Gibt man bei Google den Suchbegriff „Netzteufel“ ein, fragt Google derzeit zurück „meintest du putzteufel?“ Ja, doch, irgendwie auch, denn schließlich ist das Projekt der Evangelischen Akademie zu Berlin „Netzteufel“, in Kooperation mit dem Bundesfamilienministerium und der Evangelischen Kirche in Deutschland, angetreten, mit Schrubber und Eimer, das Internet und eigentlich auch gleich die ganze Gesellschaft zu säubern. Hier befindet man sich in bester Gesellschaft, denn zahlreiche Stiftungen und Organisationen, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Jan Böhmermanns „Reconquista Internet“, die große Aktion des Bundesfamilienministeriums „demokratie leben!“, die facebook-Gruppe #Ichbinhier usw. usf. sind aufgelaufen, um die viel zitierte „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und speziell „den gesellschaftlichen Rechtsruck“ (Zitat aus Netzteufel) im Schmutzeimer zu versenken und den Boden mit Nächsten-Liebe zu benetzen.
„Diese Bedrohungsszenarien“, heißt es auf der Website des Netzteufels, „beschwören das Bild eines ‚Kulturkampfes‘ herauf, der durch verschiedene Gegner*innen gekennzeichnet ist. Es gibt vermeintliche „Gegner*innen“ von außen – wie den Islam, Migrant*innen oder Geflüchtete – und vermeintlich gefährliche Akteur*innen oder Ideologien von innen, wie die Politik(er*innen), den Zeitgeist oder Kirchenvertreter*innen. Das Bild einer Bedrohung und die propagierte Notwendigkeit eines Kampfes kommen nicht ohne Opferrhetorik, Vorurteile, Feindbilder und Abwertungsmuster aus, die das Tor für HateSpeech öffnen und die Kommunikation vergiften.“ Der Netzteufel gibt mit einer sehr ausgeklügelten Argumentation Entwarnung in puncto Meinungsdiktatur: „Wie können wir uns in einer Meinungsdiktatur befinden, wenn diese These einen öffentlichen Raum finden kann?“ Soll wohl heißen: Wer artikulieren kann, dass es seiner Meinung nach mit der Meinungsfreiheit nicht gut bestellt ist, belegt doch gerade, dass sie da ist (die Meinungsfreiheit). Also alles gut? Nun bedeutet „Meinungsdiktatur“ allerdings nicht unbedingt ein breites Klebeband über dem Mund, sondern eher, dass eine machtvolle gesellschaftliche Gruppe dem Rest der Welt verpflichtend vorschreiben möchte, was richtige und falsche Gedanken und Handlungen sind, und ein für alle Mal definiert, wer Hasser und Hetzer ist.
Im Zweifel mit „toxischen Narrativen“. Sie hat die Amadeu Antonio Stiftung (AAS), die den Netzteufel erklärtermaßen inspiriert hat und mit ihm zusammenarbeitet (Anti-HateSpeech-Trainer*innen ausbildet), mit ihren Monitoring-Berichten zu „toxischen Narrativen (rechtsalternativer Akteure)“ in jüngster Zeit salonfähig gemacht. [2] Narrative, erklären die „Kolleg*innen“ der AAS in ihrer Studie von 2017, seien „Erzählungen“, „mit denen wir die Welt ordnen, erklären und die beschreiben, aus welchem Blickwinkel wir die Gesellschaft betrachten“. Der Begriff „Toxische Narrative“ bezeichne „sprachliches Verhalten …, das seine Umgebung negativ beeinflusst.“ Als solche Leitsätze benennen die Forscher unter anderem: „Migration führt zu Destabilisierung“, „Asylmissbrauch“, „Umerziehung“, „Angriff auf deutsche Identität/Kultur“, “Lügenpresse“, „Aufstand wird kommen“. Analysiert wurden die Online-Auftritte von zehn „rechtsalternativen Akteuren“, darunter Compact-Magazin, PI-News, Pegida, aber auch KenFM, „nicht, weil KenFM rechtsextrem oder rechtspopulistisch wäre, sondern weil die von der Seite bedienten Narrative sich mit denen der rechten Online-Sphäre überschneiden“.
