Mit ihrem glatten Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus sitzt die AfD nun in zehn Länderparlamenten. Damit zeichnet sich in der politischen Landschaft Deutschlands ein Bild ab, welches viele deutsche Politiker etablierter Parteien vor wenigen Jahren noch für ausgeschlossen hielten: Die bundesweite Etablierung einer demokratisch legitimierten politischen Partei rechts der Union. Der nicht enden wollende Siegeszug der AfD führt gleichzeitig einen Zustand im bürgerlich-konservativen Lager herbei, der im linken Lager schon seit Jahren zu beobachten ist: Die Fragmentierung der Parteienlandschaft.
Während drei linke etablierte Parteien (SPD, Grüne, PdL) schon seit langem im klassisch linken Milieu um Wähler konkurrieren, spaltet sich nun das bislang relativ stabile konservative Lager nachhaltig in zwei Teile: jenes der Union und der AfD. Dies hat zur Folge, dass stabile klassische Zweier-Koalitionen aus dem jeweiligen Lagerverbund wie Schwarz-Gelb oder Rot-Grün nicht mehr möglich sind.
Stattdessen steuert Deutschland auf Bundesebene dauerhaft auf österreichische Verhältnisse der Großen Koalition als Regelfall zu, während auf der Länderebene neben dem österreichischen Modell lagerübergreifende Dreierbündnisse ähnlich wie in den skandinavischen Ländern die Regierungsbildungen prägen. Eine weitere Alternative wäre eine Minderheitsregierung, die jedoch von den Parteien aufgrund der Weimarer Erfahrungen auf der Bundesebene noch nie in Erwägung gezogen wurde.
Etablierte in der Sackgasse
Große Koalitionen oder lagerübergreifende Dreierbündnisse mögen Vertretern von Regierungsparteien für einige Amtsperioden gut dotierte Regierungsposten bescheren. Gleichzeitig führen solche Bündnisse jedoch auch dazu, dass sich die Regierungsparteien aus den verschiedenen Lagern, die sich in ihrem klassischem Wählerklientel und in ihren ursprünglichen politischen Ausrichtungen stark voneinander unterscheiden, einander programmatisch und regierungspolitisch kontinuierlich – noch mehr als schon geschehen – anpassen müssen und werden. Eine inhaltlich und ideologische Annäherung und Angleichung der bestehenden etablierten Parteien ist bei derartigen Koalitionsbildungen bei der gleichzeitigen Ausgrenzung der AfD unausweichlich.
Damit verbunden ist das Aufgeben eigener politischer Positionen und ihrer Durchsetzung auf Regierungsebene, was im weiteren Glaubwürdigkeitsverlust und in der Enttäuschung der eigenen Wählerklientel münden wird. Dies schlägt sich wiederum in den Wahlergebnissen nieder, die weitere Mandate der etablierten Parteien kosten werden. Die etablierten Parteien sitzen daher in einer Sackgasse.
Einerseits zwingt das Erstarken der AfD diese Parteien zu lagerübergreifenden Bündnissen, um überhaupt ohne die AfD regierungsfähig bleiben zu können. Dadurch geben sie jedoch einen Großteil ihrer parteipolitischen Forderungen preis und verspielen damit ihre eigene Glaubwürdigkeit. Andererseits hat eine permanente Große Koalition aus CDU und SPD auf Bundesebene auch zur Folge, dass das föderale Machtgleichgewicht aus den Fugen gerät und das Interesse der zumeist finanziell klammen (SPD-geführten) Länder nicht genügend zur Geltung kommt.
