Gartenbesitzer platzieren ihre ihren Kompost und Unrat gerne direkt am Gartenzaun, fast schon im Hoheitsbereich des Nachbarn. Aus den Augen, aus dem Sinn, soll ein anderer sich damit herumschlagen. Nicht viel anders handeln Städte und Gemeinden, wenn es sich um sogenannte Eingriffsplanungen handelt, wozu auch Windkraftwerke gehören. Sie werden, ätschbätsch, gerne direkt an der Gemarkungsgrenze geplant.
So ähnlich machte es auch die Gemeinde Bärnau in der bayerischen Oberpfalz, einst ein Zentrum der Knopfproduktion, wovon heute noch das „Deutsche Knopfmuseum“ zeugt. Vier Windräder sollen hier neu gebaut werden, das größte von ihnen mit einer Gesamthöhe von 180 Metern. Je zwei zusammengefasst in den Windindustriegebieten „Hinterer Steinberg“ und „Stöberlhof“, wenige Kilometer vom Bärnauer Ortszentrum entfernt. Die Anlagen am Steinberg wurden bereits vom Landratsamt Tirschenreuth genehmigt – in Sichtweite des denkmalgeschützten römisch-katholischen Wallfahrtskirchleins „Zum gegeißelten Heiland“ an der Goldenen Straße, einem historischen Handelsweg zwischen den wichtigen Zentren Nürnberg und Prag.
Dummerweise ist die Gemarkungsgrenze hier zugleich die Landesgrenze zu Tschechien. Die Rotoren sollen quasi direkt am Gartenzaun in die Höhe wachsen, deren Blätter bis auf wenige Meter an die Grenze heranreichen. Näher geht es nicht. Man sollte meinen, dass man im Zuge der Planungen zumindest ein wenig mit den Nachbarn geplaudert habe, über den Gartenzaun hinweg gewissermaßen. Die wären ja mit den optischen, akustischen und sonstigen Auswirkungen der Anlagen konfrontiert. Hat man aber nicht, sagt Dana Lesak, Bürgermeisterin von Obora, der tschechischen Nachbargemeinde von Bärnau im Tschechischen Rundfunk: „Mit uns wird einfach gar nicht kommuniziert.“
Betroffen ist auch das Naturschutzgebiet Český les (auf deutscher Seite der Oberpfälzer Wald), ein landschaftlich reizvolles und artenreiches Naturjuwel. Tomáš Peckert, Direktor der Schutzgebietsverwaltung, gab folgendes zu Protokoll: „Wir haben unsere Einwände im Dezember 2020 eingereicht. Die Antwort kam erst im Sommer dieses Jahres. Und unsere Hinweise wurden ignoriert.“
Nun sollte man wissen, dass in Tschechien eine ganz andere Energiepolitik verfolgt wird als in Ampeldeutschland. Die Energiewende besteht hier nicht darin, das ganze Land, auch den Sagen umwobenen Böhmerwald und seine Ausläufer mit monströsen und wenig effizienten Windkraftwerken zuzupflastern, sondern im Weiterbetrieb bzw. Ausbau der Atomreaktoren in Temelin und Dukovany. Windräder gibt es zwar auch, aber ihre Gesamtzahl im Nachbarland nimmt sich noch bescheiden aus. Deren kumulierte Nennleistung lag 2023 bei gerade mal 337 Megawatt (MW). Im Vergleich: die mögliche Gesamtleistung aller Windräder in Deutschland beträgt 61 000 Megawatt.
Windräder sind in Tschechien bislang auch nicht besonders populär. Deswegen wehrt man sich auf der anderen Seite der Grenze gegen die deutsche Zwangsbeglückung. Dana Lesak kritisiert nicht nur die weitgehende Funkstille, sondern spricht auch von planerischen Tricks, mit denen im Fall der Bärnauer Windräder eine Umweltverträglichkeitsprüfung umgangen worden sei. Der Investor habe einfach den neuen Windpark in die zwei genannten Einzelprojekte aufgeteilt. Außerdem spare der Windparkbetreiber, durch den Bau nahe der Grenze 360 000 Euro an Ausgleichszahlungen, die sonst für die betroffenen Gemeinden fällig geworden wären.
