Tichys Einblick
Nachbetrachtung zum Merkel-Osang-Gespräch

Der monarchische Blick von Medien auf die Demokratie

Bei allen Analysen zum Interview mit Angela Merkel ist ein Aspekt zu kurz gekommen: das Verhältnis von Medien und Demokratie, welches Spiegel-Reporter Alexander Osang in dem Interview ziemlich deutlich zur Schau gestellt hat. Von Philipp Lengsfeld

Screenprint: ARD und ZDF/Phoenix vor Ort

Der vielbeachtete erste große öffentliche Auftritt von Alt-Kanzlerin Merkel nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt im Berliner Ensemble im Gespräch mit dem Journalisten und Schriftsteller Alexander Osang liegt jetzt schon ein paar Tage zurück. Viele Aspekte sind schon genau analysiert worden, aber ich möchte den Blick auf einen Detailbereich lenken, der mir momentan noch zu wenig beachtet wird: auf das Verhältnis von Medien und Demokratie, welches Alexander Osang in diesem Interview ziemlich deutlich zur Schau gestellt hat. Und zwar vor allem bezüglich der fundamentalen Frage des demokratischen Machtwechsels, von dem Osang, hier sicherlich stellvertretend für sehr viele Kräfte im medial-politischen Betrieb, offenbar ganz eigene Vorstellungen hat.

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Man merkt sehr deutlich, wenn bei der Diskussion zum Wiederantritt Merkels 2017 und zum Nichtwiederantritt 2021 Alexander Osang seine als „Fragen“ verkleideten Überzeugungen darlegt: Die Frage des Wiederantritts 2017 sieht Osang offenbar vor allem als eine Art Aufopferungsgang der „mächtigsten Frau der Welt“ – Osang sinniert sogar darüber, ob Obama Merkel gebeten habe, die Welt nicht mit Trump alleine zu lassen (Osang: „da kommt der Romantiker in mir durch“). Und damit framt Osang Merkels Wiederantritt 2017 letztlich im schlimmsten Merkelschen Sinne als praktisch alternativlos.

Merkel stand aber 2017 schon im 12. Jahr ihrer Amtszeit, wie sie gegenüber Osang auch mehrfach betont. Sie hatte drei Amtszeiten gemeistert mit jeweils einer Großkrise. In der Großen Koalition („Merkel I, 2005–09“) die Europa- und Schuldenkrise, aus meiner Sicht immer noch Merkels beste Performance. Dann in der bürgerlichen schwarz-gelben Koalition (Merkel II, 2009–13) der katastrophale Schwenk bezüglich der Atomlaufzeiten („Energiewende“), ein – was heutzutage oft vergessen wird – zwar von grün-rot ideologisch jahrelang vorbereitetes Konzept, aber letztlich von einer bürgerlichen Regierung zusammen mit Industrie und Medien als deutsch-gefühliges Kollektiv-Aufbruchsprojekt im Zuge des Fukushima-Atomunfalls durchgepeitscht – für mich bis heute Merkels schlimmste Fehlleistung, eine Fehlsteuerung, die Deutschland momentan in eine tiefe Wirtschafts- und Sinnkrise führt. Und schließlich der Höhepunkt der Merkelschen Kanzlerzeit, die zweite Große Koalition (Merkel III, 2013–17) mit der Flüchtlings- und Asylkrise.

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Genug Stoff, um darüber zu reden, ob ein Wiederantritt 2017 wirklich so zwangsläufig war: Aber das Konzept des demokratischen Machtwechsels scheint Alexander Osang auch im Jahr 32 nach der ersten und einzigen freien Wahl in der DDR noch seltsam fremd (Osang, Jahrgang 1962, kommt wie Merkel aus dem Osten). Osang versteigt sich dann bezüglich der Nichtwiederantrittsentscheidung für die Wahl 2021 sogar zu dem völlig absurden Statement „für mich sind sie zurückgetreten“. Und es klingt an, dass er nicht nur denkt, dass Merkel noch mal gewählt worden wäre, sondern dass uns dann vielleicht die jetzige Situation mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine erspart geblieben wäre.

Man spürt beim Nachschauen der Szenen ganz deutlich Merkels Unbehagen und auch ein Stück weit Erstaunen: Meint der Journalist das wirklich ernst? Trotzdem bewirken die Fragen tatsächlich etwas, denn Merkels Antworten sind durchaus interessant, was wiederum den Journalisten aber offenbar eher wenig interessiert.

Zunächst wird aus Merkels Antworten zu 2017 ganz deutlich: Da stand es wirklich Spitz auf Knopf. Und zwar aus gutem Grund: Es ist aber an der Alt-Kanzlerin, den deutschen Medienmann daran zu erinnern, dass in einer Demokratie der friedliche Amtswechsel die Normalität, ja die Essenz der Demokratie ist. Und lange Regierungszeiten eben alles andere als der Normalfall. Trotzdem hat Deutschland, ähnlich zu vielen anderen europäischen Staaten, noch keine Amtszeitbegrenzung wie die USA, die – fast möchte man sagen, wie so häufig – in diesen Grundsatzfragen weit vor den Demokratien liegen. In den USA kann ein Präsident nur maximal zwei Wahlperioden, maximal 8 Jahre regieren. Während in Europa feudal-monarchistische Traditionen vielleicht doch viel länger nachwirken, als uns lieb sein kann.

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Und das muss eine deutsche Alt-Regierungschefin einem Spiegel-Reporter erklären? Wenn es nicht so fundamental wäre, könnte man darüber hinweglächeln: Aber was ist mit unserer vierten Gewalt los, wenn eine der scheinbar wichtigsten Fragen für einen Journalisten zu sein scheint, warum die Altkanzlerin nach 16 Jahren Regierungsamt nicht nochmal versucht hat, weitere 4 Jahre zu regieren? Eine Frage, die sich Merkel offenbar übrigens zu keinem Zeitpunkt gestellt hat, sie wusste wohl genau und hatte dies ja bei Kohl hautnah erlebt, was passiert, wenn jemand versucht, weit über seine Zeit zu bleiben. Und welche Verrenkungen selbst Autokraten, wie Präsident Xi und Putin machen müssen, um ihrem jeweiligen überlangen Verbleib an der Macht einen Anschein von konstitutioneller Legitimität zu geben.

Merkels Antwort bezüglich 2017 war übrigens für ihre Verhältnisse überraschend deutlich: Es ging nicht um die Welt oder um Obama oder Trump, sondern die Überlegungen waren ganz Deutschland-zentriert: Sie wollte nicht zulassen, dass in der Wahl 2017 über ihre letztlich total verkorkste Flüchtlingspolitik gerichtet wird und hat deshalb noch mal ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen. Und diese Rechnung ging ja auch auf, leider aus meiner Sicht auf Kosten von vier fast verlorenen Jahren für Deutschland und für die CDU. Die vertagte Kurs- und Zeitenwende baden wir jetzt alle voll aus. Die aufgestauten Probleme stürzen auf uns ein.

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Und auch das ist mir noch mal klar geworden: 2016/17 hätten die Kräfte in der Union, die gesehen haben, dass der grüne Zeitgeistkurs zum Scheitern verurteilt ist, durchziehen können. Auch die Kanzlerin wusste das. Und sie wusste auch genau, welche Argumente ihr besonders gefährlich kommen könnten: Ich werde nie vergessen, wie sie in der Fraktion mal sinngemäß gesagt hat, dass man es ja nun nicht ihr zum Vorwurf machen könne, dass das Parlament bis dato in Deutschland keine Amtszeitbegrenzung eingeführt hat.

Im Jahr 2016 wäre alles bereit gewesen: der Berliner Kreis, große Teile des Wirtschaftsflügels und der CSU, einige CDU-Landeschefs, allen voran Frank Henkel in Berlin wussten eigentlich, dass ein Wechsel 2017 mittel- und langfristig richtig und notwendig ist. Und dass die illusionäre linke, grüne Zeitgeistpolitik so nicht weitergehen kann. Wir sind damals nicht gesprungen und haben damit eine Chance zur möglichen Beeinflussung des Gangs der Geschichte verpasst.

Die Zuhörer des über einstündigen Gesprächs eines deutschen Journalisten mit der Alt-Kanzlerin werden mit solcherlei Politikkram lieber nicht behelligt. Osang fragt stattdessen: „Kann man überhaupt aufhören?“ Worauf die Kanzlerin trocken antwortet: „Das liegt in der Natur der Demokratie.“

Philipp Lengsfeld war CDU-Bundestagsabgeordneter von 2013 bis 2017 („Merkel III“).

Das Interviewgespräch in voller Länge (die Kern-Diskussion zum Thema Wahl 2017, 2021 Minuten 31:35 bis 34:20 und 40:40 bis 42:25):


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