Seit zehn Jahren führt der Staat einen Dialog mit dem, was er unter dem organisierten Islam versteht: in der Islamkonferenz. Und wo stehen wir nun, nach zehn Jahren Dialog in Deutschland? Keinen Schritt weiter als zu dem Zeitpunkt, als der Dialog begann.
Die Positionierung der von der Türkei finanzierten DITIB ist eindeutig. Sie identifiziert sich nicht mit der Bundesrepublik Deutschland, sondern mit der Erdogan-Türkei.
Was aber sollte Deutschland bewegen – was hat Deutschland bewogen, Vertreter einer Religionsgemeinschaft anzuerkennen, die sich nicht diesem Land, sondern einem ausländischen Staat, einem ausländischen Staatsführer verpflichtet fühlen? Dennoch hat man in der Islamkonferenz so getan, als habe man es mit Organisationen zu tun, die ihr Interesse darauf richten, die Lebensbedingungen muslimischer Deutscher und nicht muslimischer Türken zu verbessern.
Ein Individualrecht – kein Verbandsanspruch
So darf es niemanden wundern, dass sich die in der Islamkonferenz vertretenen Islamverbände unter der Führung der an die türkische Religionsbehörde gekoppelten DITIB bis heute einer ehrlichen Debatte über unsere demokratische, säkulare Weltordnung verweigern. Stattdessen verstecken sie sich hinter ihrer durch das Grundgesetz nicht gedeckten Interpretation einer Religionsfreiheit, die an die Stelle des Individualanspruchs des Einzelnen einen kollektivistischen Gruppenanspruch setzen. Dabei – um dieses explizit zu unterstreichen – schreibt unser Grundgesetz fest, das jener Artikel 4 ein ausschließliches Individualrecht ist. Dem einzelnen steht es frei, in seiner Privatheit zu glauben, was er will – und diesem seinem privaten Glauben nach seinen Regeln zu dienen. Dabei spielt es am Ende keine Rolle, ob das Objekt der Verehrung Gott, Allah, Buddha oder selbst Fliegendes Spaghettimonster genannt wird. Es geht um eine völlig private, individuelle Entscheidung des Einzelnen – und eben nicht um ein Verbandsrecht, wie es die professionellen Islamvertreter im Sinne ihrer Machtausübung interpretieren.
Freiheit bedeutet Kritik und Selbstkritik
Nehmen wir Religionsfreiheit ernst, dann gehört dazu auch Kritik und Selbstkritik. Dann gehört dazu, sich selbstbewusst den Schattenseiten seiner Religion und seiner Religiosität zu stellen. Dann gehört dazu auch, so, wie beispielsweise Christen heute akzeptieren, dass in ihrem Namen ganze Völker versklavt wurden, auch die islamische Anerkennung des Unrechts, das im Namen Mohameds seit dem sechsten Jahrhundert über die Völker zwischen Zentralasien und dem Herzen Afrikas gebracht wurde. Doch statt Kritik zu akzeptieren und Selbstkritik zu praktizieren, statt daraus die Kraft zu schöpfen zu einem modernen, aufgeklärten Islam des Säkularismus, stilisieren sich die Islamvertreter ständig und immer wieder nur zu den Opfern gegnerischer „Ungläubiger“ und widriger Umstände. Statt sich der Erkenntnis zu stellen, dass Exzesse wie sie der selbsternannte „Islamische Staat“ über die Glaubensgemeinschaft der Eziden, aber auch über chaldäische Christen, schiitische Iraker und selbst liberale, sunnitische Kurden bringt, ohne den Islam, ohne Mohamed und Koran nicht denkbar wären, belässt man es bei halbherziger Distanzierung und einem vorgeblichen: „Das hat mit dem Islam nichts zu tun“!
Welch eine Verlogenheit! Welch ein Selbstbetrug, sich den Gründen und Ursachen dieser Menschenverachtung nicht stellen zu wollen! Selbstverständlich ist kein Muslim automatisch ein IS-Schlächter – so wie eben nicht jeder Christ ein Sklavenhalter war. Gerade deshalb aber muss der aufrechte Gläubige doch alles daran setzen, seinen Weg eines modernen, säkularen Islams zu gehen, will man in seiner Distanzierung nicht mehr verstehen als ein bloßes Lippenbekenntnis.
Die antidemokratische Orientierung der Verbände
Die Verbände treten diesen selbstzerstörerischen Tendenzen hin zu einer antisäkularen, antidemokratisch-fundamentalislamischen Orientierung in ihrer Community nicht entgegen. Nicht aktiv – und nicht einmal defensiv. Im Gegenteil finden diese demokratiefeindlichen Strömungen mehr als klammheimliche Unterstützung – wie jüngste Beispiele aus Berliner Moscheen einmal mehr zu beweisen scheinen.
