Nüchtern und auf ihren originären Verwendungszweck beschränkt – so ließen sich die deutschen Streitkräfte noch nie betrachten. Schon Altkanzler Adenauer sah die Wiederbewaffnung nicht isoliert, sondern in ihr das Vehikel für die Westintegration und damit als einen Zweck an, der außerhalb der bloßen Verteidigungsfähigkeit lag. Im Unterschied zu heute steckte in den Streitkräften bis zur Wiedervereinigung aber noch das, was man abstrakt generell von ebensolchen erwarten darf: Eine hinreichend ausgerüstete und daher schlagkräftige Truppe. Diese nahm insbesondere im Bereich des Gefechts der verbundenen Waffen eine herausragende Rolle im westlichen Bündnis ein und war damit ein unverzichtbares Element für den erprobten Ernstfall, der darin bestanden hätte, heimischen Grund- und Boden sowie die freiheitliche Lebensweise mit Waffengewalt zu verteidigen.
Der Wiedervereinigung folgten substantielle Einsparungen, nicht enden wollende Reformen an deren Spitze die Abschaffung der Wehrpflicht stand, die stets flankiert waren von einer einträchtigen, kollektiven Interesselosigkeit der Öffentlichkeit. Die Bundeswehr bekam etwas museumsdorfartiges, das man vorhält, weil es die anderen Staaten auch haben, ohne aber sich die Frage zu stellen wofür. Dass das Grundgesetz den Zweck der Streitkräfte namentlich Verteidigung in Art. 87a Abs.1 S.1 klar benennt, hat sich in diesem Zusammenhang in einer nicht weiter beachteten Randnotiz erschöpft.
Die Bilder könnten Teile der Bevölkerung beunruhigen …
Dabei ist der heutige Zustand der Truppe nur bedingt das Ergebnis von Versäumnissen. So besteht in bestechender Weise eine Kongruenz zwischen dem materiellen Zustand der Streitkräfte auf der einen und den Orten, an denen selbige entsandt werden, auf der anderen Seite. Nur ist es schwer zu ermitteln, welches Ereignis conditio sine qua non für das jeweils andere ist: Die unzureichende Ausrüstung als Ausgangspunkt dafür, die potentiellen Einsatzorte auf solche zu reduzieren, bei denen keine nennenswerte Gefahr droht oder die Auswahl des Einsatzortes als Begründung für hieraus hervorgehende materielle Unzulänglichkeiten.
Mit Blick auf den Einsatzort ist Präzision geboten. Natürlich handelt es sich bei Afghanistan und Mali um Länder mit erheblichem Gefährdungspotential. Dies ist jedoch nur untergeordnet bis gar nicht an den Orten vorhanden, wo die Bundeswehr stationiert ist. In Mali sowie in Afghanistan (zeitweise mit Ausnahme des einstigen Feldlagers Kundus sowie der Außenposten Höhe 431 und 432) ist die Bundeswehr an Orten stationiert, deren Gefährdungspotential sich nicht nennenswert von dem der heimischen Kaserne in Deutschland unterscheidet. Der Grund hierfür ist nicht bei der Bundeswehr selbst zu finden, sondern bei den verantwortlichen Primaten in Gestalt des BMVg und des Parlaments. Dort hat sich eine Kultur des partei- und institutionsübergreifenden Unwillens ausgeprägt, das Militär entlang seines originären Verwendungszweck im bewaffneten Kampf einzusetzen (obwohl dies am Beispiel Mali nach der entsprechenden UN-Resolution sogar möglich wäre), bzw., sofern es außerplanmäßig in einen solchen gerät, diesen als das zu bezeichnen was er ist. Für beides finden sich in den Nuller- und Zehnerjahren eine Reihe von Belege.
