Wie es das Leben so spielt: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen (80), der mit allen Mitteln eine Bundesregierung unter Wahlgewinner Herbert Kickl (56) als Kanzler verhindern wollte, musste heute den FPÖ-Chef in der Hofburg in Wien empfangen – und mit ihm zumindest höflich korrekt über dessen Pläne zu Regierungsbildung sprechen und schließlich mit der Regierungsbildung beauftragen. Eine dramatische Niederlage der Errichter der sogenannten Brandmauer. Mit Van der Bellen muss ausgerechnet der Baumeister der Brandmauer diese zerstören.
Alles war doch so perfekt geplant: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen schloss kurz nach den Nationalratswahlen im September FPÖ-Chef Herbert Kickl von einer Regierungsbildung aus, die beiden Wahlverlierer, die konservative ÖVP und die marxistisch geführte SPÖ, sollten statt dem Rechtsaußen-Politiker eine Koalitionsregierung bilden und die liberalen Neos zur Machtabsicherung mit ins Boot nehmen. Damit wäre die „Brandmauer gegen Rechts“ noch einmal gelungen.
Doch es kam anders: Aufgrund totaler Unfähigkeit Kompromisse einzugehen, flogen bei den Koalitionsverhandlungen bald die Fetzen, nach 98 Tagen sprangen zuerst die Neos ab, dann wollte auch die ÖVP nicht mehr mit dem in den Verhandlungsrunden cholerisch herumschreienden SPÖ-Chef über eine gemeinsame Regierung sprechen. Van der Bellens Brandmauer war damit zerbröselt – nur noch mit der FPÖ lässt sich nun in der Alpenrepublik eine Regierung zu bilden.
Am Montag dann die große Stunde des in Kärnten geborenen Rechtspolitikers Herbert Kickl: Der Bundespräsident hatte ihn in die Hofburg eingeladen, damit Kickl nun eine Regierungsbildung liefert, an der der eben zurückgetretene ÖVP-Chef Karl Nehammer und auch der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler scheiterten.
Über die Stimmungslage während des Gesprächs zwischen Van der Bellen und Herbert Kickl ist noch wenig bekannt. Immerhin hatte Kickl Van der Bellen erst vor wenigen Monaten als „Mumie in der Hofburg“ betitelt. Und nicht nur das: Der Bundespräsident hatte den damaligen Innenminister Kickl 2019 im Zuge der künstlich aufgebauschten Ibiza-Affäre ohne offizielle Begründung entlassen, das ist in Österreich eines der Zuchtmittel des Präsidenten gegen unliebsame Parteien. Beste Freunde werden die beiden also wohl nicht mehr. „Ich habe mir die Entscheidung nicht leichtgemacht“, sagte van der Bellen nach der Beauftragung des ungeliebten Kickl. Nachtreten sollte nicht erlaubt sein in diesem Amt, aber van der Bellen ist ohnehin gedemütigt genug.
Dennoch soll „professionell“ miteinander kommuniziert worden sein, das war bereits zu hören. In wenigen Stunden dürfte Herbert Kickl als möglicher Bundeskanzler mit der ÖVP Verhandlungen beginnen.
In Wien wird angenommen, dass diese Koalitions-Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP dann sehr rasch – also in zwei bis drei Wochen – zu einer neuen Bundesregierung führen werden.
Die FPÖ müsste allerdings zwei Bedingungen der ÖVP akzeptieren: Sie will weiterhin das mächtige Innenministerium, um einerseits brisante Ermittlungstätigkeiten kontrollieren zu können und andererseits, um neuerliche Umfärbungen in der Polizeispitze zu verhindern.
Außerdem wird den Konservativen sehr wichtig sein, das Justizministerium zu bekommen: Immerhin droht ihrem prominentesten Parteimitglied Sebastian Kurz (38) eine Anklage in einem komplexen Korruptionsfall, bei dem es um Schaltungen von Regierungsinseraten in drei österreichischen Mainstream-Medien und mögliche Gegenleistungen geht. Bei einer Verurteilung droht eine jahrelange Haftstrafe, für Ex-Kanzler Kurz gilt die Unschuldsvermutung. Und die ÖVP will dafür sorgen, dass es dabei bleibt. Wozu hält man sich einen Justizminister?
Richard Schmitt, Journalist, Wien