Es rauscht ganz gewaltig im Blätterwald. Von einer neuen „SPIEGEL-Affäre“ ist die Rede.Die Bundesstaatsanwalt hat es gewagt, gegen ein Publikationsorgan, welches als geheim eingestufte Dokumente des Bundesverfassungsschutzes veröffentlicht hatte, Ermittlungen wegen Landesverrats einzuleiten. Tomas Spahn vertritt in seinem Gastbeitrag eine andere These: Auch für Journalisten und Netzgemeinde gelten die allgemeinen Gesetze – und blamiert haben sich der Bundesjustizminister und der Generalbundesanwalt.
Zugegeben – der Begriff Landesverrat will uns in einem Zeitalter, in dem alles und jedes mit wenig Gegoogel im Netz zu finden ist, anachronistisch vorkommen. Gleichwohl: Noch steht im Strafgesetzbuch der Paragraph 94, welcher festschreibt, dass derjenige, der „ein Staatsgeheimnis … öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen“, mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird. Solange das so ist, liegt es in der unvermeidlichen Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft, bei „Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte … wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten“. So formuliert es die Bundesanwaltschaft selbst auf ihrer Website – und sie beschreibt damit völlig korrekt eine geltende Rechtssituation.
Verfolgungszwang bei Vorliegen einer Straftat
Die Bundesanwaltschaft kann dabei nicht nach eigenem Gutdünken vorgehen. Gemäß § 160 Strafprozeßordnung unterliegt sie dann einem „Verfolgungszwang“, sobald sie „vom Verdacht einer Straftat Kenntnis erlangt“. Selbstverständlich ist sie dabei auch verpflichtet, jede Straftat ohne Ansehen der Person zu verfolgen. Einen Bonus beispielsweise für Amtsträger oder auch für Journalisten kann und darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.
So weit, so eindeutig und eigentlich nicht diskutierbar. Und so nahm die Bundesanwaltschaft im Juli 2015 Ermittlungen gegen ein Publikationsorgan mit dem Namen „netzpolitik.org“ auf, nachdem dieses eben jene internen Unterlagen des bundesdeutschen Verfassungsschutzes publiziert und der Leiter des betroffenen Verfassungsschutzamtes Anzeige wegen Landesverrats gestellt hatte.
Was nun jedoch geschah, kann mit Fug und Recht als gezielte Demontage des Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland bezeichnet werden – und der für die Bundesstaatsanwaltschaft zuständige Bundesjustizminister stellte sich an die Spitze der Demontierer.
Die Medien – das sei ihnen aus ihrer beruflichen Interessenlage an geheimen Dokumenten unbenommen – schalteten sich angesichts dieser „Unverfrorenheit“ der Anwaltschaft faktisch gleich, riefen laut „Skandal“, während insbesondere Politiker der extremen Linken, deren geistige Ziehväter in der DDR ein gesamtes Volk unter den Generalverdacht des Landesverrats gestellt hatten, schon die Abberufung des Generalbundesanwalts forderten. Auch dieses sei den Systemüberwindern von der PdL gegönnt – als Opposition sind sie weder an juristisch korrekte Betrachtungen noch an Fairness oder Anstand gebunden.
Belehrung durch den Justizminister
Dann allerdings kam – kaum dass der mediale-linkspolitische Aufschrei das Sommerloch füllte – der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) aus dem Busch und belehrte den ihm unterstellten Generalbundesanwalt, dass er „Zweifel an dem Vorwurf des Landesverrats“ habe. Das mag so sein. Und einem Landespolitiker Heiko Maas, der irgendwo im Saarland auf den wenig bedeutenden Bänken des Landtages gesessen hätte, wäre es unbenommen gewesen, diese seine Auffassung zu äußern. Das aber ist Heiko Maas nicht mehr. Heiko Maas ist seit nunmehr zwei Jahren Bundesminister der Justiz. Als solcher kann er dienstrechtliche Weisungen an die ihm unterstellten Dienststellen geben und hat daraus erwachsende Konsequenzen zu tragen.
