Das Kopftuch ist keine Mode. Das Kopftuch ist ein Habit wie die Nonnentracht, eine Sonderkleidung und somit das Gegenteil von Mode. Irrtümer und Missverständnisse über Mode kommen aber ständig vor. Sie wird unter- und überschätzt, oft beides zugleich von denselben Leuten. Unterschätzt wird der Zusammenhang von Mode und Moderne. Auch islamische Sittenwächter kennen oder ahnen den Zusammenhang von Mode und Moderne. Deshalb lehnen sie Mode ab.
Zumutungen der Mode wie der Moderne
Mode ist die nicht anerkannte Schwester von Wissenschaft und Kunst. Wissenschaft möchte nicht wahrhaben, dass ihr dieselben Motive zu Grunde liegen wie der Mode, nämlich Neugier, Experimentierlust und das Bedürfnis aufzufallen. Viele Theorien, die einmal herrschten, sind ausgemustert wie Gamaschen und Krinolinen, und in manchen Fachbereichen halten sich neue Erkenntnisse so lange wie der Trend zu Shorts im Winter. Mode ist kurzlebig, aber was wäre dem Augenblick stärker verfallen als die empirische Forschung? Mit der Kunst wiederum teilt die Mode die Kreativität, den neuen Entwurf, nur hat er nicht dieselbe Geltung und Wertschätzung. Es bleibt der Makel der Gebrauchstüchtigkeit, selbst bei den Stücken mit dem Etikett „untragbar“.
Überschätzt wird die Bedeutung und Reichweite von Trends und die Bereitschaft, die in-und-out-Listen abzuarbeiten. Mode wird oft gerade von denen überbewertet, die behaupten, sie sei unwichtig. Sie wittern überall ein Diktat der Modemacher. Jede Neuerung ist ein Komplott. Das Individuum ist dabei das überforderte Opfer, das wie der Hase dem Igel hinterherhechelt und zum Schluss auf der Strecke bleiben muss. Die Zumutungen der Mode wie der Moderne sind anstrengend.
Mode ist ständige Erneuerung, Abwechslung und immer wieder Abweichung vom bereits Bekannten. Mode wäre es, wenn das Kopftuch heute getragen würde und morgen nicht, dafür aber wieder übermorgen. So meinen es aber dessen Verfechter nicht. Wer das Kopftuch trägt, hat sich im Prinzip dafür entschieden, dies immer zu tun, so wie die Nonne mit der ewigen Profess immer ihr Habit tragen will. Das Kopftuch symbolisiert eine Ordnung, die auf Dauer angelegt ist. Das Kopftuch ist normativ und verpflichtend und somit das Gegenteil der spielerischen, ephemeren Mode. Wenn Mode mit Vergänglichkeit konnotiert ist, so steht das Kopftuch auf der anderen Seite. Es ist für die Ewigkeit.
Das Kopftuch als Hochmut im Gewande der Demut
Wer sein ganzes Leben Gott weiht, ist im Christentum ein Sonderfall. Eine durchschnittliche Christin vergleicht ihre Glaubenspraxis nicht mit der einer Nonne und wird auch nicht deren Bekleidung nachahmen. Ihr Glaube auf Laienart genügt ihr. Eine Muslimin kann sich nicht so leicht abgrenzen. Im Islam steht jeder einzelne Mensch, ob Mann oder Frau, in direkter Verbindung mit Allah. Die Beziehung zu Allah ist die wichtigste überhaupt im Leben. Jeder und jede muss sich den Eintritt ins Paradies selbst erarbeiten durch Befolgung der in Koran und Tradition gesetzten Regeln. Anders als im Christentum wird sich kein Muslim durch Gebet und Fürbitte bei Gott für seinen Nächsten verwenden. Eine Muslimin, die das Kopftuch als so wichtig für ihr Seelenheil betrachtet, dass sie mehrere Jahre lang vor Gericht darum kämpft und berufliche Nachteile in Kauf nimmt, übt durch ihr Vorbild Einfluss aus. Jede Einzelne wird sich fragen müssen, ob sie selbst eine wahrhaft Gläubige ist, wenn sie sich nicht so kleidet. Allein die äußere Erscheinung, die höchsten religiösen Gehorsam einer ganz normalen Frau demonstriert, übt Druck aus. Diesen Druck einer fremden Frömmigkeit verspüren aber auch Nichtmuslime. Wem das Kopftuch Unbehagen verursacht, spürt vielleicht in der äußerlich zur Schau getragenen Demut einen verborgenen Hochmut, der sich aus der Gewissheit speist, an der Allmacht Gottes teilzuhaben. Das Kopftuch ist ein limitisches Zeichen (Jan Assmann), ein Signal der Abgrenzung und Exklusivität der eigenen Gruppe.
