Heute, am 21.Oktober 2019, wird die Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Sachsen darüber befinden, ob sie den Landesbischof Dr. Carsten Rentzing aus seinem Amt ausscheiden lässt oder nicht. Ohne ihr Einverständnis kann er nicht zurücktreten. Damit ist die Entscheidung formal offen. Ängstlichkeit prägt die offiziellen Verlautbarungen. Die Einschüchterungen wirken. Der Vorgang hat bundesweite Bedeutung. Vorangegangen waren fünf Wochen eines anschwellenden Getöses um wichtige und unwichtige Dinge aus der Biographie des Landesbischofs. Seine Amtsführung wurde nie kritisiert. Es ging stets um seine persönliche Grundstruktur, als Ostdeutsche würde ich formulieren: um die Überprüfung seines „richtigen“ Klassenstandpunktes.
Zwei Wochen nach der Landtagswahl in Sachsen, in der ca. 70 % der Wähler konservativ gewählt haben, begann am 14.9.2019 diese inquisitorisch anmutende Tortur noch relativ harmlos. In der Sächsischen Zeitung wurde seine Mitgliedschaft in der schlagenden Landsmannschaft Hercynia veröffentlicht. Die Medien kamen ihrem Auftrag nach und haben informiert. Der Landesbischof gab dazu ein Interview und eine Erklärung auf der website der Landeskirche ab: alte Freundschaften wolle er nicht aufkündigen und zahle seinen Beitrag, er sei aber nicht mehr aktiv. Otto Guse, Präsident der Landessynode, stellt später fest: schlagende Verbindung, das sei im Westen nie ein Problem gewesen. Im Osten kenne das keiner. Abwegig sei, wenn politische Fragen als Nagelprobe für ein geistliches Amt gelten würden. Schlagende Landsmannschaften mögen altertümlich anmuten, aber demokratiefeindlich sieht auch unsere Regierung sie nicht: immerhin hat sie die schlagenden Verbindungen vor ca. drei Jahren zu ihrem 125. Jubiläum mit einer Sonderbriefmarke gewürdigt und ihre Verdienste für Demokratie und Einheit damit geehrt. Darüber informierten die Medien nicht, obwohl diese Informationen den Ostdeutschen, die sich mit schlagenden Landsmannschaften nicht auskennen, bei er Einordnung sicherlich nützlich gewesen wäre.
In die Bibliothek des Konservatismus habe den Landesbischof ein alter Freund aus jener Zeit eingeladen, wo er vor Beginn seiner Amtszeit einmal einen Vortrag gehalten habe. Viele hielten dort Vorträge zur Ortsbestimmung des Konservatismus. Das stimmt. Ein Hort des Rechtsextremismus ist sie wohl nicht, wenn auch Redakteure der ZEIT dort vortragen.
Das hätte genügen können. Hat es aber einigen nicht. Es ging wohl um mehr.
Wiederum knapp zwei Wochen später, am 27.9.2019, starteten einige Pfarrer aus Leipzig, die sich selbst als „bekennende Christen“ bezeichneten, eine Online-Petition (sie stellten mit dieser Bezeichnung etwas großspurig eine persönliche Unangreifbarkeit für sich her, indem sie sich in die Tradition der innerkirchlichen Opposition zur Zeit des NS-Regimes stellen). Diese umfasste die Aufforderungen, die Mitgliedschaft in Hercynia zu beenden und sich von der Bibliothek des Konservatismus zu distanzieren. Sie umfasste insbesondere die Aufforderung, sich von der AfD öffentlich abzugrenzen. Das Amt der Einheit der Kirche, zu der sich Dr. Rentzing immer verpflichtet hatte und das seine Amtsführung bislang prägte, entbinde ihn nicht von Klarheit, hieß es. Man geriete innerhalb der EKD wegen der unklaren Positionierung des Landesbischofs zunehmend an den Rand. Darum ging es also wirklich, nachdem 27 % in Sachsen die AfD gewählt hatten, die damit mehr Stimmen bekam als Linke, Grüne und SPD zusammen, und es ein offenes Geheimnis ist, dass auch viele Christen die AfD nicht prinzipiell ablehnen. Er solle Abbitte leisten, weil er sich nicht klar von der AfD distanziere, hieß es ausdrücklich. Im religiösen Gebrauch hat dieses Wort eine viel tiefere Bedeutung als im Alltag: es ist die Sühne nach einer schweren Schuld oder Sünde. Das war die Forderung. Stattdessen gab der Landesbischof eine weitere Erklärung ab – und spaltete die Landeskirche nicht.
