Die Coronavirus-Pandemie beherrscht zur Zeit die Medien in einem Ausmaß, das man bislang für unmöglich gehalten hätte. Alles scheint ausschließlich auf die Frage fixiert, wie wir diese Seuche so schnell wie möglich hinter uns bringen und endlich wieder ein normales Leben beginnen können; die wenigen Wochen erzwungener Einschließung zu Hause erscheinen vielen gar schon so, wie anderen mehrere Jahre Krieg.
Dabei wird allerdings vergessen, dass es für uns wohl keine Rückkehr zu einem „normalen Leben“ geben wird. Nicht etwa, weil das Coronavirus an sich unserem Alltag auch noch in einem oder zehn Jahren dauerhafte Beschränkungen auferlegen würde; denn wenn wir die Gefahr der Seuche auch nicht kleinreden wollen, so steht doch zu erwarten, dass durch die früher oder später erreichte allgemeine Immunität sowie durch bessere Heilmittel die Krankheit halbwegs unter Kontrolle gebracht werden wird. Nein, die schlimmsten Konsequenzen werden wirtschaftlicher und politischer Art sein, und wir täten alle gut daran, den erzwungenen Stillstand zu nutzen, um zur Ruhe zu kommen und uns schon jetzt auf das Leben „danach“ einzustellen – materiell wie seelisch.
Dies leitet zu den politischen Folgen über: Ein völlig freier Markt wird die kommende Krise nicht regeln können, ohne dass sich Verhältnisse wie in den 1920er Jahren wiederholen, zumal der gesamte Euroraum fragiler ist als je zuvor, da man der latenten Eurokrise nur mit dem Drucken von Geld und somit der indirekten Abwälzung auf den Steuerzahler und Verbraucher begegnet ist, ohne das System von Grund auf zu sanieren und vor allem in Infrastruktur, Bildung und Forschung zu investieren. Wie aber eine politische Lösung der Krise aussehen wird, scheint mittlerweile in Anbetracht der zahlreichen Vorschläge und Forderungen unübersehbar: einseitige Corona-Abgaben zu Lasten der Wohlhabenderen, Bargeldabschaffung, Zwangsimpfung, staatsfinanzierte Stundung von Rechnungen und Mieten, dauerhafte polizeiliche Überwachung des Bürgers, harte Bestrafung sogenannter „Fake News“ und somit jeder Opposition, Zwangsrequirierung überlebensnotwendiger Firmen, Selbstentmachtung der Parlamente zugunsten der Regierungen, Verstaatlichungen, Corona-bonds, mehr Macht für die Brüsseler Kommission, ja vielleicht gar für eine „Weltregierung“, und das alles unter Fortsetzung der irrsinnigen Politik der Massenimmigration – die mit jedem Tag des Lockdown sich verschärfenden Konsequenzen der Krise werden all das beflügeln, was konservative Europäer seit Jahren befürchten, und jene Spirale von Niedergang, Repression und Gewalt in Gang setzen, die viele schon lange erwartet haben.
Es gilt daher für den Einzelnen, sich bereits jetzt auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten, so schwer ihm dies in der Situation der Einschließung in den eigenen vier Wänden auch fallen wird. Dies betrifft nicht etwa nur strategische Fragen der Bevorratung, der Vermögensaufteilung oder der Arbeitsorganisation, sondern auch und vor allem unsere seelische und geistige Verfassung. Die Welt, in die wir eines Tages entlassen werden, wenn die Quarantänemaßnahmen aufgehoben werden, wird bereits eine andere sein und sich dann von Tag zu Tag noch stärker von der entfernen, die wir bislang kennengelernt haben. Wir werden alle in den nächsten Jahren vor politische, kulturelle und wirtschaftliche Entscheidungen gestellt werden, die wir bislang als unmöglich betrachtet haben, und oft nur noch die Möglichkeit haben, zwischen Teufel und Beelzebub zu wählen. Daher müssen wir uns bereits jetzt, wo wir in der Mitte der Krise stecken und Gelegenheit zur Reflexion haben, auf jene veränderten Parameter menschlichen Handelns einrichten; denn nur, wenn wir heute das ganze Ausmaß der anstehenden Transformationen ausmessen, werden wir fähig sein, morgen realistische und moralische Entscheidungen zu treffen und nicht willenlos von den Ereignissen überrollt zu werden.
Daher sind es vor allem zwei schmerzhafte Lektionen, die wir heute aus der Coronavirus-Krise ziehen sollten, um die morgigen Verwerfungen besser bestehen zu können: Demut und Verantwortung. Demut, denn einmal mehr zeigt uns die Erfahrung der Kontingenz unsere menschliche Begrenztheit, in der allein auch die Möglichkeit zur inneren Größe und zur Erfahrung der Transzendenz liegt; Verantwortung, denn gerade die Auswirkungen und Konsequenzen der Krise zeigen uns den immensen Spielraum, über den wir als Gesellschaft trotz allem weiterhin bei der Gestaltung unserer Zukunft verfügen könnten, wenn wir nur entschlossen genug für unsere Rechte, Pflichten und vor allem unsere abendländische Identität einstehen würden.
David Engels ist Professor für Römische Geschichte an der Freien Universität Brüssel und Forschungsprofessor am Instytut Zachodni in Posen (Polen).
Mit freundlicher Genehmigung von Tysol.pl, der Internetplattform des
„Tygodnik Solidarność“, wo zunächst eine polnische Fassung dieses
Textes erschien.