Viele fragen sich kurz vor der Bundestagswahl, warum die Grünen nicht in der Lage sind, die Steilvorlagen, die ihnen Flüchtlingskrise, Klimaexzesse, Dieselskandal und soziale Ungerechtigkeit bieten, in Tore und Erfolge ummünzen können. Warum sie bei sechs bis acht Prozent dümpeln, während AfD und FDP immer höher klettern. Grüne leben im Dilemma, dass sie mehr Kompetenz nachweisen müssen, als andere Parteien. Dies trifft sie wie die Linke – und daher brauchen sie – mehr als rechte Parteien auch ein gerütteltes Maß an Angriffslust und emotionaler Nähe zum Thema. Jutta Ditfurth, Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Renate Künast und Claudia Roth, zuletzt Hans-Christian Ströbele standen für diese Haltung. An beiden „Tugenden“ – Fachkompetenz und Angriffslust – fehlt es ihrem Spitzenduo.
Wer zur Innenpolitik und den Bürgerrechten Stellung nimmt, sollte schon ein Mindestmaß an Kenntnis verfassungspolitischer Grundsätze verinnerlicht haben. Gegen die Vorratsdatenspeicherung kann man nicht aus dem Bauch heraus argumentieren, ohne verfassungspolitische Prinzipien zu kennen und sie erklären zu können. Dies musste die Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt (KGE) vergangene Woche bei Maybrit Illner mit und gegen Thomas Oppermann und Thomas de Maizière schmerzhaft erfahren – deren technokratischer Rhetorik hatte sie praktisch nichts entgegenzusetzen, weil sie das Wesen der Rechtstaatlichkeit und die Prinzipien des Grundgesetzes nicht verinnerlicht hat. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Unschuldsvermutung, Verhältnismäßigkeit – alles Begriffe der verfassungspolitischen Auseinandersetzung – , beherrscht KGE nicht oder es sind für sie nur gebriefte, mal gehörte Formeln, kein rechtspolitisches Herzblut. Das merken die linksliberalen Zuschauer, ein wichtiges Wählerklientel der Grünen. Sehr ungünstig, um zu punkten. Warum schickte sie dann nicht Von Notz oder Künast in diese Debatte?
Auch das Schlußstatement der grünen Frontfrau, dass Bürgerrechte und eine starke Polizei zusammen gehörten, blieb schal und inhaltslos, weil es von FDP, SPD oder CDU hätte stammen können. Diese müsste technisch mindestens so gut ausgestattet werden, wie die Banden, die sie bekämpfen müsste. Nicht gerade falsch, aber für eine Bürgerrechtspartei ungefähr so erfolgreich, wie der Versuch, mit einem Tretauto einen Formel 1 Grand Prix gewinnen zu wollen. Ein Grün-liberales Gegenmodell zum autoritären Polizei- und Obrigkeitsstaat vermittelt frau so wohl nicht – eher peinliche Inkompetenz. Erfolg sieht anders aus. Grün-intern gibt es nicht nur durchdachte Sicherheitskonzepte: Zudem wird auf Fachebene häufig darüber diskutiert, dass die Partei, sollte sie in die nächsten Regierungen kommen, endlich einmal ein Schlüsselressort wie das Innenministerium beanspruchen werden müsse. Denn schließlich wird seit Gerhart Baums Abgang 1982 das Bundesinnenministerium nur von CDU und CSU-Obrigkeitsstaatlern okkupiert. Dann müssten die Grünen aber auch personell diesen Anspruch ausfüllen können. Renate Künast und Hans-Christian Ströbele könnten das. Von Notz vielleicht auch. Nach KGE`s Auftritt bei Illner weiß die Republik, dass sie es nicht kann.
Aber es ist nicht nur die fehlende inhaltliche Kompetenz, die vor allem Göring-Eckardt abgeht. Es ist die fehlende emotionale Präsenz, die Bereitschaft, sei es durch Provokationen oder kleine Frechheiten, die man von Grünen einfach erwartet, unverhofft zu punkten. Göring-Eckardt ist in Podiumsdiskussionen immer höflich, immer seriös und auf eigenartige Weise distanziert. Man merkt ihr an, dass ihr Kirchentag eigentlich mehr liegt als politische Schlammschlacht mit groben Klötzen auf grobe Keile. Auch Cem Özdemir ist bemüht, in jeder gegebenen Situation den gereiften Staatsmann mit markiger Stimme zu geben. Wenn er sich zu Erdogan äußert, ist inhaltlich alles richtig vorgetragen, als wäre Cem schon Außenminister. Trotzdem sieht man die Grünen-Stammwähler quasi vor sich, die sich wünschen, dass er endlich auch mal einen provokanten Spottsatz über das Verhältnis Erdogans zur türkischen Ziegenpopulation fallen lässt.
Und noch etwas fehlt: Als sich 1997 abzeichnete, wer bei den Grünen für was kandidiert, begann Joschka Fischer gemeinsam mit Wissenschaftlern, außenpolitische Aufsätze zu schreiben, er erarbeitete sich mit diesen Publikationen die Kompetenz, die er schließlich im Amt brauchen sollte – dass die junge Koalition in einen Krieg gezogen werden würde, konnte er nicht wissen. Trittin war Umweltminister in Niedersachsen gewesen und Renate Künast galt als Juristin als Allzweckwaffe, die die glücklose Andrea Fischer schnell ablöste. Welches Kompetenzprofil das Grüne Spitzenduo 2017 ausbildet, ist bisher sein Geheimnis geblieben. So wie die Zahlen aussehen, wird das auch nicht relevant. Ich wähle trotzdem grün – rein taktisch, das kleinere Übel. Denn wenn Deutschland die Klimaziele von Paris noch erreichen will, muss Schwarz-Gelb verhindert werden. Und um politischen Stillstand des Landes und weiteres Wachstum der AfD zu verhindern, gilt es, auch die GroKo unmöglich zu machen. Gerne hätte ich bessere Gründe gehabt.
Roland Appel ist einer der Sozialliberalen, die 1982 die FDP verließen. Von 1990 bis 2000 war er Mitglied des Landtages von NRW und ab 1995 einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Seit 2000 ist Appel Unternehmensberater.
Dieser Beitrag erschien zuerst hier.