Die SPD-geführten Landesregierungen (sogenannte A-Länder) sowie die Union-geführten Länder (B-Länder) im Bundesrat können nämlich dann kaum wirksamen Druck auf die Bundesregierung ausüben, wenn die SPD und die Union im Bund ebenfalls mitregieren. So verbleiben den SPD- oder CDU-geführten Landesregierungen kaum politische Handlungsmöglichkeiten, dem Bund weitgehende Zugeständnisse bei ihren finanziellen Forderungen abzuverlangen, da diese sich mit ihren Bundesparteien arrangieren müssen. Die unterschiedliche Interessenlage des Bundes und der Länder insbesondere in den finanziellen Verteilungen führt dazu, dass SPD und CDU auf Bundes- und Landesebene nicht als geschlossene Einheit auftreten können. So sind es die Länder, die die größte finanzielle Last der aktuellen Migrationskrise tragen. Diese müssen nicht nur für etwa 40 Prozent der gesamtstaatlichen Migrationskosten aufkommen, sondern sind auch für die Einstellung der meisten Beamten und Staatsangestellten als Folge der Migrationskrise zuständig (etwa für die Zuwanderer-Unterbringung, mehr Polizeibeamte, mehr Lehrkräfte).
Trennen und profilieren
Regierungskoalitionen gehen zumeist zulasten des kleineren Koalitionspartners. Durch ihre Rolle als Juniorpartner der Union-geführten Bundesregierung hat sich die SPD überflüssig gemacht. Regierungserfolge werden nämlich zu allererst der Kanzlerpartei, also der Union, zugerechnet, obgleich die Union der SPD weitreichende Zugeständnisse etwa in den Fragen der doppelten Staatsbürgerschaft oder des Mindestlohns gemacht hat.
Für die innerparteiliche Einheit und vor allem für die Erhaltung eines schärferen parteipolitischen Profils täte es der SPD oder CDU gut, auf der Bundesebene in die Opposition zu gehen. Wäre die SPD auf der Bundesebene in der Opposition, so könnten die SPD-geführten Länder und die Bundes-SPD als eine starke Opposition geschlossen gegen die Bundesregierung auftreten und nach links hin integrierend wirken. Auf diese Weise würde die SPD ihr linkes Parteiprofil schärfen und als stärkste linke Partei möglicherweise Wähler aus der linken Mittelschicht, die derzeit vermehrt zu den Grünen überlaufen, und viele Fundamental-Linke (die derzeit die PdL wählen) wieder auf sich ziehen. Eine Union in der Opposition zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung (derzeit jedoch nicht möglich) wäre wieder imstande, eine konservative parteipolitische Ausrichtung zu gestalten, um sich von einer linken Bundesregierung abgrenzen zu können. Auf diese Weise könnte es der Union auf der Bundesebene wieder gelingen, an die AfD verlorene konservativ ausgerichtete Wähler wieder für sich zu gewinnen.
Soweit die Theorie und die logische Konsequenz dessen, um den fortwährenden Vertrauensverlust der Wähler in die Volksparteien wieder zu beenden. In der Praxis jedoch ist eine Regierungsbildung stets mit prestigeträchtigen Regierungsposten verbunden. Ein Wechsel in die Opposition bedeutet für eine Regierungspartei des Bundes oder eines Landes nicht nur, dass sämtliche Mitglieder der Regierung (Kanzler/Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretäre) ihren Platz räumen müssen. Damit verbunden ist nicht nur der Verlust von prächtigem Ministersalär, sondern auch von Versorgungsansprüchen (denn diese hängen bekanntlich von der Dauer der Amtsperioden ab). Eine Regierungswechsel auf der Bundes- und Landesebene bedeutet aber auch, dass neben den beamteten Staatssekretären und anderen politischen Beamten viele Präsidenten der Bundesbehörden und Landesbehörden, die den alten Regierungsparteien angehören, in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden.
Regierungswechsel bedeutet breiter Personalwechsel
Obendrein würden viele Regierungsmitglieder ihre Aufsichtsposten bei staatlichen Unternehmen oder in Konzernen mit staatlicher Beteiligung verlieren. Ein Regierungswechsel hat aber auch zur Folge, dass die meisten Mitarbeiter des Ministerbüros des jeweiligen Ministeriums in unwichtigere Bereiche versetzt und abserviert werden. Denn der neue Minister will sich schließlich ebenfalls von seinen Parteigetreuen umgeben wissen. Selbst viele leitende ministerielle Beamte, die als Lebenszeitbeamte theoretisch dem Neutralitätsprinzip des deutschen Beamten unterworfen sind und aus diesem Grund eine Regierungswechsel unbeschadet überstehen sollten, werden nun wegen der Parteizugehörigkeit zu der alten Regierungspartei ihre Karriere in der neuen Regierung wohl beenden.