Die professionellen Islamverbände aber tauchen ab. Sie tragen in keiner Weise zum gesellschaftlichen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei. Sie liefern statt dessen in Teilen sogar die ideologische Basis für die Segregation der Muslime von dieser Mehrheitsgesellschaft. Statt fundamentalistischen Tendenzen aktiv entgegenzutreten, sind sie vorrangig damit beschäftigt, liberal-säkulare Muslime zu bekämpfen und radikal-islamisches Handeln zu rechtfertigen. Da muss sich der Verdacht aufdrängen, dass es eben nicht darum geht, Muslime zu dem werden zu lassen, was sie nach den Worten eines gescheiterten Bundespräsidenten und seiner Kanzlerin vorgeblich längst sind: Ein Teil Deutschlands. Vielmehr unterstützt ein solches Verhalten jene, die dem Islam vorwerfen, er arbeite auf eine Übernahme des freiheitlichen, säkularen Staates hin – als Fünfte Kolonne Mohameds oder auch jener islamfundamentalistischen Politiker, die in immer mehr Ländern der islamischen Welt die Politik bestimmen.
Doch der Staat scheut bis heute die Konfrontation mit diesen Islamverbänden und trägt damit maßgeblich zur Untergrabung unseres Wertekanons bei. Unser Staat betreibt aktiv Beihilfe zur Segregation mit den Mitteln scheinbarer Integration. Er scheint wie gelähmt in der absurden Agonie, die aus Religionskritik Fremdenfeindlichkeit macht – wo doch selbst dem wenig intellektuell Gebildeten an einer Hand abzählbar sein sollte, dass eine Kritik an religiösen Exzessen und religionsphilophischen Konzepten nicht das Geringste damit zu tun hat, jemanden wegen seiner ethnischen Herkunft pauschal abzulehnen.
Die Verbände sind in der Bringschuld
Die islamischen Verbände wie DITIB sind in der Bringschuld. Vor jedem noch so kleinen Zugeständnis der demokratischen Mehrheitsgesellschaft und deren politischen Repräsentanten ist es ihre Pflicht und Schuldigkeit, selbst aktiv und aus voller Überzeugung – und eben nicht nur vordergründig – für die Integration ihrer eigenen Mitglieder zu sorgen.
Solange dieses nicht geschieht, ist es beispielsweise mehr als absurd, ihnen die staatlich subventionierte Integrationsarbeit für Flüchtlinge zu übertragen oder vom Staat als Religionsgemeinschaft oder gar als Körperschaft des öffentlichen Rechts Anerkennung zu erfahren. Gegenwärtige hieße beides, den Bock zum Gärtner zu machen, statt den Garten zum Erblühen zu bringen.
Integration ist ein Prozess auf Gegenseitigkeit
Integration ist ein die gesamte Gesellschaft betreffender, andauernder Prozess. Er hat, in eine kurze Formel gefasst, den Erhalt der bestehenden, politisch gewollten Gemeinschaft zum Ziel, in die der Integrationswillige als gleichberechtigtes Mitglied hineinwachsen will und soll. Es ist nicht und kann nicht die Aufgabe der zu Integrierenden sein, beispielsweise den Schweinefleischkonsum oder das Weihnachtsfest der Mehrheitsgesellschaft „großzügig“ zu tolerieren. Es ist seine Aufgabe, dieses vorbehaltlos zu akzeptieren – und so er für sich selbst eine andere Entscheidung treffen möchte, so ist dieses seine ausschließlich Privatsache und geht niemandem außer ihm etwas an.
An diesem – und nur an diesem – Ziel der Integration des Zuwanderers in die Gastgesellschaft hat sich alle staatliche Arbeit zu orientieren. Nicht-staatliche Organisationen und Verbände müssen sich deshalb entscheiden: Bin ich bereit, dieses Ziel aktiv zu unterstützen und zu befördern? Dann, aber auch nur dann kann ich als Partner der staatlichen Institutionen auch eigene Ansprüche an den Staat geltend machen. Oder aber verweigere ich mich diesem Ziel? Dann stehe ich zu diesem Staat, zu seinen Traditionen und zu seinem Recht in grundsätzlicher Opposition und werde immer Gegner, niemals aber Partner sein können. Legitim ist beides – nicht legitim aber ist es, das erste zu behaupten und das zweite zu tun.
Für eine offene Gesellschaft sind alle gefordert
Wenn wir Integration ernst meinen und das gemeinsame Ziel einer offenen, toleranten Gesellschaft anstreben, dann müssen daran alle Mitglieder der Gesellschaft, Zuwanderer wie Einheimische, beteiligt sein und ihren Teil dazu betragen.
Nicht zuletzt die Tage nach der Armenienresolution des Deutschen Bundestags haben jedoch mehr als deutlich gemacht, dass allem voran die DITIB als verlängerter Arm der türkischen Religionsbehörde diesen gesellschaftlichen Konsens der Integration verlassen hat – falls sie ihn überhaupt jemals gegangen war. Es ist offenkundig, dass sie sich den gesellschaftlichen Konsens einer säkularen Gesellschaft niemals zu eigen gemacht hat.