Beim mdr ließ sich einer der Petenten, Christian Wolf, Pfarrer a.D. aus NRW, nunmehr Leipzig, der 1970 der SPD beitrat, die in Sachsen noch 7,7 % bei der Wahl am 1.9.2019 wert war, und 1973/74 AStA-Vorsitzender an der Universität Heidelberg war, zitieren, „…nun kristallisiert sich immer mehr heraus, dass seine Beheimatung in rechten Kreisen keine böswillige Unterstellung ist, sondern offensichtlich mit Tatsachen unterfüttert werden kann.“ Er wirkte sehr zufrieden. Der mdr räumte ihm 6 Minuten ein. Andere Positionen finden sich in diesem online-Beitrag nicht (mehr).
Die Petition kam zu dem Zeitpunkt in die Öffentlichkeit, als der Landesbischof wegen seines Geburtstages einige Tage abwesend war. Was sicherlich einige wussten. Zehn Tage später gab der Landesbischof Interviews in der Sächsischen Zeitung und der Leipziger Internet-Zeitung zu den Inhalten dieser Leipziger Petition. Er ließ sich zitieren mit den Worten: „Nationalistisches, antidemokratisches und extremistisches Gedankengut sei ihm sein ganzes Leben lang immer fremd geblieben, er lehne jede Form von Extremismus, Nationalismus und Menschenfeindlichkeit ab.“
Das hätte genügen können. Hat es aber einigen nicht. Es ging wohl um mehr. Am 11.10.2019, dem letzten Schultag vor den Herbstferien in Sachsen, dröhnte der Paukenschlag durch Sachsen, Landesbischof Rentzing stelle sein Amt zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Verfügung. Am Abend tritt er mit seiner Familie den seit Langem geplanten Urlaub an, was sicherlich auch viele vorher wussten. Der Hintergrund seiner Entscheidung sei nicht direkt die Leipziger Petition, sondern es seien Texte aufgetaucht aus den Jahren 1989 – 1992, seiner Studienzeit, die die Kirchenleitung als „elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich“ eingestuft habe. Diese Texte seien einem Pfarrer „zugespielt“ (von wem, ist unklar) worden, der den Landesbischof am 11.10.2019 Gelegenheit geben wollte, sich vor der Kirchenleitung zu erklären, bevor er sie entschlossen am 12.10.2019 an die Medien weitergeben werde.
Einen Tag später veröffentlichte der WDR (sic!) teilweise die Texte aus den Jahren 1989-1992 aus dem Studentenblatt „Fragmente“, die ihm „zugespielt worden“ seien. In seinem Kommentar dazu auf tagesschau.de führt WDR-Redakteur Arnd Henze das gesellschaftlich kontaminierte Wort „völkisch“ zur Kennzeichnung der Gedanken in diesen Texten ein, um wieder einen Scheit im Haufen nachzulegen. Ein weiterer Scheit ist die Feststellung, das Studentenblättchen von damals sei „extrem rechts“. Die Eule, ein kleines mediales Projekt eines freien Journalisten, der aus Dresden stammt und in Eisleben wohnt, positioniert sich. Philipp Greifenstein, der auch für den Sonntag schreibt, stellt die These auf, dass „Carsten Rentzing mit seiner Kandidatur für das Amt des Bischofs unverantwortlich gehandelt“ habe. Rentzing selbst sieht wohl, dass sich Westdeutsche (Rentzing) mit Westdeutschen (Wolf) innerhalb einer ostdeutschen Landeskirche, von Linken sekundiert, auseinandersetzen. Natürlich gibt es jüngere Linke im Osten wie Greifenstein, die mehr auf queer, bunt und antiautoritär setzen und da nun einhaken. Dagegen ist an sich nichts zu sagen. Aber im Kern ist es eine Auseinandersetzung innerhalb der EKD entlang 50 Jahre alter Glaubenskriege weltlicher Natur. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens ist nur der Austragungsort. Die ist sowieso schon seit langem innerhalb der EKD etwas suspekt, weil es so viele Evangelikale gibt. Wir Sachsen kennen dieses Spiel schon.
Zwei Tage später geht die Erklärung der Landeskirche zur Rücktrittsankündigung des Landesbischofs via epd online. Die Dinge lägen 30 Jahre zurück, man habe auch Scham und Unverständnis über die eigenen Jugendsünden des Landesbischofs erlebt. Vielleicht war es ein menschlicher Zusammenbruch im Ergebnis jahrelanger Anfeindungen und dem Kesseltreiben seit der Wahl am 1.September 2019. Die Kirchenleitung bezeichnet die Schriften aus den Jahren 1989 – 1992 als „elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich“. Sie gehe davon aus, „dass der Glaube an Jesus Christus Menschen verändern könne, hält die Distanzierung des Landesbischofs von seinen Positionen vor 30 Jahren in Anbetracht seiner Arbeit in unserer Landeskirche für glaubwürdig. Damals sei er noch kein Pfarrer gewesen. Umso verstörender seien die Texte, die Dr. Rentzing in seiner Zeit als Student vor 30 Jahren veröffentlicht habe, allerdings eben weit vor seinem Wirken für die Kirche.