Hatte man Sorge, die überwiegend ohnehin teilnahmslose Bevölkerung aufzuschrecken? Angesichts der Präsenz in den Nachrichten wohl kaum. Wäre es bei rein verbalen Relativierungen geblieben, hätte man vielleicht über diese hinwegsehen können und sie als Teil eines Entwicklungsprozesses verbuchen können. Die Sprache scheint jedoch Ausfluss eines Unwillens gewesen zu sein, der sich gleichsam in materieller Hinsicht manifestierte. So kam es der von staatlicher Seite gerne bemühten Gleichsetzung Deutschland und Friedensmacht ganz grundsätzlich nicht zu passé, mit schwerem Gerät Gefechte zu führen. Die Angst um diesen Status, der gleichsam moralische Überlegenheit verschafft kulminierte, als in der Folge eines von einem deutschen Oberst befohlenen Luftschlages am 4. September 2009 ca. 100 Menschen getötet wurden. Tumultartige Zustände im Bundestag, einträchtig flankiert von medialen Vorverurteilungen waren die Folge (Anmerkung: Das Ermittlungsverfahren gegen den Oberst wurde eingestellt, es kam nicht einmal zu einer Anklage).
Eine in Kauf genommene Verkennung der Realität
Das Verfahren hatte aber noch eine andere Folge. So starben bereits 2003 vier Bundeswehrsoldaten, die mit einem Reisebus auf dem Weg zum Flughafen Kabul waren, um von dort in die Heimat zu fliegen. Ein Selbstmordattentäter hatte sich unweit des Buses mit einem Taxi in die Luft gesprengt. Der Bus war nicht gepanzert. Es drängt sich die Frage auf, ob der Staat, konkret in Gestalt des BMVg die seinen Staatsbürgern gegenüber bestehende und aus den Grundrechten entspringende Schutzpflicht auf Lebensschutz verletzt hat. Auch wenn der damalige Minister Struck keine Fahrlässigkeit in der Nutzung eines gewöhnlichen Reisebusses erkennen konnte, lässt sich der Gedanke nicht von der Hand weisen. Auf Grundlage des damals vorherrschenden Mantras vom friedlichen Stabilisierungseinsatz in dem sich kollektiv gewähnt wurde mag man ihm sogar beipflichten. Auch mit Blick auf die vergleichsweise jungen Einsätze in Mali und der Operation Sophia fällt auf, dass die Bundeswehr mit ihren originären Aufgaben hier wenig in Berührung kommt. Während in Mali die Franzosen an den Stellen wirken, wo es gefährlich ist, ist es im deutschen Verantwortungsbereich ruhig.
Es fragt sich, wer hier eigentlich besänftigt werden soll? Im Interesse der Soldaten ist es nicht, über unzureichende Ausrüstung zu verfügen, im Gegenteil. Die Bevölkerung zu Hause sah – wie im Fall Afghanistan – die Toten und Verletzten im Fernsehen, und dürfte zumindest teil- und stellenweise auch irritiert gewesen sein. Die Verbündeten auch nicht, da diese vor allem in Gestalt der Amerikaner ohnehin einen gewichtigeren Beitrag fordern, der sich auch in dem Wiederaufbau von Kernkompetenzen wiederfinden solle. Zudem werden die fachlichen Kompetenzen der deutschen Soldaten international hochgeschätzt, solange sie sich eingedenk der geschilderten Unzulänglichkeiten sowie der nur bedingt einsatz- und bündniskompatiblen Stolpersteine wie mitunter der Arbeitszeitverordnung umfassend zur Geltung bringen lassen.
Die negative Macht der Medien
Möglich ist eine Scheu der verantwortlichen Entscheidungsträger zuvörderst vor den Medien, deren potentiell verfänglichen Fragen zu einer militäradäquaten Ausrüstung bzw. Verwendung sich vorsorglich gegenüber entzogen werden soll. So geht auch die Gleichung Deutschland Friedensmacht weiterhin auf und droht nicht mit anderen Vorzeichen versehen werden zu müssen. Gleichwohl ist fraglich, wie lange sich eine solche Vorgehensweise durchhalten lässt, wenn gegenüber den eigenen Soldaten grundgesetzliche Schutzplichten eingehalten werden wollen und gegenüber der Verbündeten ein Lastenausgleich stattfinden soll. Während ersteres nur virulent wird, wenn ein deutsches Verwaltungsgericht angerufen wird, hat nicht zuletzt der amerikanische Präsident zumindest mittelbar dazu beigetragen, dass die Fassade in letzterer Hinsicht zu bröckeln beginnt.
Maximilian L. Knoll
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