Die Wahl des Donald Trump zum US-Präsidenten hat nicht bloß gezeigt, dass das dort dominante Juste Milieu des politisch-medialen Komplexes keine prognostische Fähigkeit hat und deshalb vom Wahlergebnis maßlos überrascht wurde. Die auf die „Demokratische Partei“ und ihre Vorfeld-Organisationen eingeschworenen “ Liberals“ schaffen es auch nicht, die aktuelle Lage zu begreifen. Ihre Reaktionen auf die Wahl schwanken zwischen wüstem Schimpf auf den Sieger und larmoyantem Jammer über das eigene Leben in einer kommunikativen Filterblase, in der man nichts über das „andere Amerika“ an sich herankommen ließ. In jedem Fall ist Wundenlecken über eine historische Niederlage angesagt.
Dabei ist Trumps Erfolg doch ein überzeugender Sieg der Politik, die seine Gegner seit Jahrzehnten propagieren. Es ist ein Sieg fürs Konzept der multikulturellen Gesellschaft, in dem der politische Prozess nach dem Muster soziokultureller Beutekämpfe umgeformt wird. Die Akteure dieser Kämpfe sind in Interessengruppen organisiert , die sich allerdings nicht mehr nach traditionellen Unterscheidungen der Klassen oder sozialen Schichten formieren. Sie definieren sich jetzt nach ethnisch-kulturellen Kriterien( die Schwarzen, die Hispanics, die Indianer, die Muslime) und nach Merkmalen, nach denen fortlaufend neue unterprivilegierte Minderheiten erfunden werden. Eine so verfasste Gesellschaft gilt nach herrschender Überzeugung als modern, verabschiedet sie doch die Vorstellung einer angeblich reaktionären „Leitkultur“ zugunsten der Idee einer multiminoritären Gesellschaft, in der das, was als sozial verbindlich gilt, immer aufs Neue ausgehandelt wird.
Die Stammesgesellschaft der Minderheiten hat verloren
Das ist ein höchst prekäres Projekt, da dabei der gesamtgesellschaftlichen Bindekräfte sehr gelockert und zugleich die partikularen Bindekräfte innerhalb der diversen Minderheiten gefestigt werden. Am Ende etabliert sich eine Gesellschaft von rivalisierenden Stämmen, die ihre Ansprüche aggressiv gegeneinander stellen. In erbittert ausgefochtenen Kulturkriegen geht es um die Durchsetzung von Deutungsmacht über die Geschichte und um die Umformung der Lebenswelten aller nach den universalistisch camouflierten, in Wirklichkeit aber höchst partikularen „Werten“ des jeweils kampfstärksten Akteurs. In Bündnissen wie der berühmten „Regenbogenkoalition“ der US-Demokraten kann der Kampf aller gegen alle zumindest zeitweise begrenzt werden. Dies gilt so lange,wie die Phantasieformel vom zentralen Gegensatz zwischen einer Vielfalt von unterprivilegierten Minderheiten und einer privilegierten Mehrheit als plausibel gilt. Diese imaginierte Konfrontation befeuert ideologisch den gemeinsamen Kampf als historische Mission einer großen Emanzipation und eröffnet, sofern der Gegner über hinreichende materielle Ressourcen verfügt, die Aussicht auf Beute im staatlich geregelten Verteilungskampf.
Das funktioniert freilich nur, wenn jener Gegner stillhält, wenn er durch hypermoralisch induzierte Schuldgefühle den politisch-sozialen Kontrollverlust als ebenso gerechtfertigt hinnimmt wie sein Pflicht, die „Befreiung“ der Minderheiten aus allen Formen der Abhängigkeit und Unterdrückung auch freigiebig zu alimentieren.
Auf jeden Fall darf sich die privilegierte Mehrheit nicht selber so organisieren und artikulieren, wie es jeder Minderheit erlaubt ist. Schon der Gedanke, dass die Mehrheit legitime Eigeninteressen hat und dass sie mit Recht nicht nur ihr Vermögen, sondern auch ihre Lebensformen verteidigen will, steht unter Verdacht. Die Instrumente von Einschüchterungs- und Zwangsapparaten, die man als „politische Korrektheit“ und „Anti-Diskriminierungsgesetze“ kennt, machen aus diesem Verdacht ein wirksames Kontrollregime.
Die multikulturelle Minoritätengesellschaft, so wie sie bisher konstruiert und etabliert ist, verlangt also die hochselektive Anwendung ihres Grundgesetzes. Sie erlaubt eben gerade nicht allen, sich nach ihrer Herkunft, ihren Interessen und kulturellen Selbstverständlichkeiten zu organisieren. Der (und die) heterosexuelle, patriotische Weiße mit traditionellen Vorstellungen von Familie, Erwerbsleben und Eigenverantwortung darf die eigene „Identität“ nicht oder nur sehr eingeschränkt als politisches Konzept gleichberechtigt vertreten.
Fünf vor Zwölf wachte die Mehrheit auf
Mit Donald Trumps Kampagne und seinem Wahlsieg ist diese merkwürdige Deformation beendet. Kurz vor Verlust des Mehrheitsstatus‘ hat das „weiße Amerika“ sich massiv artikuliert. Auch wenn der Bezug zur ethnischen Kategorie noch nicht offen ausgesprochen wird und werden darf, so ist sie doch das verbindende Element der Trump-Koalition: er sprach den weißen Arbeiter, der sich seine prekäre Lage als Globalisierungsfolge erklärt und im (farbigen) Einwanderer Konkurrenten sieht, ebenso an wie den älteren Angehörigen des weißen ländlichen Mittelstands, der seine tradierten Lebensformen bedroht glaubt. Herausfordernd für Trumps Gegner ist aber, dass die Werte, an denen man sich in diesen weißen Milieus orientiert, durchaus auch attraktiv sind für andere Ethnien. Immerhin stimmten auch 29% der Hispanics für Donald Trump. Und in den Berichten der US-Zeitungen tauchten immer wieder auch schwarze Anhänger des Kandidaten auf.
Die unausgesprochene Voraussetzung der Multikulti-Ideologie, nach der die weiße, an Herkommen und Konvention orientierte Mehrheit niemals dieselbe Identitätspolitik treiben darf, die Minderheiten selbstverständlich zugestanden wird, ist damit obsolet geworden und kann auch nicht mit der Rassismus-Keule erledigt werden.
Ob das nur eine erfolgreiche Mobilisierungsstrategie für den Wahlkampf war oder ob daraus eine Politik des neuen Präsidenten wird, ist noch unklar. Trumps Rhetorik hat jedoch Erwartungen geweckt , die nicht einfach wieder verschwinden werden. Eine „weiße“ Identitätspolitik könnte dann vor allem politisch für Trump attraktiv werden, wenn er die Hoffnungen auf raschen wirtschaftlichen Erfolg nicht erfüllen kann. In jedem Fall werden die Kulturkämpfe härter. Darüber zu klagen haben freilich die am wenigsten Grund, die in den USA und auch hierzulande das hohe Lied von den Wonnen der multikulturellen Gesellschaft singen.
Heribert Seifert schreibt für die NZZ und andere.