Denn natürlich sind viele leitende Beamte in den Ministerien politisch orientiert und haben ein Parteibuch. Und immer öfter wurden Parteisoldaten zu politischen Beamten gemacht. Schließlich sollen die Ministerialbeamten die Politik der Minister in die Tat umsetzen. Je höherer ein Ministerialbeamter in der Hierarchie des Ministeriums aufsteigt, desto wichtiger wird die Frage der politischen Zuverlässigkeit bei der Erlangung von hochrangigen ministeriellen Stellen sein. Schließlich gilt die Devise: Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns.
So durchzieht die Parteizugehörigkeit die gesamte Belegschaft eines deutschen Ministeriums, vom Ministerbüro hin zu den Abteilungsleitern und von vielen Referatsleitern in die Referenten hinein. Ein Regierungswechsel bedeutet daher das vorläufige Karriereende für viele derer, die sich in der vorherigen Regierung politisch zugunsten der vorherigen Regierungsparteien positioniert haben.
Eine Regierungspartei wird daher schon aufgrund all der Mitglieder und Unterstützer, die von der Regierungsbeteiligung profitiert haben, fest an der Macht klammern. Eine Partei indes, die bereits seit langem in den Genuss einer Regierungsbeteiligung des Bundes oder eines Landes gekommen ist, wird auch mit aller Kraft versuchen, wieder an die Macht zurück zu gelangen. Man kann daher davon ausgehen, dass die CDU und die SPD, die sich seit jeher als staatstragende Parteien in der Bundesrepublik betrachten, jede Möglichkeit nutzen werden, um weiterhin an der Macht zu bleiben. Damit können sie sich jenem Abwärtsstrudel kaum entziehen, welcher die Volksparteien durch die fortwährende lagerübergreifende Koalitionsbildungen in den unaufhaltsamen Niedergang, wenn sogar in die politische Bedeutungslosigkeit führen wird.
Dass ein Machthaber in der Regel kaum freiwillig auf seine Macht verzichten würde, gilt sowohl für Diktaturen als auch für Demokratien. Der Unterschied besteht darin, dass die Obrigkeit in einer Demokratie abgewählt werden kann.
AfD als einzige Oppositionspartei zum links konformen politischen Establishment
Vor diesem Hintergrund kann die AfD bundesweit von den Wählern als die einzige Oppositionspartei zu dem durch linke Konsenspolitik und Konformität geprägte politische Establishment wahrgenommen werden. Entsprechend kann sich die AfD durch eine liberal-konservativ ausgerichtete Politik einerseits und national priorisierende Politik andererseits hervortun, die das deutsche nationale Interesse über das der EU oder sonstiger internationaler Organisationen stellt. Gleichzeitig kann sich die AfD durch die öffentliche Thematisierung der vom politischen Establishment verordneten und der links dominierten Mainstream-Medien pädagogisierenden Tabu-Themen, die inzwischen jedoch angesichts der andauernden Eurokrise und der Migrationskrise wahlentscheidend und öffentlichkeitswirksam geworden sind, von allen anderen Parteien absetzen.
Diese Themen reichen von Deutschlands zukünftige Identitätsfindung als sozialer Nationalstaat oder als ein umwälzendes multikulturelles Einwanderungsland, von der Begrenzung oder Zulassung der Sozialzuwanderung aus entfernten Kulturkreisen, von der Entwicklung der EU in eine immer engere politische Union oder der Umgestaltung der EU in eine primär auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und auf freien Handel ausgerichtete Wirtschaftsunion, von der Stärkung der deutschen Identität, Sprache und Kultur oder Auflösung der deutschen Identität in einer größeren europäischen Identität, von einer Integrationspolitik als Bringschuld der Einwanderer zur bedingungslosen Anpassung an die deutsche Leitkultur oder einer Integrationspolitik der Anpassung der deutschen Gesellschaft an die Kultur und Weltanschauung der Einwanderer, hin zur Eindämmung oder Tolerierung der Ausbreitung des politischen Islam im öffentlichen Raum und in den öffentlich-rechtlichen Institutionen. Als einzige Oppositionspartei zum links geprägten politischen Establishment kann die AfD ihre Positionen fortlaufend verstärken und ihre Glaubwürdigkeit vor ihren Wählern bewahren – aber nur in der Opposition.