Die islamische Tracht ist als Ausdruck der Bescheidenheit gedacht. Frauen sollen sich ihrer geringeren Bedeutung bewusst sein. Wer das Kopftuch trägt, trägt seine Bescheidenheit zu Markte. Die Frau versichert ihrer eigenen Gruppe ihre Konformität und Loyalität, ihr Einverständnis mit ihrer Minderwertigkeit; gegenüber den anderen aber signalisiert sie Überlegenheit, denn auch eine in der Gruppe der Gläubigen untergeordnete Position erhebt sie noch weit über die Ungläubigen.
Die Verschleierung ist Teil der Körpersprache. Sie signalisiert Unterwürfigkeit gegenüber der eigenen Gruppe und Anderssein, Unnahbarkeit und Stolz gegenüber der fremden. Sie ist Symbol der Arroganz des Islams. V.S. Naipaul formuliert es härter: „The veil is more than the veil; it is a mask of aggression.“ (Among the Believers, S. 266)
Islamische Kleidung ist Schutz, sie schafft ein tragbares Haus. Wenn eine Frau den ihr eigentlich zugewiesenen Ort, das Haus, verlässt, soll die Kleidung es ihr ersetzen. Im Ganzkörperschleier wird die Frau ohne Licht und Luft eingeschlossen, er bildet das Pendant zum Haus als Gefängnis. Der Schleier zerstört die natürliche Würde der Frau und stellt eine künstliche, von gesellschaftlichen und religiösen Zwängen geschaffene, her. Die Würde der verschleierten Frau ist ein Fake, ein armseliges Surrogat für die verlorene ursprüngliche.
Für freie Frauen und zivilisierte Männer ist der Schleier eine Beleidigung
Burqa und Niqab entäußern Frauen ihrer Identität und überführen sie in die Gesichts- und Körperlosigkeit. Ihre Person wechselt von der Kategorie Mensch zur Kategorie Untote. Burqa und Niqab bedeuten Nicht-Anwesenheit, Nicht-Kommunikation, Nicht-Sein. Sie sind Missbrauch der den muslimischen Männern eingeräumten Machtausübung über Frauen. Der Schleier entehrt die Frau. Er nimmt ihr die Menschenwürde. Er unterstellt sexuelle Gefährlichkeit, die unschädlich gemacht werden muss. Die Frau soll sich dafür schämen, eine Frau zu sein, deshalb muss sie im Beisein eines Mannes die Augen senken, sie darf ihm nicht die Hand geben, nicht laut sprechen, und sie muss sich bedeckt halten. Frauen, die den Niqab akzeptieren, akzeptieren ihre Rolle als Werkzeug des Teufels. Für freie Frauen und zivilisierte Männer ist der Schleier eine Beleidigung.
Aber auch das „Kopftuch“ ist eigentlich eine Form der Ganzkörperbekleidung. Wer Haare, Ohren, Hals und Nacken verhüllt, bedeckt in der Regel auch Arme und Beine und lässt die Körperkonturen unter geraden Schnitten verschwinden, so dass eine Säulen- oder Tonnenform entsteht. Sichtbar sind dann nur noch Gesicht, Hände und Füße.
Wer ein Kopftuch zu einem knappen kurzärmeligen Top und einer hautengen Jeans trägt, fällt auf. Ich beobachtete, wie ein junger Mann sich fast den Hals verrenkte, um die junge Frau anzustarren, was seiner Begleiterin, die ebenfalls das Kopftuch, aber dazu einen langen Mantel trug, nicht gefiel. Hier spielte jemand mit den Komponenten westlicher und islamischer Kleidung und zog damit Blicke auf sich. Soviel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen, ist unerwünscht und für Frauen verboten. Mit dem Kopftuch spielt man nicht, so wie man mit dem Islam nicht spielt.
Mode jedoch ist Spiel und Neuerung. Islamische Kleidung als Ausdruck der Religiosität dagegen beansprucht überzeitliche Gültigkeit und ist nicht dazu gedacht, ein spontanes Lebensgefühl auszudrücken, das man irgendwann hinter sich lässt oder das sich von selbst auflöst. Neuerungen sind unerwünscht, weil sie Unordnung, fitna, das oberste Schreckgespenst einer islamischen Verfassung, verursachen können, wie schon das Beispiel des jungen Mannes zeigt, der zwischen Empörung und Begierde hin- und hergerissen war.
