Tichys Einblick
Merz lernt das nicht mehr

Das Falsche gelernt

Natürlich gibt es aus der Geschichte, zumal der deutschen Geschichte, einiges zu lernen; nur etwas anderes, als Friedrich Merz das will. Von Konrad Adam

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Friedrich Merz hat sich als Prophet versucht, mit wenig Glück allerdings. Um vor der AfD zu warnen, empfahl er den Bürgern, den Blick nach Österreich zu richten, dort sähen sie, was dabei herauskommt, wenn man „eine solche Partei“ zur Vernunft bringen wolle. Dafür ist es jedoch ganz offenbar zu früh, denn Herbert Kickl, Chef der Partei, die bei der letzten Wahl die meisten Stimmen bekommen hatte, hat ja soeben erst vom Bundespräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten.

In Österreich ist die Zukunft offen, Kickl verhandelt ja noch. Deswegen hätte Merz besser daran getan, den Blick nach Schweden, in die Niederlande oder nach Italien zu richten, wo ja die Rechtspopulisten tatsächlich an der Macht, zumindest an ihr beteiligt sind. Und obwohl Geert Wilders. Jimmie Akesson und Giorgia Meloni genuine Faschisten sein sollen, gibt es in Schweden immer noch Meinungsfreiheit, in Holland immer noch Oppositionsparteien und in Italien immer noch keine KZs.

Doch Merz blickt weiter, weit über die laufende, sogar über die nächste Legislaturperiode hinaus. 2029 könne die AfD stärkste Fraktion werden, sagt er voraus, und weiter: „2033 ist die nächste Bundestagswahl“, und dann kommt der Hammer, die Lehre aus der Geschichte: „Einmal ’33 in Deutschland reicht!“ Merz hat gelernt, aus der Geschichte gelernt; nur leider das Falsche.

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, hieß die Lehre, die Bert Brecht gezogen hat. Wenn man sich umschaut und sieht, welche Fortschritte die Fortschrittskoalition bei der Gleichschaltung von Gerichten, Verfassungsschutz, Bundeswehr, Universitäten, nicht zu vergessen die tausend Stiftungen, Arbeitskreise, Initiativen, Fachverbände, Denkfabriken und was es sonst noch gibt im Zirkus der „Zivilgesellschaft“, fühlt man sich auch geneigt, ihm zuzustimmen.

Natürlich gibt es aus der Geschichte, zumal der deutschen Geschichte, einiges zu lernen; nur etwas anderes als Friedrich Merz das will. „Aus einem kleinbürgerlichen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsbonzen“, ließ Hitler seine Gesprächspartner wissen, „wird nie ein Nationalsozialist, aus einem Kommunisten immer.“ Er kannte sich aus: Goebbels, einer seiner eifrigsten und wildesten Gefolgsleute, kam von weit links. Bevor er sein Herz für den Nationalsozialismus entdeckte, war er bekennender Kommunist gewesen. Und war begeistert, als sich NSDAP und KPD verbündeten, um mit einem großen Streik die Berliner Verkehrsbetriebe lahmzulegen. Bald darauf, am 1. Mai 1933, liefen Sozialisten und Kommunisten gemeinsam hinter den Hakenkreuzfahnen her, um dem Führer dafür zu danken, dass er ihnen einen freien Tag spendiert hatte.

„Wir ergreifen den Menschen schon in der Wiege“, hatte Robert Ley, ein anderer „Rechter“, der von links gekommen war, lauthals verkündet, „und lassen ihn erst im Sarg wieder los.“ So klingt es in der banalen Sprache der nationalen Sozialisten. Aber wie unterscheidet sich das von dem gläubigen Sozialdemokraten, der vom Staat die Zusage „einer prinzipiell unbegrenzten, nie endenden staatlichen Aktivität zum Schutze des Bürgers vor sozialen, technik- und umweltbedingten oder auch kriminellen Risiken und Gefahren“ verlangt? Abgesehen vom Tonfall natürlich. Beide wollen den Menschen anleinen, betreuen, gängeln. Weil beiden die Freiheit suspekt ist.

Die Radikalen von links und rechts wohnen enger beieinander, als Friedrich Merz sich das träumen lässt. Um zu erfahren, was passiert, wenn die politische Klasse so weitermacht wie bisher, hätte er nicht nach Österreich, sondern nach Deutschland blicken sollen, nach Thüringen zum Beispiel, wo sich ein Gernegroß wie Professor Mario Voigt, selbst Wahlverlierer, mit anderen Wahlverlierern zusammentut, um dem Wahlgewinner das Regieren zu verbieten. Der Wählerauftrag, auf den sich er und seine Leute berufen, sieht aber nun einmal anders aus. Wenn er sich nicht dran halten will, werden die Bürger AfD wählen, und das nicht erst im Jahre 2029 oder 2033, sondern demnächst schon, am 23. Februar 2025.


Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.

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