Tichys Einblick
Reaktor in Mol

Belgien baut an einem Reaktor, der das Atommüll-Problem eliminiert

Belgien erforscht Technologien, mit dem der Atommüll nur noch einige hundert Jahre radioaktiv sein soll. Die Reaktoren, in denen die Umwandlung des Atommülls stattfindet, sind zudem deutlich weniger störanfällig. Von Wolfgang Kempkens

picture alliance/dpa/BELGA | Luc Claessen

Im belgischen Mol nahe Antwerpen hat jetzt der Bau eines Beschleunigers für Protonen begonnen, die in einem speziellen Reaktor Atommüll umwandeln sollen, sodass er nicht mehr Jahrzehntausende radioaktiv ist, sondern nur noch einige 100 Jahre. Transmutation nennt sich das Verfahren. Die Anlage namens Myrrha (Multipurpose Hybrid Research Reactor for High-tech Applications/Mehrzweck-Hybrid-Forschungsreaktor für Hightech-Anwendungen) soll 2038 in Betrieb gehen.

Zwei Jahre früher schon will Transmutex eine ähnliche Anlage in Betrieb nehmen. Diese soll, so das Genfer Unternehmen, anders als Myrrha keine Forschungsanlage sein, sondern tatsächlich Atommüll entschärfen. Daneben wird der Reaktor auch Strom und Wärme produzieren und sogar Isotope für die Nuklearmedizin, die unter anderem für bildgebende Verfahren genutzt werden.

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Die Reaktoren, in denen die Umwandlung des Atommülls stattfindet, laufen nicht von allein wie klassische Reaktoren, in denen durch Kernspaltung Neutronen erzeugt werden, die wiederum Atomkerne spalten, sodass eine Kettenreaktion entsteht. Die für die Spaltung benötigten Neutronen werden mit Hilfe von Beschleunigern erzeugt, die Teile von Atomkernen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit bringen. Diese treffen auf ein Ziel, aus dem dann eine Neutronenwolke austritt, die zum einen Uran spalten, zum anderen von Atommüll-Molekülen eingefangen werden. Diese verwandeln sich in andere Stoffe, die weit weniger gefährlich sind, sie „transmutieren“.

Die Schweizer setzen das Uran-Isotop 233 ein, nicht 235, wie es in üblichen Kernkraftwerken und auch im Myrrha-Reaktor genutzt wird. Das ist ein gewaltiger Unterschied, denn anders als bei Uran 235 kann aus Uran 233 kein Plutonium entstehen, ein Element, das viele 10.000 Jahre radioaktiv ist und damit lebensgefährlich bleibt. Uran 233 entsteht aus dem schwach radioaktiven Thorium, das weltweit in großen Mengen zu finden ist, wenn es mit Neutronen beschossen wird.

Ein solcher Reaktor kann auch nicht „durchgehen“ wie der Volksmund die unkontrollierte Ausweitung der Kettenreaktion nennt, die in einer Katastrophe enden kann wie in Harrisburg/USA, Tschernobyl/Russland und Fukushima/Japan. Sobald der Protonenstrom aus dem Beschleuniger versiegt, bleibt der Reaktor „stehen“. Man muss nur „den Stecker ziehen“. Innerhalb von wenigen Millisekunden endet dann die Kernspaltung.

Die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist die wichtigste Aufgabe, die im Zusammenhang mit der weiteren Nutzung der Kernenergie zu lösen ist. Die Endlagerung über Zehntausende Jahre kann nicht die Lösung sein. Wenn diese Zeit auf weniger 100 Jahre verkürzt werden könnte, wären die Langzeitrisiken entscheidend geringer. Nebenbei reduziert sich das Abfallvolumen auch auf ein Hundertstel.

„Wir planen keine Forschungseinrichtung, sondern kompakte Industrieanlagen, die mit überschaubarem Aufwand einsatzbereit sind, um Atommüll zu eliminieren und als positiven Nebeneffekt klimafreundlich Wärme und medizinische Radioisotope zu erzeugen“, sagt der stellvertretende Transmutex-Geschäftsführer Guido Houben. Es ist noch offen, wo der Erstling stehen wird. „Gerne in Deutschland an den Standorten der alten Kernkraftwerke, wo der Atommüll gelagert wird“, sagt Houben. „Wir führen auch Gespräche in Schweden, Indien, den USA und anderen Ländern.“ Die Kosten für den Prototypen schätzt er auf rund eine Milliarde Euro.

Gut halb so viel soll allein Minerva kosten, der Teilchenbeschleuniger für Myrrha. Die Anlage wird von den Ländern der Europäischen Union finanziert. Doch wie es bei Anlagen mit völlig neuer Technik üblich ist, werden sich die Kosten wohl noch stark erhöhen.


Wolfgang Kempkens studierte an der Techni­schen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aache­ner Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwer­punkte sind Energie und Umwelt.

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