etabliert werden. Dieses Vorhaben ist spätestens mit den jüngsten Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise gescheitert. Durch die anhaltende expansive Geldpolitik der EZB wird versucht, die Menschen vor den ökonomischen Folgen der Lockdown-Maßnahmen so gut wie möglich zu bewahren. Gleichzeitig wird die Struktur der europäischen Währungsordnung unter dem Eindruck der dramatischen Folgen der Virus-Pandemie, insbesondere für Südeuropa, grundlegend verändert. Da Länder wie Italien bereits vor der Corona-Krise an der Grenze ihrer Schuldentragfähigkeit angekommen waren, werden nun gesamteuropäische Schulden ermöglicht. Der Zusammenhang zwischen Kreditwürdigkeit und solider Fiskal- und Wirtschaftspolitik ist damit entscheidend geschwächt, der Weg in eine dauerhafte Transferunion vorgezeichnet. Die Chancen für einen erfolgreichen Anpassungsprozess der europäischen Volkswirtschaften schwinden. Stattdessen wird eine inflationäre Geldpolitik zur einzig verbliebenen strategischen Möglichkeit, die Staatsdefizite dauerhaft zu finanzieren. Das Ziel dahinter ist deutlich formuliert: Es geht um das Überleben der EU. Der Euro als gemeinsame Währung dient als ein politisches Instrument.

Die Geschichte der Hyperinflation 1923 und ihre Lehre sollten auch dann in Erinnerung behalten werden, wenn die konkrete Gefahr einer Hyperinflation unwahrscheinlich ist. Die Mechanismen des Geldes und die Handlungsmotive der damaligen Akteure sind zeitlos. Das Sprichwort mahnt, dass sich Geschichte nicht wiederholt, aber reimt. Die junge Weimarer Republik versuchte, durch Inflation den Rückhalt für das politische Projekt Demokratie in Deutschland zu stärken. Sozialer Frieden um jeden Preis lautete das Motto. In den Tagen der Ruhrbesetzung, als französische Truppen das Industriegebiet besetzten, um Kriegsreparationen einzutreiben, kam es dann durch den passiven Widerstand der Arbeiter, zu einem Lockdown der anderen Art. Wie heute wurde mit frischem Geld versucht, die Moral aufrechtzuhalten. Der Weg in die Hyperinflation war gepflastert mit opportunen politischen Entscheidungen, die uns heute allzu vertraut vorkommen.

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Die historischen Ereignisse, die sich in den zehn Jahren vor 1923 abspielten, waren ohne Frage sehr viel dramatischer als heute. Die Hyperinflation markierte dabei den Höhepunkt einer inflationären Entwicklung, die 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann. 

Lehre 1: Eine Volkswirtschaft sollte nicht wie eine Kriegswirtschaft organisiert werden!

Der Erste Weltkrieg war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Er hat auch in Bezug auf die Staatsfinanzen alle damals bekannten Dimensionen gesprengt und kann damit auch als die Urkatastrophe für die Geldsysteme des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. 

Eine Hyperinflation wie 1923 war am Ende nur möglich, weil Geld erfolgreich von seiner metallischen Grundlage getrennt werden konnte und die Menschen Papiergeld akzeptierten. Die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft erforderte die Ausrichtung produktiver Leistungen einer gesamten Volkswirtschaft auf die unmittelbaren Zwecke der Kriegsführung. Das implizierte die Einengung des Zeithorizonts der Produktion auf den Konsum des Staates in Gegenwart und unmittelbare Zukunft. Um dieses Ziel zu ermöglichen, musste die Kriegsfinanzpolitik dafür sorgen, dass die Kaufkraft aus den Händen privater Haushalte und Unternehmen in die Hände des kriegsführenden Staates übertragen wurde.

