Tichys Einblick
Bei der FDP in Sachsen-Anhalt

Die liberale Lücke

Die FDP ist sicher nicht der Heilsbringer und die Antwort auf alles. Aber sie hat neben SPD, CDU, Grünen und Linken ihre politische Berechtigung. Die AfD ist kein Aufbruch zu etwas Neuem, sondern eher das Ende der politischen Fahnenstange. Demnächst auch dort ein Besuch.

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„Ich habe einen Traum….“ Hat er das gerade wirklich gesagt? Oh ja, er hat und er wiederholt es….einmal….zweimal….dreimal. Ich überlege kurz, ob ich es ihm übel nehme, dass er diesen Satzbaustein verwendet. Ich meine, er ist nicht Martin Luther King und das hier ist nicht Washington, sondern Magdeburg. Der Mann, der das gesagt hat, heißt Frank Sitta, 37 Jahre alt, seit 2015 Landesvorsitzender der FDP in Sachsen-Anhalt und früherer Technoclubbesitzer aus Halle (Saale). Heute gehört ihm das 2008 gegründete Unternehmen „Sitta Kongress- und Eventmanagement GmbH“. Ein Selfmade-Mann, wie er betont und äußerst selbstbewusst daherkommt. Für eine „I have a dream“-Rede in Sachsen-Anhalt muss man das auch sein.

Ich bin beim Neujahrsempfang der FDP Sachsen-Anhalt, um mich auf ein kurzes Gespräch mit Christian Lindner zu treffen, der an diesem Abend ebenfalls eine Rede halten wird. Ich will ihm sagen, was mir in den letzten Wochen durch den Kopf gegangen ist, welche Stimmung ich hierzulande und insbesondere bei meinen Lesern wahrgenommen habe und ich will ihm ein wenig auf den Zahn fühlen. Wie glaubhaft ist „die neue“ FDP? Könnte Sie die Alternative für politisch Heimatlose wie mich und viele andere sein? Oder wählt man mit ihr am Ende doch nur wieder die Merkel-CDU?

Wie neu ist die neue FDP?

Aber ich bin auch hier, um mir einen generellen Eindruck von der FDP zu machen, ein wenig die Stimmung einzufangen, die gerade vorherrscht. Sachsen-Anhalt ist vielleicht ein ganz geeignetes Fleckchen dafür. 2011 war man mit gerade einmal 3,8% der Stimmen aus dem Landtag geflogen. Dieses Jahr will man unbedingt wieder rein. Die Prognosen stehen schlecht. Zwei Monate vor der Landtagswahl kommt die FDP hier gerade einmal auf 3%. Die AfD hingegen auf sagenhafte 15%. Wenn man also wissen will, wie weit es mit dem Optimismus und um Aufbruchstimmung der FDP wirklich steht, ist man in Sachsen-Anhalt an der richtigen Stelle.

Die Veranstaltung kommt mit erstaunlich wenig Parteimief aus. Den kannte ich von früheren CDU-Veranstaltungen nur zu gut. Kein 70er Jahre Charme einer alten Kongresshalle, stattdessen tatsächlich nur eine Person mit Krawatte in Parteifarben. Ein guter Schnitt für eine solche Veranstaltung. Es gibt Mini-Muffins vor dem Buffet, eine moderne Location und für eine Partei doch beachtlich viele junge Leute. Erneut denke ich an die alten CDU-Veranstaltungen in meiner Heimatstadt. Die monoton-einschläfernden Reden des Kreisvorsitzenden Rudi Götz und die ellenlange Liste von verstorbenen Parteimitgliedern, die zu Beginn immer abgearbeitet wurde. Dagegen wirkt das hier wie eine coole After-Work-Party.

Ich notiere mir an meinem Stehtisch neben „I have a dream?“ noch einige andere Dinge während Sittas Rede. „APO“, „Flüchtlingskrise als Chance“, „Sekretärin, die bei Zalando einkauft – Chauvi“. Aus allem hätte ich ihm einen verschriftlichten Strick drehen können. Auch hier der kurze Drang, das Haar in der Suppe zu finden, wie wir Journalisten das gerne tun. Heute schaue ich auf diese Punkte meiner Liste und finde sie erstaunlich kleinlich und unfair. Es ging mir um einen Gesamteindruck, nicht um Halbsätze, in die man sonst etwas hineininterpretiert. Aber ich verstehe jetzt, wie schnell man als Journalist dazu neigen kann, genau das zu tun und wie man dabei nicht selten selektiv vorgeht. Kleinlich bei der und der Partei, großzügig bei Angela Merkel und der CDU. Jeden Tag kann man das in den verschiedenen Medien nachlesen. Nein, da möchte ich mich nicht einreihen.

