Das politische Erdbeben in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zeichnete sich schon viele Wochen vorher ab, als der Streit zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Innenminister Horst Seehofer zu eskalieren drohte. Schon damals gab es eine deutliche Aussprache in der Fraktion über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, bei der nur noch zwei Unionsabgeordnete zaghaft zu widersprechen wagten, als besonders Abgeordnete, die ihre Wahlkreise 2017 direkt gewannen, Klartext redeten. Unabhängig voneinander erzählten mir damals mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete in diesen Tagen, dass die Mehrheit der Fraktion hinter dem Masterplan von Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer stand – aber nicht gegen die eigene Kanzlerin!
Ein wichtiger Unterschied, denn die Zeichen standen damals nicht auf getrennte Wege der beiden Unionsschwestern. Es ging um die Auseinandersetzung in einer Sachfrage, nicht aber den Kanzlerinnensturz. Die CSU, allen voran Horst Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, gab die Schlagzahl in der Auseinandersetzung an. Und sie versauten es, weil sie immer wieder öffentlich nachlegten. Weil sie Merkel vor sich her treiben wollten. Das schloss noch einmal die Reihen der Merkel-Getreuen. Das verschaffte ihr eine Atempause, in der sie über europäische Lösungen zwischen EU-Ländern und Deutschland phantasieren konnte, die dann aber nicht wie erhofft kamen. Die EU-Partnerländer zeigten Merkel – mit Ausnahmen wie Spanien – die kalte Schulter.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die CSU ihr Pulver schon verschossen, bis … ja bis der „Fall Maaßen“ kam. Die Bundeskanzlerin wollte den Präsidenten des deutschen Inlandsgeheimdienstes rauswerfen, weil er ihr widersprochen hatte. Als Folge der dramatischen Ereignisse auf den Straßen von Chemnitz, nachdem bei einem Volksfest ein junger Mann von zwei „Flüchtlingen“ erstochen worden war, die kein Recht hatten, immer noch in Deutschland zu sein. Es kam zu einer großen Demonstration gegen Flüchtlinge unter erkennbarer Beteiligung von Rechtsextremisten und zu einer deutlich kleineren Demonstration für die bunte Vielfalt, die uns geschenkt wurde, wie das in Kreisen der Grünen gern formuliert wird.
Einzelne Medien wollten eine „Hetzjagd“ Rechtsradikaler auf Ausländer in Chemnitz ausgemacht haben. Die Bundeskanzlerin und ihr bemitleidenswerter Sprecher Steffen Seibert machten sich diese Ausdrucksweise zu eigen. Zwei Migranten erstechen einen Einheimischen – und Deutschland diskutiert hitzig über Hetzjagden, die es aber gar nicht gegeben hat.
Hans-Georg Maaßen hat das ausgesprochen und nebulös formuliert, dass ein einziger kurzer Filmschnipsel, produziert von der linksradikalen „antifa“, womöglich gefälscht sein könnte. Damit war das Maß voll bei der zunehmend dünnhäutigeren Kanzlerin. Die CDU-Politikerin forderte seinen Rausschmiss. Ihr Innenminister von der CSU wollte Maaßen halten. Und beförderten ihn dann gemeinsam mit SPD-Chefin Andrea Nahles zum Staatssekretär im Innenministerium mit rund 2.500 Euro zusätzlich im Monat. Das gibt es nur in der Filterblase des politischen Berlin. Sie taten es trotzdem, um den Deal gleich wieder zu kassieren, als sich Gegenwind regte. Frau Nahles hatte sich gerade rechtzeitig erinnert, dass es da draußen ja noch dieses lästige Volk gibt. Und ihre Parteifreunde. Also: Alles zurück auf Los – nächster Kuhhandel. Jetzt wird Herr Maaßen Berater für was auch immer bei Seehofer – aber ohne Gehaltssprung. Und wieder konnte jeder sehen, dass die Regierungschefin ihren Laden längst nicht mehr unter Kontrolle hat.
Die Kanzlerinnendämmerung hat spätestens gestern eingesetzt, der #mexit ist im vollen Gange. Die Fraktion hat sich verselbständigt, die Hoffnungsträger derjenigen, die ihre alte Union zurückhaben wollen, ihnen von der Frau aus der Uckermark entrissen, sind landauf, landab jeden Tag unterwegs und werben für den Neuanfang. Sie heißen Jens Spahn, immerhin Bundesgesundheitsminister, und Carsten Linnemann, Chef der einflussreichen Mittelstandsvereinigung. Oder auch Paul Ziemiak, Vorsitzender der aktiven Kampftruppe Junge Union, der sich erkennbar immer mehr freischwimmt vom Establishment. Die Männer und Frauen des konservativen Berliner Kreises in der Bundestagsfraktion um die beiden couragierten Sprecher Sylvia Pantel und Klaus-Peter Willsch, die wachsende bundesweite Basisbewegung WerteUnion, in deren Zirkeln die CDU der Zukunft gedacht und diskutiert wird – sie alle bilden einen politischen Aufbruch wie in die Christdemokraten in Deutschland nie zuvor erlebt haben. Da stehen Mitglieder auf und wollen plötzlich diskutieren. Über Inhalte. In der CDU. Unerhört, oder?
Bei der Bundestagswahl 2017 haben die roten und grünen Parteien nur noch etwa 40 Prozent der Sitze im Deutschen Bundestag erringen können. Und die Große Koalition der Verlierer unter Merkel macht einfach so weiter, als wäre nichts passiert. Aber es ist etwas passiert: mit der rechtskonservativen AfD ist eine neue Gruppierung als stärkste Oppositionspartei ins Hohe Haus eingezogen. Das Koordinatensystem in Deutschland verschiebt sich spürbar und übt gewaltigen Druck auf CDU und CSU aus, die sich auf herbe Schlappen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober einstellen müssen. Das ist die politische Begleitmusik zur Transformation der Union zu einer wieder erstarkenden Volkspartei der bürgerlichen Mitte, die tatsächlich gelingen kann.
Von Klaus Kelle.