Das unausgeschöpfte Potenzial der AfD
Vieles spricht dafür, dass die AfD ihr Potential noch längst nicht ausgeschöpft hat:
I. Die Wähleranalyse in Berlin etwa hat ergeben, dass die AfD besonders unter Arbeitern und unter Wählern mittleren Alters und mit einem mittleren Bildungsabschluss die größte Zustimmung findet. Damit ist das klassische Wählermilieu der AfD vor allem in der unteren Mittelschicht und in Teilen der Mittelschicht zu verorten. Man weiß aber, dass die Personengruppe mittleren Alters und mit einem mittleren Bildungsabschluss die größte Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik darstellen. Viele deutsche Leitmedien versuchen die AfD dadurch zu demontieren, indem sie betonen, dass vergleichsweise wenige Hochschulabsolventen die AfD wählen würden. Jedoch besagt eine starke Wählerkonzentration von Hochschulabsolventen auf eine Partei wie bei den Grünen, dass diese Partei vor allem eine Klientelpartei der Gut- und Besserverdiener und keine Volkspartei darstellt, die auch eine Politik betreibt, die vor allem von Besserverdienern mitgetragen werden, weil sie die negativen Folgen dieser Politik am wenigsten zu befürchten haben (wie etwa der unkontrollierten Einwanderungspolitik oder der Energiewende). Darüber hinaus zeigt gerade die Geschichte der SPD, dass eine ehemals Arbeiter- und kleinbürgerliche Partei in der Lage ist, nach ihrer Etablierung in die oberen Gesellschaftsschichten integrierend zu wirken. Die SPD, deren Wurzel die Arbeiterpartei ist, findet heute ihre größte Anhängerschaft bei den Angestellten (siehe Berlin), die die Mehrheit unter den Erwerbstätigen in Deutschland darstellen. Diesen Prozess wird auch die AfD durchlaufen, allerdings wesentlich schneller, als die SPD dazu jemals imstande war.
II. Die Wählerwanderungen in Berlin zeigen, dass die AfD Wähler aus allen politischen Lagern anzieht. Demnach kamen die meisten Wähler zur AfD von den Nicht-Wählern, von der CDU und SPD, aber auch von Linken. Dies zeigt, dass eine kritische Einstellung gegenüber einer Massenmigration aus entfernten Kulturkreisen und der damit verbundene Kulturkonservatismus zugleich im großen Stil bei traditionell konservativen wie traditionell linken Wählern vorzufinden sind. Somit besteht der große Unterschied zwischen der AfD und den klassisch linken Parteien wie PdL oder SPD hinsichtlich der Mobilisierung ihres Wählerpotentials darin, dass erstere ihre Wähler vor allem durch ihre national ausgerichtete Politik und ihren Kulturkampf gegen den links-liberal dominierten Mainstream lagerübergreifend mobilisiert (somit sozioökonomische Themen nachrangig sind), während letztere ihre Kernwähler vor allem durch sozioökonomische Themen ansprechen und somit durch eben diese stark einschränken. Folglich weist die AfD durch ihre Kernthemen ein größeres Wählerpotential auf als eben jene linke Parteien wie SPD oder PdL, da sie potentiell in viel stärkerem Maße in die anderen sozialökonomischen Milieus hinein integrierend wirken kann. Aus demselben braucht die AfD ein Parteiprogramm, in dem alle relevanten sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen ihre Interessen wiederfinden können.