Mode ist Körpergestaltung – also verboten
Für fromme Muslime – und darin sind sie sich mit vielen westlichen Modeverächtern einig – ist Mode zudem unnütz. Unnütze Dinge sind im Islam verpönt. Aber weil das Schönseinwollen als Frauensache betrachtet wird und Frauen von Natur aus schwach sind, ist man hier milde gestimmt. So wie die Puppe für das kleine Mädchen eine Ausnahme vom Verbot des Statuenmachens ist, so gesteht man Frauen eine größere Auswahl an Materialien zu, zum Beispiel Seide, die für Männer verboten ist. Variationen von Farben und Materialien beim Kopftuch sind aber nur Variationen einer dauerhaften Form und Funktion. Varianten begründen keine Mode. Auch bei Priestergewändern gibt es immer wieder neue Muster und Dekore. Mode will und kann viel mehr. Sie erfindet den Körper und ist damit dem Bildhauer vergleichbar. Sie formt den Menschen immer wieder neu. Aus einem flachen Stück Stoff wird ein räumliches Gebilde. Mode ist Arbeit am dreidimensionalen Körper, und damit geht sie zu weit, denn den Menschen zu gestalten, ist im Islam allein Allah vorbehalten.
Als Funktion von Bekleidung gilt im Islam die Bedeckung, die schamhafte Verhüllung. Mode hat dagegen die Funktion, zu bedecken, schon längst hinter sich gelassen. Dies ist nur noch ein Nebeneffekt. Mode ist längst Selbstzweck wie Kunst, Musik und Sport, und wohl nicht zufällig tut sich auch mit diesem Dreigespann die islamische Tradition schwer. Im Islam kann nichts Selbstzweck sein. Alles geschieht zur Ehre Allahs. Das Kopftuch ist eine Übung in Gehorsam und Disziplin. Der festgezurrte Kopf erzieht zur Demut. So wie sich bald als Wurm fühlt, wer sich fünfmal am Tag zu Boden wirft. Die damit einhergehende Kränkung wird zur Auszeichnung umgedeutet.
Im Englischen gibt es die Redewendung: Wir können jetzt unsere Haare herunterlassen, was bedeutet: Wir können jetzt sagen, was wir wirklich meinen. Offene Haare und offene Sprache gehören zusammen. Gelöstes Haar ist Vorbedingung für Freiheit. Das Kopftuch steht für Zurückhaltung der eigenen Person. Die muslimische, nicht die persönliche Identität wird unübersehbar vor Augen geführt.
Was der Rechtsstaat braucht: negative Kopftuchfreiheit
Das „Recht“, ein Kopftuch zu tragen, hat eine Frau nur aus der Sicht des liberalen Rechtsstaates. Diese Sicht ist für islamische Agitatoren aber völlig unerheblich. Für sie gilt nur die muslimische Sichtweise der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, und aus dieser Perspektive ist es die Pflicht der Frau, ein Kopftuch zu tragen. Sie benutzen liberale Prinzipien, um ihre Pläne durchzusetzen. Der liberale Rechtsstaat sollte islamische Wortführer einmal mit dem Recht der Frau konfrontieren, kein Kopftuch zu tragen, (sozusagen negative Kopftuchfreiheit). Die Grenzen der vermeintlichen islamischen Liberalität wären vermutlich schnell erreicht. Muslimische Agitatoren wechseln kurz die Seite, um ihr Anliegen in westlicher Sprachverbrämung vorzubringen. In Wirklichkeit verfolgen sie das Ziel ihrer Seite: Frauen das Kopftuch aufzunötigen.
Das Kopftuch nur ästhetisch wahrzunehmen, ist für westliche Gesellschaften entlastend. Formal ist dann alles geklärt. Mit dem Gemeinplatz „Geschmackssache“ vermeidet man eine genaue Betrachtung und entzieht sich der Zumutung, ein begründetes Urteil abgeben zu müssen.
