Der frühere Bundespräsident Horst Köhler sprach auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr am 10. Oktober 2005 vom freundlichen Desinteresse, mit dem die Öffentlichkeit unserer Bundeswehr begegnet. Ich halte das für untertrieben und werfe der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit Gleichgültigkeit gegenüber unserer Bundeswehr vor.
Im Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es lapidar: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Doch wir geben jährlich über 36 Milliarden Euro dafür aus. Da sollte sich doch jemand dafür interessieren, was mit diesen Ausgaben gelingt. Am 13. September schrieb James Kirchick auf faz.net unter dem Titel „Schluss mit dem Durchmerkeln!“, dass in jedem anderen Land vergleichbarer Größe und globaler Bedeutung der miserable Zustand der Streitkräfte ein riesiger Skandal wäre. Dass das Thema dennoch im Wahlkampf keine Rolle spielte, liegt einfach daran, dass sich niemand dafür interessiert.
Deshalb muss eine neue Bundesregierung und nicht nur ein neuer Verteidigungsminister endlich in einer konzertierten Aktion dafür sorgen, dass die primäre Aufgabe unserer Bundeswehr in der Öffentlichkeit verstanden und ihr die Wertschätzung entgegengebracht wird, die unsere Soldaten und Soldatinnen erwarten können, wenn man von ihnen umgekehrt sogar den Einsatz ihres Lebens verlangt.
Und was den verfassungsrechtlichen Auftrag der Bundeswehr anbelangt, so ist keine deutsche Brigade einsatzbereit. Als der Spiegel 1962 titelte „Bundeswehr: bedingt abwehrbereit“, löste das einen der größten Nachkriegsskandale aus. Heute bleibt die Politik und auch die militärische Führung bei gleicher Aussage in ihrer Führungslethargie verhaftet. Das ist kein Desinteresse mehr, sondern bestenfalls noch Agonie.
Neben einer Reputationsoffensive, einem Gewinnen der Öffentlichkeit für die Belange der Verteidigung muss in jedem Jahr der nächsten Legislaturperiode eine Brigade in den Zustand der Operationsfähigkeit gebracht werden. Das wären in vier Jahren vier Brigaden, die ihre verfassungsrechtliche Aufgabe erfüllen könnten. Wir erinnern uns: Während der 80erJahre waren es 36 Brigaden. Hinzu kommen vergleichbare Anstrengungen bei der Luftwaffe und der Marine.
Ein Erstarken der Bundeswehr würde uns in die Lage versetzen, zum militärischen Stabilitätsanker in Europa zu werden, den man bei unserer Wirtschaftskraft auch erwarten kann. Nur eine starke Bundeswehr wird die US-Amerikaner auch emotional an Europa binden und die Franzosen, die sich vor dem kompletten Umbau ihrer Volkswirtschaft befinden, motivieren, ihren Beitrag trotz schwerer werdender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in bisherigem Umfang zu leisten.
Ohne eine starke Bundeswehr werden keine militärischen Aufgaben durch die EU übernommen werden und auch kein qualifizierten Beitrag zum Schutz der baltischen Staaten leisten können, was wir aber einfach müssen. Gleichzeitig bedeutet eine starke Bundeswehr größere Chancen zur Befriedung des Konflikts mit Russland. Der russische Präsident Putin muss einsehen, dass seine militärischen Muskelspiele nur Geld kosten, sein Land aber nicht weiterbringen.
Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick 11/2017 erschienen.
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