Der unter dem Namen Grenzlandwind agierende Windkraft-Investor weist die Vorwürfe gegenüber dem Tschechischen Radio zurück. Die tschechische Regierung sei natürlich von bayerischer Seite informiert worden. „Es wurden die artenschutzrechtlichen Prüfungen sowie eine Sichtbarkeitsanalyse für Tschechien in tschechischer Sprache zur Verfügung gestellt worden, das hat mehrere tausend Euro gekostet.“ Wenn dann die Bürger nicht informiert würden, sei dies „nicht unser Problem“.
Das bayerische Umweltministerium teilte dem Tschechischen Rundfunk mit, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung erst ab einem Windpark mit drei Anlagen durchzuführen sei. „Die zuständige Genehmigungsbehörde hat die UVP-Pflicht mangels funktionalen Zusammenhangs der hier beantragten Windparks mit jeweils zwei Anlagen nach mehrfacher Prüfung der Sach- und Rechtslage verneint.“ Dass die tschechische Seite in die Planungen nicht eingebunden werden, bestreitet das Ministerium. „Nach der strategische Umweltprüfung wird vom Regionalen Planungsverband voraussichtlich im dritten Quartal 2024 das offizielle Beteiligungsverfahren gestartet; an diesem Verfahren wird auch die tschechische Seite offiziell beteiligt werden und kann ihre Belange ins Verfahren einbringen.“
Jüngst bekam der deutsch-tschechische Nachbarschaftsstreit eine neue Dimension, als sich der tschechische Umweltminister Petr Hladík von den tschechischen Christdemokraten einschaltete. Auch Hladík wirft den bayerischen Behörden vor, die tschechischen Einwände zu ignorieren. Die Espoo-Konvention verpflichte die jeweilige Ursprungspartei (in diesem Falle Deutschland), die Umweltauswirkungen eines Vorhabens auf einen Nachbarstaat zu prüfen. „Die nächsten Konsultationen finden im Dezember statt. Wir erwägen nun, diesen Punkt offiziell auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Die Bayern müssten ihre Baugenehmigung dann zurücknehmen, der ganze Prozess würde von neuem beginnen, und die tschechische Seite müsste dabei berücksichtigt werden.“
Derweil möchte Bürgermeisterin Dana Lesak den Fall sogar vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Und auch von deutscher Seite bläst den Bärnauer Windkraftplanern der Wind ins Gesicht. Beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München ist eine Klage des Vereins für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität (VLAB) anhängig, der sich um die wertvolle Natur des sogenannten Grünen Bandes im ehemaligen deutsch-tschechischen Grenzgebiet sorgt.
Entlang des Grünen Bandes auf bayerischer Seite seien zusätzlich zu bereits bestehenden zahlreiche weitere Windräder geplant, sagt Johannes Bradtka, erster Vorsitzender des VLAB, der sich als einer der wenigen Umweltorganisationen kritisch mit der „Energiewende“ auseinandersetzt. „Das Grenzgebiet zwischen Bayern und Tschechien, zu dem Menschen jahrzehntelang keinen Zutritt hatten, entwickelte sich zu einer einzigartigen Oase für bedrohte Pflanzen und Tiere und ist als Biotopverbundsystem für die biologische Vielfalt nicht nur Bayerns, sondern ganz Europas von großer Bedeutung.“
Das Grüne Band sei ein Synonym für die Verbindung von Naturschutz mit nachhaltigem Tourismus, sagt Tomáš Peckert. „Das eine geht nicht ohne das andere. Das Grüne Band ist eine Plattform, die die Kommunikation über die Grenze hinweg verbessern kann.“ In Bärnau und Umgebung scheint es mit der Kommunikation noch etwas zu hapern.