So verzeihe ich Sitta schließlich auch sein „I have a dream“. Auch wenn es mir schwer fällt. Der Mann ist mutig. Ein wenig übergeschnappt vielleicht, wenn ich an die Prognosen denke, aber ich mag übergeschnappte Leute. Es braucht übergeschnappte, optimistische Leute. Nicht nur in der FDP, aber bei ihr gerade mehr denn je. Darüber hinaus habe ich zudem einige gute Dinge notiert. So spricht Sitta vom Abschaffen des Bildungsföderalismus bei gleichzeitiger Freiheit der Schulen; von einer strengeren Auswahl bei Lehrern – man kauft ihm ab, dass das nicht nur hohle Phrasen sind. Er verwendet Beispiele aus der eigenen Studienzeit, erklärt, dass seine Studienkollegen, die Lehramt studiert hatten, dies oft nicht aus der Intention einer Passion taten, sondern weil sie einen sicheren Job wollten. Das glaube ich ihm sofort. Es ist ja heute oft nicht anders.

Sittas Rede ist zu Ende. Zeit für einen zweiten Mini-Muffin. Dann ist Lindner dran. Natürlich geht es um die Flüchtlingskrise. Ich notiere: „Verantwortung für den Rechtsruck wird bei der Regierung gesucht – was ist mit der Verantwortung der FDP?“ Damit meine ich nicht, dass die FDP größere Verantwortung dafür trägt als die CDU, die Regierung an sich. Ich greife damit das auf, worüber ich mir die letzten Wochen schon so häufig Gedanken gemacht habe. Ist die „liberale Lücke“ in der Flüchtlingsfrage vielleicht das Problem? Ist sie es, neben der nach links gerückten Kanzlerin, die für die politische Spaltung in links und rechts sorgt, weil sie das Vakuum nicht auszufüllen vermag? Inwieweit ist die FDP dafür verantwortlich und inwieweit die fehlende liberale Tradition hierzulande?

Lindners zentrale Botschaft: Rückkehr zum Rechtsstaat

Lindner hält eine gute Rede und beantwortet damit auch zugleich, wie man zur derzeitigen CDU-Politik steht. Er wettert gegen überbordende Bürokratie, auch und vor allem in der Flüchtlingsfrage; gegen die Hürden für Asylbewerber, eine Tätigkeit aufzunehmen und sei es nur die, als syrischer Koch im Flüchtlingsheim mitkochen zu dürfen und so Beschäftigung zu finden, genauso wie gegen komplizierte Asylverfahren, die im Schnitt sechs Monate dauern würden. Statt Massenüberwachung, plädiert er für gezielte Maßnahmen, um Sicherheit zu gewährleisten. Im Zentrum seiner Rede steht die Rückkehr zum Rechtsstaat. Der Regierung warf er indes Chaos in der Flüchtlingsfrage vor. Sein Vorschlag: Flüchtlinge nur zeitweise aufnehmen, den Rechtsstaat mit mehr Polizei und Justiz stärken.

Gegen Ende kommt er auch auf die AfD zu sprechen. So sei die FDP der „stärkste Kontrast“ zu ihr. Der Rechtsstaat müsse gestärkt werden, nicht der Rechtspopulismus. Auch Lindner fordert schlussendlich Anpassung der Flüchtlinge an unsere Kultur und Werte, aber er tut das nuancierter, er tut das auf liberale und nicht populistisch-rückwärtsgewandte Art. Na klar, er ist studierter Politikwissenschaftler und Philosoph. Er weiß wovon er spricht, wenn er von diesen Werten, dieser Kultur spricht. Nicht Deutschland müsse sich verändern und anpassen, bilanziert er schlussendlich, sondern die Menschen, die hier her kommen und hier leben wollen.

Ich sitze inzwischen an einem der länglichen Tische neben einem älteren Herrn, der mir enthusiastisch von seiner Zeit in der DDR als Mitglied der Liberal-Demokratischen-Partei Deutschlands erzählt. Ein wenig Parteimief geht halt doch. Aber ich höre gerne zu. Auch, weil ich diese Art von Parteimief mag. Alte Herren, die einem in die Jacke helfen, wenn man geht, Parteileute, die einem selbstverständlich Essen und Trinken bringen. Solche Veranstaltungen – ein El Dorado für all jene Frauen, die sich manchmal nostalgisch in die Zeiten zurücksehnen, als das alles noch Gang und Gebe war.