Die Reichsbank spielte dabei eine zentrale Rolle. Zunächst gab sie im Juli 1914 den Goldstandard auf. Papiergeld wurde nicht mehr in Gold getauscht. Stattdessen startete sie eine Propagandakampagne „Gold fürs Vaterland“, um an die gehorteten Goldmünzen zu kommen. Die Reichsbank bot über Darlehenskassenscheine eine kurzfristige Verschuldung der öffentlichen Haushalte an, die eine effektive Umlenkung privater Ersparnisse hin zur Finanzierung des staatlichen Kriegsgeschehens versprach.

Als der Krieg verloren ging, verschärften sich die Probleme der Regierung und verschlimmerten die Finanzlage offensichtlich. Statt des erhofften Sieges kam die Niederlage. Statt durch Reparationsforderungen die Kriegsschuld zu begleichen, mussten Reparationen zusätzlich gezahlt werden. 

Lehre 2: Wer den ökonomischen Sachverstand der politischen Zweckmäßigkeit unterordnet, verliert am Ende beides!

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Wann kommen Inflation und Währungsreform?
Der Kieler Matrosenaufstand am 3. November 1918 löste die November-Revolution aus, die zum Sturz der Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte. Das im Oktober eingeführte parlamentarische System war nicht durch die Bevölkerung, sondern auf Initiative der Heeresleitung zustande gekommen und wurde von den Revolutionären nicht akzeptiert. In der Bevölkerung gab es polarisierende Kräfte von links und rechts, die jeweils einen radikalen Gestaltungsanspruch geltend machten. Zur Umstellung von der Kriegs- auf die Nachkriegswirtschaft entschied man sich strategisch für Inflation als Katalysator für den Wandel. Man wollte durch steigende Preise den Unternehmergeist motivieren, gleichzeitig im Rahmen des Demobilisierungsprogramms Sozialausgaben erhöhen und damit die Bevölkerung kurzfristig ruhigstellen. Der Ökonom Carl-Ludwig Holtfrerich hält in seinem Werk über die Hyperinflation fest: „Die Inflation sollte den ‚großen positiven Effekt‘ haben, das republikanisch-parlamentarische System für die Zeit der Weimarer Republik zu sichern.“ Der erhoffte Effekt kehrte sich in sein Gegenteil. Stefan Zweig formulierte es so: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation“.

Die Weimarer Republik wollte einen neuen Staat gründen, der Demokratie in Deutschland durchsetzt und die Lebensbedingungen der Menschen verbessert. Für diese hehren Absichten sollte die Loyalität der Menschen gesichert werden. So ehrlich oder auch gut gemeint das Ziel gewesen sein mag, es führte dazu, dass politische und soziale Erwägungen dem ökonomischen Sachverstand vorgezogen wurden. Das war die zentrale Ursache für das Abgleiten in die Inflation. 

Auch die Reichsbank hat ihren ökonomischen Sachverstand der politischen Zweckmäßigkeit geopfert. Sie war bis 1922 nicht unabhängig und danach nicht mehr willens, die Inflation aufzuhalten. Die Reichsbank hatte die Funktion, dem Staat kurzfristige Kredite zu geben und die Geldmenge beliebig auszuweiten. Durch die Finanzpolitik des Deutschen Reichs und die Belastungen, die durch die Kriegsniederlage und den Versailler Vertrag von außen auf die Finanzlage einwirkten, hatte sie auch wenig Spielraum.

Offiziell verteidigte die Reichsbank die Auffassung der Regierung, dass die Geldmengenausweitung nur die Wirkung und nicht die Ursache der Geldentwertung darstellte. Nach dieser Interpretation lag die Hauptursache der Geldentwertung in der passiven Handels- und Zahlungsbilanz. Deutschland war für die Auslastung der Industrie und die Ernährung der Bevölkerung auf Importe angewiesen, wodurch die Nachfrage nach Devisen hoch war. Durch die Kriegsniederlage fielen Exportmöglichkeiten weg. Zum einen gingen rohstoffreiche Gebiete verloren, zum anderen wurden Kapitalanlagen und Vermögen im Ausland beschlagnahmt. Die Finanzmärkte verweigerten die Platzierung langfristiger deutscher Anleihen. Das einzige Land, das nachhaltig in Deutschland hätte investieren können, waren die USA. 1920 gewann allerdings Warren G. Harding die amerikanische Präsidentschaftswahl mit einer „America First“ Kampagne, die höhere Schutzzölle und Protektionismus beinhaltete. Mit der Hinnahme des Verfalls des Wechselkurses und steigender Inflation sollte auch der Verhandlungsdruck auf die Siegermächte hochgehalten werden, um sie von allzu strengen Reparationsforderungen abzubringen.

