Wir leben in einer Zeit, in der irrationale Strömungen sehr stark sind, auch dann, wenn sie sich scheinbar auf die Wissenschaft berufen. Es ist eine Zeit magischen Denkens. Beispielsweise ist die kombinierte Angst vor der Energieproduktion mit Kernspaltung und vor dem Ausstoß von Kohlendioxid bei der Energieproduktion durch Kohleverbrennung in Deutschland gewaltig. So groß, dass in nur acht Jahren, das ist für fundamentale Infrastrukturentscheidungen eine kurze Zeitspanne, der Ausstieg aus beiden Technologien beschlossen wurde.
Die “Energiewende” ist ein typischer Ausdruck magischen Denkens – inwiefern? Dieses Denken zeichnet sich dadurch aus, dass Verhaltensmustern, die keinen Einfluss auf die Realität haben, realitätsverändernde Wirkungen zugeschrieben werden. Ein klassisches Beispiel aus der Ethnologie ist der Regentanz, durch den ein Wetterwechsel mit Niederschlag herbeigeführt werden soll. Bei der “Energiewende” soll die Abschaltung von 40% der Energiequellen der heutigen Stromerzeugung eines Landes, das 2% des globalen Kohlendioxidausstoßes produziert, zur “Klimarettung” beitragen – was offensichtlich unmöglich ist. Magisches Denken ist heute mit Machbarkeitswahn gekoppelt. Bei der “Energiewende” soll die Primärenergieerzeugung in kurzer Zeit “decarbonisiert” werden, obwohl dazu gar keine Technologien verfügbar sind. Der Machbarkeitswahnsinnige geht davon aus, dass utopische Vorhaben tatsächlich durchführbar sind, ohne sich um die Naturgesetze zu kümmern.
Corona: Die Steigerung des Magischen Denkens
Doch wer dachte, bei der Energiepolitik sei schon die maximale Intensität magischen Denkens erreicht, wird nun eines Besseren belehrt. Denn wir erleben in der sog. Corona-Krise eine weitere Steigerung magischen Denkens mit Machbarkeitswahn.
Um dies zu verstehen, rekapitulieren wir noch einmal die einfachen Grundtatsachen der Virusbiologie und Epidemiologie des Erregers. SARS-Cov2 ist ein Corona-Virus, dass sich mit einer Basisreproduktionszahl von 5-7 per Tröpfcheninfektion verbreitet (das bedeutet: ein Infizierter infiziert wieder 5-7 weitere Menschen). Bei 50% der Infizierten verläuft die Infektion symptomfrei, bei weiteren 30% symptomarm (ohne echte Grippe). Gegen das Virus gibt es noch keine Immunität, sie muss ich in jedem Infizierten erst herausbilden. Ein kleiner Anteil der Infizierten (1-5 Promille), allesamt Menschen, bei denen das Immunsystem nicht mehr funktioniert, sterben an einer durch das Virus ausgelösten Pneumonie. Ihr Durchschnittsalter ist 79,5 Jahre, sie haben alle schwere Vorerkrankungen.
Trotz dieser Tatsachen halten wir unsere Wirtschaft an, um die Verbreitung eines Virus zu verhindern, das sowieso die Mehrheit infizieren und eine kleine Minderheit töten wird. Die Argumente dafür lauten: 1. Wir wollen durch die Verlangsamung den Erkrankungsgipfel senken, damit für mehr Patienten Intensivtherapieplätze vorhanden sind. 2. Wir wollen das Virus aufhalten, bis wir Impfstoffe oder Arzneimittel dagegen haben. Das erste Argument ist aus zwei Gründe invalide. Erstens wird die Senkung der Neuinfektionsrate voraussichtlich nicht ausreichen, um auf dem Erkrankungsgipfel für jeden Patienten mit Atemnot einen Beatmungsplatz zu garantieren, da die Maßnahmen dafür nicht lange genug durchgehalten werden können – nach einigen Wochen müssen wir die Maßnahmen lockern, sonst droht eine Versorgungskrise. Zweitens bringt die Intensivthearpie den allermeisten Patienten nichts – für diese alten, moribunden Menschen ist ein sanfter Tod im Pflegeheim oder zu Hause viel besser als ein Stresstod auf der Intensivstation.
Die derzeit durchgeführten Maßnahmen werden zur schwersten Wirtschaftskrise seit dem Winter 1945/46 führen. Seitdem haben wir noch keinen derartig tiefen kombinierten Angebots- und Nachfrageschock und auch keine vergleichbaren Verschuldungsraten erlebt.: Der Schockt trifft auf eine hohe Verschuldung vieler Unternehmen und die im Wesentlichen niedrigzinsinduzierte Labilität des Bankensektors, was die Ausmaße der Krise noch deutlich verschlimmert.
Da die Maßnahmen also gar nicht geeignet sind, die COVID-19-Pandemie aufzuhalten oder die Anzahl der Toten im Vergleich mit einfachen Schutzmaßnahmen für Alte (deren mittelfristige Wirkung allerdings fraglich ist) in Kombination mit Triagemaßnahmen zu reduzieren, beobachten wir gerade kollektives magisches Denken: Wir wollen glauben, dass unser Handeln die Realität beeinflusst, doch das tut es gar nicht. Gleichzeitig ist der Glaube an die Machbarkeit der Ziele, die wir uns gesteckt haben, Ausdruck von Machbarkeitswahn. Denn wir haben das biologische und medizinische Wissen, über das wir verfügen, gar nicht genutzt, um die Machbarkeit zu durchdenken.
Warum ist der magische Glaube bei COVID-19 so groß? Weil die Menschen in einer Art Massenpanik alle Angst um ihr Leben haben. Doch dafür gibt es keinen Grund. Sterben gehört zum Leben, es ist sein unweigerliches Ende. Und es sterben nur die, die eben so oder so bald sterben müssen. Noch werden die Maßnahmen gegen Corona aus Angst akzeptiert und positiv bewertet, viele Bürger helfen sogar freiwillig mit, sie durchzusetzen. Doch was passiert, wenn klar wird, dass wir die Wirtschaft umsonst gestoppt haben? Dass im Winter in Deutschland viele Menschen in Folge der Wirtschaftskrise erfrieren, weil sie obdachlos geworden sind oder aus Armut nicht mehr heizen können? Und zwar viel mehr, als jetzt durch die Scheinmaßnahmen gerettet werden können.
Wer wird zum Schuldigen erklärt, wenn klar wird, dass der Kaiser nackt ist? Keiner weiß es. Doch wenn die Zeit der Abrechnung vorbei ist, besinnen wir uns vielleicht wieder auf rationales Denken, das die Erkenntnisse der Wissenschaft als Entscheidungsgrundlage nutzt, anstatt uns magischem Denken mit Machbarkeitswahn hinzugeben. Das wäre nicht nur im Zusammenhang mit der Seuchenpolitik, sondern auch in anderen Bereichen sinnvoll – man denke beispielsweise an Euro, Migration, Rentenpolitik oder Energieproduktion.
Johannes Eisleben ist Arzt und Mathematiker und arbeitet als Systeminformatiker. Er lebt mit seiner Familie bei München.