Tichys Einblick
Klimaurteil

Rot-grüne Tischgespräche: Ein Ehepaar zwischen Verfassungsgericht und Klimapolitik

Das Private kann bekanntlich sehr politisch werden. Vor allem, wenn eine Verfassungsrichterin über eine Klage mit zu entscheiden hat, zu der ihr Ehemann, der Grünen-Politiker ist, eine dezidierte Meinung hat. Von Georg Etscheit

Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Gabriele Britz

IMAGO / Stockhoff

Protagonisten in diesem Beitrag sind: Dr. Bastian Bergerhoff, langjähriger Politiker von Bündnis90/Die Grünen in Frankfurt am Main, und Professorin Dr. Gabriele Britz, seit 2011 Richterin am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, nominiert von der SPD. Die beiden sind ein Ehepaar.

Gabriele Britz ist Berichterstatterin in einem Verfahren gewesen, das Klimaaktivisten gegen die Bundesregierung angestrengt hatten und mittlerweile als „Klimaurteil“ Berühmtheit erlangt hat, bricht das Gericht doch mit seinen bisherigen Grundsätzen ausgleichender Gerechtigkeit und schlägt sich voll und ganz auf die Seite einer der klagenden Parteien. Es wird also selbst zum Aktivisten.

In dem Beschluss vom 24. März 2021, gibt das höchste deutsche Gericht „Klimaschützern“ um Luisa Neubauer von der Fridays-for-Future-Bewegung, dem Energiewendeaktivisten Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin, sowie dem CSU-Politiker Josef Göppel, einst das „grüne Gewissen“ der Christsozialen, in wichtigen Teilen Recht.

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Die Bundesregierung wurde zu einer drastischen Verschärfung ihres Klimaschutzgesetzes angehalten, was Umweltministerin Svenja Schulze sogleich veranlasste, die deutschen „Klimaziele“ zu verschärfen und vorzuziehen. Für Anhänger der Klimaschutzbewegung war der Beschluss ein Meilenstein bei ihren Bemühungen, Deutschland so schnell wie möglich in eine vollständig „dekarbonisierte“ Zukunft zu führen. 

Der Richterspruch erregte nicht zuletzt deshalb großes Aufsehen, weil sich das Gericht in seinen 110-seitigen Leitsätzen weitgehend auf die Argumente der klagenden Parteien bezog, die zu einem erheblichen Teil auf wissenschaftlich umstrittenen Grundannahmen beruhen, und dem maßgebenden Artikel des Grundgesetzes mit dem Ziel „Klimaneutralität“ eine völlig neue Bedeutung gibt.

Die politische Bedeutung und Tragweite des Karlsruher Beschlusses kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Schon kündigte der Bund Naturschutz (BN), der bayerische Ableger des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) an, eine geplante Ortsumgehung in Dinkelsbühl auch unter Bezugnahme auf das Klimaurteil gerichtlich verhindern zu wollen.

Dass die federführende Richterin in diesem hochbrisanten Prozess, die auch mit der finalen Abfassung der Leitsätze betraut war, mit einem bundespolitisch gewiss nicht einflusslosen Grünen-Kommunalpolitiker verheiratet ist, der offensiv die Interessen von Klimaschützern und Energiewende-Protagonisten, also der Klägerseite, vertritt, begründet wohl nicht den Vorwurf der Befangenheit. Aber der Casus hat dennoch mehr als ein Geschmäckle. 

Es gibt eben auch eine politische Dimension, denn es ist kaum auszuschließen, dass die Richterin Britz Inhalte des Verfahrens auch mit ihrem Ehemann gewissermaßen am Küchentisch diskutiert hat und sich die naturwissenschaftlichen Streitfragen – aus seiner auf der Seite der Kläger stehenden Sicht – hat erläutern lassen. Ehemann Bergerhoff ist promovierter Physiker und dürfte somit auch hinsichtlich wissenschaftlicher Details über eine gewisse Expertise verfügen.

Dass niemand dies bisher öffentlich thematisiert hat, mag daran liegen, dass es für Außenstehende gar nicht so leicht ist, die Verbindung zwischen Gabriele Britz und Bastian Bergerhoff zu erkennen. Die Eheleute tragen keinen gemeinsamen Namen und in ihren jeweiligen Lebensläufen findet sich kein Hinweis auf familiäre Zusammenhänge. In Bergerhoffs Vita heißt es schlicht: „Ich lebe mit Frau und Kind inzwischen südlich des Mains in Sachsenhausen.“

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Bei Britz wird man nur fündig, wenn man sich in ihre im Jahre 2000 erschienene Habilitationsschrift über kulturelle Rechte und Verfassung vertieft, in der sie ihren Ehemann eher beiläufig im Vorwort erwähnt: „Für interdisziplinäre Hilfe danke ich meiner Freundin xxx und meinem Mann, Dr. Bastian Bergerhoff“. Gegen interdisziplinäre Hilfe in diesem Fall ist gewiss nichts einzuwenden, hinsichtlich einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes würden das viele Menschen womöglich aber anders sehen. Die Eheleute Britz und Bergerhoff sind offenbar darauf bedacht, dass zwischen ihnen in der breiteren Öffentlichkeit keine Verbindung hergestellt wird. Dies spricht womöglich für ein politisches Problembewusstsein. 