Nur mal für die kollektive Erinnerung: Vor ca. 30 Jahren wurden viele evangelische Pfarrer im Osten als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi, dem Sicherheitsdienst der DDR, enttarnt, auch viele führende ostdeutsche Köpfe der Friedlichen Revolution, wir z.B. Ibrahim Böhme oder Wolfgang Schnur. Da ging es nicht um Texte in einem Studentenblättchen. Zweierlei Maß scheint auf.
Das hätte also genügen können. Hat es aber einigen nicht. Es geht wohl um mehr.
Täglich wuchs nun die Flut der Fragen der sächsischen Protestanten, was denn da nun eigentlich vor sich ginge. Viele wollten, dass „das Theater“ jetzt eingestellt werde. Am 16.10.2019 ging dann eine Petition auf der Plattform CitizenGo online. Die eigentlich anonyme Petition stellt die Forderung, dass Dr. Rentzing Landesbischof bleiben solle und die zuständigen Gremien der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens …, zum brüderlichen Gespräch mit dem Landesbischof zurückkehren und alle öffentlichen Diffamierungen unterlassen sollen. Natürlich äußert sich Helmut Matthies, der Herausgeber von idea, der fragt, ob jemand nur noch ein leitendes Amt in der Kirche antreten dürfe, „wenn er bereit ist, eine rot-grüne confessio abzulegen.“
Natürlich hatten diese Plattform auch schon Abtreibungsgegner und andere genutzt. Der Beißreflex war entsprechend. Am nächsten Tag intoniert dann der Deutschlandfunk wiederum einen der Leipziger Petenten zum Ziel dieser Petition: „Die Frage ist, ist diese Landeskirche und dieser Bischof, sind die so positioniert, dass sie den Herausforderungen 2019 in Sachsen entspricht?“ Das spielt erkennbar auf das Wahlergebnis der AfD von 27 % sechs Wochen zuvor bei der Landtagswahl an. Der Landesbischof soll sich klar von der AfD und ihren Anhängern distanzieren. Darum ging es die ganze Zeit. Das ist des Pudels Kern. Das wäre die Spaltung der Landeskirche. Natürlich ruft nun die AfD zur Unterstützung des Landesbischofs auf. Das sehen Medienvertreter und Linke als Beweis, dass sie selbst richtig liegen. Der Apfel der Eris verrichtet sein Werk. Die Spaltung der Gesellschaft in weltlichen Dingen ist nun auch in die Kirche getragen worden.
Es ging die ganze Zeit methodisch darum, den Landesbischof immer wieder aufs Neue in der Öffentlichkeit zu grillen. In der BRD Aufgewachsene trugen ihren Jahrzehnte alten Zwist untereinander auf dem Rücken der Landeskirche aus – mit allen Mitteln und bis aufs Blut. Man wollte die ganze Zeit nachweisen, dass der Landesbischof von Grund auf verderbt sei. Rigorosität, Nachkarten, Dauerfeuer getarnt als „Klarheit“, das pure Gegenteil von Nächstenliebe. Deutlich ist erkennbar: an ihm, einem bekennenden Konservativen, sollte bundesweit und öffentlich ein Exempel statuiert werden.
Auf Wikipedia haben Eifrige – oder sind es Eiferer – jede Menge neue Einträge zu allen Vorwürfen, zu Greifenstein und der Eule (die wirklich sonst keiner kennen würde) wie die Bienchen die Stigmatisierung Dr. Carsten Rentzings zügig und erbarmungslos im Netz festgeschrieben und damit in den neuzeitlichen Stein gemeißelt. Dieser Mann wird öffentlich vernichtet. Das ist eine nicht ausschließlich, aber oft von Linken angewandte Methode, um andere Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs zu nehmen: Skandalisierung von Meinungen und anschließend eine persönliche und berufliche öffentliche Vernichtung der Person.
So reißt die CDU als Partei in einer tiefen Sinnkrise auch die Kirche in ihren Strudel. SPD und Grüne tun ihr Übriges. Vielleicht ist das der richtige Moment, mit den Diskussionen in der Sächsischen Landeskirche unter der Obhut des Landesbischofs, der ein Mensch ist wie alle anderen, zu beginnen: wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein.
Antje Hermenau ist Unternehmerin und Beauftragte des BVMW für den Landeswirtschaftssenat Sachsen.