Nun ist die Äußerung einer „persönlichen Auffassung“ noch keine dienstliche Weisung. Aber eines ist sie auf jeden Fall dann, wenn der Äußernde eben nicht ein unbedeutender Landtagsabgeordneter ist, sondern Bundesjustizminister: Eine unmittelbare Einflussnahme in die unabhängige Ermittlungstätigkeit eines Justizvollzugsorgans. Dieses reagierte dann auch wunschgemäß umgehend und ließ durch ihren Generalbundesanwalt Harald Range erklären, die Ermittlungen vorerst ruhen und ein Gutachten zu dem Vorgang abwarten zu wollen – denn der Bundesanwalt verstand als guter Beamter die Einlassungen seines Dienstherren als genau das, als was sie gemeint waren: Eine Dienstanweisung.
Beides, sowohl die unverhohlene Einflussnahme des Bundesministers wie die Erklärung, die Ermittlungen vorerst ruhen zu lassen, sind ein rechtstaatliches No-Go. Das gilt auch dann, wenn noch so viele Medien und noch so viele Journalistenvertretungen ein umgehendes Ende der Ermittlungen fordern – denn sie fordern damit nichts anderes, als dass die Bundesanwaltschaft das Recht beugen solle.
Ein rechtspolitisches „No-Go“
Die Situation ist eigentlich völlig klar und bedürfte keinerlei Debatte. Denn ursächlich für die Ermittlungen ist nicht die Bundesanwaltschaft selbst, sondern der Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Er gab mit einer entsprechenden Anzeige den Anstoß der Ermittlungen. Völlig zu Recht muss eine Bundesanwaltschaft davon ausgehen, dass eine Anzeige einer derart bedeutenden Dienststelle der Bundesrepublik, wie es das Bundesamt für Verfassungsschutz ist, als Verdacht einer Straftat zu werten ist. Dabei – notabene – ist ein Verdacht keine Verurteilung. Er ist noch nicht einmal eine Anklage. Selbst durch den Anzeigenden nicht, denn jener ist weder Staatsanwalt noch Richter und hätte sich im Zweifel eines schweren Dienstvergehens schuldig gemacht, wenn er bei einem aus seiner Sicht begründeten Verdacht des Landesverrats keine Anzeige bei der zuständigen Bundesstaatsanwaltschaft gestellt hätte. Ebenso hätte sich die Bundesanwaltschaft uneingeschränkt rechtswidrig verhalten, wenn sie der Anzeige des Bundesverfassungsschutzes nicht nachgegangen wäre. Die Einleitung von Ermittlungen ist in dieser Situation unausweichlich – und jedes andere Vorgehen wäre nach Stand der Dinge als schwerstes Dienstvergehen zu verstehen gewesen.
Nur einmal am Rande gedacht: Was wäre wohl geschehen, wenn der Veröffentlicher nicht ein den Medien genehmes Medium, sondern der rechtsextremen Szene zuzuordnen gewesen wäre? Und wenn der Bundesanwalt auf eine darauf basierende Anzeige des Verfassungsschutzes – wie jetzt kollektiv gefordert – einfach nicht reagiert hätte? Die „Skandal-Skandal“-Rufe wären ohne jeden Zweifel nicht weniger laut gewesen als in der aktuellen Situation – und ohne jeden Zweifel hätten nicht nur Linksparteichef Riexinger, sondern auch der Bundesjustizminister sofortige persönliche Konsequenzen für den Bundesanwalt gefordert.
Dabei gilt – um dieses noch einmal unmissverständlich zu wiederholen: Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist weder eine Anklage noch eine Verurteilung. Sie dient keinem anderen Zweck als einen zur Anzeige gebrachten Vorgang, der angesichts der Person des Anzeigenden als schwerwiegend genug für die Weiterverfolgung zu werten ist, juristisch aufzuklären und am Ende der Ermittlungen zu einer Entscheidung darüber zu gelangen, ob der Vorgang tatsächlich als strafrechtlich relevant anzusehen ist. Dem Bundesanwalt waren insofern die Hände gebunden – und gut vorstellbar, dass er bereits zum Abschluss der Vorermittlungen zu dem Ergebnis gekommen wäre, die Anzeige des Verfassungsschützers als unbegründet zu beurteilen und die Ermittlungen einzustellen.
