Der Vater von Andrea Nahles bestimmt die Rentenpolitik. So war es schon bei der Rente mit 63, bei der die frischgebackene Sozialministerin ihren Vater und seinen krummen Rücken zum Kronzeugen für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit machte. Jetzt muß der ehemalige Mauer wieder herhalten: „Mein Vater war Maurer und ist mit 73 Jahren gestorben. Wenn mir da einer mit Arbeiten bis 70 kommt, werde ich sauer,“, sagte sie Bild am Sonntag. Aha. Da wird sie sauer. Wie alt hätte Papi werden müssen, dass die Rente mit 70 Nahles nicht sauer macht? Wen er schon mit 61 gestorben wäre, was ja passieren kann, wird dann die Rente mit 47 eingeführt, damit Papi einen angemessen lange Rente bezieht? Oder dürften wir die Rente mit 67 beibehalten, wenn Papi…? Rente ist das Spielzeug der neuen, radikalsubjektivistischen Politik, die auf Analyse über Papi hinaus verzichtet. Auch verzichten muss. Weil es sonst ungemütlich würde in der Wohnküche Nahles. Da wird sonst Andrea echt sauer. Dazu ein Beitrag aus anderer Sicht.
Es ist wieder soweit, denn die politische Klasse versucht sich Geltung zu verschaffen mit dem Thema Rente. Daran erkennen Sie, dass man sich für den Wahlkampf im Herbst 2017 aufwärmt. Denn es geht um nichts anderes als um das Geld und die Zukunft vieler. Deshalb müssen wir trotz aller Staatsgläubigkeit eines der Gebote in Frage stellen. Leider ist die gesetzliche Rentenversicherung eines der Gebote im Diesseits. Daher die Frage inwiefern die staatliche Rente überhaupt noch gerecht und nachhaltig zugleich ist.
Dennoch die rhetorische Frage: ist das System krisensicher und zukunftsfest? Nein, das System ist äußerst fragil. Und warum? Professor Erich Weede hat einen Beitrag verfasst mit dem Titel „Wird Deutschland in der Eurokrise überlastet?“ im Band „Deutschland herausgefordert“ von Jesse und Mayer folgendes u.a. herausgearbeitet, dass Deutschland Schwächen hat wie explizite Staatsschulden um die 80% und eine verdeckte Staatsverschuldung von 400% des BIP (Zahlen aus der FT). Mit solchen Zahlen alleine erblasst das von der SPD eingeführte politische Schlagwort des vorsorgenden Sozialstaats völlig, denn dieses Begriffspaar ist ein Oxymoron.
Jeder sollte besser individuell auf sein Geld Acht geben, als es kurzfristig denkenden Politikern anzuvertrauen. Oder um es in den Worten von Milton Friedman auszudrücken: „Es gibt vier Arten, Geld auszugeben. 1. Man gibt sein Geld für sich selber aus. Dabei ist man besonders sparsam. – 2. Man gibt sein Geld für andere aus. Da werden die Menschen bereits großzügiger. – 3. Man gibt fremdes Geld für sich aus. Da fallen schon die meisten Schranken. – 4. Man gibt fremder Leute Geld für andere aus. Da gibt es kein Halten mehr.
In einer Melange aus Punkt vier, Demographie und Finanzierungsdefiziten ergibt sich ein schwaches Fundament der staatlichen Rentenversicherung im derzeitigen Umlageverfahren.
Der moderne Staat mit hoher Staatsquote samt Ausgabenwachstum folgt dem Credo Masse statt Klasse und steht unter Druck, die oben erwähnte Herausforderung, die Staatsschulden weiterhin refinanzieren zu können – trotz hoher Steuer- und Abgabenbelastung. Daneben existieren weitere Mammutprojekte wie Energiewende oder Eurorettungspolitik die sich auswirken. Nicht zu vergessen die Niedrigzinsphase der EZB, die die Anreize des Sparens zunichte macht, obwohl das Sparen immens wichtig ist für eine Volkwirtschaft.
