Am Wahlabend ist es für Millionen Deutsche liebgewonnenes (oder widerwilliges) Ritual: Spätestens um 18 Uhr wird der Fernseher eingeschaltet, denn neben Prognosen erwarten einen hier Expertenanalysen und Politikermeinungen zum Verlauf des Wahlkampfes und dem bevorstehenden Wahlausgang. Stundenlang wird über Gründe und Folgen sinniert – wenn nicht die neueste Hochrechnung einen dicken Strich durch all die Überlegungen macht. Auch Tichys Einblick hat im letzten Oktober eine Sendung dieser Machart über den Äther geschickt. Die meisten Deutschen schauen jedoch die Programme von ARD und ZDF.
Aber: Was sonst bei jeder Landtags-, Bundestags- oder Europawahl üblich ist, fällt am Sonntag im Ersten und Zweiten Deutschen Fernsehen aus. Wenn am 11. Februar 2024 Hunderttausende wieder zu den Wahlurnen gerufen sind, um die Bundestagswahl 2021 (!) endlich zu korrigieren, gibt es keine Sondersendungen.
Das Wahlergebnis war damals so deutlich manipuliert worden, dass Bundeswahlleiter, Bundestag und schließlich das Bundesverfassungsgericht – auch auf Recherchen von Tichys Einblick hin – ihre Wiederholung anmahnen mussten. Diese wurde schließlich für 455 Urnenwahlbezirke und die korrespondierenden Briefwahlbezirke angeordnet und soll in dieser Woche, mehr als zwei Jahre nach der Hauptwahl, endlich umgesetzt werden.
Dieses „Novum in der Geschichte der Bundesrepublik“ (rbb) findet in den bundesweiten Fernsehprogrammen keine Beachtung. In der Programmplanung des ZDF weicht keine einzige Minute von „Terra X“ und „Herzkino“ der Demokratieberichterstattung. Bei der ARD sieht es nicht besser aus. Das Erste sendet zwar am Nachmittag außerplanmäßig Wintersport, am Abend läuft aber das übliche Schema mit „Bericht aus Berlin“, Weltspiegel, Sportschau, Tagesschau und Tatort. Nicht einmal eine abendliche Talkshow, seit diesem Jahr „Caren Miosga“, kann zur Einordnung der Ergebnisse genutzt werden. Die Sendung, die sonst jeden Sonntag um 21:45 live ausgestrahlt wird, entfällt am 11. Februar. Dafür läuft ein Krimi aus Neuseeland.
Aber der Ereigniskanal Phoenix, oft als Beleg einer besonderen Existenzberechtigung von öffentlich-rechtlichem Fernsehen und korrespondierendem Zwangsbeitrag angeführt, wird es doch besser machen, oder? Mitnichten. Ausweislich der Website des Senders geht es von 17 bis 19:15 Uhr um die Musik der „Neuen Deutschen Welle“ und nach der Tagesschau in der anderthalbstündigen Doppeldoku „Wachgeküsst“ um „Urlaubsparadiese mitten in Deutschland“.
Einzig im Dritten Programm des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) hat man einen Sendeplatz für das Ereignis freiräumen können. Ganze 30 Minuten ist die Wahlwiederholung der Sendeanstalt wert. Der „Stimmungstest für die Bundesregierung in der Hauptstadt“ bleibt auch hier sendetechnisch eine unbedeutende Randerscheinung.
Während uns die Wiederholung von TV-Sendungen von den Öffentlich-Rechtlichen zunehmend als Feature verkauft wird (wie gut, dass man die alte Übertragung noch einmal genießen kann!), ist die Wiederholung einer Bundestagswahl also keine Berücksichtigung im Hauptprogramm von ARD und ZDF wert. Nicht nur, weil sich die Zusammensetzung des Bundesparlaments ändert, besteht ein Interesse der gesamten deutschen Öffentlichkeit. Auch können sich (wahlrechtsbedingt) durch die Berliner Wiederholungswahl Verschiebungen in anderen Bundesländern geben.
Deshalb wäre es dringend geboten, umfassend über die Wahl zu informieren, statt sie unter den Tisch zu kehren. Was einer Landtagswahl in Bremen oder dem Saarland zusteht, sollte auch für diese großflächige Teilwiederholung gelten. Die Öffentlichkeit der Wahl muss durch mediale Berichterstattung flankiert werden. Wieder einmal fällt die angebliche „Stütze der Demokratie“ völlig aus. Noch sind einige Tage Zeit: Die Intendanten und Programmverantwortlichen könnten reagieren und diesen planerischen Irrtum korrigieren. Ob sie es tun werden? Daran darf man wohl zweifeln.
Staatsversagen findet zwar jeden Tag in Deutschland, aber kaum im Fernsehen statt. Bei TerraXplore (18:30 Uhr im ZDF) soll es am Sonntag übrigens darum gehen, ob Aberglaube „hilfreich“ sei. Vielleicht denkt sich mancher Verantwortliche auch, ohne Fernsehaufmerksamkeit könne er die Wahlwiederholung einfach wegwünschen.
Matthias Böttger (*1996) ist Volkswirt und Historiker, studierte in München und den Niederlanden und befasst sich unter anderem mit Fragen des Wahlrechts, der Wahlprognostik sowie des Steuersystems. Er ist Mitglied der CSU.