Wie kann ein Weltstar nur auf die Idee kommen, seinen 18monatigen Kampf gegen den Krebs vollständig geheim zu halten, bis unmittelbar vor seinem Tod ein neues Album aufzunehmen, ein letztes Musikvideo zu drehen, alles pünktlich zu seinem Geburtstag zu veröffentlichen – und dann zu sterben, einfach so?
Die Antwort auf diese Frage ist simpel: David Bowie wollte es so, also tat er es auch. Bei den meisten Prominenten sickern zumindest kurz vor dem Tod mehr oder weniger entwürdigende Fotos an die Öffentlichkeit. Bei Bowie sickerte nichts durch, es platzte vielmehr etwas heraus, und zwar nichts Entwürdigendes und Mitleiderregendes, sondern ein grandioses Album! Nur Zyniker können dies als einen letzten gelungenen Werbegag abtun. Tatsächlich war es das Gegenteil: Während es heute als „progressiv“ gilt, den eigenen Tod als einen wichtigen Bestandteil des Lebens mit postreligiöser Bedeutung aufzuladen, ihn also bewusst zu inszenieren, war der Tod für Bowie nicht mehr, aber dafür im Wortsinn seine Deadline, bis zu der er sein Projekt fertigzustellen hatte.
David Bowie kümmerte der Zeitgeist nicht
Dass uns der Tod dieses Musikers so heftig getroffen hat, deutet auf etwas Interessantes hin: Es ist unüblich geworden, ein lebensbedrohliches Leiden vor der Öffentlichkeit zu verbergen und keine allerallerletzte Abschiedstour zu geben. Und es ist zutiefst ungewöhnlich, private Dinge für sich zu behalten bzw. sich genau zu überlegen, wen man was wissen lässt. Stattdessen legt es unser morbider Zeitgeist nahe, das eigene Bild für die Nachwelt mit dem Heiligenschein des Leidens im Angesicht des Todes zu verschmelzen. Bowie kümmerte das nicht. Er ging einfach weiter und zog es vor, anstelle seiner selbst ein Album zu veröffentlichen. So blieb er der Karawane meilenweit voraus – bis zum letzten Atemzug.
Brendan O’Neill trifft in seinem Artikel auf der Website des britischen „Spectator“ den Nagel auf den Kopf: „Bowies würdevoller Tod erinnert uns eindrucksvoll an die Unantastbarkeit des Privatlebens.“ Ein letztes Mal zeigte Bowie dem Mainstream eine lange Nase. In unserer Zeit der Über-Informationen, in der man nahezu verpflichtet wird, alles zu teilen, sogar Dinge, die nicht teilbar sind, ist es eine letzte großartige Herkules-Leistung von David Bowie, sein Sterben aus dem Scheinwerferlicht herausgehalten und als das behandelt zu haben, was es ist: die persönlichste und privateste Sache der Welt und des menschlichen Lebens. Von wegen Ground Control! Major Tom has finally left the building.
Aufrecht durchs Leben und aus demselben
Wer Bowie musikalisch nie richtig einzuordnen vermochte, profitiert evtl. vom Glück des Ahnungslosen, denn genau die Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung zeichnete den Mann aus Süd-London in seinen kreativsten Phasen aus. Sein letztes Album „Black Star“ nur als vorweggenommene Totensymphonie zu interpretieren, hieße, die Botschaft des „Chameleon of Pop“ zu verleugnen. Kaum jemand beherrschte die Klaviatur der menschlichen Vielfalt und Lebendigkeit so ausschweifend und zugleich würdevoll wie er. Natürlich wird „Black Star“ nun nicht mehr als Bowies neuestes, sondern als sein letztes Album gesehen und gehört. Hierauf hat er keinen Einfluss mehr. Aber die Kontrolle über sein Leben hat er nie abgegeben.
Wer aktuellen „Größen“ mit David Bowie vergleichen möchte, wird ebenso grandios scheitern wie jeder, der versucht, mit einem Zollstock ein Lichtjahr zu vermessen. Und wenn Sie tatsächlich mit der Frage konfrontiert werden sollten, wo denn die Unterschiede liegen zwischen David Bowie und …, sagen wir, Justin Bieber – oder noch heftiger: Helene Fischer –, dem schlage ich eine ebenso freundliche wie eindeutige Antwort vor: Die Unterschiede liegen alle bei Bowie. Helene und Justin machen so etwas nicht.
Matthias Heitmann ist freier Publizist und Autor des Buches „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ (TvR Medienverlag, Jena 2015, 197 S., 19,90 EUR. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.