Im Großen und Ganzen steht unser Allgemeinwesen vor gewaltigen Herausforderungen. Solche Herausforderungen sind für Berufspolitiker wie Gabriel oder Seehofer nicht von Belang, denn sie müssen schließlich nicht mit eigenem Kapital für ihre Forderungen bezahlen. Wären Politiker weitsichtig, wären sie keine Politiker!
Das Geschriebene hat direkt oder indirekt, früher oder später, Auswirkungen auf jeden Einzelnen. Die gesetzliche Rente trifft jeden, denn jedes Individuum wünscht sich einen auskömmlichen Lebensabend.
Verwerfungen der Umlagerente
Inwieweit kann das Umlageverfahren diesem Ziel entsprechen, das Jedermann für die Zukunft vorsorgen kann und das in einem dynamischeren sowie globalen sozio-ökonomischen Umfeld? Denn der Schein trügt, dass die Rente sicher sei. Aus meiner Sicht hat das System erhebliche Schwächen. Beim Umlageverfahren werden die Sozialversicherungsbeiträge in einem großen Topf gesammelt. Aus diesem Topf werden im kommenden Monat die Rentenbezieher bezahlt. Das System war intakt, als die Asymmetrie zwischen Beitragszahlern und Beitragsempfängern nicht so ausgeprägt war wie heute und das in Zukunft auch so sein wird. Kurzum: die Demographie ist ein wesentlicher Faktor, eine Herkulesaufgabe.
Folgenschwer ist der hohe Grand an Politisierung und die teilweise mit Neid geführten Debatten über die gesetzliche Rentenversicherung und damit über die Lebensarbeitsleistung vieler Menschen. Berufspolitiker sind dabei bedacht, an die vermeintliche Stabilität des Systems zu appellieren. Sowie an die lange Bismarck’sche Tradition der Rentenversicherung zu erinnern. Oder man hypnotisiert die Massen mit der Zauberformel der „sozialen Sicherheit“. Nebenbei natürlich betreibt man Symbolpolitik und erkennt Handlungsbedarf und doktert an Symptomen herum. Von Zeit zu Zeit werden dennoch an die ein oder andere Gruppe Rentenpakete geschnürt und man kann sich kurzzeitig feiern lassen, denn die Kosten werden erst in Zukunft sichtbar. Diese Kosten haben künftige Generationen zu tragen – selbstverständlich mit weniger Leistung. Das ist für Gabriel, Seehofer und Co. nicht von Bedeutung. Mit dem Damoklesschwert der staatlichen Rente müssen sich die jüngeren Generationen in Zukunft mit befassen.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein zentralistisches, paternalistisches und starres Gebilde, das auf Versprechen beruht und künftigen Generationen Bürgschaften auferlegt. Das System ist unflexibel und nicht zukunftsfest. Die digitale Transformation ist bereits im Gange und evolutioniert sowie revolutioniert das alltägliche Leben und die Arbeitswelt. Ein fragiles System ist da fehl am Platz in einer Welt im Wandel in immer kürzeren Abständen. Die digitale Transformation ist ein Umbruch, der sich auf die Altersvorsorge auswirkt neben weiteren Herausforderungen, die reformiert werden sollten. Damit jeder vorsorgen kann, muss sich was ändern. Ein geradliniges Berufsleben wird zum Auslaufmodell und schon seit längerem findet eine Individualisierung statt, die mit diesen Gegebenheiten vereinbar sein muss. Zeit für alternatives Modell das dem entsprechen kann.
