Wie gehen wir mit solchen Informationen um? Ein Beitrag unseres Buchautors Douglas Murray.
In den vergangenen Wochen geschahen gleichzeitig zwei bemerkenswerte Ereignisse in Frankreich. Das eine war, dass die Trauer der Nation um Oberstleutnant Arnaud Beltrame, der sich bei der Belagerung eines Supermarktes in Trèbes für eine Geisel austauschen ließ, vom Präsidenten der Republik angeführt wurde. Am gleichen Tag zog in Paris ein Schweigemarsch an der Wohnung der ermordeten Mireille Knoll vorbei. 1942 entging Madame Knoll als junges Mädchen nur knapp der Deportation nach Auschwitz. Vor zwei Wochen wurde die 85jährige, an den Rollstuhl Gefesselte tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie ist mit elf Messerstichen ermordet und anschließend angezündet worden. Die alte Dame, die an Parkinson litt, hatte vor ihrer Ermordung die Polizei mehrmals um Hilfe gebeten, weil ihr ein Nachbar gedroht hatte, „sie zu verbrennen“. Und so hat das Feuer von Auschwitz, dem die neunjährige Mireille knapp entkommen war, sie schließlich siebzig Jahre später im multikulturellen und diversen Frankreich des 21. Jahrhunderts doch noch erreicht und verbrannt.
Wenn man den Bericht des Fernsehsenders Sky liest, erfährt man folgendes: „Zwei Männer, darunter ein Nachbar, sind des Mordes an der 85jährigen angeklagt worden“. Wenn man dann noch in anderen französischen Medien nachsieht, versteht man besser, warum ich vorhin auf die neue „Diversität“ und den neuen „Pluralismus“ verwies.
Sehr ähnlich liegt der Fall des Mörders von Arnaud Beltrame. Seit seiner Ermordung ist Oberstleutnant Beltrame zum Symbol für das Beste an Frankreich und seinen Menschen geworden. Die Wörter „mutig“ und „heldenhaft“ sind bis zur Abnutzung gebraucht worden, aber es stimmt schon, dass sie in ihrer reinsten und unantastbarsten Form diesen Sohn Frankreichs beschreiben. Aber was können wir über die Person wissen oder sagen, die Beltrames Kehle aufschlitzte und ihn in den Kopf schoss? Der Angreifer, der sich zur IS bekannte, ermordete vier Menschen. Und trotzdem erfahren wir aus den Nachrichten kaum etwas Näheres über den Mann. Er hieß offensichtlich Redouane Lakdim. Er war 26 Jahre alt und wurde in Marokko geboren. Er wurde französischer Staatsbürger und trug durch Kleinkriminalität und Anhängerschaft des Jihad zum Wohle seiner neuen Nation bei.
Was also sollen wir uns dabei denken, zu alledem sagen?
Aus einem ganz bestimmten Grund formuliere ich diese Frage so: „Was sollen wir uns dabei denken?“ Denn es ist eben diese Frage, über die die Bürger von freien Ländern heute sehr genau nachdenken müssen. Eingeleitet durch mehrere offizielle und inoffizielle Regierungsdirektiven in ganz Westeuropa ist nun der Kampf um die Erziehung der breiten Öffentlichkeit entbrannt.
Die sozialen Medien – insbesondere Facebook und Twitter – haben in den vergangenen Monaten begonnen, ihre Plattformen zu „säubern“. Nachdem sie durch die ununterbrochene Anklage der alten Medien schon unter Druck geraten waren, droht ihnen nun auch, von nationalen Regierungen und Sicherheitsorganen in Haftung genommen zu werden. Deshalb versuchen die Plattformen, die jahrelang zugesehen haben, wie sie von terroristischen Organisation wie der Hisbollah für ihre Bekehrungstätigkeit benutzt wurden, neue, höhere Standards durchzusetzen. Bedauerlicherweise entspricht dieser neue Standard, den sie erzwingen wollen, dem, was ich an anderer Stelle als „Rowleyismus“ bezeichnet habe – benannt nach dem stellvertretenden Polizeichef der Hauptstadt [d.i. London – Anm. d. Red.], Mark Rowley. Dazu schrieb ich damals:
„Er war derjenige, der die Idee aufbrachte, das Vereinigte Königreich stehe zwei gleichen Herausforderungen gegenüber: dem islamistischen Extremismus auf der einen und dem rechtsradikalen Extremismus auf der anderen Seite. Um diese Gleichstellung aufrechterhalten zu können, muss man Muslime, die Attentate verüben und Nicht-Muslime, die das nicht tun, moralisch gleichsetzen … und ebenso Muslime, die zum Mord aufrufen mit Nicht-Muslimen, die das nicht tun.“
Die meisten von uns sind ausgesprochen zufrieden damit, dass Aufwiegelung – egal ob sie von Rechtsextremen, Islamisten oder wem auch immer kommen mag – vom vorhandenen Recht verfolgt wird. Aber der „Rowleyismus“, bezogen auf die sozialen Medien, hat eine ganz andere Auswirkung. Unter anderem setzt er gewalttätige Gruppen mit Fakten über die Gewalt gleich.