Dann kommt Lindner dazu und wir suchen uns einen einigermaßen ruhigen Tisch etwas abseits. Trotz des Trubels und der Tatsache, dass jeder etwas von ihm will, nimmt er sich die Zeit für ein längeres Gespräch abseits des Gewusels. Tags zuvor hatte er noch eine Wutrede zum Krisenmanagement der Landesregierung rund um die Geschehnisse von Köln im nordrheinwestfälischen Landtag gehalten. Nach Düsseldorf wird er später am Abend auch noch zurückkehren. Müdigkeit, falls vorhanden, lässt er sich zumindest nicht anmerken.

Wir sprechen darüber, dass ich geschockt davon bin, wie viele Menschen, die nicht nur, aber gerade auch durch die Politik der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage, politisch heimatlos geworden sind und in der AfD plötzlich ihre einzige Alternative sehen. Davon, dass die Zeit für die FDP eigentlich nie so günstig war wie jetzt, dass sie es aber trotzdem nicht schaffen würde, die politisch heimatlos gewordenen für sich zu gewinnen und dass das meiner Einschätzung nach vor allem daran läge, dass die FDP in der Wahrnehmung vieler immer noch der Steigbügelhalter der Merkel-CDU ist. Das Misstrauen darüber, die FDP könne sich wieder von der CDU verheizen lassen, sei immens.

Lindner nickt häufig. Ich hake nach. Ich will eine konkrete Antwort darüber, ob diese Befürchtung berechtigt ist. Opposition sei für ihn nicht Mist, sagt er dann. Ein Regierungsposten wäre nicht das primäre Ziel. Warum es der FDP so schwer fallen würde, dies nach außen zu kommunizieren, frage ich. „Weil wir medial nicht stattfinden.“ entgegnet er mir. Seine Offenheit überrascht mich. Während die Menschen (und gerade auch Politiker) sonst nur allzu oft dazu neigen, sich größer und besser darstellen zu wollen, als sie sind, hat Lindner anscheinend kein Problem damit, die Karten auf den Tisch zu legen. Keine einzige Einladung zu irgendeiner Talkshow hätte er in der ganzen letzten Zeit und vor allem seit Köln bekommen. Und vielleicht ist das die Fähigkeit zur Demut, dem Eingestehen von Problemen, die der Politik so oft fehlt und die die meisten wohl erst zurückerlangen, wenn man so tief gefallen ist wie die FDP. Dieser Punkt schlägt mein Misstrauen. Zumindest für den Moment.

Gegen Ende frage ich ihn, ob er mich enttäuschen würde, wenn ich ihn wählen würde. Er weiß ja jetzt, worum es mir geht, was mir wichtig ist. Er sagt nein. Was ich aus diesem Versprechen mache, ob ich ihm glaube oder nicht, obliegt nun mir.

Für die FDP steht alles auf dem Spiel

Für die FDP steht viel auf dem Spiel. Mehr als je zuvor. Man weiß um das eigene ramponierte Image. Das wird, da brauchen wir uns nichts vormachen, die letzte Chance sein. Versauen sie es wieder, verschwindet der ohnehin gering ausgeprägte liberale Sinn in der BRD wohl endgültig aus dem politischen Spektrum in Land- und Bundestag. Ich realisiere, wie ich in den letzten Wochen vor allem darüber nachgedacht habe, was gegen die FDP spricht. Nie habe ich mich in der letzten Zeit gefragt, was für sie spricht. Das wäre ein Punkt. Und im Endeffekt geht es mir ganz ähnlich wie der FDP. Ich habe eigentlich nichts mehr zu verlieren. Alles andere zu wählen, bedeutet ohnehin entweder Politik, die absolut nicht meinen Ansichten entspricht, oder Merkel-CDU. Wobei die Übergänge fließend sind. AfD ist keine Option. Nie gewesen. Ich bin liberal und Lindner hat vollkommen Recht, wenn er vom größtmöglichen Kontrast spricht. Die AfD ist der Blick nach hinten, der Liberalismus der Blick nach vorne.

Wenn ich über Liberalismus nachdenke, tue ich das für gewöhnlich nicht innerhalb von Parteigrenzen, sondern polittheoretisch. Ich bin Fan von liberalen Werten, nicht zwingend von der FDP. Dennoch gab es viel Urliberales in den Reden von Sitta und mehr noch von Lindner zu erkennen. Hat man es tatsächlich geschafft, sich auf alte liberale Werte zurückzubesinnen? Und wenn diese Reden tatsächlich mehr sind, als die üblichen Reden auf solchen Veranstaltungen, wieso schafft man es dann nicht, die Leute für diese Werte zu begeistern? Liegt es wirklich nur an einem medialen Nicht-Stattfinden der Partei?