Verbraucherpreise und Vermögenspreise
Die Inflation an der Börse und das Ende der sozialen Marktwirtschaft
Aus vertraulichen Briefen der Reichsbank an die deutsche Regierung ergibt sich ein etwas anderes, von der offiziellen Darstellung abweichendes Bild. Tatsächlich sah die Reichsbank die Hauptgefahr für die deutsche Währung im Inland, und zwar in der Finanzpolitik des Reiches. Bereits einige Monate vor Kriegsende machte sie in einem Brief an den Reichskanzler auf die Gefahr für die deutsche Währung aufmerksam, die von den Schulden des Reiches ausging. Diese wurden auf 50-60 Mrd. Goldmark geschätzt. Die Reichsbank forderte die Reichsregierung nachdrücklich dazu auf, ein weiteres Anwachsen der Schulden zu stoppen und nach Beendigung des Krieges für einen möglichst schnellen Abbau zu sorgen, und zwar durch finanzpolitische Maßnahmen. Im März 1919 beklagte die Reichsbank die „andauernde Vermehrung der papierenen Zahlungsmittel“ und forderte grundlegende Reformen der Finanzpolitik und einen Verzicht auf Notenbankkredite. Diese Ermahnungen ziehen sich durch die Kommunikation zwischen Regierung und Reichsbank bis 1921. 

Im Londoner Ultimatum 1921 wurde die Summe der Reparationen schließlich auf 132 Mrd. Goldmark festgelegt und in A-, B- und C-Bonds unterteilt. Der C-Bond enthielt mit 82 Mrd. Goldmark den Großteil der Summe. Er sollte erst fällig werden, wenn Deutschland wieder in der Lage war, den Betrag zu zahlen. John Maynard Keynes war überzeugt, dass die Alliierten diesen Teil bald annullieren würden und ihn nur in das Abkommen geschrieben hätten, um die Summe größer erscheinen zu lassen. In Deutschland hatte der C-Bond aber eine demotivierende Wirkung. Die Botschaft: Falls es besser gehen sollte, greifen wir wieder zu. 

Ende Mai 1921 wiederholte die Reichsbank die Mahnung bezüglich der äußerst bedenklichen Schuldenstände, räumte aber ein, dass es angesichts der außen- und innenpolitischen Situation des Landes, insbesondere der Reparationspolitik, keine realistische Möglichkeit für einen Kurswechsel mehr gäbe. 

1922 sicherte auf Druck der Alliierten das Autonomiegesetz der Reichsbank Unabhängigkeit zu. Damit hatte sie die theoretische Möglichkeit, auch gegen den Willen der Reichsregierung die Geldmengenexpansion zu stoppen. Zu diesem Zeitpunkt war aber jeglicher Widerstand gebrochen. Die Reichsbank akzeptierte pflichtschuldig die Flut staatlicher Schatzwechsel und gab weiterhin Kredite an die deutsche Industrie. Selbst auf dem Höhepunkt der Inflation gab die Reichsbank den Kreditanforderungen des Staates nach, obwohl sie als Folge davon „eine gewaltige neue, das bisherige Maß weit übersteigende Zunahme der Inflation“ erwartete. Aber sie könne sich „der Überzeugung nicht verschließen, dass es sich hier um die Erfüllung von Staatsnotwendigkeiten handelt“, wie es in einem Brief des Reichsbankdirektoriums an das Reichsfinanzministerium handelte.

Es ist heute müßig zu beurteilen, ob die Weimarer Republik unter den gegebenen Umständen überhaupt eine Chance hatte. Die Hoffnung, Probleme mit frischem Geld lösen zu können, erfüllte sich jedenfalls nicht. Stattdessen veranschaulicht die Geschichte, wie fatal sich eine zerstörte Währung auf das ökonomische und gesellschaftliche Leben auswirken kann.