Anfang dieses Jahres wurde der Gründer der English Defence League (EDL), Tommy Robinson, bei Twitter gesperrt, weil er eine Statistik über bandenmäßige Vergewaltigungen veröffentlichte, über ein Thema, das in der letzten Zeit häufig in den Medien vorkam. Wenn die sozialen Medien mehr sein sollen als Plattformen zum Austausch von Katzenbildern, dann muss es legitim sein, dort eine Diskussion über die Massenvergewaltigung der Kinder unserer Nation zu führen. Gerade eben wurde eine solche Gang wieder verurteilt – wieder in Oxford. In diesem Zusammenhang von „Banden von Vergewaltigern“ oder „Banden von Kinderschändern“ zu sprechen ist für sich genommen schon eine Ausflucht. Ebenso wie die verlogene und bewusst falsche Formulierung „asiatische Bande von Vergewaltigern“. Man weiß heutzutage kaum mehr, was man sagen darf. Spricht man von einer „muslimischen Bande von Vergewaltigern“ oder gar von einer „pakistanischen Bande von Vergewaltigern“, so mag man zwar richtig liegen, aber man riskiert auch, dass man eine ganze Reihe von Problemen bekommt, unter anderem die Verbannung aus den sozialen Medien. In den vergangenen Tagen haben mir Leser vorgeführt, wie sie auf Facebook gesperrt wurden, nur weil sie den Artikel aus dem Spectator gepostet haben, in dem ich über den „Rowleyismus“ geschrieben hatte. „Bande von Vergewaltigern“ ist offensichtlich ein inkriminierter Begriff in den sozialen Medien.
So müssen diejenigen, die sich wegen der großen Zahl an Vergewaltigungsopfern nicht nur bedrückt fühlen, sondern die auch wissen wollen, zu was für einer Bande die Täter in Oxford gehört haben (ob es zum Beispiel Professoren waren, wie sie in den Inspektor-Morse-Kriminalromanen von Colin Dexter vorkommen), der Sache selbst auf den Grund gehen. Mit etwas Glück bekommt man Fotos von den Verbrechern in einem Programm der BBC zu sehen. Der Eindruck wird immer stärker, dass man nicht möchte, dass wir dahinterkommen. Das ist in Frankreich nicht anders als im Vereinigten Königreich und sonst wo in Europa. Es wird immer weniger erlaubt, uns bei der Beantwortung von Fragen mit Daten zu unterstützen.
Tommy Robinsons Statistiken stammten übrigens von der bewundernswerten, von Moslems betriebenen Ideenfabrik Quilliam. In ihrem exzellenten Untersuchungsbericht vom Dezember 2017 wurde festgestellt:
„84 Prozent der Straftäter aus ‚Kinderschänder-Banden‘ waren (süd)-asiatischer Herkunft, obwohl Menschen mit dieser Herkunft nur sieben Prozent der britischen Bevölkerung ausmachen. Die Mehrheit unter ihnen ist pakistanischer Herkunft mit muslimischem Hintergrund.“
Die Suspendierung von Tommy Robinson auf Twitter wegen der Veröffentlichung eben dieser Statistik stellt uns vor ein faszinierendes modernes Rätsel. Gibt es Fakten, die eine Person öffentlich äußern kann und eine andere nicht? Kann es sein, dass wegen gewisser rassischer oder religiöser Merkmale die Fakten, die eine bestimmte Person äußern darf, bei einer anderen ein Ausdruck von Vorurteilen ist? Twitter hat eine eindeutige Antwort auf diese Frage gefunden: Ja, es kann sein.
Inzwischen ist Tommy Robinson, der eine halbe Million Follower hat, von Twitter ohne Erklärung für immer gesperrt worden. Natürlich ist Twitter ein privates Unternehmen und kann tun und lassen was es will. Viele der Nutzer werden allerdings erstaunt sein, wie wenig frei und unpolitisch inzwischen diese Plattform geworden ist. Aber hier liegt das Problem. Und ich begegne ihm überall auf dem Kontinent.
Wie sollen wir in dieser Lage mit den Banden von Kinderschändern umgehen? Die Gemeinden, aus denen die Verbrecher kommen, scheinen die Frage nicht ansprechen zu wollen. Die Mainstream-Politik und die Mainstream-Gesellschaft haben sich immer wieder unfähig gezeigt, mehr zu tun, als weitere endlose Untersuchungen in Auftrag zu geben. Die bekannt gewordenen Fakten öffentlich zu diskutieren wird immer schwieriger, und vielleicht wird es in nächster Zukunft ganz unmöglich sein. Die sozialen Medien werden behaupten, dass die Weitergabe der Fakten Hassrede sei. Es ist jedoch schwer sich vorzustellen, wie man von der Massenvergewaltigung von Kindern ungerührt optimistisch berichten könnte.
Genauso wie mit den Banden von Vergewaltigern in Großbritannien ist es in Deutschland mit den täterlosen Verbrechen. Und wahrscheinlich wird es auch im Falle der verbrannten Holocaust-Überlebenden in Paris so sein. Noch ist uns erlaubt, diese Tragödie wahrzunehmen. Noch können wir beobachten, wie sich die Zeiten ändern. Aber wir verlieren die Fähigkeit und das Recht, auf den Scheiterhaufen zu zeigen. Ihn zu benennen. Während er immer größer wird.
Douglas Murrays Artikel erschien in der englischen Originalfassung am 29. März in The Spectator und wurde von Krisztina Koenen übersetzt.