III. Anders als die multinationalen globalen Konzerne sind klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) in stärkerem Maße in Deutschland verwurzelt und dementsprechend oftmals heimatverbunden. Die KMU sind auch diejenigen Unternehmen, die unter dem planlosen und ideologisch beladenen Atomausstieg und der Energiewende am meisten leiden müssen. Eine nachhaltige Destabilisierung der deutschen Gesellschaft infolge der ungezügelten und unkontrollierten Massenmigration sowie die anhaltende Eurokrise werden auch zunehmend von vielen Vorständen der KMU mit Sorge betrachtet. Es ist daher kein Zufall, dass die AfD kurz nach ihrer Parteigründung bereits ein Mittelstandsforum ins Leben rief, um Verbindungen zu den KMU aufzubauen. Die KMU in Deutschland zählen zum stärksten Wirtschaftsmotor des Landes, betreiben oft Spitzenforschung und Entwicklung und stellen auch die meiste Beschäftigung in Deutschland. Darüber hinaus sind viele KMU zunehmend skeptisch der Globalisierung gegenüber eingestellt. Es sind gerade viele KMU, die beispielsweise TTIP ablehnen.
Falls eine zunehmend parlamentarisch etablierte AfD den KMU eine mittelstandsfreundliche und eine protektionistische Wirtschaftspolitik vermittelt, die die heimischen KMU besser vor der ausländischen Konkurrenz und Übernahme schützt, so hat die AfD gute Chancen, sich im deutschen Mittelstand ebenfalls dauerhaft zu etablieren.
Die Mehrheit ist konservativ
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist konservativ eingestellt, auch wenn viele sich dessen nicht bewusst sind. Dies spiegelt sich nicht nur in ihren Lebenseinstellungen wieder, sondern auch in ihrem alltäglichen Festhalten an Hierarchie, Regeln und Strukturen. Der derzeit in der publizierten Meinung vorherrschende links-liberale Zeitgeist passt nicht zur deutschen Mentalität. In Wahrheit sind selbst viele Deutsche, die sich nach außen als links geben, in ihren Kern-Einstellungen konservativ. Folglich könnte die AfD den konservativen Wählerpool vergrößern und das unbewusst konservative Wählerpotential aktivieren, wenn es ihr und den ihr nahestehenden Intellektuellen gelänge, den Zeitgeist parallel zu der Verschiebung der politischen Koordinaten durch die Wahlerfolge der AfD und den gleichzeitig stattfinden öffentlichen Thematisierungen konservativer Positionen nach rechts zu rücken.
Anders als einige junge linke Parteien wie Grüne oder PdL, die in ihren Anfängen gegen die staatliche Autorität und die staatlichen Strukturen im Allgemeinen gerichtet waren, ist die AfD eine Bewegung, die sich primär für die Aufrechterhaltung und gar eine Stärkung der staatlichen Ordnung unter einer anderen politischen Führung einsetzt. Aus diesem Grund ist der ideologische Kern der AfD sowie ihrer Anhänger primär nicht gegen die staatlichen Strukturen und Hierarchien gerichtet, sondern gegen deren Vereinnahmung durch eine links geprägte politische Elite. Dies unterscheidet die AfD fundamental von anderen (linken) Parteigründungen der bundesrepublikanischen Geschichte wie der Anfängerzeit der Grünen oder der Piraten. Auch deswegen findet die AfD vermehrt Zulauf unter den einfachen Polizeibeamten und staatlichen Ordnungsbeamten. Polizeibeamte, ehemalige Ministerialbeamten und sogar Richter finden sich daher des Öfteren auf den Kandidatenlisten der AfD für Landtagswahlen wieder. Daher hat die AfD ein großes, aber bislang wenig ausgeschöpftes Unterstützerpotential bei denjenigen staatlichen Angestellten und Beamten, die für einen starken Staat plädieren, Recht und Ordnung als ein hohes Gut betrachten und bislang eher zu den klassischen Unionsunterstützern gehören. Noch schreckt die öffentliche Stigmatisierung der AfD die meisten dieser Leute davon ab, sich offen für die AfD zu bekennen. Mit der zunehmenden Etablierung der AfD ist jedoch ein wachsender Zulauf aus diesem Milieu zu rechnen.