Fast wie zum Beweis der Richtigkeit dieser Einstellung gehen viele Musliminnen jetzt auch zu anderen Kopfbedeckungen über. So zum Beispiel Mona, Lehrerin aus Kairo, die zu einem Sommerkurs nach Deutschland kam. Sie hatte sich überlegt, dass das Kopftuch sie in ihrer Arbeitsgruppe isolieren würde. Also verbarg sie das festgesteckte Haar unter einer pfiffigen Ballonkappe, mit der sie aussah wie Barbra Streisand in „Yentl“, und wickelte sich einen Baumwollschal um den Hals. Diese beiden Kleidungsstücke legte sie niemals ab, solange ein Mann anwesend war. Andere Frauen und auch Männer in der Gruppe setzten nun ebenfalls Kappen auf und trugen einen Schal, und alle scherzten: Guckt mal, Mona macht Mode! Mona lachte glücklich: Ja, ich bin ein Trendsetter. Aber es war tatsächlich nur ein Scherz. Ein Missverständnis, wie Mona wusste. Sie war froh und erleichtert, dass Kappe und Schal als Modegag akzeptiert wurden, denn darauf hatte sie gehofft.
Vielleicht taten die Anderen aber auch nur so, als seien Monas Kappe und Schal modische Accessoires, obwohl sie in Wirklichkeit wussten, dass sie ein Ersatz für das Kopftuch waren. Vielleicht war es in dieser internationalen Akademikergruppe eine Frage der Diplomatie, den Schein für die Wirklichkeit zu halten – und dies subtil zu persiflieren. Als Begründung für die Art, sich zu kleiden, ist Mode, so ernst man sie auch nehmen mag, immer noch unverbindlicher und unverfänglicher als Religion.
Wenn Mona doch das Kopftuch getragen hätte, hätten die Anderen es ihr dann auch gleichgetan? Als überaus flüssige, verschlingende Kraft, die grundsätzlich in der Lage ist, sich aller Bekleidungstraditionen dieser Welt zu bemächtigen, könnte sich die Mode auch des Kopftuchs annehmen. Es wäre dann ein Angebot an alle und könnte überall getragen werden, z.B. im Club. Nichtmusliminnen würden es umbinden, weil es ein angesagtes Teil wäre und sie Spaß daran fänden, zumindest eine Zeitlang. Es könnte ein „must have“ werden, an der Kreativität der Designer sollte es nicht scheitern. Dann würde sich herausstellen, ob das Kopftuch Mode sein kann.
Meine Voraussage lautet: Nein. Muslime würden sich empören. Schon einmal hat arabische Schrift auf einem Kleid einen Skandal ausgelöst. Aber das ist eben Mode pur: Sie bedient sich ungehemmt im Fundus des Schönen – und wer will die Schönheit der arabischen Schrift leugnen? Mode überführt sie ins Dekorum für eine Saison. Für Muslime jedoch hat die arabische Schrift, auch und besonders die Kalligraphie, sakrale Bedeutung. Das Objekt, das sie schmückt, gewinnt dadurch ebenfalls eine sakrale Qualität. Ein Frauenkleid aber kann niemals sakral sein. Arabische Schriftzeichen auf einem westlichen Modeartikel erhöhen nicht das Beschriebene, sondern das Objekt erniedrigt die Schrift.
Genauso würden Muslime im Fall des Designerkopftuchs für Nichtmusliminnen die Modeindustrie der Herabwürdigung eines religiösen Symbols bezichtigen. Das würden auch dieselben tun, die jetzt meinen, man sollte die Kopftuchfrage doch nicht so hochspielen, es sei doch eine Modesache. Sie lenken ab. Viele merken es nicht, und viele wiederum sind so höflich, sich ablenken zu lassen.
Versetzen wir uns in die Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Farah Diba, die Ehefrau des Schahs von Persien, war eine Mode-Ikone des Westens. Ihre Bienenkorbfrisur kopierten Millionen von Frauen. Gerade diese Frisur hat der Prophet Muhammad ausdrücklich verdammt. In der Überlieferung heißt es: „Frauen … deren Haare wie die geneigten Kamelhöcker frisiert sind. Diese werden den Paradiesgarten nicht betreten, und nicht einmal sein Duft wird sie erreichen, obwohl er sehr weit reicht.“ Scheich Al-Qaradawi, eine wichtige Instanz für islamische Lebensführung heute, schreibt: „Die Frisur verglich der Prophet mit dem Höcker einer besonderen Kamelart (bakht), die sehr große Höcker hat, weil die Frauen ihr Haar in Bienenkorbform von der Kopfmitte nach oben frisierten.“ (Erlaubtes und Verbotenes im Islam, München 1989, S. 80) Der Westen hat also damals für Mode genommen, was in Wirklichkeit ein Zeichen des Widerstands gegen Bevormundung war. Heute nimmt er wieder für Mode, was in Wirklichkeit ein Zeichen der Unterwerfung und des Einverständnisses damit ist.
Gastautorin Barbara Köster hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert.