Diesen Brief schickte mir (Bauer Willi, Anm. der Redaktion) Jürgen, mit dem ich einige lange und intensive Telefonate geführt habe. Ich habe ihn gebeten, seine Familiengeschichte einmal aufzuschreiben, damit sich Menschen außerhalb der Landwirtschaft ein Bild davon machen können, welchen Einfluß gesellschaftliche Entwicklungen und politische Entscheidungen auf den vielbeschworenen „bäuerlichen Familienbetrieb“ haben.
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Mein ganzes Leben lang war ich davon überzeugt, dass ich mit Ackerbau und Viehzucht und mit der damit verbundenen Erzeugung hochwertiger Lebensmittel einen sinnvollen und wichtigen Beitrag für unser Land leiste. Mir war Bauer sein eigentlich schon in die Wiege gelegt. Mein Großvater war noch Knecht beim größten Bauern im Dorf. Der größte Traum war logischerweise, einmal ein eigenständiger Bauer mit eigener Scholle zu sein. Und diesen Traum hat er sich hart erarbeitet. Als Arbeiter im Steinbruch konnte er von einem kinderlosen Ehepaar auf Leibrentenbasis ein Kleinstanwesen mit 2 Kühen, 3 Schweinen und 1,5 ha Grund und Boden erwerben. Mein Vater führte dies als Untertagekumpel im Bergbau fort. Immer mit der Sehnsucht, einmal den Hof so zu vergrößern und auszubauen, um als Vollerwerbsbauer davon leben zu können.
Die Zeichen standen gut. Nach dem Hunger und Entbehrungen des Krieges wollte die Bevölkerung nur eines – keinen Krieg und auch keinen Hunger mehr. Mein Vater spezialisierte sich auf die Haltung von Mutterschweinen und zählte somit zu den ältesten Ferkelerzeugerbetrieben in Bayern. Mir wurde also schon von Kindesbeinen an beigebracht, dass die Versorgung und das Wohlergehen der Schweine an oberster Stellung standen. Auch das Feiern von Geburtstagen oder Weihnachten musste sich nach den Aufgaben im Stall orientieren. Die Verantwortung für die Tiere bestand 365 Tage im Jahr, auch an Sonn- und Feiertagen. Urlaub war schwerlich möglich. All diese Dinge waren aber im Familienverbund nicht tragisch, denn wir hatten das Gefühl eine wichtige, sinnvolle und verantwortungsvolle Tätigkeit zu haben.
Den Lippenbekenntnissen der Verbraucherumfragen vertrauend und folgend, haben wir sogar 7 Jahre lang ökologisch gewirtschaftet. Aus Sorge um unsere Schweine, also aus Tierschutzgründen haben wir aber wieder auf konventionelle Schweinehaltung umgestellt. Durch die systembedingten Probleme in der Ökoschweinehaltung (unhygienische Haltungsform auf Stroh, Mangelerscheinung durch unausgewogenes Futter, Leberschäden durch Verwurmung der Tiere und qualitätsbeeinträchtigtes, zugekauftes Ökogetreide) hatten wir fast den dreifachen Antibiotikaeinsatz gegenüber der vorherigen konventionellen Haltung.
Auch die Vorstellung, man könnte als Biobauer dem permanenten Wachstumsdruck entgehen, entpuppte sich als Trugschluss. Der durchschnittliche Biobauer in Deutschland bewirtschaftet mehr Fläche als sein konventioneller Kollege. Das „Wachsen oder Weichen“ schreitet im Ökobereich noch schneller voran. Und auch die Lippenbekenntnisse der Verbraucher, sie würden sich mehr Bio wünschen, entpuppte sich als nicht verlässlich. Nach Skandalen stieg die Nachfrage sprunghaft an, aber fiel auch relativ schnell wieder ab. Wir mussten dann also unsere Bioferkel mangels Nachfrage konventionell vermarkten. Hohe Tierverluste, Kosten und Arbeitsaufwand durch Öko, dann aber zu konventionellen Preisen vermarkten – so kann und will man nicht wirtschaften. Das wollte ich nicht meiner Familie, aber vor allem auch nicht unseren Schweinen antun. Diese Erfahrung war aber wichtig, denn nur so konnten wir voller Überzeugung und geläutert zur konventionellen Schweinhaltung zurückkehren.