Obligatorische kapitalgedeckte Altersvorsorge in Chile
Deshalb schauen wir nach Chile, scherzhaft nennt man die Chilenen auch die Preußen Südamerikas. Zu Anfang der 1980er Jahre wurde in Chile auf das Kapitaldeckungsverfahren umgestellt. Chile kennzeichnet ein drei-Säulen-Modell. Die erste Säule bildet die obligatorische kapitalgedeckte Altersvorsorge, die durch individuelles Sparen und Rücklagen aufgebaut und von Finanzinstituten verwaltet werden. Die zweite Säule ist die steuerbegünstigte freiwillige Ersparnis und die letzte Säule bildet eine durch Steuergelder finanzierte staatliche Mindestrente. Frauen können mit 60 Jahren in Rente und Männer mit 65 Jahren.
Dieses System basiert auf individuellen Sparkonten, die von ausgewählten Administradoras de Fondos de Pensiones (kurz: AFPs), verwaltet werden. Derzeit sind das folgende: AFP Capital, AFP Cuprum, AFP Habitat, AFP Modelo, AFP Planvital und AFP Provida. Die Risikostufe kann auch frei gewählt werden: von Fondo A mit viel Risiko oder Fondo E sehr konservativ. Jedenfalls zahlt jeder Arbeitnehmer in solch einen Fonds ein, verpflichtend mit einem Anteil von circa 10% seines monatlichen Einkommens. Darüber hinaus kann man zusätzlich jeden Monat bis zu 2.000 $ zusätzlich sparen, um den Kapitalstock zu erhöhen für einen früheren Ruhestand. Selbstständige können sich dieser Option anschließen oder nicht. Für Militärs gilt ein gesondertes System. Das Ministerium der Arbeit und sozialen Sicherheit fungiert in dem System als Regulierungs- und Aufsichtsorgan.
Laut Mauricio Soto ist die Abdeckung der Erwerbstätigen vor der Reform von 2008 bei 68% gewesen. Chile verfügt über einen relativen großen selbständigen und informellen Sektor. Die Selbstständigen haben sich nicht für diese Option der Altersvorsorge entschieden. Eine Herausforderung ist, durch verbesserte Rahmenbedingungen Menschen aus den informellen in reguläre Erwerbstätigkeit zu bringen. Trotzdem schneidet Chile im OECD Durschnitt solide ab. Olivia Mitchell Mitglied von 2014 bis 2015 der chilenischen Rentenreform Kommission, hat deutlich gemacht, dass es u.a. an finanzieller Allgemeinbildung mangelt. Zudem hat Kristian Niemietz vor einiger Zeit, zu Recht auf die Robustheit kapitalgedeckter Altersvorsorge hingewiesen, die zugleich Demographie- und krisenfest, sei.
Paradigmenwechsel wagen!
Lasst uns deshalb streiten für einen Paradigmenwechsel in der Altersvorsorge. Denn die Altersvorsorge ist viel zu wichtig als sie in die Hände von Politikern und Bürokraten zu geben. Insbesondere wir Jüngeren müssen einen Paradigmenwechsel einfordern. Verlassen wir uns jeder auf uns selbst, was mit dem eigenen Geld geschieht, damit jeder individuell durch Sparen seine Altersvorsorge bestreiten kann. Das heißt aber auch, dass alle Steuern, die das Sparen behindern, ersatzlos gestrichen werden müssen.
Aber da hat Salvatore Genovese die Rechnung ohne Papi Nahles gemacht. Die weiß, dass die Staatsrente einen Vorteil gegenüber der privaten Vorsorge hat: Sie ist nicht berührt von der Staatsschuldenkrise und der Null-Zins-Politik der neuen Hilfstruppe der Schuldenmacher, der EZB. Aha. Erst ruiniert man die private Altersvorsorge, dann erklärt man die staatliche Form für überlegen.
Aber vielleicht wäre Papi Nahles schlauer gewesen, der Maurer weiß schließlich, wo der Bartel die Kohle holt. Nämlich immer bei ihm. Aber das weiß Andrea noch nicht – oder verschweigt es.
Gastautor Salvatore Genovese mit Wurzeln im Mezzogiorno der Region Basilikata ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und – wie er sagt – über die Jahre erzliberal geworden.