Auch Medien stehen nicht über dem Recht
Wer angesichts dieser Situation von einem Angriff auf die Pressefreiheit spricht, der sollte sich bewusst machen, dass auch in der Bundesrepublik Deutschland die Medien nicht über dem Recht stehen. Wenn es einen begründeten Verdacht auf eine von Medienvertretern begangene Straftat gibt, dann ist diesem ohne jedes Wenn und Aber nachzugehen. Wenn der Chef des Bundesverfassungsschutzes eine Anzeige erstattet, so ist ein Anfangsverdacht unvermeidlich. Und insofern war das Verhalten des Generalbundesanwalts in jeder Hinsicht rechtstaatlich korrekt – bis eben zu jener durch seinen Dienstherren veranlassten Mitteilung, die Ermittlungen vorerst ruhen lassen zu wollen. Als Bundesanwalt ist er verpflichtet, bei einem ernsthaften Verdacht die Ermittlungen mit Hochdruck zu Ende zu führen. Und wenn er sich einem veröffentlichten Druck oder einer „Beurteilung“ seines Dienstherren beugt, dann stellt er damit unter Beweis, dass er für sein Amt ungeeignet ist. Deswegen sollte der Bundesjustiminister ihn umgehend in den Vorruhestand schicken und sich nach jemandem umsehen, der seiner Verpflichtung zur Unabhängigkeit gegenüber jedweder Einflussnahme gerecht wird .
Jedoch – noch problematischer stellt sich die Situation für den Dienstherren des als politischer Beamter tätigen Bundesanwalts dar. Der Bundesjustizminister hat als neutrale Aufsichtsbehörde nicht das minimalste Recht, sich in die Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft einzumischen. Denn jede noch so kleine Einmischung – und sei sie noch so sehr als persönliche Meinung getarnt – ist eine politische Einflussnahme auf die Tätigkeit der Bundesanwaltschaft. Hier jedoch handelt es sich um weit mehr. Wie der Bundesjustizminister selbst wissen ließ, habe er dem Bundesanwalt „seine Zweifel mitgeteilt“. Damit liegt faktisch zumindest eine vorsätzliche Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft vor – selbst dann, wenn diese „Mitteilung“ juristisch nicht als Dienstanweisung zu werten sein sollte und nur vom Empfänger als solche verstanden werden musste.
Warum mischt sich der Justizminister ein?
Der Bundesjustizminister hat damit seine Kompetenzen in einem rechtstaatlich unerträglichen Maße überschritten. Denn letztlich ist sein Vorgehen gegenüber der Unabhängigkeit der Justiz auf der gleichen Stufe zu sehen wie die Weisungsbindung der Staatsanwaltschaften in Ländern wie der Türkei oder Russland, in denen die politische Führung den Weg der Anklage weist. Wer als Jurist und Justizminister außerstande ist, die zwangsläufige Neutralität seines Amtes gegenüber den Ermttlungsbehörden der drtten Gewalt nicht zu gewährleisten, der ist für dieses Amt nicht nur ungeeignet – er ist eine Gefahr für dasselbe. Und deshalb muss Maas umgehend und noch vor seinem ebenfalls untragbar gewordenen Bundesanwalt den Hut nehmen – oder von der Kanzlerin entlassen werden. Geschieht dieses nicht, so nimmt der Rechtsstaat Bundesrepublik einen Schaden, der nicht zu reparieren ist. Denn dann haben wir die Unabhängigkeit der Ermittlungsorgane zugunsten einer politischen Justiz verraten. Egal, ob dieses von dem Medien mehrheitlich bejubelt oder beklagt wird.
Tomas Spahn (*1954) ist Politikwissenschaftler und Historiker.
Spahn arbeitete unter anderem als politischer Redakteur für die „Hamburger Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“, „Berliner Kurier“ und als Kommuikationsberater für private und öffentliche Unternehmen. Seit rund 10 Jahren konzentriert er sich auf politologische und historische Analysen. 1989 gründete er die Forschungsgemeinschaft „Ethik und Politik“ als Zusammenschluss wissenschaftlich und öffentlich tätiger Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, nonkonformistische Analysen ebenso zu publizieren wie jungen, wissenschaftlichen Talenten ein Forum zur Publikation zu geben.