Die Erwartung des imperativen Mandats der Diktatur
Die Aussage von DITIB-Vorstandsmitglied Zekeriya Altug in der Tagesschau, wonach sich die DITIB-Mitglieder seit der Abstimmung im Bundestag nicht mehr von den türkischstämmigen Abgeordneten vertreten fühlten, zeugt im Kern vom grundgesetzwidrigen Ansatz eines imperativen Mandats, welches zu erfüllen des Parlamentariers Aufgabe als Exekutor von Gruppeninteressen sei. Es ist dasselbe antidemokratische Verständnis, mit dem das türkische Scheinparlament fast ein Drittel seiner Mitglieder den Händen einer gesteuerten, politischen Justiz ausgeliefert hat – und es entspricht jenem Parlamentsverständnis des türkischen Diktators Erdogan, der tatsächlich nicht begreifen kann, wieso die Bundeskanzlerin die Armenien-Resolution nicht verhindern konnte.
Ethnische Abstammung als politische Maxime
Die DITIB fokussiert auf die von ihr als ethnische Herkunft verstandene Abkunft von Abgeordneten und erwartet aufgrund deren Herkunft oder Abstammung aus der Türkei eine absolute Unterwerfung unter die von ihr und damit von Erdogan definierten, vorgeblich nationalen Interessen eines Landes, das mit Deutschland nicht mehr zu tun hat, als dass es über lange Zeiten freundschaftliche Beziehungen zwischen ihnen gab.
Die DITIB im besonderen erwartet Willfährigkeit. Damit erfüllt die DITIB nicht nur die klassische Funktion eines Trojanischen Pferdes und eben jener „Fünften Kolonne“ einer ausländischen Macht in unserem Land. Sie ist sogar unverschämt genug, ihr eigenes, anti-demokratisches Parlamentsverständnis den frei gewählten, nur ihrem Gewissen und den Gesetzen dieses Landes unterworfenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages abzuverlangen.
Die DITIB ist keine Vertretung deutscher Muslime
Die DITIB hat sich abschließend nicht als Interessenvertreter deutscher Muslime bewiesen, sondern als verlängerter Arm der Politik der Erdogan-Türkei, in der vorsätzlich und mit allen Mitteln die Alleinherrschaft eines aggressiven, menschenrechts- und demokratiefeindlichen Islams angestrebt wird.
Der deutsche Staat, in Sonderheit die in Kultusfragen federführenden Bundesländer, müssen davor gewarnt werden, mit islamisch-nationalistischen Verbänden wie der DITIB repräsentative Gespräche zu führen, ja vielleicht sogar Staatsverträge abzuschließen.
In der Mimikri einer scheinbar auf das Religiöse konzentrierten Organisation wird in Wirklichkeit eine politische Agenda verfolgt, die statt Integration das allmähliche Auseinanderdriften Deutschlands entlang ethnisch-religiöser Linien zum Ziel hat. Die Betonung einer vorgeblich religiösen Identität ist unter diesem Aspekt nur ein anderes Wort für die nationalethnische Identität als „Türke“, die gegen alle anderen Volksgruppen in Deutschland und somit gegen den Geist der Gemeinsamkeit über alle ethnischen Grenzen hinweg aufgebaut werden soll. Solche groß-osmanischen Phantasien gehören in das 15. Jahrhundert. Im modernen demokratischen Deutschland haben sie nicht das Geringste verloren. Sie müssen deshalb von säkularen Muslimen wie von den Vertretern der Mehrheitsgesellschaft entschlossen und konsequent bekämpft werden.
Notfalls den Islamunterricht boykottieren
Über 80 Prozent der Muslime sind nicht in den Verbänden organisiert und werden nicht von diesen repräsentiert! Wenn der deutsche Staat nicht gewillt ist, seine muslimischen Kinder und Schüler vor dem Einfluss und der Indoktrination ausländischer Staaten und erzreaktionärer Ideologien zu beschützen, wie dieses längst durch die Beteiligung der DITIB an den Lehrplänen an immer mehr Schulen der Fall ist, dann müssen sich die Muslime in Deutschland die Frage stellen, ob sie in der Konsequenz nicht den von türkisch-islamistisch beeinflussten staatlichen Islamunterricht in Deutschland boykottieren. Denn sonst geraten ihre Kinder in die Fänge von islamischen Regimen, die die Eltern aus guten Gründen ablehnen und deren Wirkungskreis sie verlassen haben.
Wer nicht bereit ist, die säkularen Bedingungen dieses Landes und die darauf basierende Macht des weltlichen Rechts zu akzeptieren, der sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob seine Wohnortwahl für ihn die richtige gewesen ist. DITIB ist ein Instrument türkischer Innenpolitik – und maßgeblich am Scheitern der Ziele der Islamkonferenz beteiligt. Es ist an der Zeit, dass die deutsche Politik sich dieses Scheitern eingesteht und den Irrläufer zu Grabe trägt.
Ali Ertan Toprak ist Deutsch-Kurde und politischer Berater in Hamburg.