Europa geht es schlecht – und Deutschland ist schuld daran. So einfach ist das im grünen Wolkenkuckucksheim. „Frankreich und Deutschland: Europa voranbringen“ – unter diesem Titel haben zwei Grüne einen europapolitischen Aufruf verfasst, hinter den sich jetzt die übliche Schar linker Gesinnungsgenossen versammelt: von verdi-Chef Frank Bsirske über die Ex-Staatssekretäre Jörg Asmussen und Julian Nida-Rümelin bis hin zur unvermeidlichen Talkshow-Fräse Gesine Schwan.
Bezeichnend, dass dem Aufruf der Grünen Giegold und Brantner ein Bildlogo vorangestellt ist, das mit zentraler französischer Symbolik (Die „Freiheit auf den Barrikaden“ von Delacroix mit Marianne in der Hauptrolle) und der Europafahne geschmückt ist. Deutschland findet auf dem Logo des Aufrufes nicht statt. Die grünen Urheber wie auch die mehr oder weniger prominenten deutschen Mitzeichner aus dem rot-grünen Spektrum fremdeln mit ihrer eigenen Nation – wie gewohnt.
Die Grünen stehen wie keine andere Gruppe für den deutschen Miesepeter, der sich selbst nicht leiden mag und deshalb morgens erstmal ins eigene Spiegelbild spuckt. Gedrückt vom eigenen diffusen Schuldkomplex, wird dann ganztags schlechte Stimmung verbreitet. Sie moralisieren tagein, tagaus und erklären unablässig den Deutschen (und auch gleich allen Anderen), was sie zu tun und zu lassen haben, wenn sie endlich gute Menschen oder gute Europäer werden wollen.
Der „Spießer“ hingegen macht sich in ihren Augen verdächtig. Wer stolz ist auf die Frucht der eigenen Arbeit oder die eigene Familie, ist am Ende auch noch stolz auf das eigene Land. Horribile dictu! Deswegen muss auch nur das kleinste Anzeichen guter Stimmung niedergekämpft werden. Bei Deutschen geht das am besten mit einem schlechten Gewissen. Das haben wir Deutsche ja andauernd. Das Wort „Weltschmerz“ hat sogar als unübersetzbarer Begriff Eingang in andere Sprachen gefunden.
Die von den Grünen kritisierten Exportüberschüsse sind der Lohn für harte Arbeit. Die Grünen stellen sie als Ausbeutung anderer Länder dar: „Anstatt dass die deutschen Exporterlöse in nachhaltige Investitionen in Deutschland und Europa gesteckt werden und der Staat die Bedingungen für höhere Löhne verbessert, führen sie zur Verschuldung anderer Länder gegenüber Deutschland. So steigen nicht nur die Schulden der Partner, sondern auch der Frust über Deutschland und den Europäischen Binnenmarkt.“ Ich bin den Verfassern für dieses Zitat außerordentlich dankbar. Denn es entlarvt ihr Denken. Tatsächlich steigen bei uns in Deutschland Löhne und Renten. Wir haben nahezu Vollbeschäftigung. Und wir haben als eines von wenigen Ländern in der Eurozone einen ausgeglichenen Haushalt sowie eine sinkende Staatsschuldenquote – nicht weil wir andere unterdrücken, oder ihnen unsere Produkte und Verfahren aufzwingen, sondern weil die Bürger in unserem Land fleißig und wettbewerbsfähig sind.
Deutschland leistet den wichtigsten Beitrag zum Wachstum in Europa. Mit unserer brummenden Wirtschaft erhalten wir viele Arbeitsplätze in anderen Ländern – vor allem auch in der Europäischen Union.
Wie wollen die Grünen dieses Ziel erreichen? Deutschland soll endlich auf die „konstruktiven Reformvorschläge“ Frankreichs hören. Interessant! Frankreich verletzt seit Jahren galant lächelnd die Maastricht-Kriterien, wobei Deutschland und die EU-Kommission dem Treiben in unserem Nachbarland nachsichtig milde zusehen. Dies hat Signalwirkung auf das Regierungshandeln in vielen anderen Ländern Südeuropas: Spanien, Portugal, Italien, Griechenland.
Dass die Vertreter dieser Staaten lieber gerne jetzt als gleich unmittelbaren Zugriff auf die Früchte unserer Arbeit hätten, überrascht mich nicht. Genau deswegen haben unsere Verhandlungsführer bei der Konstruktion des Euro so peinlich genau darauf geachtet, dass es nicht geschehen kann und darf: no bailout, jeder muss für seine Schulden selbst aufkommen.
Es war nie der Wunsch der Deutschen, dass im Deutschen Bundestag, erst recht nicht im Europäischen Parlament, über Geldpolitik abgestimmt wird. Im Gegenteil war das Versprechen, die EZB als neue Zentralnotenbank auf die Erhaltung der Preiswertstabilität zu verpflichten, Voraussetzung für die Bereitschaft der Deutschen, ihre D-Mark aufzugeben. Die Deutschen wollen nicht, dass Regierung oder Parlament an den Schalthebeln der Notenpresse herumfummeln. Da wollten sie lieber eine der hoch angesehenen Deutschen Bundesbank nachgebildete Europäische Zentralbank, der volle Unabhängigkeit garantiert wurde, damit sie sich ganz auf das Ziel der Geldwertstabilität konzentrieren kann.