Was an der Studie auffällt: Rechts, rechtsextrem, rechtspopulistisch werden tendenziell in dieselbe Schublade geworfen. Und: Es gibt zwar „rechte Narrative“, aber nicht explizit linke oder politisch mittige. Neben den abgelehnten toxischen Narrativen existieren scheinbar nur noch: „Demokratie-Erzählungen“ als „Gegen-Narrative“. Das Gegenteil von rechts ist demnach: demokratisch.
Die Leitgedanken sind – wie in einzelnen Studien zur Fremdenfeindlichkeit üblich – in der Regel als undifferenzierte, extreme Äußerungen formuliert. Dass der Kern der Aussagen auch sachlich und gemäßigt geäußert werden oder gar ein Quentchen Wahrheit darin stecken könnte, macht sie aus Sicht der AAS offenbar nicht akzeptabler: „Toxische Narrative lassen sich jedoch nicht per Gesetz verbieten oder löschen. Vorstöße wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder die Forderung einer rigoroseren Löschpolitik der Betreiber laufen hier ins Leere, weil die Narrative selten strafrechtlich relevant sind – und auch in gemäßigtem Ton ihre Wirkung entfalten.“
Der springende Punkt ist hier: Narrative, also Vorstellungen der erfahrbaren Wirklichkeit als Teil von Weltbildern, enthalten immer auch Verallgemeinerungen, Vor-Urteile und wissenschaftlich nicht belegbare Axiome. Die „Qualität“ der Narrative hängt nicht davon ab, ob sie eher negative („Migration führt zu Destabilisierung“) oder positive Inhalte („Migration führt zu Stabilisierung und Bereicherung“) vermitteln, sondern davon, wie differenziert sie sind, ob Argumente überzeugend belegt werden können, wie unaggressiv sie vorgetragen und welche Schlussfolgerungen aus ihnen gezogen werden.
In puncto Wirkung von Narrativen und „Echokammern“ stellen die AAS-Autoren auch das Licht, sprich die deutliche öffentliche Präsenz „nicht-recht(salternativ)er“ Positionen im herrschenden „Meinungsklima“, unter den Scheffel. Sie monieren zu Recht, „dass viele Menschen dazu neigen, sich in den Sozialen Netzwerken mit Gleichgesinnten zu umgeben und sich dabei gegenseitig in der eigenen Position zu verstärken. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die eigene Position „Mehrheitsmeinung ist“ und stellen, ebenfalls zu Recht, fest, das Ziel von Narrativen sei es, „Deutungshoheit zu gewinnen und Themen zu setzen. Das geschieht immer auch über die Behauptung, (vorgespiegelte) Mehrheiten zu vertreten.“ Beide Phänomene sind allerdings normale Erscheinungsformen der politischen und Medien-Demokratie – und finden sich wohl bemerkt an allen Orten des politischen Spektrums, sind kein „rechtes“ Alleinstellungsmerkmal. Echokammern gibt es vielerorts, und wer möchte nicht in einer Demokratie die eigene Ansicht als Mehrheitsmeinung präsentieren.
Nichts dagegen, eigene Weltbilder (noch mehr) zu verbreiten, nur sollte man sich in jedem Fall davor hüten, die Welt schwarz-weiß zu zeichnen. Hier HateSpeech, da HopeSpeech, hier gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – die überzeugend zu konkretisieren, operationalisieren und nachzuweisen wäre – da nette, menschenfreundliche Narrative. Wenn Zwischentöne abhandenkommen und Zustände und Entwicklungen (bzw. Andersdenkende) mit einer eindeutigen unumstößlichen, nicht zu diskutierenden Wertung verknüpft werden, könnten die so genannten menschenfreundlichen Narrative leicht in fragwürdige Intoleranz umschlagen.
Quellen:
1. http://www.netzteufel.eaberlin.de/
2. http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/publikationen/monitoring-2017.pdf
Elke Halefeldt ist freie Journalistin und Lektorin.