Bergerhoffs Äußerungen in der Presse und in den sozialen Medien lassen darauf schließen, dass er dem Thema, wie die allermeisten seiner grünen Parteifreunde, eine überragende politische Bedeutung beimisst. 

Man muss Bergerhoff zugute halten, dass er sich nicht nur um das Thema Klimaschutz bemüht. Doch immer wird das Thema ganz nach vorne gezogen: „Klimaschutz muss ins Zentrum der Politik, bei allen Aktivitäten“, sagt er in einem Video zum Kommunalwahlkampf 2021. Oder: „Unser gesamtes verbleibendes Budget ist in 8 Jahren und 4 Monaten aufgebraucht…Es ist allerhöchste Zeit, die Dinge grundlegend zu ändern.

In einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung im März trommelte Bergerhoff für das Ziel, Frankfurt schon bis 2035 „klimaneutral“ zu machen. „Dies wird fundamentale Veränderungen nötig machen, bietet aber auch immense Chancen.“ Im etwa zeitgleich verhandelten städtischen Koalitionsvertrag zwischen Grünen, SPD, FDP und Volt wurde die Klimaneutralität bis 2035 nun festgeschrieben. 

Die Frankfurter Neue Presse titulierte Bergerhoff jüngst als „heimlicher Herrscher“ der (Frankfurter) Grünen. Der „echte 68er“ sei seit 1996 verheiratet, die Familie lebe in einem „Haus aus der Jahrhundertwende“ und habe einen 15-jährigen Sohn, der gerade „aus dem Gröbsten raus“ sei, weshalb Bergerhoff nun vom Parteiapparat in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung gewechselt sei und nach der erfolgreichen Kommunalwahl, bei der die Grünen zur stärksten Kraft im Frankfurter Römer wurden, einen Posten in der Stadtregierung anstrebe, etwa als Bürgermeister und Kämmerer oder Planungsdezernent. 

Der Eindruck, der vor dem Hintergrund des „Klimaurteils“ des Verfassungsgerichtes entsteht, ist zumindest unglücklich. An den Vorwurf der Befangenheit sind hingegen hohe Hürden geknüpft: „Allein familiäre Konstellationen reichen hierfür sicherlich nicht“, sagt ein Rechtsanwalt. „Vielmehr muss im Einzelfall nachgewiesen werden, dass tatsächlich eine konkrete Befangenheit zu einem bestimmten Sachverhalt besteht. Bei allgemeinen Rechtsfragen ist dies noch schwieriger nachzuweisen als in einem konkreten Fall (Beispiel Befangenheit eines Gemeinderats bei der Entscheidung über einen konkreten Bauantrag). „Bevor ein Verfassungsrichter als befangen erklärt wird, muss sicherlich mehr geschehen. Die Trauben hängen hier nach meiner Ansicht sehr hoch“.

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In einem einschlägigen Kommentar heißt es: „Allgemeine Gesichtspunkte (…) können daher nicht zu einer erfolgreichen Ablehnung der Befangenheit führen. Es müssen besondere Umstände hinzukommen, die dafür sprechen, dass der Richter über das aus allgemeinen Gesichtspunkten herrührende Interesse hinaus ein besonderes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat. Solche besonderen Umstände können z. B. gegeben sein, wenn sich ein Richter in einer Partei, Religionsgemeinschaft oder in einem Berufsverband oder sonstigen Interessenverband besonders für die Sache engagiert hat oder sogar noch engagiert.“

Ob diese Umstände hier gegeben sind, ist füglich zu bezweifeln. Zudem kann, so ein Staatsrechtler, ein möglicher Vorwurf der Befangenheit nachträglich nicht mehr geltend gemacht werden kann. Juristisch ein Grenzfall. Zwar hätte sich Gabriele Britz nicht selbst aus dem Verfahren zurückziehen können, da sie die „gesetzliche Richterin“ war. Jedoch hätte sie in dessen Ablauf zumindest auf eine mündliche Verhandlung dringen können, so dass vom Vortrag des Klägers abweichende wissenschaftliche Positionen in die Entscheidung hätten einfließen können. Und sie hätte sich in ihrer Berichterstattung sachlich bescheiden und so alles vermeiden können, was im Sinne eines „bösen Scheins“ als Voreingenommenheit für „die gute Sache“ der Kläger gelesen werden kann.  

Die ganze Geheimniskrämerei provoziert folgende Frage: Wäre die Entscheidung genauso ausgefallen, wenn in der deutschen und – aufgrund der weit über Deutschland hinausweisenden Bedeutung des Gerichts – in der internationalen Öffentlichkeit bekannt gewesen wäre, dass die Berichterstatterin und damit das Mitglied des zuständigen Senats des Bundesverfassungsgerichts, das auf das Verfahren durch seine Funktion ganz wesentlich Einfluss nehmen kann, mit einem führenden und in Sachen Klimaschutz hoch engagierten Politiker der Grünen verheiratet ist?


Georg Etscheit ist Autor und Journalist

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