Tichys Einblick
Aushöhlung eines Grundrechts

Berlin, Kandel, Hamburg, Hambacher Fest: Angst vor Vereinnahmung

Wenn Bürger für berechtigte Anliegen eintreten oder einfach ihre Meinung öffentlich vertreten - dürfen sie das auch, wenn "Rechte" dabei sind?

In Hamburg trägt eine Frau ein Schild „Merkel muss weg“. Was noch unter Bundeskanzler Gerhard Schröder üblich war, Montagsdemonstrationen gegen den Bundeskanzler und seine Regierung, wird neuerdings zur Staatsaffäre: Antifa demonstriert, weil auch „Rechte“ dabei sind,  schüchtert ein und geht gewaltsam auf die Initiatoren los, selbstverständlich folgenlos – für die Antifa.  Längst wurde der Umgang mit diesem Grundrecht politisiert und in eine Art Vorrecht für regierungskonformes Verhalten umgedeutet. „Im „Kampf gegen rechts“ verschieben sich schon einmal die Koordinaten. Linke Gewalt wird als „grandiose Zivilcourage“ im öffentlichen Bewusstsein hochgelobt, das müsse doch schließlich auch mal erlaubt sein. Linksextreme sind plötzlich „‚Aktivisten’, Wutbürger der linksgrünen Art, habe ich auch schon in Anzug und Krawatte erlebt“, schreibt Steffen Meltzer in einem Beitrag, der Recht und Durchsetzung des Rechts analysiert. In der Hauptstadt Berlin, aber auch in der Kleinstadt Kandel wiederholt sich ähnliches: Der dortige Landrat spricht von einer „Instrumentalisierung“ des Mordes an der 15-jährigen Mia durch „Rechte“, dem geplanten Freiheitsfest auf dem Hambacher Schloß droht ähnliches. Darf überhaupt noch demonstriert werden, wenn „Instrumentalisierung“ oder Vereinnahmung droht oder auch unerwünschte Teilnehmer mitdemonstrieren? Was ist dann das Demonstrationsrecht noch wert? Für drohende Instrumentalisierung kann jeder sorgen, der diesen Effekt erzeugen will.

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Der Autor des folgenden Berichts hat die Absicht, am neuen Hambacher Fest teilzunehmen. Jemand schrieb ihm in unserem Diskussionsforum, es sei schwer abzuschätzen, ob dieses und von wem gekapert würde. Nachfolgend die Antwort darauf.

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Was Ihre Sorge vor einer Kaperung von Veranstaltungen durch die Falschen anbelangt, möchte ich Ihnen meine persönlichen Beobachtungen von der vorletzten Kandel-Demo im Januar zukommen lassen (letzten Samstag hatten wir etwas anderes vor): Aufrufe kamen im Vorfeld von der badischen AfD, Distanzierungen von der pfälzischen AfD wegen rechtsextremer Einflussnahme. Angesichts dieser Widersprüche wollten meine Frau und ich uns ein eigenes Bild machen (fest entschlossen, sofort wieder zu gehen, wenn wir den Eindruck bekämen, in eine rechtsextreme Veranstaltung zu geraten).

Wir trafen eine große Menschenmenge an, lt. Polizeibericht und Mainstream-Medien ca. 1.000, lt. „rechten“ Seiten ca. 2.000 Teilnehmer. Welche Zahl eher stimmt, kann ich nicht einschätzen; die Polizei scheint mir etwas verlässlicher, s.u.). Lt. Polizeibericht waren darunter ca. 100 polizeibekannte Rechtsextreme, z.T. aus der Hooligan-Szene, lt. „rechten“ Seiten keinerlei Rechtsextreme. Letzteres deckt sich nicht mit meinen Beobachtungen und mag an der spezifischen Sicht dieser Seiten liegen; hier scheint mir der Polizeibericht verlässlicher. Ich habe einige schwarz gekleidete „Glatzen“ beobachtet, hörte auch einige Ordner von „Zecken“ sprechen, womit sie ersichtlich die Gegendemonstranten (z.T. wohl Antifanten) meinten, eine bekanntlich rechtsradikale Terminologie, sah auch einige offenbar organisierte lautstarke Männergruppen, die eher schlichte Sprechchöre anstimmten („Merkel muss weg“, „Widerstand“, „Volksverräter“, „Lügenpresse“).

Aber entscheidend war für uns, dass diese rechtsextremen Beobachtungen quantitativ absolute Randerscheinungen waren, max. 10 % der Gesamtteilnehmer (ein ähnliches Verhältnis haben wir vor einiger Zeit auch in Dresden bei Pegida beobachtet).

Natürlich war der Zug in Kandel bunt, selbst einige ergraute Rocker mit wilder Bart- und Haartracht, im Übrigen ein Querschnitt durch die Bevölkerung, z.T. auch etwas schlichtere Physiognomien, aber die ganz große Mehrheit eindeutig bürgerlich, Leute wie Sie und ich. Mit einigen unterhielten wir uns sehr nett und etwas länger, z.B. mit einen pensionierten Dipl.-Ing. u. Dozenten an der TU Karlsruhe, gut informierter Kritiker der „Energiewende“ und auch mit einer Mannheimer Lehrerin und engagierten Katholikin, alles vernünftige, abgewogen argumentierende Menschen fernab jedes Extremismus. Ich sah auch kaum „Abgehängte“ oder „Wutbürger“ und was es sonst noch für Zuschreibungen in den Mainstream-Medien gibt.

Viele der Teilnehmer, mit denen ich sprach, waren früher CDU-affin und sind inzwischen, weil sie trotz aller Merkel-Wenden ihren bisherigen Überzeugungen treu geblieben sind, AfD-affin. Alle waren sich einig, dass die Politik der CDU-geführten Bundesregierungen verheerend ist und man alles für einen möglichst baldigen Politikwechsel tun muss. Diese gemeinsame Überzeugung war stärker als die Berührungsängste, mit Rechtsextremen zusammen gesehen zu werden. Die Nazi-Keule ist inzwischen zu oft instrumentalisiert worden und schreckt keinen mehr. Alle waren sich einig, dass man den vor sich hinschnarchenden 30% Immer-noch-CDU-Wählern deutlich machen muss, dass diese Partei inzwischen weder christlich noch konservativ ist und christlich-konservative Wähler sich nach einer Alternative umsehen müssen (sei es die AfD, sei es die FDP). Laufen der Union weitere Wähler davon, hat sie die Wahl, auf der Linie Merkel-AKK-Altmaier zusammen mit SPD und Grünen immer weiter rot-grüne Politik zu machen und immer weiter zu schrumpfen, oder ähnlich wie die ÖVP eine konservative Kehrtwende zu vollziehen und eine bürgerlichen Koalition mit FDP und AfD zu bilden. Diesem Ziel würde ich, mit Verlaub, die Sorge vor irgendwelchen Kaperungen unterordnen, solange die Kaperer eine quantité négligeable sind.

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