Die anderen möglichen Gründe sind vielfältig. Da wäre die fehlende liberale Tradition in Deutschland genauso wie das Versagen der FDP in der Vergangenheit. Konzentrieren wir uns an dieser Stelle lediglich auf die Rolle der Medien, die zweifelsohne eine große ist und nur allzu oft über Erfolg und Niederlage einzelner Personen und sogar ganzer Parteien entscheiden kann. Die Medien hierzulande wissen sehr genau um ihre Macht, Menschen, Sachverhalte, Parteien hoch- oder herunterschreiben zu können. Umso weniger erscheint es da nachvollziehbar, dass man dort so darauf bedacht ist, der AfD eine Plattform zu bieten. Natürlich versucht man sie hierbei von der denkbar schlechtesten Seite zu zeigen. Höcke bei Jauch mit Deutschlandfahne, Petry als zickige Cholerikerin in der Nachfolge Luckes in anderen Talkshows. Dass dieses Bestreben, die AfD als Witzverein zu zeigen, längst nicht mehr funktioniert, dass es ferner vielmehr eine Bestätigung für viele Menschen darstellt, auf dem richtigen Weg gegen die Etablierten zu sein, sieht man hier nicht. Das Prinzip „Bad news are good news“ hat man in Bezug auf die AfD im medialen Erziehungswahn anscheinend nicht verstanden.

Dass man hier nicht auf die Idee kommt, die liberale Lücke in den Medien zu schließen und damit einen Gegenpol zur rechtspopulistischen AfD zu etablieren, will und kann ich nicht verstehen. Es sind nicht die weltfremden, nur allzu oft Ideologie vor Realität setzenden Linken und Grünen, die das Pendant zur AfD bilden. Es sind die liberalen Werte, wie sie in der Form hierzulande in Ansätzen nur in der FDP zum Ausdruck kommen, die das Gegenmittel darstellen. Besitzt man bei den etablierten Medien wirklich so wenig Weitsicht und politisches Verständnis, um das zu erkennen? Lässt man sich wirklich so vom eigenen alten FDP-Ekel dominieren, dass man dafür eine starke AfD in Kauf nimmt?

Die Merkel-CDU wird der AfD nicht das Wasser abgraben. Sie war es, die die Leute erst dort hingetrieben hat. Die SPD? Dank Merkel kaum noch von der CDU zu unterscheiden. Linke und Grüne? Für Menschen, die sich politisch eher mittig einordnen, nicht wählbar. Damit wird deutlich: Es geht nur über die FDP und das Füllen der liberalen Lücke oder gar nicht.

Der Schlüssel: die liberale Lücke füllen

Und ja, ich weiß um die Schwierigkeit, dies auszusprechen, ohne wie ein FDP-Wahlkampfhelfer zu wirken. Es geht mir jedoch nicht darum, diese Partei besonders zu loben. Es geht mir darum, aufzuzeigen, dass der Liberalismus die Antwort auf den Rechtsruck ist und dass es in Deutschland außer der FDP keine Kraft gibt, die diesen Liberalismus in Ansätzen vertritt. Schon allein deshalb sollte sie eine faire Chance bekommen.

Der Liberalismus im polittheoretischen Sinne hat eine ganz eigene Ästhetik für mich. Liberale Werte von Kant bis Hayek besitzen eine unglaubliche Überzeugungs- und Durchschlagskraft. Ich bedauere, dass man dies in Deutschland ob der eigenen Geschichte und fehlenden liberalen Tradition nicht wirklich zu erkennen vermag. Bestärkt wird dieses fehlende Verständnis durch die so oft für liberale Werte blinden Medien und vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Es gehört zum guten Journalismus dazu, die ganze Bandbreite an politischen Richtungen aufzuzeigen. Und wenn man selbst keine Angst davor hat, dem rechtspopulistischen Rand eine mediale Präsenz zu verschaffen, wieso scheut man sich dann so sehr, dem liberalen Spektrum eine Plattform zu geben?

Die FDP ist sicherlich nicht der Heilsbringer und die Antwort auf alles. Aber sie ist das, was neben SPD, CDU, Grünen und Linken seine politische Berechtigung hat. Die AfD ist keine Option. Schon gar kein Aufbruch zu etwas Neuem, wie viele meinen, sondern eher das wenig erfrischende Ende der politischen Fahnenstange. Für mich persönlich gibt es keine Alternative zur Hoffnung und Vertrauen in die FDP, nicht die gleichen Fehler wieder zu begehen. Die FDP steht mit dem Rücken zur Wand. Ich aufgrund der merkel’schen Politik auch.

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