Wenn die Verfasser die Eurozone durch eine verbesserte parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament stärken wollen, ist dies reines Wunschdenken. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches besteht dort eine klare Mehrheit für schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme, was die Überschuldungssituation definitiv nicht verbessern wird. Es ist mit deutschem Verfassungsrecht zudem nicht vereinbar, dass der Deutsche Bundestag sein Budgetrecht unwiderruflich in diesem Umfang aufgibt.
Die demokratische Legitimation des EP ist ungleich schwächer: auch in Deutschland nur von den Parteispitzen ausgesuchte Listenbewerber ohne wirkliche Rechenschaftspflicht gegenüber dem Souverän, dem Wähler. Darüber hinaus hat die Stimme des deutschen Wahlbürgers dabei noch nicht mal ein Zehntel des Gewichtes eines Luxemburgers oder Malteser. Dies ist mit der einschlägigen Einschätzung der Bedeutung des gleichen Stimmengewichtes durch das deutsche Bundesverfassungsgericht unvereinbar.
Flankierend beginnt die historische Verklärung von François Hollande: Der hoffnungsvoll gestartete französische Präsident „wollte nach seiner Wahl Europa reformieren. Aus Berlin bekam er die kalte Schulter. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen.“
Was ist denn das für eine abstruse neue „Dolchstoß-Legende“? Hollande, ungeschlagen im Felde, von deutschen Reformverweigerern hingemeuchelt? Was hat denn Präsident Hollande mit seinem zeitweiligen Wirtschaftsminister Macron fertiggebracht, außer ein wenig in überregulierten und abgeschotteten Berufsständen durchzulüften? Von Anfang an hing ihm die Zusage, die 35-Stunden-Woche nicht anzutasten, wie ein Bleigewicht an den Füßen. Er konnte die Fesselung der französischen Wirtschaft durch streit- und streiksüchtige Gewerkschaften und andere robuste Einzelinteressensvertreter nicht lösen. Stattdessen verlegte er sich auf Versuche, die Schulden durch die Begebung von Eurobonds zu vergemeinschaften und Bündnisse der südlichen überschuldeten Staaten gegen die stabilitätsverpflichteten Staaten um Deutschland zu schmieden. Europäische Arbeitslosenversicherung und schuldenfinanzierte europäische Investitionsprogramme forderte er als angenehmere Alternative zu eigenen Anstrengungen zur Stärkung des Standorts Frankreich.
Macron darf gerne jedes Wahlversprechen einlösen und ich würde es ihm von Herzen gönnen, wenn er der beliebteste und erfolgreichste französische Präsident aller Zeiten würde. Aber für Europa ist konstitutiv: Die Macht muss unter das Recht – und das wird nicht in alternativen Stuhlkreisen ausgehandelt.
Die Grünen wollen das letzte Fitzelchen Erbe der Deutschen Mark, das noch im Euro steckt, abwickeln. Sie treiben die Menschen in die politischen Ränder.
Die Aufrufunterzeichner beklagen einen Mangel an Nachhaltigkeit und fordern zugleich schuldenfinanzierte Investitionsprogramme. Der unausrottbare Irrglaube an die Überlegenheit staatlicher Planungskompetenz feiert fröhliche Urständ! Die staatlichen Mittel sollen zudem nicht nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch zur Beförderung der politisch korrekten Gesinnung eingesetzt werden.
Ähnlich abwegig die Vorschläge zur Handelspolitik: Öko- und sozialer Kuschelprotektionismus getarnt als Angebot des freien Handels just von denen, die Wohlstandsvermehrung durch Freihandel erbittert bekämpft haben. Ob CETA oder TTIP: die Mehrheit der politisch linken Kräfte war stets am Abschotten. Sie fürchten zu Recht, dass die mit jakobinischem Missionseifer zur politischen Korrektheit betüddelten Deutschen und Europäer plötzlich vom Geist der Freiheit infiziert werden.
Entgegen den Behauptungen der selbsterklärten Europaretter ist Deutschland keineswegs unsolidarisch: weder gegenüber der Europäischen Union, wo wir der mit Abstand größte Nettozahler sind, noch in der Eurogruppe, die es ohne die riesigen deutschen Bürgschafts- und Garantiesummen in der heutigen Form nicht mehr gäbe.
Die Wahrnehmung der wohlverstandenen nationalen Interessen ist auch für einen deutschen Abgeordneten nichts Ungewöhnliches. Ich jedenfalls wurde von den Bürgern meines Wahlkreises in den Deutschen Bundestag entsandt, um gemäß Artikel 38 die Interessen des ganzen Volkes zu vertreten. Das ist mein Mandat. Ich wurde nicht als Erfüllungsgehilfe für Wahlversprechen von Tsipras oder Macron gewählt. Ich wurde dafür gewählt, den Wohlstand in unserem Land zu mehren – und nicht zu vernichten.