Ich habe drei Söhne, die zwei Älteren waren schon von Kindesbeinen an dabei und schon immer davon überzeugt, dass der Beruf „Landwirt“ der wichtigste und schönste überhaupt sei. Sie beschritten nach der Schule beide die landwirtschaftliche Ausbildung bis hin zum Meister. Voller Begeisterung übten sie den Beruf aus, bis in den letzten Jahren die NGO’s ein verzerrtes Bild ihrer Tätigkeit wiedergaben. Mit dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern wurde aber eine neue Dimension erreicht. In der Folge kamen dann die unsachlichen Nitratdiskussionen und Vorwürfe aus der Ecke von angeblichen „Tierschützern“ hinzu. Plötzlich hatten in Deutschland anscheinend 98 % der Bevölkerung mehr Ahnung von Ackerbau und Viehzucht als die dazu ausgebildeten Landwirte selbst.
Vor wenigen Wochen nun hat uns ein Sohn unter Tränen mitgeteilt, dass er dieses Bauernbashing nicht mehr aushält. Er möchte sich nicht sein ganzes Leben als Insektenvernichter, Brunnenvergifter oder Tierquäler beschimpfen lassen und ist gegangen. Und auch mein ältester Sohn zweifelt inzwischen. Unter sehr viel Mühe und Eigenleistung hat er drei Jahre lang im laufenden Betrieb den Stall Schritt für Schritt auf mehr Tierwohl umgebaut. Da die Politik jahrelang keine genauen Vorgaben für Tierwohl definierte, versuchte er, unter Berücksichtigung der Statik, im Altgebäude das Bestmögliche zu realisieren. Er baute Freilaufbuchten, um nach der Geburt baldmöglichst den Ferkelschutzkorb zu öffnen und den Sauen mit den Ferkeln mehr Bewegung zu gönnen. Aufgrund der Statik im Altgebäude ergaben sich 6 qm. Nach dem Bundesratsbeschluss zur Tierschutznutztierhaltung wurden in der Verordnung aber nun 6,5 qm gesetzlich festgelegt. Die Vorgaben im Deckbereich sind noch dramatischer, liegen sogar über den EU-Ökorichtlinien und bringen sogar die Biobauern in Schwierigkeiten. Damit waren die Bemühungen meines Sohnes vergebens, und werden wohl zum Betriebsaufgabe führen. Vor allem, da ja teilweise nur 5 Jahre Übergangsfrist gestattet sind.
Fazit: Der „natürliche“ Strukturwandel, der bisher hauptsächlich Betriebsleiter betraf, die aus Altersgründen oder mangels Hofnachfolger aufgaben, erreicht nun eine völlig neue Dimension. Junge Betriebsleiter, die motiviert und begeistert den Beruf ausüben wollten, verlassen das sinkende Schiff Landwirtschaft in Deutschland.
Dem Volk laufen die Bauern davon.
Immer wieder wird den Landwirten mangelnde Veränderungsbereitschaft vorgeworfen. Man sieht, die jungen Landwirte verändern sich sehr wohl – aber eben nicht in der Landwirtschaft. Sie verändern sich beruflich und wandern ab. Und dies machen sie nicht aus Trotz oder Unkenntnis, sondern weil sie die Zusammenhänge und Hintergründe in Ackerbau und Viehzucht gelernt und gelebt haben und wohl besser einschätzen können als die selbsternannten Agrarexperten.
Und nun, was mache ich nun? Eigentlich hatte ich frühzeitig den Weg für die Nachfolger frei gemacht. Es gibt nichts Schlimmeres für junge Betriebsleiter auf den Höfen, als wenn der Senior nicht loslassen kann und ständig ungefragte Ratschläge gibt. Deshalb habe ich schon vor 8 Jahren begonnen, mir ein neues Aufgabengebiet vorzubereiten. Ich studierte Theologie im Fernkurs und machte nebenbei eine praktische Ausbildung. Am 29. September 2018 wurde ich zum ständigen Diakon mit Zivilberuf geweiht. Ich machte Kranken- und Gefangenenpastoral. Eine Vollzeitstelle in der JVA Regensburg für Gefangenenpastoral standen in Aussicht. Mit dem Verlassen des ersten Sohnes war dies nicht mehr möglich. Es stehen ja noch finanzielle Verpflichtungen gegenüber der Bank durch Stallbau im Raum. Also kehrte ich wieder Vollzeit in den landwirtschaftlichen Betrieb zurück.
Eine Ökologisierung oder Extensivierung des Betriebes kann ich als Diakon und Christ ethisch nicht verantworten. Es gibt nur sehr wenig Gunst-Gebiete auf dieser Welt die solche guten Voraussetzungen (Klima, Boden, Niederschläge, Know-How, Infrastruktur usw.) haben. Vor Jahren hat schon die UN (genauer: die dazugehörige FAO – Welternährungsorganisation) in Hinblick auf die rasant ansteigende Weltbevölkerung die Gunstgebiete dazu aufgerufen, die Tierhaltung zu intensivieren. Aus Ideologie heraus startet aber die EU jetzt eher eine Drosselung. Da wir in der EU immer noch über ausreichendes Einkommen verfügen, werden wir auch bei starker Reduzierung der Produktion nicht hungern müssen – wir kaufen einfach weltweit die Nahrungsmittel auf. Leidtragende werden die Menschen in anderen Erdteile sein. Dies kann ich moralisch und ethisch nicht vertreten.
Zu guter Letzt möchte ich betonen, dass die derzeitige Entwicklung nichts Außergewöhnliches in der Menschheitsgeschichte ist. Es gab immer wieder Hochkulturen die ungewöhnlich erfolgreich waren, aber alle sind bisher an ihrer eigenen Dekadenz zugrunde gegangen. Wenn die Anstrengungen für die grundsätzlichen Tätigkeiten nicht mehr gesehen und geschätzt werden, wenn alles zur Selbstverständlichkeit geworden ist und man sich nur noch um Luxusprobleme kümmert, dann verliert man die Bodenhaftung und den Blick für das eigentlich Wichtige. Vielleicht hat unsere Kultur aber auch schon den Zenit überschritten.
Mein Schuldbekenntnis:
Ich bekenne mich schuldig,
- dass ich so naiv war zu hoffen, als Landwirt mit der Nahrungsmittelproduktion als wichtig und systemrelevant zu gelten, und damit eine Ausnahme beim Verschwinden der Urproduktionen in diesem Dienstleistungsland zu sein..
dass ich glaubte, dass ein Land das Mindestlöhne für Arbeitnehmer einführt, auch gerechte Preise für Selbstständige und uns Landwirten anstrebt. - dass ich mit den Mitgliedsbeiträgen beim Bauernverband zwar die Posten der Verbandsvertreter sicherte, aber nicht sah, dass diese gar nicht für uns Bauern kämpften.
- dass ich als CSU-Mitglied eine Partei unterstütze, die zwar vordergründig den Bauern Unterstützung versprach, aber in Wirklichkeit das Wirtschaften für uns Bauern immer mehr erschwerte.
- dass ich es wagte, bei meinen Verpächtern um eine Pachtpreisminderung anzufragen, wenn nach einer katastrophalen Trockenheit oder ruinösen Preise kaum einen Verdienst gab. In der trügerischen Hoffnung, sie könnten dies als ehemalige Landwirte verstehen.
- dass ich dachte, ein Bauernhof in einem ländlichen Dorf, der seit Generationen besteht, sei ein natürlicher Bestandteil und nicht ein Störfaktor.
- den Verbraucherumfragen nach hochwertigen Nahrungsmitteln Glauben geschenkt zu haben, und mit 7 Jahre Ökolandwirtschaft die Existenz meines Betriebes gefährdete.
- so eingebildet gewesen zu sein, um zu glauben, eine landwirtschaftliche Ausbildung, Studium und Meistertitel würden ausreichen, etwas von Ackerbau und Viehzucht zu verstehen. Wenn mir doch jeden Tag die Medien mitteilen, mit wie viel Unkenntnis und Verantwortungslosigkeit ich mit Boden und Tieren umgehe.
- dass ich meinen Söhnen nicht eindringlicher verboten habe, den Beruf Landwirt zu erlernen.
Ich bitte um Verzeihung bei
- meinem Schöpfer, dass ich meine Talente und einen Großteil meines Lebens mit einem Beruf vergeudete, der von der Gesellschaft nicht mehr geschätzt und gebraucht wird.
- meinen Vorfahren, die ihre ganze Kraft dafür einsetzten, um den Bauernhof aufzubauen und zu erhalten, und der nun wohl in der letzten Generation besteht.
- meiner Familie, die auf freie Wochenenden und Urlaub verzichten mussten. Die täglich zur Mitarbeit gefordert wurde, in einer Zeit, in der andere ins Schwimmbad, zum Fußball usw. fuhren.
- meinem Körper, dem ich permanente Ruhelosigkeit abverlangte, um 365 Tage im Jahr für meine Tiere da zu sein.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen bei Bauer Willi