 Lehre 3: Ein Lockdown kann der angeschlagenen Wirtschaft den Rest geben! 

Spätestens seit 1921 wurde deutlich, dass insbesondere die Franzosen auf die Einhaltung der strengen Reparationsforderungen bestanden. Der deutschen Seite war auch klar, dass im Zweifelsfall der mäßigende Einfluss der Engländer und Amerikaner nicht ausreichen würde, um eine Entschuldung bzw. Abmilderung der Ansprüche durchzusetzen. Dass die Franzosen aber tatsächlich das Ruhrgebiet besetzen würden, galt als unwahrscheinlich. Als Deutschland jedoch Ende 1922 statt der vereinbarten 13,8 nur 11,7 Millionen Tonnen Kohle lieferte, entschloss sich Frankreich zusammen mit Belgien am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet zu besetzen. Am 16. Januar hatten die französisch-belgischen Truppen die Kontrolle über das gesamte Ruhrgebiet bis nach Dortmund übernommen. 

Von wegen kaum Inflation
Geldentwertung findet da statt, wo die Statistiker nicht hinblicken
Der Ruhrbesetzung sollte mit passivem Widerstand begegnet werden. Die Reichsregierung ermahnte die Bevölkerung, nur mit friedlichen Mitteln zu protestieren. Die Berliner Regierung stand bereit, Unternehmer und Arbeiter gleichermaßen für die erduldeten Maßnahmen der Franzosen zu entschädigen. Den Unternehmern wurden die Löhne erstattet, die sie ihren untätigen Arbeitern weiterbezahlten, anfangs zu 60 Prozent später zu 100 Prozent. Außerdem wurden ihnen für die Produktions- und Gewinnausfälle großzügige Kredite eingeräumt. Auch die Löhne der Angestellten der Reichsbahn, die ausgewiesen oder von den Franzosen nicht beschäftigt wurden, zahlte der Staat. 

Die Menschen aus dem Ruhrgebiet hatten in dieser Zeit viel zu erdulden. Die Lohnfortzahlung der Regierung ohne Arbeit als Gegenleistung wurde von einigen aber auch als willkommenes Geschenk gesehen. Es verbreitete sich der Begriff „Cuno-Rente“, benannt nach dem damaligen Reichskanzler Wilhelm Cuno. Der Ruhrkampf war der Brandbeschleuniger für die letzte Phase der Hyperinflation.

Fazit

Inflation ist kein Schicksal, sondern ein politisches Ziel. Unser Geldsystem ist auf die künstliche Ausweitung der Geldmenge ausgelegt, um den politischen Handlungsspielraum zu erweitern. Geld ist dadurch nicht nur allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel, sondern ein politisches Machtinstrument. Damals wie heute dient die Geldschöpfung der Staatsfinanzierung. Inflation soll die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben schmieren. Die Geschichte zeigt aber, dass Geldschöpfung und Erzeugung von Inflation immer wieder außer Kontrolle gerieten. Heute treibt die Geldschöpfung bisher nur die Vermögenspreise. Doch dürfte der mit der Geldflut erzeugte Geldüberhang mit der Zeit seinen Weg in die Konsumentenpreise finden. Eine Hyperinflation wie nach den Zeiten des Ruhrkampfs ist nicht zu erwarten. Aber die Konsumentenpreise könnten über die Zielmarke der Zentralbanken hinaussteigen. Da die Zentralbanken angesichts der hohen Verschuldung der Staaten dann kaum mehr die Zinsen erhöhen können, dürfte das Vertrauen in die Kaufkraft des Geldes verloren gehen. Auch wenn der Absturz nicht so krass wie im Jahr 1923 ausfallen wird, dürfte er dennoch für viele Geldsparer schmerzhaft werden.


Marius Kleinheyer ist Finanzsoziologe und Research Analyst am Flossbach von Storch Research Institute in Köln

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