Bereits seit langer Zeit ist bekannt, dass auf der Nordhalbkugel im Winterhalbjahr mehr Menschen sterben als im Sommerhalbjahr. In Deutschland betrifft die Übersterblichkeit im Winterhalbjahr regelmäßig rund 10.000 Personen. Verantwortlich dafür sind vor allem drei Todesursachen: ischämische Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Atemwegsinfektionen.
Lange bekannt ist ferner, dass in „warmen“ Wintern deutlich weniger Menschen sterben als in „normalen“ Wintern. Das große Problem der Klima-Aktivisten war daher stets, wie sie diese Erkenntnisse in ihr Framing einbringen sollen, dass der Klimawandel auch in gemäßigten Zonen wie Mitteleuropa „Menschen tötet“.
Ein erster Ansatz dafür ist, zunächst nur solche Forschungen anzustellen und zu veröffentlichen, die sich in das große Klima-Framing einfügen. Dies geschieht bereits seit geraumer Zeit durch die Schaffung und Förderung entsprechender Lehrstühle an Universitäten. Die dort publizierten Studien beschäftigen sich stets mit den Nachteilen und Gefahren des Klimawandels und so gut wie nie mit möglichen Vorteilen und Chancen. Darüber hinaus unterliegen die von dort publizierten Studien regelmäßig einer massiven Verzerrung, wobei das bekannteste Phänomen der „Confirmation Bias“ ist, also die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen als „Klimawandel-Experten“ bestätigen.
Gerade bei Klima-Aktivisten ist darüber hinaus der „Backfire-Effekt“ bekannt: Fakten, die der eigenen Überzeugung widersprechen, werden als Bestätigung der eigenen Überzeugung betrachtet. Ein Beispiel hierfür lieferte soeben Joachim Müller-Jung, der Leiter des Wissenschafts-Ressorts der FAZ.
Am 11. August startete die FAZ einen „Klimablog“ mit dem Titel „KIPPPUNKT – DER F.A.Z. KLIMABLOG“. Nach eigener Darstellung informiert die FAZ dort „über neueste Entwicklungen und Studien, erklärt wissenschaftliche Fakten und Klimaphänomene und ordnet diese ein.“
Am 25.08.2021 um 18.15 Uhr setzt Müller-Jung dort unter der Überschrift „Hitze, Tod und Leid-Statistiken“ folgenden zentralen Satz als angebliches „Fazit“ einer aktuellen Publikation von Katrin Burkart und Mitarbeitern aus Seattle im Medizin-Fachblatt Lancet ab:
„Die Erwärmung der Erde, die wegen der damit verbundenen Zirkulationsänderungen sowohl Hitze- als auch Kälteextreme zur Folge hat, kostete nach dieser Kalkulation allein seit 2019 mehr als 1,6 Millionen Menschen das Leben – 1,3 Millionen durch lange Kälteperioden und mindestens 356.000 wegen der Hitze-Extreme.“
Dieser Satz ist unwürdig einer Zeitung, die in ihrer Werbung von sich behauptet, dass hinter ihr immer kluge Köpfe steckten.
Die zentrale Aussage „Die Erwärmung der Erde … kostete nach dieser Kalkulation allein seit 2019 mehr als 1,6 Millionen Menschen das Leben“ ist eine Fake News.
Tatsächlich kann in der von der „Bill & Melinda Gates Foundation“ geförderten Studie kein einziger der für 2019 hochgerechneten weltweit 1,69 Millionen temperaturbedingten Todesfälle direkt oder indirekt auf Erderwärmung oder Klimawandel zurückgeführt werden – und zwar weder ein Kälte-Opfer noch ein Hitze-Opfer.
Es ging bei dieser Studie auch keineswegs um die von Müller-Jung insinuierten „Kälteextreme“ und „langen Kälteperioden“ aufgrund von „Zirkulationsstörungen“, sondern ganz schlicht um „nicht-optimale Temperaturen“, wie sie seit jeher in jedem Winter und in jedem Sommer an vielen Orten der Welt vorkommen.
Ein weiterer Lancet-Artikel von Antonio Gasparrini und Mitarbeitern aus London klärt auf, warum sich die Zahlen zu temperaturbedingten Todesfällen nicht für das Bedrohungs-Framing der Klima-Aktivisten verwenden lassen. Denn diese Studie kommt – ähnlich wie die zuvor zitierte Studie – zunächst zu dem Ergebnis, dass die Zahl der kältebedingten Todesfälle mit etwa 7,3 Prozent aller Todesfälle mehr als 10 mal höher ist als die Zahl der hitzebedingten Todesfälle mit lediglich etwa 0,4 Prozent. Und zwar gilt dies nicht für historische Zeiträume, sondern für die Jetzt-Zeit, wo wir uns ja bereits mitten im „Anthropozän“ mit den Hitzerekorden befinden.
Diese frappierenden Zahlen, die in Diskussionen zu den Folgen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit zumeist verschwiegen werden, widmet Müller-Jung im FAZ-Klimablog einfach um, indem er die seit jeher wesentlich höhere Zahl an Kältetoten ohne den geringsten wissenschaftlichen Beleg und im Übrigen gegen jede wissenschaftliche Logik schlichtweg der Erderwärmung zuordnet. Auf diese Dreistigkeit muss man erst einmal kommen.
Die angesichts der eindeutigen Zahlenverhältnisse naheliegende These, dass eine moderate Erderwärmung – zumal angesichts der Anpassungsfähigkeit des Menschen – insgesamt sogar zu einer Reduzierung der temperaturbedingten Todesfälle führen könnte, wird von den Inhabern der „Klima-Lehrstühle“ allerdings nicht beforscht.
Ein weiterer Lancet-Beitrag des Teams um Marcos Quijal-Zamorano aus Barcelona bestätigt zunächst auch für Europa die 10 mal höhere Zahl von Kälteopfern gegenüber Hitzeopfern. Interessant ist dort dann vor allem die Prognose für einzelne europäische Länder. Deutschland würde demnach bis zum Jahr 2099 selbst im übelsten und unwahrscheinlichsten Szenario mit einer Erderwärmung von 4,54°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitraum nicht stärker von temperaturbedingten Todesfällen betroffen als dies heute in Spanien bereits der Fall ist.
Dies korreliert mit dem anschaulichen „Drohbild“, das zur Verdeutlichung des Klimawandels kürzlich die Runde machte: Ohne sofortiges massives Gegensteuern würde das Klima in Köln bis zum Ende des 21. Jahrhunderts so sein, wie es heute in Barcelona ist. Manch ein Rheinländer dürfte nach dieser Prognose seinen CO2-Fußabdruck mit ganz anderen Augen gesehen haben.
Auch zu dieser Thematik hat sich Müller-Jung positioniert. Am 06.12.2020 schrieb er in der FAZ unter dem Titel „Deutschland kapituliert an der Klima-Front“: „Mehr Hitzeopfer zählte zuletzt kaum ein anderes Land, die Gesundheit leidet massiv unter dem Klimawandel.“
Wer Müller-Jungs Beiträge in der FAZ als Leiter des Wissenschafts-Ressorts seit 2003 verfolgt, kann eine Entwicklung zum Eiferer feststellen, die zuletzt noch einmal zugenommen hat. Mit dem jüngsten Fehltritt hat er den Kipppunkt eines seriösen Wissenschafts-Journalismus erreicht.
Dr. Lothar Krimmel, geboren 1957, Facharzt für Allgemeinmedizin, über 20 Jahre leitende Funktionen in Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft