Einen kurzen Moment hielt die Welt den Atem an, als die Nachricht bekannt wurde, dass die einschlägig bekannten Pattexkinder von “Just Stop Oil” es diesmal nicht beim Ankleben ihrer selbst an Bilderrahmen beließen, sondern dazu übergingen Tomatensuppe auf Vincent van Goghs Fünfzehn Sonnenblumen in einer Vase zu schütten. Letztlich stellte sich aber heraus, dass auch dieses Gemälde, wie zuvor bereits die Mona Lisa bei einem Tortenangriff vor einigen Monaten, unbeschädigt blieb.
Der Schrecken war zunächst dennoch groß, denn die zunehmende Frequenz diverser Anklebeaktionen, die Sucht der Aktivisten nach stets mehr Aufmerksamkeit, sowie deren nicht unbegründetes Gefühl absoluter Narrenfreiheit sind Indizien dafür, dass der unvermeidliche nächste Schritt, die tatsächliche Beschädigung, wenn nicht Vernichtung, eines Meisterwerks der Vergangenheit nur als eine Frage der Zeit erscheint.
Dabei spielen sicherlich praktische Überlegungen hinein. Die meisten Anklebungen fanden vormittags unter der Woche statt, also wenn der Andrang in den Museen geringer und der Zugang zu den Gemälden folglich leichter ist. Darüber hinaus kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Sicherheitsmaßnahmen mit einer gewissen Laxheit gehandhabt werden. Auf dem Video des neuesten Anschlags ist zu sehen, dass es, nachdem die Kameras bereits liefen, sieben Sekunden dauerte von dem Moment da die Aktivistinnen begonnen ihre Mäntel auszuziehen, bis zur eigentlichen Tomatenattacke. Obwohl eine Person im Moment des Angriffs sofort laut aufschrie, vergingen danach fünf Sekunden, bis jemand im Tonfall leichter Genervtheit das Sicherheitspersonal rief, und ungefähr weitere 15 Sekunden, bis die Täterinnen ihre Hände an die Wand geklebt hatten.
In all dieser Zeit erfolgte kein Eingreifen, weder durch Sicherheitspersonal, noch durch das Aufsichtspersonal, noch durch anwesende Museumsbesucher. Wohlgemerkt, es handelte sich hier nicht um Schwerbewaffnete, sondern um zwei junge Mädchen mit Tomatensuppe-Dosen. Es verging insgesamt eine Minute, bis ein Wächter erstmals die Aktivisten zur Rede stellte, daraufhin aber auch wieder kurzfristig verschwand. Die Aktivistin bekam so die Gelegenheit, auch die letzten Teile ihrer Sprechrolle mit dramatischer Diktion vorzutragen.
Man darf davon ausgehen, dass die Aktivisten besser darüber informiert sind als der Nachrichtenkonsument im Internet, welche Gemälde durch Sicherheitsglas geschützt sind und somit ein geeignetes Ziel abgeben, um einen Schockeffekt zu erzeugen, während die realen rechtlichen Konsequenzen – und die daran verbundenen Kosten – überschaubar bleiben. Denn so viel ist sicher: Im Gegensatz zu ihrem dramatischen Gestus sind die Aktivisten keineswegs Märtyrer, ihr Vandalismus dient in letzter Zeit vermehrt nicht nur den ewig gleichen Phrasen über die “Klimakatastrophe”, sondern auch dem Protest gegen die rechtliche Verfolgung ihrer Mittäter.
Zumindest müssen sie sich aber über die Gerichtskosten kaum Sorgen machen. Während die “Letzte Generation” bekanntermaßen auf über € 150,000 an staatlichen Fördermitteln zurückgreifen kann, bezogen die Aktivisten von “Just Stop Oil”, laut einem Bericht des Observer im April 2022, alleine fast eine Million Dollar an Mitteln vom “Climate Emergency Fund,” einer 2019 von drei Millionären gegründeten Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat Öko-Aktivismus zu unterstützen.
Die Gründer des “Climate Emergency Fund” verfügen allesamt über höchst interessante Lebensläufe. Trevor Neilson brach sein Jus-Studium ab um für die Bill & Melinda Gates Foundation zu arbeiten, absolvierte ein Praktikum im Weißen Haus unter Bill Clinton und ist gegenwärtig, nach einer Vielzahl weiterer Positionen im NGO-Sektor, CEO von WasteFuel, einer Firma die sich auf die Herstellung erneuerbarer Treibstoffe spezialisiert hat und laut Eigendefinition “die Klimakatastrophe bewältigen und die Mobilität revolutionieren” möchte.
Die zweite im Bunde ist die Dokumentarfilmerin Rory Kennedy, die jüngste Tochter von Senator Robert F. Kennedy. Aktivismus spielte bei der jungen Kennedy schon früh eine Rolle, und das setzte sich im Laufe ihrer Karriere fort. 2003 führte sie Regie bei der für einen Emmy nominierten Serie “Pandemic: Facing AIDS”, die von der Bill & Melinda Gates Foundation finanziert wurde. Abseits der Kinoleinwand ist Kennedy Mitglied diverser NGO-Vorstände und unterstützte in der Vergangenheit sowohl Barack Obamas Präsidentschaftskandidatur 2008, als auch die Kandidatur von Hillary Clinton 2016 öffentlich.
Die dritte Gründerin des “Climate Emergency Fund” ist niemand geringerer als Aileen Getty, die Enkelin des amerikanischen Öl-Tycoons Jean Paul Getty. Ebenso wie Kennedy und Neilson bezeichnet sich auch Getty vorzugsweise als “aktive Philanthropin”, die Webseite der “Aileen Getty Foundation” gibt Auskunft über ihre Beteiligung an diversen NGOs, die sich vom Klimaschutz, über die AIDS-Forschung, bis hin zur Förderung der Künste einer Vielzahl an “philanthropen” Themenbereichen widmen. Zur Verdeutlichung: Die Sektion “Über uns” der “Aileen Getty Foundation” eröffnet mit einem persönlichen Brief Gettys über George Floyd. Es bleiben keine Wünsche offen.
Laut Trevor Neilson wurde der “Climate Emergency Fund” geschaffen, um “Aufmerksamkeit auf diese erschreckenden Entwicklungen zu lenken.” Neben “Just Stop Oil” und den diversen Ablegern der “Letzten Generation” erhalten 84 (sic!) weitere Organisationen Mittel des “Climate Emergency Fund.” Die Geschäftsführerin des “Climate Emergency Fund”, Margaret Klein Salamon, ist jedenfalls begeistert: “Diese Proteste sind fantastisch! Die Menschen kommen ins Museum, um sich ein Gemälde anzusehen, aber wir müssen sie dazu bringen, sich stattdessen die Realität des Klima-Notstands anzusehen.”
Die 36-jährige Salamon, die als klinische Psychologin Absolventin der Harvard Universität ist, macht bereits seit 2014 Karriere als Aktivistin. Mit ihrer Streitschrift “Leading the Public into Emergency Mode: A New Strategy for the Climate Movement” (“Die Öffentlichkeit in den Notstandsmodus führen: Eine neue Strategie für die Klimabewegung”) erlangte sie 2016 Berühmtheit in einschlägigen Kreisen. Sie plädiert dafür, dass die Klimabewegung “die Wahrheit über den Klima-Notstand sagen soll, und so handeln muss, als ob diese Wahrheit real ist.” Um das zu erreichen, ruft sie, unter anderem, zur Nutzung “militanter Taktiken” auf. Seitdem übernahmen diverse Aktivistengruppen ihre Vorschläge, und die New York Times dankte es Salamon mit regelmäßigen Publikationsmöglichkeiten.
Erhellend ist auch Salamons Erläuterung, warum die europäischen Klimabewegungen so viel öffentlichkeitswirksamer sind als ihre amerikanischen Pendants. Das liegt nämlich daran, dass die rechtlichen Konsequenzen in den Vereinigten Staaten weitaus schwerwiegender sind, als in Europa, wo Aktivisten weniger zu befürchten haben. Mit anderen Worten: Man terrorisiert Europa, weil Europa es sich gefallen lässt.
Selbstverständlich distanziert sich Salamon offiziell von illegalen Aktivitäten, diese würde die “Climate Emergency Foundation” nicht finanzieren. Dem widerspricht aber die Aussage einer Aktivistin des italienischen Ablegers der “Letzten Generation”, Chloe Bertini, die zu Protokoll gab, dass die Fördermittel “der gesamten Kampagne” zu Gute kommen. “Die Fördermittel sind dafür da, damit wir etwas unternehmen,” so Bertini, “sie helfen uns, unterstützen die ganze Organisation und viele Leute hinter den Schirmen.”
Es wäre fast schon eine Beleidigung für den Intellekt des Lesers, darauf hinzuweisen, dass die offensichtlich rein politischen Ambitionen dieser Protestaktionen einem Unternehmer wie Trevor Neilson und dessen “erneuerbaren Treibstoffen” zu Gute kommen könnten. Profit ist immer ein Argument, aber es greift in der jetzigen Situation zu kurz, da es den zutiefst ideologischen Aspekt ausblendet. Denn selbst wenn Europa es mit seiner laschen Handhabung solcher Protestaktionen den Aktivisten nur zu leicht macht um die gewünschte Aufmerksamkeit zu generieren, wie Salamon selbst es zugab, so erschließt sich daraus noch nicht, warum es “Philanthropen” und ihre Aktivisten-Zöglinge auf die Meisterwerke der Vergangenheit abgesehen haben.
Diese humoristischen Überlegungen führen allerdings zu einer zentralen Frage, nämlich der, worin sich die große Kunst der Vergangenheit von den Schöpfungen der Moderne unterscheidet. Im Gegensatz zu einer omnipräsenten “Botschaft”, in deren Niederschrift in einem Erläuterungstext manches Mal mehr Arbeit floß als in das eigentliche Kunstwerk, hantiert die große Kunst der Vergangenheit noch das Prinzip der Schönheit als Wert an sich. Schönheit kann ein Schlüssel zur Transzendenz sein, doch sie erfreut den Betrachter auch auf einer irdischen Ebene durch rein ästhetischen Genuss.
Die Auswahl klassischer Kunstwerke der europäischen Geschichte durch Klimaaktivisten ist das wohl deutlichste Bekenntnis all dieser Ideologen, bis hin zu ihren Sponsoren am anderen Ende des Erdballs, dass es sehr wohl einen qualitativen Unterschied zwischen der Kunst der Vergangenheit, und dem ideologisierten Kunstersatz der Moderne gibt. Es ist die Kunst vergangener Jahrhunderte, deren Verlust wir betrauern würden und bei dessen Vernichtung es uns die Kehle zuschnüren würde, nicht die der Moderne. Und aus diesem intrinsischen Wissen, das niemand in Kunstkreisen aussprechen darf ohne zur persona non grata zu werden, speist sich der Hass und Neid minderer Söhne und Töchter, die den Anblick des Wahren, Schönen, und Guten, das oftmals uns unbekannten Widrigkeiten zum Trotz entstand, nicht ertragen können, da es sie an ihre Impotenz, den Mangel ihrer eigenen Schaffenskraft, gemahnt. Die wütende Vandalisierung dieser Kunstwerke richtet sich gegen den Geist, der ihnen innewohnt, und das gleichzeitige plumpe Skandieren von Parolen ist nichts als neidvoller Ausdruck des Teuflischen, das den Anblick des Lichts nicht erträgt.
David Boos ist Organist, Dokumentarfilmer und Journalist für den European Conservative und andere Magazine.