Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Klimagase werden dann entweder nicht mehr emittiert oder durch Gegenmaßnahmen aufgefangen – so der Plan der jetzigen Bundesregierung, vielleicht auch der nächsten. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen zahlreiche Wind- und Solarkraftwerke gebaut werden, obwohl sie bereits jetzt jeweils weit mehr Strom erzeugen können, als Deutschland überhaupt verbraucht – jedenfalls dann, wenn die Wetterverhältnisse für die jeweilige Kraftwerksart ideal sind. Ansonsten sollen Erdgaskraftwerke die Lücken füllen, die später auf Wasserstoff umgerüstet werden.
Die „erneuerbaren Energien“, zu denen auch Wasserkraft und Biomassekraftwerke zählen, haben im vergangenen Jahr bereits die 50-Prozent-Marke deutlich überschritten. Ist das Ziel also leicht erreichbar? Könnte man meinen – hätte die Bundesregierung bereits das eine oder andere Erdgaskraftwerk auf den Weg gebracht. Weil das nicht passiert ist, muss die Kohle noch lange einspringen, denn die Kernkraftwerke sind ja passé.
WePlanet unterscheidet sich von nahezu allen anderen Umweltschutzorganisationen, weil sie sich zur Kernenergie bekennt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass das international agierende Consultingunternehmen Quantified Carbon (QC) in London in einer von WePlanet beauftragten Studie auch die Kernenergie als Option für eine Stromerzeugung mit minimalen Emissionen im Jahr 2045 berücksichtigt hat. Das zweite Szenario sieht die Stromerzeugung mit allen anderen Möglichkeiten der emissionsfreien Energiegewinnung vor – plus Erdgaskraftwerke. Netto-Null ist nach der QC-Studie nicht möglich, weil bis 2045 nicht genügend Wasserstoff zur Verfügung stünde, sodass die Gaskraftwerke noch weitgehend mit Erdgas betrieben werden müssten. QC geht dabei davon aus, dass die Emission einer Tonne CO₂ dann 250 Euro kostet.
Das Ergebnis: Beides ist möglich, doch die Version, die Kernenergie einschließt, ist billiger. Das verwundert zunächst, weil der Bau neuer Kernkraftwerke – wie in Flamanville, Frankreich – weitaus teurer geworden ist als ursprünglich geplant. Zudem ging das dortige Kraftwerk erst im vergangenen Jahr mit zwölf Jahren Verspätung ans Netz. Doch von solchen gravierenden Verzögerungen geht WePlanet nicht aus, zumal es weltweit genügend Beispiele dafür gibt, dass Kernkraftwerke deutlich günstiger und schneller gebaut werden können, insbesondere in China. QC rechnet mit Investitionskosten von 7.000 Euro pro Kilowatt, was den realen Kosten des jüngsten finnischen Kernkraftwerks Olkiluoto entspricht – bei dem es zwar zu Kostensteigerungen kam, jedoch nicht so gravierend wie in Flamanville.
Im Szenario mit Atomkraft würde Deutschland 2045 rund 43 Prozent seines Stroms in Kernkraftwerken produzieren. Denkbar wäre es, die sechs kürzlich stillgelegten Kraftwerke wieder hochzufahren, die eine Leistung von rund acht Gigawatt haben. Dadurch würden Kapazitäten im Stromnetz für den Ausbau der „erneuerbaren Energien“ frei, da Strom nicht in großen Mengen über weite Strecken von Nord nach Süd transportiert werden müsste. Der Neubau von Kernkraftwerken mit einer Leistung von acht Gigawatt würde stolze 60 Milliarden Euro kosten, während die Ertüchtigung der alten Kraftwerke für den jahrelangen Weiterbetrieb nur einen Bruchteil davon ausmachen würde. Allerdings ist der Rückbau einiger dieser Anlagen bereits beantragt oder genehmigt.
Fast 50 Gigawatt Kernenergie müssten laut den QC-Beratern allerdings neu gebaut werden. Diese Kraftwerke sollten gut regelbar sein, um als Lückenfüller einspringen zu können, denn 34 Prozent des Stroms sollen auch in diesem Szenario aus Windkraftwerken an Land kommen – auf Offshore-Windkraft will QC verzichten – und elf Prozent aus Solarenergie. Wasserkraft, Biomasse, Geothermie, Gaskraftwerke sowie Brennstoffzellen könnten den restlichen Bedarf decken. Die Stromversorgung in diesem Szenario wäre verlässlicher, und die Kosten lägen bei 82 Euro pro MWh, die Netzausbaukosten pro MWh bei 0,7 Euro. Dies liegt unter anderem daran, dass in diesem Szenario 70 Prozent weniger Erdgas benötigt würde. Die CO₂-Emissionen pro MWh betrügen nur 17 Kilogramm – gut 60 Prozent weniger als im Szenario ohne Kernenergie.