Herausforderungen und Aussichten als neue Regierungspartei
Grundsätzlich stellt sich für die Strategie der AfD die Frage, ob sie langfristig eine führende politische Volkspartei auf Bundesebene werden will oder sich als ein dauerhafter konservativer Juniorpartner der Union einrichten möchte. Falls die AfD das erste Ziel verfolgt, so wäre es geboten, solange auf der Bundesebene in der Opposition zu bleiben und die regierenden Konsens-Parteien vor sich herzutreiben, bis ihre Zustimmungswerte in der Bevölkerung auf ein ähnliches Niveau wie der Union angewachsen sind, wenn nicht sogar diese übertreffen. Denn: solange die AfD auf Bundesebene in der Opposition bleibt, solange kann sie ihre national ausgerichteten und konservativen politischen Positionen fortlaufend verstärken. Ihre Konkurrenten im bürgerlich-konservativen und bürgerlich-linken Lager sind jedoch als Regierungsparteien einem kontinuierlichen Konformitätsdruck ausgesetzt, sodass sie einen wachsenden Wählerzulauf aus dem konservativen Lager und auch aus dem kulturkonservativen Lager der Facharbeiterschaft an die AfD nicht verhindern werden können.
Gleichzeitig sind wesentliche Kernthemen der Union, etwa die Westbindung, eine engere europäische Integration, oder christlich geprägte politische Werte, zunehmend nicht mehr Wähler bindend und positiv wahlentscheidend (wobei die Westbindung und die europäische Integration auch Kernthemen der SPD sind). Dies liegt in der veränderten gesellschaftlichen Gesamtsituation. Als Europa nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg in den Trümmern lag, suchten viele Menschen in der Bundesrepublik ihren Halt in den traditionellen christlichen Werten, um sich von den vorherrschenden Ideologien der ersten Hälfte des 20-Jahrhundnerts, wie Nationalismus, Nationalsozialismus, oder Kommunismus zu lösen, die so viel Leid über das Land und seine Bevölkerung gebracht hatten. Gleichzeitig suchten viele Deutsche eine Ersatzidentität in Europa, um sich von der nationalistischen Vergangenheit zu trennen und von den anderen (west-) europäischen Nationen wieder in ihre Reihe aufgenommen und akzeptiert zu werden. Zugleich war eine Westbindung für die Bundesrepublik aufgrund der ständig präsenten Bedrohungslage aus dem Ostblock zwingend. Dies schuf die Christdemokratie als staatstragende Partei in Deutschland. Im heutigen Zeitalter des 21-Jahrhunderts schwindet der Einfluss der christlich-religiösen Werte in der weitgehend säkular geprägten deutschen Gesellschaft jedoch zunehmend. Gleichzeitig sind die Deutschen mit der massenhaften Zuwanderung aus entfernten Kulturkreisen konfrontiert, die ihrerseits oftmals eine stark religiös-nationalistisch geprägte Weltanschauung mitbringt, und entdecken im Zusammenstoß mit dieser Kulturen auch immer mehr ihre eigene kulturelle und nationale Identität. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks verschwindet die existenzielle Notwendigkeit einer unbedingten Westbindung für viele Deutsche, die nun Russland nicht mehr als eine existenzielle Bedrohung ansehen. Die Rolle der USA und der Nato sowie ihre militärischen Einsätze werden entsprechend immer kritischer betrachtet. Die andauernde Schuldenkrise südeuropäischer Staaten, die Euro-Krise, die Migrationskrise, die auch durch offene Grenzen der EU mitverursacht wurde, sowie die zunehmende Zentralisierung der EU, die von der Mehrheit der Bevölkerung Europas abgelehnt wird, führen zu einem dramatischen Ansehensverlust der EU bei den Deutschen.
Als Konsequenz dieser gesamtgesellschaftlichen Veränderungen sind klassisch staatstragende Parteien wie Union oder SPD immer weniger in der Lage, durch ihre Kernthemen und politische Werte Wähler an sich zu binden und zu mobilisieren. Zugleich erstarken Parteien wie die AfD, die ihre Themen der veränderten gesellschaftlichen Stimmungslage in Deutschland angepasst haben. Politik ist nämlich wie Evolution: Falls sich die politischen Parteien nicht an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpassen, dann werden ihre politischen Nischen von anderen nachbesetzt werden. Eine Anpassung an die veränderten politischen Umweltbedingungen findet aber gerade aufgrund der links-liberal geprägten Konsenspolitik der etablierten Parteien nicht statt. Der in rasanten Veränderungen begriffene Zeitgeist spielt daher der AfD in die Hände.
Regierungsbeteiligung voller Probleme
Mit dem nun als sicher geltenden Einzug in den Bundestag 2017 wird die AfD endgültig von anderen Parteien als eine dauerhafte politische Kraft in Deutschland angesehen werden. Der Einzug in den Bundestag mit voraussichtlich (nach derzeitigen Wahlumfragen) um die hundert von Abgeordneten bedeutet nicht nur, dass die AfD bundespolitisch aktiv mitgestalten kann. Der Einzug wird auch zur Folge haben, dass Vertreter der AfD in vielen nationalen Gremien präsent sein werden. Zudem wird die AfD aller Voraussicht nach die Möglichkeit und die finanziellen Mittel dafür haben, ihre eigene politische Stiftung zu gründen. Da die AfD dann von den etablierten Parteien als politische Kraft anerkannt wird, werden im Hintergrund Überlegungen für eine Koalition mit der AfD auf der Landesebene oder gar auf der Bundesebene geführt werden.
Freilich dürfte eine Koalition der Union mit der AfD unter der Führung der jetzigen Bundeskanzlerin nicht möglich sein. Doch mittelfristig bis langfristig müsste sich die Union die Frage stellen, ob es für sie parteipolitisch nicht von größerem Nutzen wäre, mit einer als dauerhaft etabliert geltenden AfD zu koalieren. Denn auf diese Weise kann die Union einerseits auf der Bundesebene an der Macht bleiben, andererseits aber in der Lage sein, einen Rechtsruck in der Partei zu vollziehen, um so ihre enttäuschte konservative Wählerschaft wieder um sich zu scharen.
Doch wann wäre der Zeitpunkt für die AfD gekommen, eine echte Regierungsverantwortung auf der Bundes- oder Landesebene zu übernehmen, ohne dafür marginalisiert zu werden?
Wie oben erläutert bräuchte die AfD für den Fall einer Machtübernahme oder -beteiligung auf der Bundesebene oder Landesebene genügend qualifiziertes politisches Personal, um wichtige Dienstposten politischer Beamter in AfD-geführten Ministerien und nachgeordneten Behörden besetzen zu können. Bei einem Machtwechsel werden sich Ministerien und nachgeordnete Behörden fest in der Hand der anderen etablierten Parteien befunden haben. Minister lassen sich bei einer Regierungswechsel ersetzen, rechtlich als politische Beamte geltende Staatssekretäre sowie die Präsidenten verschiedener Ämter können ohne weiteres in den etwaigen Ruhestand versetzen werden. Langjährige leitende Beamte der Ministerien, die mit einem anderen Parteibuch ausgestattet sind, lassen sich rechtlich aber in der Regel nur in andere Positionen versetzen. Für die AfD als Regierungspartei würde sich die Frage stellen, woher die vielen AfD-Parteifunktionäre kommen sollten, die eine langjährige Verwaltungserfahrung aufweisen können und in der Lage wären, im gesamten ministeriellen Apparat sowie im dessen Geschäftsbereich gegen die bestehenden Parteienstrukturen durchsetzen zu können. Sollte die AfD als Regierungspartei jedoch ihre Politik mangels politisch zuverlässigen Personals nicht wirksam umsetzen können, wäre dies Wasser auf die Mühlen ihrer politischen Gegner, die der jungen Partei mangelnde Professionalität und Durchsetzungskraft vorwerfen könnten.
Andererseits würde der AfD als ein Juniorpartner der Union auf der Bundesebene die Gefahr drohen, dass sie in einer Koalitionsverhandlung mit einer viel stärkeren Union viele ihrer Kernforderungen nicht durchsetzen kann. Die meisten Wähler der AfD erwarten von der Partei aber, einen grundlegenden Kurswechsel in der Einwanderungspolitik, Integrationspolitik und Europapolitik zu bewirken. Sollte sich die AfD bei einer Regierungsbeteiligung ihre Kernthemen jedoch nicht durchsetzen und keinen wesentlich anderen Regierungskurs herbeiführen können, so wird sie bei zukünftigen Wahlen wieder von ihren Wählern abgestraft und marginalisiert werden. Darüber hinaus könnte die AfD als ein Juniorpartner der Union in eine ähnliche Situation geraten, in der von der AfD durchgesetzte politische Errungenschaften als Regierungserfolge der Union verkauft und von der Bevölkerung auch so wahrgenommen würden. Eine junge AfD ohne Regierungserfahrung wäre in einer Koalition mit der Union, die ein großes Pool an politisch und verwaltungserfahrene Politiker besitzt, regierungspolitisch vielfach auf die Union angewiesen sein. Des Weiteren würde sich eine Union in einer Koalition mit der AfD politisch ihrem Koalitionspartner annähen und auf diese Weise ihr konservatives Profil wieder etwas schärfen können. Eine politische und ideologische Nähe zweier Regierungspartner würde aber zumeist auf Kosten des kleineren Koalitionspartners hinaus laufen. Jeder Regierungsfehler der AfD indes, die rechts der Union zu verorten wäre, würde von den links-liberal dominierten Massenmedien genüsslich ausgeschlachtet.
Für die langfristige Etablierung einer Partei ist jedoch die Übernahme von Regierungsverantwortung unweigerlich. Eine Partei, die den Anspruch erhebt, Deutschland konservativ umzugestalten, kann Regierungsverantwortung nicht grundsätzlich verweigern. Aus diesem Grunde wäre ein Mittelweg zur Erlangung von Regierungserfahrungen bei gleichzeitiger Vermeidung der bundesweiten Marginalisierung angebracht.
Möglicherweise bietet sich mittelfristig in einem östlichen Bundesland die Gelegenheit zur Bildung eines Tolerierungsbündnisses zwischen der AfD und der CDU, wenn die dortige CDU einsieht, dass sie in einer Koalition mit der AfD gestärkter davon kommen würde als in einem Bündnis mit der SPD oder in einer Dreier-Koalition mit Parteien aus dem Pool der altetablierten Parteien. Für die AfD ergäben sich in einem solchen Bündnis gleich mehrere Vorteile: In einem östlichen Bundesland ist die AfD als neue Volkspartei in der Mitte der Bevölkerung längst angekommen. Dort wird die Hemmschwelle für die ministeriellen Beamten auch wesentlich geringer sein, nach dem Einzug der AfD in den Bundestag ihr Parteibuch zu wechseln. Andererseits wäre die Größe der von der AfD zu leitenden Ministerien und Behörden in einem östlichen Bundesland auch wesentlich kleiner als in den großen westdeutschen Flächenländern. Demzufolge könnten die Stellen politischer Beamter in den jeweiligen Ministerien auch von der AfD leichter besetzt werden. Darüber hinaus wären die Reaktionen der Öffentlichkeit und die negativen Auswirkungen auf etwaige Misserfolge von AfD-Ministern in einem östlichen Bundesland auch regional begrenzt. Entscheidend wäre zudem, dass die kritische Haltung der AfD zur politischen Integration der EU, die ein wesentliches Hindernis für ein Bündnis mit der Union darstellen würde, da die Union ihr Bekenntnis zu der „immer enger werdenden politischen Europäischen Union“ als ihre Identität ansieht, auf der Landesebene parteipolitisch weniger bedeutsam (wie zwischen PdL und SPD).
Falls die AfD durch ihre Rolle als Oppositionspartei auf der Bundesebene eines Tages so stark werden sollte, dass sie der Union auf Augenhöhe begegnen kann, und durch ihre Arbeit in den Parlamenten, ihre politische Stiftung und eine etwaige Regierungsbeteiligung auf der Landesebene genug geeignetes politisches Personal gesammelt hat, dann dürfte einer schwarz-blauen oder gar blau-schwarzen Regierungsbildung im Bund nichts mehr im Wege stehen.
Marcel Zhu, Jahrgang 1989, hat seine Kindheit in China verbracht. Mit 13 Jahren kam er nach Deutschland zu seinem Vater, der als Angehöriger der chinesischen Akademie der Wissenschaften für die Promotion nach Deutschland gegangen ist. Er lebt und arbeitet derzeit in Deutschland.